Leitsatz
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Gesetze: SGB III § 128 Abs 1 Nr 4; SGB III § 144 Abs 1 Nr 1
Instanzenzug:
Gründe
I
Streitig ist, ob ein Anspruch der Klägerin auf Arbeitslosengeld (Alg) wegen Eintritts einer Sperrzeit wegen Arbeitsaufgabe zu mindern ist.
Die 1943 geborene Klägerin war bis 1996 mit Unterbrechungen in verschiedenen Beschäftigungsverhältnissen als Buchhalterin tätig, zeitweise war sie arbeitslos. Alg bezog die Klägerin zuletzt in der Zeit vom bis nach einem Bemessungsentgelt von 820 DM wöchentlich. Bei Beendigung des Alg-Bezuges bestand noch ein Restanspruch von 37 Tagen.
Ab war die Klägerin bei der P. GmbH (im Folgenden P) als Bürohilfe zu einem vereinbarten Stundenvergütungssatz von 15,50 DM unbefristet beschäftigt. Dieses Arbeitsverhältnis kündigte die Klägerin selbst zum ; in dem etwa einmonatigen Zeitraum der Beschäftigung bei P erzielte die Klägerin ein Bruttoarbeitsentgelt von insgesamt 2.194,33 DM. Unmittelbar nach ihrem Ausscheiden bei P nahm die Klägerin eine befristete Beschäftigung als Buchhalterin bei der DSR GmbH (im Folgenden: DSR) zu einem Bruttoarbeitsentgelt von monatlich 4.895 DM auf. Das zwischen DSR und der Klägerin geschlossene Arbeitsverhältnis war zunächst bis zum befristet und wurde später durch Vertrag vom bis zum verlängert.
Nach dem Ausscheiden aus dem Arbeitsverhältnis bei DSR war die Klägerin zunächst bis arbeitsunfähig und bezog Krankengeld. Am meldete sie sich arbeitslos und beantragte Alg aus ihrem Restanspruch von 37 Tagen. Die Beklagte lehnte den Antrag mit der Begründung ab, die Klägerin habe durch Aufgabe des unbefristeten Arbeitsverhältnisses bei P die nach Ende des befristeten Arbeitsverhältnisses eingetretene Arbeitslosigkeit selbst herbeigeführt, weshalb ab eine Sperrzeit von zwölf Wochen eingetreten sei. Durch die Sperrzeit mindere sich der Anspruch auf Alg um 84 Tage, womit der Restanspruch von 37 Tagen verbraucht sei (Bescheid vom , Widerspruchsbescheid vom ).
Das Sozialgericht (SG) hat den Bescheid vom in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom aufgehoben und die Beklagte verurteilt, der Klägerin Alg in gesetzlichem Umfang vom bis zu gewähren (Urteil vom ). Es hat angenommen, der Klägerin habe für die Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses mit P ein wichtiger Grund im Sinne von § 144 Abs 1 Sozialgesetzbuch Drittes Buch (SGB III) zur Seite gestanden. Zu berücksichtigen sei die grundrechtlich geschützte Berufswahlfreiheit aus Art 12 Grundgesetz (GG), zu der auch gehöre, bei auf Dauer unzumutbaren Arbeitsbedingungen und Aussicht auf einen Arbeitsplatz mit günstigeren Bedingungen diese Chance ergreifen zu können, ohne dass bei Verlust des neuen Arbeitsplatzes arbeitslosenversicherungsrechtliche Sanktionen drohten. Der Klägerin stehe deshalb Alg für die Dauer des verbliebenen Restanspruchs von 37 Tagen zu.
Im Berufungsverfahren hat die Beklagte in der mündlichen Verhandlung vor dem Landessozialgericht (LSG) am den Bescheid vom in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom dahin abgeändert, dass die Sperrzeit für den Zeitraum vom bis eintritt.
Das die Berufung der Beklagten gegen das zurückgewiesen und den Bescheid vom aufgehoben. Es hat gemäß § 153 Abs 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) auf die Entscheidungsgründe des SG Bezug genommen und ergänzend ausgeführt, die Handhabung der Beklagten führe zu einem Wertungswiderspruch mit § 121 Abs 5 SGB III. Der Klägerin sei darüber hinaus nicht vorzuwerfen, dass sie wegen der Befristung des neuen Arbeitsverhältnisses quasi "sehenden Auges" das Risiko der Arbeitslosigkeit eingegangen sei und damit den Versicherungsfall bewusst herbeigeführt habe; denn der vorgelegte zweite befristete Arbeitsvertrag beweise, dass keinesfalls eine Weiterbeschäftigung kategorisch ausgeschlossen gewesen sei. Dass der Versichertengemeinschaft durch das Verhalten der Klägerin ein - durch die Klägerin vorhersehbarer - Schaden entstanden sei, sei nicht dargetan und könne auch nicht generell unterstellt werden.
