BSG Urteil v. - B 1 KR 25/01 R

Leitsatz

Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.

Gesetze: SGG § 144

Instanzenzug:

Gründe

I

Die Beteiligten streiten um die Höhe des der Klägerin zustehenden Krankengelds.

Die Klägerin ist pflichtversichertes Mitglied bei der beklagten Ersatzkasse. Wegen Arbeitsunfähigkeit erhielt sie ab Krankengeld in Höhe von 55,83 DM kalendertäglich. Mit zwei Schreiben vom 12. und teilte die Beklagte mit, das Krankengeld werde wegen einer Änderung von § 47 Abs 1 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) durch das Gesetz zur Entlastung der Beiträge in der gesetzlichen Krankenversicherung (Beitragsentlastungsgesetz vom , BGBl I 1631) ab nur noch 50,25 DM kalendertäglich betragen; das zweite Schreiben ist mit einer Rechtsmittelbelehrung versehen. Mit Beschluss vom nahm das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) die unmittelbar gegen das Beitragsentlastungsgesetz gerichtete Verfassungsbeschwerde der Klägerin nicht zur Entscheidung an (BVerfG SozR 3-2500 § 47 Nr 8 = NJW 1997, 2444). Die Krankengeldgewährung wurde zum wegen Erreichens der Höchstbezugsdauer eingestellt; der diesbezügliche Widerspruchsbescheid vom wurde von der Klägerin nicht angefochten. Rückwirkend zum wurde der Klägerin Rente wegen Erwerbsunfähigkeit auf Zeit (zunächst bis Ende 1998) bewilligt.

Widerspruch, Klage und Berufung der Klägerin gegen die Minderung des Krankengelds hatten keinen Erfolg (Widerspruchsbescheid vom ; Urteil des Sozialgerichts <SG> Hannover vom ; Urteil des Landessozialgerichts <LSG> Niedersachsen vom - L 4 KR 1/00). Das LSG hält die Klage für unzulässig, soweit erstmals im Berufungsverfahren die Erstattung von Sozialversicherungsbeiträgen begehrt werde, weil insoweit kein Verwaltungsverfahren durchgeführt worden sei. Im Übrigen sei die Klage unbegründet, weil die Krankengeldberechnung durch die Beklagte dem Gesetz entspreche und auch mit höherrangigem Recht in Einklang stehe. Das ergebe sich insbesondere aus dem auf die Verfassungsbeschwerde der Klägerin ergangenen . Danach lasse das Grundgesetz (GG) dem Gesetzgeber weitgehend freie Hand, in welcher Form er den Auftrag zum Familienlastenausgleich umsetze. Eine Staffelung der Höhe des Krankengeldes nach der Kinderzahl sei verfassungsrechtlich nicht geboten. Die Bemessung des Krankengeldes nach der Höhe des vorher erzielten Arbeitsentgelts sei nicht sachwidrig; Familienstand und Unterhaltslasten würden durch die Anknüpfung an das Nettoentgelt berücksichtigt. Elemente des Familienlastenausgleichs seien in der beitragsfreien Mitversicherung der Familienangehörigen enthalten. Die Minderung des Krankengeldes sei auch unter dem Gesichtspunkt der Erhaltung des Existenzminimums verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden; insoweit hält das LSG den Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers trotz der bedenkenswerten Argumente der Klägerin noch nicht für überschritten.

Mit der Revision rügt die Klägerin die Verletzung von Verfassungsrecht. Bei der Höhe des Krankengelds gehe es nicht um den Familienlastenausgleich, sondern um eine Frage der Beitrags- und Leistungsgerechtigkeit. Der sei durch das Urteil zur Pflegeversicherung vom überholt (BVerfGE 103, 242 = SozR 3-3300 § 54 Nr 2 = NJW 2001, 1712). Die dort entwickelten Grundsätze seien auf die Krankenversicherung zu übertragen, denn auch dabei handle es sich um ein Leistungssystem, das Risiken der Altengeneration abdecken solle und dessen Finanzierung im Wesentlichen nur durch das Vorhandensein nachwachsender Generationen funktioniere. Außerdem habe das BVerfG klargestellt, dass die Mitversicherung Familienangehöriger in der Pflegeversicherung die Unzuträglichkeiten des Systems nicht beseitige, da sie als Familienlasten- oder Solidarausgleich nicht ausreiche. Eltern leisteten durch Kindererziehung Vorsorge für die kinderlosen Angehörigen der eigenen Generation und hätten keinen ihrer doppelten Beitragsleistung entsprechenden Leistungsanspruch. Deshalb leuchte es nicht ein, dass die Leistungsansprüche der Klägerin im gleichen Maße gekürzt würden wie diejenigen kinderloser Versicherter, zumal die finanzielle Belastung der Krankenversicherung auf den demografischen Strukturverschlechterungen beruhe, für welche die Klägerin mit vier Kindern gerade nicht verantwortlich sei. Überdies müsse die Leistungshöhe in der Krankenversicherung schon deshalb nach der Kinderzahl differenziert werden, weil dies im Bereich der Arbeitslosenversicherung geschehe.

