Leitsatz
[1] Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Gesetze: StGB § 66b Abs. 2; StGB § 66b Abs. 1; StGB § 2 Abs. 6; StGB § 66 Abs. 3
Instanzenzug: LG Nürnberg-Fürth vom
Gründe
Das Landgericht hat gegen den Verurteilten die Unterbringung in der Sicherungsverwahrung gemäß § 66b Abs. 2 StGB nachträglich angeordnet. Grundlage war die Verurteilung des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom wegen Vergewaltigung in Tateinheit mit Körperverletzung und Bedrohung zu der Freiheitsstrafe von sechs Jahren und sechs Monaten. Die Revision des Verurteilten hat mit der Sachrüge Erfolg.
I.
Die Strafkammer hat die nachträgliche Anordnung der Sicherungsverwahrung auf folgende Umstände gestützt, die sie als neue Tatsachen im Sinne von § 66b Absätze 1 und 2 StGB bewertete:
1. Der Verurteilte war am vor der Anlassverurteilung schon einmal wegen Vergewaltigung in Tateinheit mit sexueller Nötigung zu der Freiheitsstrafe von sechs Jahren verurteilt worden. Bei der Entscheidung am konnte diese - bekannte - Vorverurteilung trotz § 2 Abs. 6 StGB nicht Grundlage der Anordnung von Sicherungsverwahrung aufgrund des am in Kraft getretenen § 66 Abs. 3 StGB sein, da gemäß der Übergangsvorschrift des Art. 1a Abs. 2 EGStGB in der Fassung vom § 66 Abs. 3 StGB nur Anwendung fand, wenn der Täter eine einschlägige (§ 66 Abs. 1 Satz 1 StGB) Straftat nach dem begangen hatte. Mit der Einführung der nachträglichen Sicherungsverwahrung gemäß § 66b StGB mit Gesetz vom sei die Vorverurteilung jetzt aber relevant geworden. Aufgrund einer Gesetzesänderung nunmehr relevante Tatsachen seien den erst nachträglich erkennbar gewordenen Tatsachen gleichzustellen.
2. Die Persönlichkeit des Verurteilten sei erst im Laufe der Inhaftierung aufgrund der Anlassverurteilung umfassend zutreffend bewertet worden. Bei der Verurteilung am habe die Strafkammer seine dissoziale Persönlichkeitsstruktur verkannt und die Tat überwiegend auf übermäßigen Alkoholkonsum zurückgeführt. Bei der Begutachtung zur Vorbereitung der Entscheidung über die Aussetzung der Vollstreckung des Restes der am erkannten Strafe zur Bewährung durch die Strafvollstreckungskammer habe der Sachverständige - fehlerhaft - keine psychopathologischen Auffälligkeiten feststellen können, ihn als psychisch stabil bezeichnet und das Rückfallrisiko als gering eingestuft. Dies habe die Strafkammer bei der Anlassverurteilung am zwar als unzutreffend erkannt gehabt. Mangels einer rechtlichen Möglichkeit der Anordnung der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung sei das damals aber nicht relevant gewesen. Darüber hinaus sei die Diagnose seinerzeit auch noch - nicht erkennbar, so ist das angefochtene Urteil wohl zu verstehen - unvollständig gewesen. Bei einer weiteren Begutachtung des Verurteilten im Jahre 2002 im Zusammenhang mit der Prüfung, ob die Vollstreckung des Strafrestes aus der Verurteilung vom zur Bewährung ausgesetzt werden kann, seien von einem - anderen - Sachverständigen zwar zunehmend dissoziale, aggressive und in Ansätzen sadistische Persönlichkeitszüge festgestellt worden, ohne dass dies aber die Kriterien einer Persönlichkeitsstörung im engeren Sinne erfülle. Daneben bestehe aber eine ausgeprägte Alkoholabhängigkeit. Diese - insgesamt aber immer noch unzutreffende - Diagnose beruhe darauf, dass sich dieser Sachverständige - wie schon die im Jahre 1997 tätigen Sachverständigen, so meint die Strafkammer wohl - durch übertriebene Angaben des Verurteilten über das Ausmaß seines Alkoholkonsums habe täuschen lassen, wie dieser zwischenzeitlich gegenüber den in diesem Verfahren (über die nachträgliche Anordnung der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung) bestellten Sachverständigen eingeräumt habe.