Mit der vom LSG zugelassenen Revision rügt die Beklagte eine Verletzung des § 144 Abs 1 Nr 1 SGB III bzw des § 128 Abs 1 Nr 4 SGB III. Sie trägt unter Hinweis auf das - vor, das BSG habe trotz mangelnder Entscheidungserheblichkeit im damals zu beurteilenden Fall zum Ausdruck gebracht, dass es die Aufgabe eines unbefristeten zu Gunsten eines befristeten Beschäftigungsverhältnisses nicht billige, wenn bei Aufgabe der unbefristeten Beschäftigung keine konkrete Aussicht auf einen Anschlussarbeitsplatz nach Ablauf des befristeten Arbeitsverhältnisses bestanden habe. Dieser Auffassung folge die Beklagte. Mit der Freiheit der Berufswahl lasse sich keine Sanktionsfreiheit für Risiken rechtfertigen, die über die üblichen Risiken bei einem Arbeitsplatzwechsel hinausgingen. Werde bei einem Wechsel eine höchstwahrscheinlich eintretende Arbeitslosigkeit hingenommen, so werde sie als Folge des Wechsels einkalkuliert; einkalkulierte Leistungen dienten aber nicht mehr der Absicherung eines Risikos, sondern der Abdeckung eines einkalkulierten Bedarfs. § 121 Abs 5 SGB III, der lediglich die Verpflichtung normiere, auch befristete Beschäftigungsverhältnisse zur vorübergehenden Beendigung bereits eingetretener Arbeitslosigkeit einzugehen, könne kein Freibrief dafür sein, eine unbefristete Beschäftigung aufzugeben. Untunlich sei auch die Überlegung des LSG, für eine Sperrzeit müsse ein konkreter Schaden der Versichertengemeinschaft nachgewiesen werden; das BSG habe eine solche "ökonomisierende" Betrachtungsweise nicht gebilligt.
Die Beklagte beantragt,
das sowie das aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin hat sich im Revisionsverfahren nicht geäußert.
II
Die Revision der Beklagten ist unbegründet. Die Vorinstanzen haben zutreffend den angefochtenen Bescheid der Beklagten vom in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom sowie den Bescheid vom aufgehoben (vgl BSGE 27, 146, 147, 149 = SozR Nr 21 zu § 96 SGG) und zu Recht die Beklagte zur Zahlung von Alg für 37 Tage ab verurteilt.
Den unangegriffenen Feststellungen des LSG ist zunächst zu entnehmen, dass der Klägerin nach Beendigung des letzten Alg-Bezuges (bis ) noch eine Restanspruchsdauer von 37 Tagen zusteht. Nach dem Gesamtzusammenhang der Feststellungen des LSG ist auch davon auszugehen, dass die Klägerin im streitgegenständlichen Zeitraum die Voraussetzungen für einen Anspruch auf Alg nach §§ 117 ff SGB III erfüllt.
Entgegen der Auffassung der Beklagten stehen dem Anspruch der Klägerin nicht die Vorschriften des § 128 Abs 1 Nr 4 SGB III und des § 144 Abs 1 Nr 1 SGB III - jeweils in der hier anwendbaren Fassung, die die Vorschriften durch das Arbeitsförderungs-Reformgesetz vom , BGBl I S 594, erhalten haben - entgegen. Nach § 128 Abs 1 Nr 4 SGB III mindert sich die Dauer des Anspruchs auf Alg um die Anzahl von Tagen einer Sperrzeit wegen Arbeitsaufgabe, in Fällen einer Sperrzeit von zwölf Wochen mindestens um ein Viertel der Anspruchsdauer, die dem Arbeitslosen bei erstmaliger Erfüllung der Voraussetzungen für den Anspruch auf Alg nach dem Ereignis, das die Sperrzeit begründet, zusteht. Nach § 144 Abs 1 Nr 1 SGB III tritt eine Sperrzeit wegen Arbeitsaufgabe von zwölf Wochen ua dann ein, wenn der Arbeitslose das Beschäftigungsverhältnis gelöst und dadurch vorsätzlich oder grob fahrlässig die Arbeitslosigkeit herbeigeführt hat, ohne für sein Verhalten einen wichtigen Grund zu haben. Eine Minderung der der Klägerin zustehenden Dauer des Anspruchs auf Alg scheidet aus, da eine Sperrzeit wegen Arbeitsaufgabe nicht eingetreten ist.
