BFH Urteil v. - VI R 18/05

Zinsverbilligtes Arbeitgeberdarlehen; norminterpretierende Verwaltungsvorschrift

Gesetze: EStG § 19 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, EStG § 8 Abs. 2

Instanzenzug: (Verfahrensverlauf),

Gründe

I. Streitig ist, ob die Gewährung eines Darlehens durch den Arbeitgeber zu einem Zinssatz, der zwar unter dem in den Lohnsteuer-Richtlinien (LStR) genannten, aber nicht unter dem marktüblichen Zinssatz liegt, beim Arbeitnehmer einen lohnsteuerpflichtigen Vorteil begründet.

Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) schloss mit seiner Arbeitgeberin am einen Darlehensvertrag über die Gewährung eines Darlehens zum Zwecke des Erwerbs einer Eigentumswohnung ab. Der Zinssatz betrug 4,77 % jährlich mit Zinsfestschreibung für 10 Jahre.

Die Arbeitgeberin erfasste —gestützt auf Abschn. 31 Abs. 8 Satz 3 LStR 1999, wonach bei einem Arbeitgeberdarlehen ein einkommensteuerlich zu erfassender Zinsvorteil vorliegt, wenn dessen jährlicher effektiver Darlehenszins 6 % unterschreitet— die Differenz zwischen dem Zinssatz von 6 % und dem vereinbarten Zinssatz von 4,77 % als geldwerten Vorteil und unterwarf ihn dem Lohnsteuerabzug.

Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt —FA—) setzte die Einkommensteuer 1999 dementsprechend fest.

Die nach erfolglosem Einspruch dagegen mit der Begründung erhobene Klage, dass der Ansatz eines geldwerten Vorteils nicht gerechtfertigt sei, weil der effektive Jahreszins für vergleichbare Darlehen bei anderen Kreditunternehmen bei 4,6 % gelegen habe, war erfolgreich. Das Finanzgericht (FG) gab der Klage mit den in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2005, 1027 veröffentlichten Gründen statt.

Mit der Revision rügt das FA die Verletzung materiellen Rechts. Es beantragt, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger hat sich nicht zur Revision geäußert.

II. Die Revision des FA ist unbegründet. Das FG hat zu Recht entschieden, dass kein lohnsteuerpflichtiger Vorteil vorliegt, wenn der Arbeitgeber seinem Arbeitnehmer ein Darlehen zu marktüblichen Konditionen gewährt.

1. Zum Arbeitslohn gehören nach § 19 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) neben Gehältern, Löhnen, Gratifikationen, Tantiemen und anderen Bezügen auch Vorteile, die für eine Beschäftigung im öffentlichen oder privaten Dienst gewährt werden. § 8 Abs. 2 Satz 1 EStG benennt die geldeswerten Güter oder Vorteile (Einnahmen, die nicht in Geld bestehen), nämlich „Wohnung, Kost, Waren, Dienstleistungen und sonstige Sachbezüge”. § 8 Abs. 2 EStG bringt zum Ausdruck, dass der Arbeitnehmer durch die Zuwendung objektiv bereichert sein muss, weil die Zuwendung für ihn einen wirtschaftlichen Wert hat (so , BFHE 201, 283, BStBl II 2003, 724; vom VI R 123/00, BFHE 195, 376, BStBl II 2002, 230). § 8 Abs. 2 Satz 1 EStG bestimmt auch den Maßstab für die Bewertung des Vorteils. Die nicht in Geld bestehenden Einnahmen sind danach mit den um übliche Preisnachlässe geminderten üblichen Endpreisen am Abgabeort anzusetzen.

2. Zu den nach § 8 EStG zu bewertenden und zu Einnahmen führenden Vorteilen i.S. des § 19 Abs. 1 Satz 1 EStG gehören auch solche, die den Arbeitnehmern aus der Gewährung eines zinsverbilligten Arbeitgeberdarlehens entstehen. Gewährt der Arbeitgeber seinem Arbeitnehmer allerdings ein Darlehen zu einem marktüblichen Entgelt, erlangt der Arbeitnehmer mit der Kapitalnutzung nicht mehr als das, was er für dasselbe Entgelt —Zins— auch von Dritten hätte erlangen können. In diesem Fall ist der Arbeitnehmer durch die Gewährung des Darlehens nicht objektiv bereichert. Es fehlt an einem Vorteil als Grundvoraussetzung für Einkünfte i.S. des § 19 Abs. 1 Satz 1 EStG.

a) Danach hat das FG zu Recht einen beim Kläger zu erfassenden einkommensteuerlichen Vorteil durch die Darlehensgewährung verneint. Denn nach seinen Feststellungen entsprach der Zinssatz, zu dem der Kläger von seinem Arbeitgeber das Darlehen erhielt, dem Zinssatz für vergleichbare Darlehen, die Banken ihren Kunden im fraglichen Zeitraum gewährten. Dabei stellte das FG in seinem Vergleich zu Recht auf die Untergrenze der in der Bundesbankstatistik vorzufindenden Streubreite der statistisch erhobenen Zinssätze ab. Dieser an der Untergrenze liegende Zinssatz ist der um übliche Preisnachlässe geminderte übliche Endpreis i.S. des § 8 Abs. 2 Satz 1 EStG. Denn üblicherweise nimmt der ein Darlehen nachfragende Kreditnehmer das günstigste Angebot an.