Die Klägerin bezieht sich auf ihre Anträge im Berufungsverfahren, sodass sie sinngemäß begehrt,

die Urteile des Landessozialgerichts Niedersachsen vom und des Sozialgerichts Hannover vom sowie den Bescheid der Beklagten vom in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom aufzuheben und festzustellen, dass das Krankengeld in bisheriger Höhe, mindestens aber in Höhe des Existenzminimums für sie und ihre unterhaltsberechtigten Kinder zu zahlen ist, sowie

die Beklagte zu verurteilen, ihr die auf das Krankengeld gezahlten Sozialversicherungsbeiträge zu erstatten, soweit das Krankengeld unter dem Existenzminimum liegt.

Die Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

II

Die Revision ist nur teilweise zulässig; in Bezug auf den Streit um die Erstattung von Sozialversicherungsbeiträgen genügt die Revisionsbegründung nicht den gesetzlichen Anforderungen.

Nach § 164 Abs 2 Satz 3 Sozialgerichtsgesetz (SGG) muss die Revisionsbegründung einen bestimmten Antrag enthalten, die verletzte Rechtsnorm und, soweit Verfahrensmängel gerügt werden, die Tatsachen bezeichnen, die den Mangel ergeben. Mit dieser Vorschrift soll zur Entlastung des Revisionsgerichts erreicht werden, dass der Revisionskläger bzw sein Prozessvertreter die Erfolgsaussicht der Revision eingehend prüft und von aussichtslosen Revisionen Abstand nimmt. Das setzt eine Auseinandersetzung mit den Gründen der angefochtenen Entscheidung nach den Kriterien voraus, an denen sich auch die revisionsgerichtliche Überprüfung zu orientieren hat. Der Revisionskläger braucht die Revisionsentscheidung nicht im Einzelnen vorwegzunehmen; er muss aber zumindest einen möglichen Argumentationsweg andeuten, auf dem das Revisionsgericht zu einem anderen Ergebnis kommen könnte als die Berufungsinstanz (zum Ganzen vgl BSG SozR 1500 § 164 Nr 12 und Nr 28; BSG SozR 3-1500 § 164 Nr 11 jeweils mwN).

Entgegen diesen Anforderungen zeigt die Revisionsbegründung nicht auf, wie der im Berufungsverfahren erstmals gestellte Antrag auf Erstattung von Sozialversicherungsbeiträgen revisionsrechtlich zu beurteilen ist. Es handelt sich um ein gegenüber dem Streit um die Höhe des Krankengeldes selbstständiges prozessuales Begehren, das vom LSG mangels diesbezüglichen Verwaltungsverfahrens als unzulässig angesehen wurde. Die Revisionsbegründung geht auf diese prozessuale Erwägung an keiner Stelle ein und lässt daher nicht erkennen, dass sich der Prozessbevollmächtigte der Klägerin mit der Zulässigkeit der Klage auf Erstattung von Sozialversicherungsbeiträgen befasst und das angefochtene Urteil in diesem Punkt überprüft hat (zu dieser Anforderung: BSG SozR 3-1500 § 164 Nr 11; BSG USK 9887; BSG HVBG-INFO 1999, 1638 jeweils mwN). Hinsichtlich der Beitragserstattung ist die Revision deshalb als unzulässig zu verwerfen.