Die Klägerin hat zwar dadurch, dass sie das mit P geschlossene unbefristete Arbeitsverhältnis selbst gelöst hat, die spätere Arbeitslosigkeit ursächlich herbeigeführt, wobei auf die im Januar 1999 nach Beendigung der befristeten Beschäftigung bei DSR eingetretene Arbeitslosigkeit abzustellen ist (vgl zur Kausalität: Urteil des erkennenden Senats vom - B 11a AL 55/05 R - zur Veröffentlichung vorgesehen). Nicht eindeutig lässt sich demgegenüber nach den bislang getroffenen Feststellungen die von den Vorinstanzen nicht näher behandelte Frage beantworten, ob die Klägerin mangels konkreter Aussichten auf einen Anschlussarbeitsplatz und diesbezüglicher Kenntnis durch ihre Kündigung die spätere Arbeitslosigkeit wenigstens grob fahrlässig herbeigeführt hat (vgl hierzu wiederum Urteil des Senats vom - B 11a AL 55/05 R - mit weiteren Hinweisen). Selbst wenn man dies - auch bei der so genannten Kettenbefristung - annimmt, ist der Eintritt einer Sperrzeit zu verneinen. Denn die Klägerin hatte für ihr Verhalten - Lösung des Beschäftigungsverhältnisses mit P mit unmittelbar daran anschließender Aufnahme der befristeten Beschäftigung bei DSR - einen wichtigen Grund.
Ob ein wichtiger Grund für die Lösung des Beschäftigungsverhältnisses angenommen werden kann, ist nach der ständigen Rechtsprechung des BSG unter Berücksichtigung des Grundgedankens der Sperrzeitregelung zu beurteilen, dass sich die Versichertengemeinschaft gegen Risikofälle wehren muss, deren Eintritt der Versicherte selbst zu vertreten hat oder an deren Behebung er unbegründet nicht mithilft. Im Ergebnis soll eine Sperrzeit nur dann eintreten, wenn dem Arbeitnehmer unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung seiner Interessen mit den Interessen der Versichertengemeinschaft ein anderes Verhalten zugemutet werden kann (vgl ua BSG SozR 3-4100 § 119 Nr 14 und 15; SozR 4-4100 § 119 Nr 1; SozR 4-4300 § 144 Nr 7; Urteil des Senats vom - B 11a AL 55/05 R - mwN). Dies ist nicht nach den subjektiven Vorstellungen des Arbeitslosen zu beurteilen, sondern ein wichtiger Grund muss objektiv gegeben sein (vgl BSGE 92, 74, 82 = SozR 4-4300 § 144 Nr 6). Dabei ist allerdings - entgegen der Rechtsmeinung des LSG - unerheblich, ob und inwieweit durch das Verhalten der Klägerin der Versicherungsgemeinschaft ein Schaden entstanden ist (vgl BSG SozR 4-4300 § 144 Nr 7).
Der 7. Senat des - (= SozR 4-4300 § 144 Nr 9, zustimmend Pilz SGb 2005, 309 ff) erste Hinweise zu der erforderlichen Gewichtung der abzuwägenden Interessen gegeben, wenn ein Arbeitnehmer ein unbefristetes Beschäftigungsverhältnis zu Gunsten einer befristeten Beschäftigung löst. Danach ist zunächst die in der Rechtswirklichkeit der Arbeitswelt bestehende - auch politisch gewollte - Tendenz zum Abschluss von befristeten bzw kurzfristigen Arbeitsverhältnissen zu berücksichtigen. Dies schließt es aus, einen derartigen Wechsel generell nicht als wichtigen Grund anzusehen. Der 7. Senat hat ferner den Standpunkt eingenommen, es sei aus Art 12 Abs 1 GG abzuleiten, dass Arbeitnehmern grundsätzlich auch die Möglichkeit offen stehen müsse, ihnen attraktiv erscheinende befristete Arbeitsverhältnisse aufzunehmen (aaO RdNr 12). Der erkennende Senat hat sich bereits in seinem Urteil vom - B 11a AL 55/05 R - (zur Veröffentlichung vorgesehen) dieser Rechtsprechung des 7. Senats angeschlossen und diese - bezogen auf die konkrete Fallgestaltung - in der Weise fortgeführt, dass sich Arbeitnehmer auf einen wichtigen Grund iS des § 144 Abs 1 SGB III jedenfalls dann berufen können, wenn die (nahtlose) Aufnahme der befristeten Beschäftigung mit einem Wechsel in ein anderes Berufsfeld und der damit verbundenen Erlangung zusätzlicher Fertigkeiten verbunden ist. Der erkennende Senat hat in diesem Zusammenhang insbesondere auf die besondere Bedeutung der freien Wahl des Berufs gemäß Art 12 Abs 1 GG hingewiesen.
