BSG Urteil v. - B 1 KR 28/02 R

Leitsatz

Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.

Gesetze: SGB V § 12 Abs 1; SGB V § 27 Abs 1 Satz 1; SGB V § 27 Abs 1 Satz 2 Nr 3; SGB V § 33 Abs 1

Instanzenzug:

Gründe

I

Die Klägerin begehrt die Übernahme der Kosten für eine Dauerpigmentierung der Haut zur Darstellung von Augenbrauen und Augenwimpern.

Wegen einer "Alopecia areata universalis" hat die 1941 geborene Klägerin seit 1991 die gesamte Körperbehaarung verloren; eine medizinische Behandlung mit dem Ziel erneuten Haarwuchses ist nach den aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnissen nicht möglich. Alle zwei Jahre übernimmt die beklagte Ersatzkasse zum wesentlichen Anteil die Kosten für eine Kopfhaar-Perücke. Im Februar 1999 beantragte die Klägerin unter Vorlage eines ärztlichen Attestes die Kostenübernahme für ein so genanntes "Permanent-Make-up", bei dem ähnlich wie bei einer Tätowierung Farbpigmente in die Haut eingebracht werden, um nach außen den Effekt von Augenbrauen und Augenwimpern zu vermitteln, ohne sich täglich neu schminken zu müssen. Die voraussichtlichen Kosten wurden auf etwa 3.500 DM geschätzt. Die Beklagte lehnte den Antrag nach Einschaltung des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (MDK) mit Bescheiden vom 22. März, 10. Mai und in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom ab.

Klage und Berufung hatten keinen Erfolg. Das Landessozialgericht (LSG) hat die gegen das Urteil des Sozialgerichts vom gerichtete Berufung mit der Begründung zurückgewiesen, dass die begehrte Dauerpigmentierung keine ärztliche Behandlung oder ärztlich verantwortete Behandlung darstelle. Sie sei auch nicht als Hilfs- oder als Heilmittel im Sinne der gesetzlichen Krankenversicherung zu qualifizieren. Als Hilfsmittel könne sie nicht angesehen werden, weil die Dienstleistung der Einfärbung und nicht das sächliche Mittel des verwendeten Farbstoffs im Vordergrund stehe. Für eine Einordnung als Heilmittel fehle das therapeutische Element, denn Heilmittel müssten nach der neueren Rechtsprechung der gezielten Bekämpfung einer Erkrankung dienen. Die begehrte Anwendung sei auch nicht wirtschaftlich iS von § 12 Abs 1 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V), denn die Haltbarkeit liege nach Herstellerangaben nur bei etwa drei bis fünf, nach Angaben des MDK sogar nur bei einem bis zwei Jahren; außerdem seien Risiken wie die Entwicklung von Fremdkörpergranulomen oder ein Farbumschlag zu bedenken. Die Dauerpigmentierung biete - anders als eine Perücke - keinen annähernd gleichwertigen Ersatz für das gewohnte äußere Erscheinungsbild, sondern allenfalls eine teilweise optische Annäherung daran, die überdies nur bei frontaler Wahrnehmung der behandelten Person erreicht werde, da bei seitlicher Betrachtung der räumliche Aspekt fehle. Den gleichen äußeren Effekt könne die Klägerin durch herkömmliches Make-up erreichen, das einen zumutbaren täglichen Zeitaufwand von etwa 20 Minuten verursache und eine ausreichende Qualität und Haltbarkeit im Tagesverlauf gewährleiste. Die Kosten hierfür könne die Klägerin nicht ersetzt bekommen, denn es handele sich um Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens, für die keine Leistungspflicht der Krankenkassen bestehe. Schließlich könne die Klägerin die begehrte Einfärbung nicht unter dem Gesichtspunkt ergänzender Leistungen zur Rehabilitation iS von § 43 Abs 1 Nr 1 SGB V erhalten. Insoweit seien keine wesentlich anderen Voraussetzungen einschlägig, da die Regelungen über die Gewährung von Hilfs- und Heilmitteln nicht umgangen werden dürften (Urteil vom ).