3. Der soziale Empfangsraum - die Familie - sei nicht mehr vorhanden. Zwar habe sich seine Ehefrau schon im März 1997 von ihm getrennt. Dies sei damit zum Zeitpunkt der Verurteilung am zwar "erkennbar, aber aus den genannten Gründen nicht relevant" gewesen. Hinzu komme, dass während der Haft seine Mutter, zu der er noch Kontakt gehabt habe, verstorben sei.
4. Schließlich habe sich während der letzten Haftjahre gezeigt, dass bei dem Verurteilten - einer durchsetzungsstarken, chauvinistischen, dissozialen und narzisstischen Persönlichkeit - kein Therapiewille vorhanden sei. Das Landgericht habe es in seinem Urteil vom für unbedingt erforderlich gehalten, dass sich der Verurteilte im Rahmen einer Therapie mit seinen Sexualverbrechen ernsthaft auseinandersetzt. Diesen Rat habe der Verurteilte nicht befolgt. Eine Therapie sei von ihm abgebrochen worden. Spätere Bemühungen des Verurteilten gegen Ende der Haftzeit um die Aufnahme in eine sozialtherapeutische Anstalt oder um eine ambulante Therapie bewertet die Strafkammer als nicht ernsthaft. Der Verurteilte habe gegenüber dem Sachverständigen, wie auch in der Hauptverhandlung, jede sexualtherapeutische Behandlungsbedürftigkeit verneint.
II.
Die nachträgliche Anordnung der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung hält sachlich-rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
Zwar hat die Strafkammer die Eingangsvoraussetzungen des § 66b Abs. 2 StGB sowie die Gefährlichkeit des Verurteilten, insbesondere die hohe Rückfallwahrscheinlichkeit in Folge seines Hangs zu Sexualstraftaten von Gewicht, rechtsfehlerfrei festgestellt.
Das Landgericht hat seine Entscheidung aber nicht auf Umstände gestützt, die als neue Tatsachen im Sinne von § 66b Abs. 2 StGB bewertet werden können oder die zum Zeitpunkt der Verurteilung am noch nicht bekannt oder erkennbar waren beziehungsweise bei denen die - erst - spätere Erkennbarkeit aus den bisherigen Feststellungen hinreichend deutlich wird.
1. Die Änderung der Rechtslage durch In-Kraft-Treten des Gesetzes zur Einführung der nachträglichen Sicherungsverwahrung, wonach gemäß § 66b Abs. 2 StGB (nachträgliche) Sicherungsverwahrung gegen Täter angeordnet werden kann, bei denen die Voraussetzungen der Sicherungsverwahrung nach § 66 StGB nicht erfüllt waren, ist keine neue Tatsache im Sinne des Gesetzes. Der Gesetzgeber hat bewusst auch in diesen Fällen an die strengen Voraussetzungen des § 66b Abs. 1 StGB angeknüpft (vgl. BGH NStZ 2006, 156 [158 f., Rdn. 9]; - Rdn. 8; a.A. Veh, Nachträgliche Sicherungsverwahrung und nachträgliche Tatsachenerkennbarkeit, NStZ 2005, 307). Deshalb können auch nicht bei der Anlassverurteilung bereits bekannte oder erkennbare Tatsachen "neuen Tatsachen" nur deshalb gleichgesetzt werden, weil jene erst jetzt für die (nachträgliche) Anordnung der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung eine Grundlage bilden, relevant sein könnten. Die nachträgliche Anordnung der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung dient nicht dazu, frühere Entscheidungen über die (Nicht-)Anordnung der Sicherungsverwahrung zu korrigieren. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs gilt dies selbst dann, wenn das Gericht im Zusammenhang mit der Anlassverurteilung die Anordnung der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung rechtsfehlerhaft unterlassen hat (vgl. BGH NStZ 2006, 156 [159, Rdn. 10] m.w.N.). Erst Recht darf sich die nachträgliche Anordnung der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung nicht darin erschöpfen, darf sie nicht dazu instrumentalisiert werden, eine zum Zeitpunkt der Anlassverurteilung der Gesetzeslage entsprechende Entscheidung zu korrigieren.