Unter Zugrundelegung der vorstehend beschriebenen Grundsätze kommt der Senat auch unter den Umständen des vorliegenden Falles zum Ergebnis, dass dem Interesse der Klägerin, die für sie attraktive befristete Beschäftigung bei DSR aufzunehmen, gegenüber einem etwaigen Interesse der Versichertengemeinschaft an einem Festhalten an der Beschäftigung bei P der Vorzug zu geben ist. Ausreichend für ein berechtigtes Interesse der Klägerin an der Aufnahme der Beschäftigung bei DSR ist bereits die vom LSG festgestellte Tatsache, dass die Klägerin bei P lediglich als Bürohilfe eingesetzt war, während sie nach dem Wechsel zu DSR entsprechend ihrer bisherigen Qualifikation als Buchhalterin beschäftigt worden ist. Hinzu kommt, dass mit der Aufnahme der höherwertigen Tätigkeit die Erzielung eines erheblich höheren Entgelts verbunden war. Denn die Klägerin hat - worauf bereits das SG zu Recht hingewiesen hat - in der neuen Beschäftigung im Vergleich zur früheren Beschäftigung bei P ein nahezu doppelt so hohes Arbeitsentgelt erhalten, das auch höher war als das dem früheren Alg-Bezug zu Grunde gelegte Entgelt. Nach den oben dargestellten Grundsätzen kann es einem Arbeitnehmer im Rahmen der Prüfung des wichtigen Grundes iS des § 144 SGB III nicht verwehrt sein, eine im Vergleich zur bisher ausgeübten Beschäftigung oder auch im Vergleich zu den für einen früheren Leistungsbezug maßgebenden Verhältnissen niedrig entlohnte Tätigkeit zu Gunsten einer erheblich höher dotierten Tätigkeit aufzugeben, mag es sich auch bei der letztgenannten um eine befristete Beschäftigung handeln.
Dies gilt umso mehr, als es sich ausweislich des Arbeitsvertrages der Klägerin mit P um eine im Rahmen eines Leiharbeitsverhältnisses ausgeübte Tätigkeit handelte und nach den Angaben der Klägerin eine Probezeit von sechs Monaten vereinbart war mit einer - insoweit durch die vorliegende Arbeitsbescheinigung von P bestätigt (vgl Bl 324 Rückseite der vom LSG in Bezug genommenen Verwaltungsakten) - zweiwöchigen Kündigungsfrist des Arbeitgebers. Der Senat hat bereits in anderem Zusammenhang auf die sich für einen Arbeitnehmer in Leiharbeitsverhältnissen ergebenden Nachteile, aber auch auf den Gesichtspunkt hingewiesen, dass ein solches Arbeitsverhältnis von Bedeutung für die Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt sein kann (vgl BSG SozR 4300 § 144 Nr 7 S 8 f). Hieraus wird deutlich, dass bei der Prüfung des wichtigen Grundes iS des § 144 SGB III und der insoweit gebotenen Abwägung dem Festhalten an dem Leiharbeitsverhältnis im Vergleich zur Aufnahme einer - wenn auch befristeten - regulären Beschäftigung grundsätzlich kein Vorrang zukommen kann. Der Klägerin war deshalb auch nicht zuzumuten, auf die Wahrnehmung der ihr im Rahmen des Leiharbeitsverhältnisses bekannt gewordenen Möglichkeit zu verzichten, die Tätigkeit bei DSR aufzunehmen und damit gleichzeitig die für sie ungünstigere Beschäftigung bei P aufzugeben.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstelle(n):
HAAAC-16923