Mit der Revision rügt die Klägerin die Verletzung von § 27 Abs 1 Satz 2 Nr 3 iVm § 33 Abs 1 SGB V und § 27 Abs 1 Satz 1 iVm § 12 Abs 1 SGB V. Die Pigmentierung sei als medizinisches Hilfsmittel einzuordnen, da sie in der Einlagerung von Farbimplantaten in den Körper bestehe. Entscheidend sei nicht der Vorgang der Pigmentierung, sondern deren Ergebnis. Die Farbimplantate seien keine Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens. Bei einer Kosten-Nutzen- Abwägung im Rahmen des Wirtschaftlichkeitsgebots nach § 12 Abs 1 SGB V sei zu berücksichtigen, dass es um den bestmöglichen Ausgleich der bestehenden Haarlosigkeit und damit um einen Behinderungsausgleich gehe. Einen entsprechenden Handlungsbedarf habe auch die Beklagte anerkannt, indem sie sich an den Kosten der Kopfhaar-Perücken beteilige. Es sei widersprüchlich, wenn die Krankenkassen etwa zur Behandlung von Hautverfärbungen Farbstofflaserbehandlungen übernähmen, im umgekehrten Fall einer Hautfärbung zur Darstellung einer regelgerechten Körperbehaarung ihre Leistungspflicht dagegen ablehnten.

Die Klägerin beantragt,

die vorinstanzlichen Urteile aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung der angefochtenen Bescheide zu verurteilen, die Kosten für ein Permanent-Make-up zur Darstellung von Augenbrauen und Augenwimpern gemäß dem Kostenvoranschlag vom zu übernehmen.

Die Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

II

Der erkennende 1. Senat des Bundessozialgerichts (BSG) ist an der Entscheidung nicht dadurch gehindert, dass die Klägerin selbst die von ihr begehrte Leistung den Hilfsmitteln zuordnet und dass nach der Geschäftsverteilung des BSG der 3. Senat für Streitigkeiten aus der gesetzlichen Krankenversicherung in Bezug auf Hilfsmittel nach § 33 SGB V zuständig ist; denn die Versorgung mit einem Hilfsmittel im Rechtssinne ist bei der begehrten Dauerpigmentierung der Augenbrauen und Wimpern offensichtlich nicht im Streit. Die Rechtsprechung zum Krankenversicherungsrecht hat lange Zeit auf den im Rahmen der Krankenbehandlung verfolgten Maßnahmezweck abgestellt, um Hilfsmittel und Heilmittel voneinander abzugrenzen und in den Maßnahmekatalog des (heutigen) § 27 Abs 1 Satz 2 SGB V einzuordnen. Mit Rücksicht auf die neueren Hilfsmitteldefinitionen des Sozialgesetzbuchs (vgl § 31 Abs 1 SGB IX und § 31 Abs 1 SGB VII) muss die frühere Rechtsprechung als überholt angesehen werden, sodass nunmehr die Abgrenzung allein nach der Art der veranlassten Maßnahme und nicht mehr nach der funktionalen Beziehung zur Krankenbehandlung vorzunehmen ist. Infolgedessen sind nur sächliche medizinische Leistungen als Hilfsmittel anzusehen, während als Heilmittel Dienstleistungen in Frage kommen (zum Ganzen BSGE 88, 204, 206 ff = SozR 3-2500 § 33 Nr 41 S 229 ff mit zahlreichen Hinweisen auf die frühere Rechtsprechung und ihre Entwicklung).

Nach diesen nunmehr maßgeblichen Kriterien kann die Einfärbung von Hautpartien schon deshalb nicht als (mögliches) Hilfsmittel angesehen werden, weil die in den menschlichen Körper eingebrachten Farbstoffe ihre rechtliche Eigenschaft als "Sache" iS von § 90 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) verlieren. Den bei einer Hautfärbung verwendeten Substanzen fehlt nach der Verbindung mit dem Körper die erforderliche selbstständige Bedeutung, um sie noch als sächliche medizinische Leistung auffassen zu können. In diesem Zusammenhang geht die Revision im Übrigen zu Unrecht davon aus, dass eine rechtliche Zuordnung zu den Hilfsmitteln die Annahme einer Leistungspflicht der Beklagten begründen oder auch nur erleichtern würde. Da der Zusammenhang mit der Krankenbehandlung bei der neuerdings vorgenommenen Abgrenzung von Heil- und Hilfsmitteln keine Rolle spielt, lassen sich aus der entsprechenden Zuordnung auch mittelbar keine Argumente für die Zugehörigkeit zum Leistungsumfang der gesetzlichen Krankenkasse ableiten.