2. Die von früheren Bewertungen abweichende Beurteilung der Persönlichkeit stellt keine "neue Tatsache" dar.
Neue Tatsachen der in § 66b StGB genannten Art sind nur solche, die nach der letzten Verhandlung in der Tatsacheninstanz und vor Ende des Vollzugs der verhängten Freiheitsstrafe bekannt oder erkennbar geworden sind. Ob diese Tatsachen bereits im Ausgangs- oder in einem anderen Verfahren Grundlage - von der jetzigen Sicht abweichender - sachverständiger Bewertung waren, ist ohne Belang. Maßgeblich ist nicht die neue oder sogar erstmalige Bewertung von Tatsachen. Entscheidend ist vielmehr allein, ob die dieser Einschätzung zugrunde liegenden Anknüpfungstatsachen im Zeitpunkt der Aburteilung bereits vorlagen oder erkennbar waren (vgl. BGHSt 50, 180 [187]; BGHSt 50, 275 [278]; BGH NJW 2006, 1442 [1444]; BGH NStZ 2006, 155 [156, Rdn. 3]; BGH NStZ 2006, 276 [278, Rdn. 15]; - Rdn. 9).
Nach den bisherigen Feststellungen liegt es nahe, dass die nunmehr von der Strafkammer festgestellten Persönlichkeitsdefizite bereits zum Zeitpunkt der Verurteilung am vorlagen und umfassend erkennbar waren. Darauf deuten schon die dieser Entscheidung sowie der Vorverurteilung vom zugrunde liegenden Sachverhalte hin.
Die Äußerungen des Verurteilten zu seinem Alkoholkonsum scheinen nach den bisherigen Feststellungen taktisch bestimmt. Und es deutet viel darauf hin, dass dies schon bei der Anlassverurteilung erkennbar war. Bei der Tat am (von 03.50 bis 04.50 Uhr) betrug die nach dem von ihm angegebenen Konsum berechnete maximale Blutalkoholkonzentration 0,54 Promille - erheblich verminderte Schuldfähigkeit wurde verneint. Bei der Tat am ab 05.00 Uhr (Gegenstand der Anlassverurteilung) wurde eine Blutalkoholkonzentration von 2,58 Promille errechnet - die Steuerungsfähigkeit war nun erheblich vermindert, folgerte hieraus die Strafkammer. Dabei wirken die vom Verurteilten seinerzeit genannten Trinkmengen übertrieben und sein Leistungsverhalten widerstreitet der errechneten Alkoholisierung.
Dass die fehlende Relevanz von zum Zeitpunkt der Anlassverurteilung bekannten Tatsachen für eine - damals rechtlich ausgeschlossene - Anordnung der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung unerheblich ist, wurde bereits oben ausgeführt.
3. Dass der wesentliche Umstand - Trennung der Ehefrau -, aus der die Strafkammer den Wegfall des "sozialen Empfangsraums" folgert, vor der Verurteilung bereits erkennbar war, teilt die Strafkammer selbst mit. Die Einführung der Möglichkeit der nachträglichen der Sicherungsverwahrung ändert daran - wie dargelegt - nichts. Im Übrigen mag dieser Aspekt - "sozialer Empfangsraum" - bei der Gesamtwürdigung zur Rückfallprognose eine Rolle spielen, ist aber wohl kaum als Tatsache zu bewerten, aus der die Gefährlichkeit eines Täters originär erkennbar werden kann.
4. Therapieunwilligkeit, die Verweigerung oder der Abbruch einer Therapie kann zwar grundsätzlich zu den in § 66b Abs. 1, 2 StGB genannten "neuen Tatsachen" gehören (vgl. BGHSt 50, 121 [126]; 275 [280 f.]; ; Beschluss von - 5 StR 113/06 -, Rdn. 11). Dies kann allerdings nur dann als berücksichtigungsfähige "neue Tatsache" angesehen werden, wenn zum Zeitpunkt der Verurteilung anzunehmen war, der Verurteilte werde sich im Vollzug einer Therapie unterziehen. Insoweit mangelt es bislang an tragfähigen Feststellungen. Wie sich der Verurteilte seinerzeit zu dem Rat der Strafkammer, eine Therapie anzutreten, verhielt, wird nicht mitgeteilt. Erst wenn feststeht, dass es sich insoweit um eine "neue Tatsache" handelt, kann dieser Aspekt - Therapieunwilligkeit, Therapieabbruch - in die Gesamtwürdigung (vgl. BGHSt 50, 121 [126 ff.]) Eingang finden.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
NJW 2006 S. 3154 Nr. 43
TAAAC-15678
1Nachschlagewerk: nein