b) Entgegen der Auffassung des FA lässt sich auch mit Abschn. 31 Abs. 8 Satz 3 LStR 1999 unter keinem Gesichtspunkt ein beim Kläger entstandener steuerbarer Zinsvorteil begründen.

aa) Abschn. 31 Abs. 8 Satz 3 LStR 1999 mag der Verwaltung den Effektivzins von 6 % für Zwecke der Verwaltungsvereinfachung als Nichtaufgriffs- oder Nichtbeanstandungsgrenze vorgeben (vgl. Küttner/Thomas, Personalbuch 2006, Stichwort Pauschbeträge, Rz. 9 f.), kann aber einen steuerbaren Vorteil nicht konstitutiv begründen. Denn den LStR kommt, wie allen Steuerrichtlinien, keine Rechtsnormqualität zu; sie bieten keine Rechtsgrundlage für einen steuerbegründenden Verwaltungsakt und binden Gerichte grundsätzlich nicht (ständige Rechtsprechung, vgl. , BFHE 193, 156, BStBl II 2001, 426; vom I R 48/02, BFHE 203, 71, BStBl II 2004, 425). Norminterpretierende Verwaltungsvorschriften mit materiell-rechtlichem Inhalt sind Gegenstand, nicht jedoch Maßstab richterlicher Kontrolle (, BVerfGE 78, 214, 227 f.).

bb) Ein zu erfassender Vorteil folgt auch nicht aus § 8 Abs. 2 Satz 8 EStG i.V.m. Abschn. 31 Abs. 8 Satz 3 LStR 1999. Nach § 8 Abs. 2 Satz 8 EStG kann die oberste Finanzbehörde eines Landes mit Zustimmung des Bundesministeriums der Finanzen (BMF) für weitere Sachbezüge der Arbeitnehmer Durchschnittswerte festsetzen. Abschn. 31 Abs. 8 Satz 3 LStR 1999 enthält jedoch keine solche Festsetzung einer obersten Finanzbehörde eines Landes. Denn die LStR werden auf Grundlage des Art. 108 Abs. 7 des Grundgesetzes (GG) von der Bundesregierung mit Zustimmung des Bundesrats erlassen. Damit wahren die LStR weder die in § 8 Abs. 2 Satz 8 EStG vorausgesetzte Organkompetenz für die Festsetzung von Durchschnittswerten durch eine oberste Finanzbehörde eines Landes, noch die für die Zustimmung hierzu durch das BMF. Da schon aus formellen Gründen Abschn. 31 Abs. 8 Satz 3 LStR 1999 keine hinreichende Rechtsgrundlage für eine Wertfestsetzung nach § 8 Abs. 2 Satz 8 EStG bietet, kann der Senat die Frage dahinstehen lassen, ob und unter welchen Voraussetzungen eine auf § 8 Abs. 2 Satz 8 EStG gestützte steuerbegründende Festsetzung von Werten durch die Verwaltung rechtsstaatlichen Anforderungen genügen könnte.

cc) Das FA kann schließlich auch nicht mit Erfolg einwenden, dass der Zweck der mit § 8 Abs. 2 Satz 8 EStG eingeräumten gesetzlichen Ermächtigung, nämlich typisierende und pauschalierende Regelungen zur vereinfachten Bewältigung von Massenerscheinungen zu ermöglichen, dazu berechtige, einen lohnsteuerlich zu erfassenden Vorteil nach Maßgabe des Abschn. 31 Abs. 8 Satz 3 LStR 1999 anzunehmen. Denn auch solche Regelungen unterliegen jedenfalls einer Plausibilitätsprüfung durch die Gerichte sowie der Kontrolle, ob der Gleichheitssatz i.S. des Art. 3 Abs. 1 GG beachtet ist (vgl. Senatsurteil vom VI R 65/92, BFHE 174, 69, BStBl II 1994, 532). Nachdem die Verwaltung den Maßstabzinssatz in den LStR im Zeitraum von 1990 bis 2005 lediglich in der engen Bandbreite zwischen 5,0 % und 6,0 % festgesetzt hatte, überprüfte das FG angesichts der gerichtsbekannten tatsächlichen Schwankungsbreite der Zinssätze für Darlehen in den vergangenen 15 Jahren den der Einkommensteuerfestsetzung zugrunde gelegten Zinssatz im Hinblick auf seine Plausibilität zu Recht und traf auch zu Recht eigene Feststellungen zur Höhe des marktüblichen Zinssatzes.

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:

Fundstelle(n):
NAAAC-18567