Die mithin beim geschäftsplanmäßig zuständigen Senat des BSG anhängig gewordene Revision der Klägerin ist zulässig, aber nicht begründet. Die Vorinstanzen haben die Klage zu Recht abgewiesen. Die Beklagte ist nicht verpflichtet, für die angestrebte Dauerpigmentierung aufzukommen.

Die Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung setzt nach § 27 Abs 1 Satz 1 SGB V eine "Krankheit" voraus: Damit wird in der Rechtsprechung ein regelwidriger, vom Leitbild des gesunden Menschen abweichender Körper- oder Geisteszustand umschrieben, der ärztlicher Behandlung bedarf oder den Betroffenen arbeitsunfähig macht (BSGE 85, 36, 38 = SozR 3-2500 § 27 Nr 11 S 38; BSGE 72, 96, 98 = SozR 3-2200 § 182 Nr 14 S 64 jeweils mwN). Soweit § 33 Abs 1 SGB V eine "Behinderung" bzw eine "drohende Behinderung" genügen lässt, um iVm § 27 Abs 1 Satz 2 Nr 3 SGB V einen Anspruch auf Krankenbehandlung auszulösen, ist nichts wesentlich anderes als eine Krankheit gemeint; es wird lediglich ein anderer Akzent gesetzt (vgl auch Schmidt in Peters, Hdb der KV, Stand Juni 2004, § 27 SGB V, RdNr 122 ff). Indem § 27 Abs 1 Satz 1 SGB V neben der Heilung ausdrücklich auch die Linderung von Krankheitsbeschwerden zu den möglichen Zielen einer Krankenbehandlung zählt, macht das Gesetz keinen prinzipiellen Unterschied zwischen Krankheiten im engeren Sinne, bei denen die Betonung auf dem regelmäßig nur vorübergehenden Charakter einer als überwindbar angesehenen Gesundheitsbeeinträchtigung liegt, und Behinderungen, die als weitgehend unabänderlich vor allem unter dem Gesichtspunkt des Ausgleichs für eine dauerhaft regelwidrige Körperfunktion die Leistungspflicht begründen können (vgl auch § 2 Abs 1 SGB IX).

Ob die Klägerin an einer Krankheit im daher weit zu verstehenden Sinne des § 27 SGB V leidet, kann der Senat mangels ausreichender tatsächlicher Feststellungen des LSG nicht abschließend beurteilen. Das Fehlen der Körperbehaarung ist zwar ein regelwidriger Körperzustand; da nicht jeder körperlichen Unregelmäßigkeit zugleich auch Krankheitswert zukommt, hat die Rechtsprechung jedoch diese Grundvoraussetzung für die krankenversicherungsrechtliche Leistungspflicht dahingehend präzisiert, dass eine Krankheit nur vorliegt, wenn der Versicherte in seinen Körperfunktionen beeinträchtigt wird oder wenn die anatomische Abweichung entstellend wirkt (zu Hautverfärbungen vgl Senatsurteil vom - B 1 KR 11/04 R, in JURIS RdNr 21, auch zur Veröffentlichung in BSGE und SozR bestimmt; zu einer Hodenprothese BSGE 82, 158, 163 f = SozR 3-2500 § 39 Nr 5 S 29 f; vgl auch BSG SozR 3-2500 § 33 Nr 45 S 253 f, wo eine Entstellung als Unterfall eines Funktionsdefizits aufgefasst wird). Unter dem Gesichtspunkt der körperlichen Fehlfunktion kann der Zustand der Klägerin schon deshalb nicht als behandlungsbedürftige Krankheit bewertet werden, weil weder die begehrte Dauerpigmentierung noch ein anderes Mittel der Klägerin Augenbrauen oder Augenwimpern zu verschaffen vermag. Insofern fehlt es - und zwar auch bezogen auf die Linderung einer durch die Regelwidrigkeit möglicherweise verursachten körperlichen Beeinträchtigung - am Merkmal der Behandlungsbedürftigkeit, das seinerseits die Behandlungsfähigkeit voraussetzt. Auf nähere Feststellungen hierzu kommt es demnach nicht an. Die Frage, ob eine Entstellung vorliegt, ist ebenso wie die Frage des körperlichen Funktionsdefizits in erster Linie Tatfrage und daher nicht vom Revisionsgericht zu beantworten. Trotz fehlender diesbezüglicher Ausführungen des LSG braucht der Rechtsstreit nicht zurückverwiesen zu werden, weil der geltend gemachte Anspruch selbst dann scheitert, wenn eine entstellende Wirkung der fehlenden Augenbrauen und Augenwimpern und eine dadurch begründete Krankheit bzw Behinderung der Klägerin unterstellt wird.

