Zu den Darlegungsvoraussetzungen einer grundsätzlichen Bedeutung bei Ablehnung des Antrags auf Erlass einer Steuer; zur 5-Monats-Grenze bei der Komplettierung der Urteilsgründe
Gesetze: FGO § 115 Abs. 2 Nr. 1, FGO § 104 Abs. 2, FGO § 105; AO § 227
Instanzenzug:
Gründe
I. Streitig ist, ob Steuern zu erlassen sind.
Die Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin), eine AG, die…betreibt, war vor ihrer Umwandlung (bis 1992) ein Eigenbetrieb des Landes X. An dem Nominalkapital der Klägerin von ... DM waren im Streitjahr 1994 das Land X zu 64,15 v.H. und die A-AG, die B-AG und die C-AG zu jeweils 11,95 v.H. beteiligt.
Der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt —FA—) setzte den einheitlichen Gewerbesteuermessbetrag und die Gewerbesteuer (mit ... DM) sowie die Vermögensteuer auf den (mit ... DM) entsprechend den abgegebenen Steuererklärungen fest. Diese Festsetzungen beruhen —da die Klägerin und Beschwerdeführerin (auch) im Streitjahr einen Jahresfehlbetrag erwirtschaftete— auf ertragsunabhängigen Komponenten der gesetzlichen Bemessungsgrundlagen.
Im Einspruchsverfahren beantragte die Klägerin, die Steuern aus Billigkeitsgründen zu erlassen. Die gegen die ablehnende Einspruchsentscheidung erhobene Klage wurde durch abgewiesen. Die Zustellung der Urteilsabschrift an die Klägerin erfolgte am .
Die Klägerin beantragt, die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung und wegen eines Verfahrensfehlers zuzulassen.
Das FA beantragt, die Beschwerde als unbegründet zurückzuweisen.
II. Die Beschwerde ist als unbegründet zurückzuweisen, da die von der Klägerin geltend gemachten Gründe für eine Zulassung der Revision (§ 115 Abs. 2 Nrn. 1 und 3 der Finanzgerichtsordnung —FGO—) nicht vorliegen.
1. Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO. Eine solche grundsätzliche Bedeutung ist für eine Rechtsfrage im Zusammenhang mit einem Begehren auf Erlass von Steuern aus Billigkeitsgründen gemäß § 227 der Abgabenordnung (AO 1977) zwar nicht ausgeschlossen. Dazu bedarf es aber der besonderen Darlegung, warum die Entscheidung über die begehrte Billigkeitsmaßnahme —auf der Grundlage des bei § 227 AO 1977 geltenden Maßstabs, ob die Einziehung des Steueranspruchs „nach Lage des einzelnen Falles unbillig wäre"— eine über diesen Einzelfall hinausgehende Bedeutung für die Allgemeinheit hat (s. zur parallelen Situation betreffend § 163 AO 1977: , BFH/NV 2002, 1603).
Die besonderen Darlegungsnotwendigkeiten zur Frage des Allgemeininteresses an einer Entscheidung des BFH zum Steuererlass in diesem konkreten Einzelfall sind nicht erfüllt. Soweit die Klägerin ein Allgemeininteresse an der Klärung der Rechtsfrage schon daran erkennen will, dass hinsichtlich der Substanzbesteuerung ertraglosen Vermögens verfassungsrechtliche Zweifel bestünden und zur Frage der additiven Erhebung von Substanzsteuern bei ertraglosem Vermögen noch keine höchstrichterliche Rechtsprechung ergangen sei, folgt der Senat dem nicht. Auch wenn der (BVerfGE 93, 121, BStBl II 1995, 655) zur Vermögensbesteuerung einer natürlichen Person als Steuerpflichtiger ergangen ist, ist darin allgemein —und damit auch für die Besteuerung der juristischen Person— die Substanzbesteuerung des Vermögens auf der Grundlage eines typischerweise möglichen Ertrages (Sollertrages) abgehandelt (z.B. auch —zugleich zur sachlichen Unbilligkeit bei § 163 AO 1977 mit Blick auf die Festsetzung von Vermögensteuer bis Ende 1996— , BFH/NV 2004, 98). Das Betriebsvermögen der Klägerin ist auch diesem Typus („ertragsfähig”) zuzuordnen. Dass im Streitfall neben die Vermögensteuer die Gewerbesteuer (in ihrer gewerbekapitalbezogenen Komponente) tritt, berührt nicht die Frage der Zulässigkeit einer Sollertragsteuer, sondern die im konkreten Einzelfall zu beantwortende Frage, ob die „additive Erhebung von Substanzsteuern” bei diesem Steuerpflichtigen zu einer Übermaßbesteuerung führt (insoweit auch —mit Blick auf § 163 AO 1977— , BFH/NV 1999, 228).
2. Es liegt kein Verfahrensfehler i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO vor. Das Urteil ist mit Gründen (§ 119 Nr. 6 FGO) versehen. Denn das Urteil wurde innerhalb der vom Gemeinsamen Senat der obersten Gerichtshöfe des Bundes im GmS-OGB 1/92 (BVerwGE 92, 367) festgelegten „5-Monats-Grenze” —und damit i.S. des § 105 Abs. 4 Satz 3 FGO alsbald nach der Übergabe des Tenors an die Geschäftsstelle (zur entsprechenden Anwendung dieser Maßgabe im Falle der Zustellung des Urteil gemäß § 104 Abs. 2 FGO s. , BFH/NV 1999, 1626)— „komplettiert”. Der Klägerin, die sich auf in der Literatur geäußerte Bedenken gegen die Länge der Frist bezieht, ist zuzugestehen, dass die Gefahr für die Übereinstimmung der im Urteil fixierten Gründe mit den im Zeitpunkt der Fällung des Urteils bestehenden Überzeugungen oder Einschätzungen (z.B. nach einer Beweisaufnahme) mit zunehmendem zeitlichen Abstand wächst. Der Senat sieht aber im Streitfall keinen Anhaltspunkt dafür, dass sich eine solche Gefahrenlage verwirklicht hätte, und damit keinen Anlass, auf eine Änderung der von der ständigen Rechtsprechung des BFH gestützten Praxis (zuletzt Senatsurteil vom I R 20/04, BFH/NV 2005, 892, II.1.c der Gründe) hinzuwirken.
Fundstelle(n):
KÖSDI 2006 S. 15302 Nr. 11
KÖSDI 2007 S. 15427 Nr. 2
RAAAC-17974