Soweit die Revision einen Anspruch auf höheres Krankengeld ab dem verfolgt, lässt der Senat Bedenken wegen unzureichender Revisionsbegründung dahinstehen. Die Revision scheitert jedenfalls daran, dass die Berufung der Klägerin gegen die erstinstanzliche Klageabweisung unzulässig gewesen ist und das LSG deshalb nicht in der Sache hätte entscheiden dürfen. Die Statthaftigkeit der Berufung ist vom Revisionsgericht von Amts wegen zu prüfen (BSGE 67, 221, 223 = SozR 3-4100 § 117 Nr 3 S 12; BSGE 1, 227, 230).

Nach § 144 Abs 1 Satz 1 Nr 1 und Satz 2 SGG in der seit dem geltenden Fassung bedarf die Berufung nur dann keiner besonderen Zulassungsentscheidung, wenn der Wert des Beschwerdegegenstands bei einer Klage, die eine Geld- oder Sachleistung oder einen hierauf gerichteten Verwaltungsakt betrifft, 1.000 DM (seit : 500 €) übersteigt oder wenn die Berufung wiederkehrende oder laufende Leistungen für mehr als ein Jahr betrifft. Die Klägerin ist durch das erstinstanzliche Urteil nicht in dem von § 144 Abs 1 SGG vorausgesetzten Maße beschwert, denn mit dem im Klageverfahren beanspruchten Betrag wird der erforderliche Beschwerdewert nicht erreicht. Hierfür ist letztlich nicht der Wortlaut des Klageantrags maßgebend - vor allem, wenn darin das zulässig verfolgbare Klagebegehren nur undeutlich umschrieben ist - denn nach § 123 SGG ist auf den in Wirklichkeit erhobenen Anspruch abzustellen; andernfalls könnte die in § 144 SGG vorgeschriebene Rechtsmittelbeschränkung durch die Antragsformulierung unterlaufen werden (vgl auch BSG SozR 3-1500 § 158 Nr 1 S 2).

Erstinstanzlich wurde der Antrag als reine Anfechtungsklage formuliert; allerdings kommt darin das von der Klägerin wiederholt betonte Prozessziel, die Beklagte zur Rücknahme der ab dem verfügten Kürzung des Krankengeldes zu bewegen, nur zutreffend zum Ausdruck, falls die Beklagte eine bindende Bewilligung von Krankengeld über den bis zur Erschöpfung des Anspruchs am ausgesprochen haben sollte. Andernfalls hätte die Anfechtungsklage gemäß § 54 Abs 4 SGG mit einer Leistungsklage auf Zahlung von Krankengeld in der bis Ende 1996 gewährten Höhe kombiniert werden müssen. Mangels vorinstanzlicher Feststellungen zum Verwaltungsverfahren kann der Senat nicht beurteilen, welche Klageart zutreffend gewesen wäre; für die Entscheidung über die Revision ist das jedoch unschädlich. Denn dem Antrag und dem Vorbringen der Klägerin sind entgegen den Ausführungen im Schriftsatz vom keine Anhaltspunkte dafür zu entnehmen, dass mit der Klage mehr erreicht werden sollte als die Aufhebung der Krankengeldkürzung. Für eine weitergehende Klage hätte im Übrigen auch das erforderliche Verwaltungsverfahren gefehlt.

Das eingeschränkte Prozessziel hat entgegen der Annahme der Revision auch im Berufungsantrag seinen Niederschlag gefunden. Der zusätzliche Antrag auf Erstattung von Sozialversicherungsbeiträgen ist in diesem Zusammenhang nicht zu berücksichtigen, weil es sich dabei um einen eigenen prozessualen Anspruch handelt und die Zulässigkeit der Berufung zu Beginn der Instanz zu beurteilen ist; sie kann nicht erst danach durch Klageerweiterung oder -änderung geschaffen werden (Meyer-Ladewig, 7. Aufl, vor § 143 RdNr 10 mwN). Hinsichtlich der Höhe des Krankengeldes hat die Klägerin ihr Begehren in der außerdem erhobenen Feststellungsklage ausdrücklich auf die Leistung in der früher erhaltenen Höhe beschränkt; lediglich hilfsweise hat sie sich auf einen darunter liegenden Mindestbetrag in Höhe des Existenzminimums für sich und ihre unterhaltsberechtigten Kinder bezogen. Unabhängig davon, dass neben der Anfechtungsklage oder - bei entsprechender verwaltungsverfahrensrechtlicher Situation - neben der kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage kein Rechtsschutzbedürfnis für eine Feststellungsklage ersichtlich ist, bestätigt dieser Berufungsantrag, auf den auch noch in der Revisionsbegründung ausdrücklich Bezug genommen wird, dass sich das Klageverfahren ausschließlich gegen die Kürzung des Krankengelds richtete.