Das Vorliegen einer Krankheit verpflichtet die Krankenkasse lediglich zur "notwendigen" Behandlung und nicht dazu, jede vom Versicherten gewünschte, von ihm für optimal gehaltene Maßnahme zur Heilung oder Linderung des krankhaften Zustands zu gewähren (vgl § 27 Abs 1 Satz 1, § 12 Abs 1 Halbsatz 2 SGB V); unter dem Gesichtspunkt der Behinderung gilt nichts anderes, zumal wenn damit - wie hier - die fehlende elementare Körperfunktion weder verbessert noch ersetzt werden kann (vgl nochmals BSG SozR 3-2500 § 33 Nr 45 S 255 f). Daran hat auch das am in Kraft getretene SGB IX nichts geändert, denn in Bezug auf die Zuständigkeit des Leistungsträgers und die Leistungsvoraussetzungen verweist § 7 Satz 2 SGB IX ausdrücklich auf die speziellen Leistungsgesetze, hier also das SGB V. Danach sind die Ansprüche des Versicherten auf diejenigen Maßnahmen begrenzt, die nach objektiven Maßstäben als ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich anzusehen sind und das Maß des Notwendigen nicht überschreiten (§ 12 Abs 1 SGB V). Ausgehend von den für den Senat verbindlichen Feststellungen des LSG (vgl § 163 SGG) entspricht die von der Klägerin begehrte Behandlung diesen Anforderungen nicht.

Das LSG hat festgestellt, dass die Dauerpigmentierung der Haut gegenüber einem Farbauftrag mit marktüblichen kosmetischen Mitteln keinerlei optische Vorteile bietet; die Haltbarkeit über den gesamten Tag hinweg ist bei Kosmetikprodukten in der heutigen Zeit in ähnlicher Weise gegeben. Der einzige Vorteil der begehrten Versorgung wäre die tägliche Zeitersparnis von etwa 20 Minuten für das ohne die Dauerpigmentierung notwendige morgendliche Schminken. Diese zeitliche Belastung ist der Klägerin nach der Einschätzung des LSG zuzumuten, zumal Farbimplantate mit dem Risiko von Fremdkörpergranulomen oder Verfärbungen einhergehen und spätestens alle fünf Jahre erneuert werden müssen.

Die Revision zieht diese Feststellungen des LSG nicht in Zweifel. Die Schlussfolgerung, dass der tägliche Zeitaufwand von 20 Minuten für einen praktisch gleichwertigen oberflächlichen Farbauftrag die Klägerin nicht unzumutbar belastet und für die Dauerpigmentierung infolgedessen keine krankenversicherungsrechtliche Notwendigkeit besteht, ist rechtlich nicht zu beanstanden. Insbesondere stünden die Vorteile, die sich aus der begehrten Behandlung ergeben, in keinem angemessenem Verhältnis zu den damit verbundenen Nachteilen, Belastungen und Kosten (zur dabei vorzunehmenden Abwägung vgl BSG SozR 3-2500 § 33 Nr 44 S 250 mwN). Die Klägerin wird auch gegenüber Versicherten mit entstellenden Hautverfärbungen, für deren Laserbehandlung die Krankenkassen normalerweise aufkommen, nicht in rechtswidriger Weise benachteiligt. Die sachliche Rechtfertigung für die Kostenübernahme bei der Laserbehandlung liegt vor allem darin, dass diese Verfärbungen damit weitgehend beseitigt werden können, während sich an dem Fehlen von Augenbrauen und Augenwimpern trotz einer dauerhaften Farbpigmentierung nichts ändert.

Da der Anspruch der Klägerin unter keinem Gesichtspunkt begründet ist, musste ihre Revision zurückgewiesen werden.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Fundstelle(n):
SAAAC-15567