Unabhängig von der Formulierung der verschiedenen Anträge ging es der Klägerin somit um eine Geldleistung, nämlich um Krankengeld in Höhe des von der Beklagten bis zum gewährten Betrags, der um kalendertäglich 5,58 DM höher gelegen hatte, als die danach geleisteten Zahlungen. Die Differenz kann die Klägerin höchstens bis zum beanspruchen, als die Krankengeldzahlung endete, weil die Höchstanspruchsdauer erreicht war. Die Entscheidung über die Anspruchsdauer ist in der Sache bindend, weil die Klägerin den darüber ergangenen Widerspruchsbescheid der Beklagten vom - anders als den Widerspruchsbescheid vom selben Tage über die Höhe des Krankengeldes - nicht angefochten hat. Ein neuer Anspruch mit Beginn der zweiten Blockfrist am ist durch die zwischenzeitliche Rentenbewilligung ausgeschlossen (§ 50 Abs 1 SGB V). Damit stand bereits für das Klageverfahren fest, dass die Klägerin auch bei einem Prozesserfolg höheres Krankengeld nur für insgesamt 69 Tage würde erhalten können, sodass sich ihre Beschwer durch das erstinstanzliche Urteil auf 385,02 DM beläuft und auch keine laufende Leistung für mehr als ein Jahr streitig ist.

Die demnach gemäß § 144 Abs 1 Satz 1 SGG erforderliche Zulassung der Berufung im Urteil des SG oder auf Beschwerde durch Beschluss des LSG liegt nicht vor. Eine Entscheidung über die Zulassung ist weder dem Tenor noch den Entscheidungsgründen des erstinstanzlichen Urteils zu entnehmen. Die bei zulässiger Berufung übliche Rechtsmittelbelehrung genügt nicht den Anforderungen an eine positive Entscheidung über die Zulassung der Berufung. Der Mangel der Zulassung lässt sich im laufenden Verfahren grundsätzlich auch nicht durch Umdeutung der unstatthaften Berufung in eine Nichtzulassungsbeschwerde nach § 145 SGG beheben; vielmehr handelt es sich um einen Fall, der ausschließlich nach den Vorschriften über die Folgen einer unrichtigen Rechtsmittelbelehrung zu lösen ist (vgl § 66 Abs 2 SGG). Das hat der Senat im Anschluss an die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts und des Bundesfinanzhofs entschieden, weil die Einlegung der unzulässigen Berufung an Stelle der zulässigen Nichtzulassungsbeschwerde in erster Linie darauf zurückzuführen ist, dass der Berufungskläger im erstinstanzlichen Urteil über das statthafte Rechtsmittel falsch belehrt wurde (zum Ganzen BSG SozR 3-1500 § 158 Nr 1 S 4 f mwN; BSG SozR 3-1500 § 144 Nr 11 S 20 f; vgl auch KG 17/96 R - EzFamR GG Art 6 Nr 34; AL 1/98 R - DBlR 4560a, SGG/§ 145).

Bisher war diese Frage allerdings nur in Fällen zu entscheiden, in denen der Berufungskläger rechtskundigen Beistand hatte. Dies trifft für die Klägerin nicht zu, denn sie war im Berufungsverfahren nicht durch Prozessbevollmächtigte vertreten. Dennoch sieht der Senat für eine Umdeutung eines eindeutig als "Berufung" bezeichneten Rechtsmittels in eine Nichtzulassungsbeschwerde keinen Raum. Der Begriff der Umdeutung wird im Gesetz für fehlerhafte Verwaltungsakte (vgl § 43 SGB X, § 47 VwVfG) und für nichtige Rechtsgeschäfte verwendet (vgl die Überschrift zu § 140 BGB in der seit geltenden Fassung). Da es sich bei einem unzulässigen Rechtsmittel weder um das eine noch um das andere handelt, ist bei der Annahme von Umdeutungsmöglichkeiten Zurückhaltung geboten (vgl auch BGH FamRZ 2000, 1565 = NJW-RR 2001, 279 mwN). Dennoch ist insbesondere für den Zivilprozess anerkannt, dass in besonderen Konstellationen eine unzulässige Prozesshandlung und ausnahmsweise auch eine Rechtsmittelerklärung in ein nach Intention und rechtlicher Wirkung vergleichbares Pendant umzudeuten ist, wenn dessen Voraussetzungen eingehalten sind, die Umdeutung dem Parteiwillen entspricht und kein schutzwürdiges Interesse des Prozessgegners entgegensteht (BGH LM Nr 3 zu § 1612 BGB = FamRZ 1983, 892 = NJW 1983, 2200 mwN für das Verhältnis von Abänderungs- und Leistungsklage; BGH VersR 2001, 730 mwN und BGH FamRZ 1987, 154 für ein selbstständiges im Verhältnis zum Anschlussrechtsmittel; BGH NJW 1987, 1204: sofortige Beschwerde als Berufung).

Für das Verhältnis von Berufung und Nichtzulassungsbeschwerde kann das aber schon wegen der unterschiedlichen Zielrichtung der beiden Rechtsmittel nicht gelten. Beide zielen zwar im Ergebnis auf eine Überprüfung der erstinstanzlichen Entscheidung durch die höhere Instanz. Unmittelbar richtet sich die Nichtzulassungsbeschwerde aber nicht gegen den Ausgang des erstinstanzlichen Verfahrens, sondern gegen eine prozessuale Teilentscheidung; dementsprechend ist der Prüfungsgegenstand ein anderer als im Berufungsverfahren. Infolgedessen lässt sich die Vergleichbarkeit in Intention und rechtlicher Wirkung nicht von vornherein bejahen. Es ist auch nicht in allen Fällen als selbstverständlich anzunehmen, dass die Umdeutung dem Beteiligtenwillen entsprechen würde. Vielmehr erscheint es zumindest denkbar, dass der Rechtsmittelführer den zusätzlichen Aufwand einer Nichtzulassungsbeschwerde nicht auf sich genommen hätte, wenn ihm die Unzulässigkeit der Berufung und der die Unzulässigkeit begründende geringe Beschwerdewert bewusst gewesen wäre.

Im Verwaltungsprozess und speziell im sozialgerichtlichen Verfahren scheidet die Umdeutung eines unzulässigen Rechtsmittels in das zulässige auch wegen der allen anfechtbaren Entscheidungen beizufügenden Rechtsmittelbelehrung (für Urteile vgl § 136 Abs 1 Nr 7 SGG) aus. Durch die Belehrung sind Irrtümer oder Verwechslungen bei der Bezeichnung des Rechtsmittels weitgehend ausgeschlossen. Unabhängig davon, ob das eingelegte Rechtsmittel der erteilten Belehrung entspricht oder davon abweicht, ist für die Annahme kein Raum, der Erklärende habe ein anderes als das von ihm bezeichnete Rechtsmittel einlegen wollen; abgesehen vom Fall eines eindeutig erklärten Vorbehalts, muss vielmehr davon ausgegangen werden, dass er das in der Belehrung genannte Rechtsmittel für das Richtige gehalten bzw bewusst ein anderes gewählt hat. In bestimmten Fällen mag es bei Abweichungen von der Belehrung möglich sein, das angestrebte Rechtsmittel durch Auslegung zu ermitteln - beispielsweise, wenn der eingelegte Rechtsbehelf nach dem derzeitigen Verfahrensstand überhaupt nicht in Betracht kommt oder wenn andere Umstände hinzutreten, die entgegen dem Wortlaut der Erklärung den wahren Willen des Erklärenden erkennen lassen (vgl etwa BSG SozR 1500 § 92 Nr 2; Urteil vom - 9a RV 9/90; anders für Erklärungen eines Versicherungsträgers: BSG SozR 1500 § 92 Nr 3 und BSG SozR 3-1500 § 87 Nr 1). Von der Möglichkeit der Auslegung ist jedoch diejenige der Umdeutung zu unterscheiden: Letztere greift erst dann, wenn trotz Auslegung feststeht, dass das Rechtsgeschäft nichtig, der Verwaltungsakt fehlerhaft oder das Rechtsmittel unzulässig ist (vgl die Systematik von §§ 133, 140 BGB; zum Vorrang der Auslegung auch BGH LM ZPO § 515 Nr 38 = NJW 2000, 3215; BGH LM BGB § 1361 Nr 67 = NJW 1997, 735; BGH LM Nr 3 zu § 1612 BGB = NJW 1983, 2200). In den hier erörterten Fällen einer unzulässigen Berufung an Stelle einer Nichtzulassungsbeschwerde käme eine Auslegung im Sinne des zulässigen Rechtsmittels allenfalls dann in Betracht, wenn außer der Bezeichnung alle übrigen Ausführungen für eine Beschwerde sprächen. Da dies bei der Klägerin nicht zutrifft und da nach den weiter oben angestellten Überlegungen auch eine Umdeutung ausscheidet, weil keinerlei Beleg für die Absicht erkennbar ist, eine Nichtzulassungsbeschwerde zu erheben, bleibt es bei der Unzulässigkeit der Berufung.

Die für den Ausschluss der Umdeutung angeführten Argumente gelten für den rechtskundig vertretenen Rechtsmittelkläger genauso wie für den nicht vertretenen. Entspricht das Rechtsmittel der erteilten Belehrung, ist beim unvertretenen Rechtsuchenden sogar noch eher als bei der Vertretung durch einen Prozessbevollmächtigten anzunehmen, dass er die Zulässigkeit nicht eigens geprüft hat. Die in der bisherigen Rechtsprechung unausgesprochen erwogene Möglichkeit, dass der unvertretene Rechtsmittelkläger eines besonderen Schutzes bedürfe, hält einer Überprüfung nicht stand. Auch dem rechtskundig vertretenen Rechtsmittelkläger wird das Risiko eines unzulässigen Rechtsmittels wegen unrichtiger Rechtsmittelbelehrung weitgehend abgenommen, indem § 66 Abs 1 SGG verhindert, dass die Rechtsmittelfrist zu laufen beginnt. Umgekehrt wird bei zutreffender Rechtsmittelbelehrung keine Rücksicht darauf genommen, ob ein verfristetes, formwidriges oder aus anderen Gründen unzulässiges Rechtsmittel von einem vertretenen oder unvertretenen Rechtsmittelführer eingelegt wird. Unter diesen Umständen wäre eine entsprechende Differenzierung bei einem der Art nach unzulässigen Rechtsmittel nicht einzusehen. Diese Sichtweise wird durch die systematische Überlegung gestützt, dass das Gesetz die Rechtsfolgen einer unrichtigen Rechtsmittelbelehrung ausdrücklich regelt, sodass für eine Analogie zu den Vorschriften über die Umdeutung kein Raum ist. Vielmehr würden über die Grenzen einer Auslegung nach anerkannten Grundsätzen hinausreichende Umdeutungen die in den Regelungen über die Rechtsmittelbelehrung niedergelegten Wertungen unterlaufen.

Eine Zurückverweisung zur Nachholung der Nichtzulassungsbeschwerde kommt ebenfalls nicht in Betracht. Denn selbst eine erfolgreiche Beschwerde würde an der Unzulässigkeit der ursprünglich von der Klägerin erhobenen Berufung und an deren in § 158 Satz 1 SGG angeordneter Verwerfung als unzulässig nichts ändern. Vielmehr würde eine erfolgreiche Nichtzulassungsbeschwerde gemäß § 145 Abs 5 SGG zu einem neuen Berufungsverfahren und nicht zur Zulässigkeit des bisherigen führen; insoweit ist die Rechtslage anders als bei einer unzulässigen Klage, bei der das fehlende Vorverfahren nachgeholt werden kann.

Infolgedessen musste die Revision der Klägerin unter Berichtigung des Ausspruchs des Berufungsurteils, aber ohne sachliche Prüfung des geltend gemachten Anspruchs zurückgewiesen werden. Der Senat hatte auch nicht zu entscheiden, ob der Klägerin für eine zu erwägende Nichtzulassungsbeschwerde Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren (dazu vgl BVerwG Buchholz 454.71 § 27 WoGG Nr 2 = NJW 1997, 2966 mwN - zB OVG Berlin NJW 1965, 1151) und innerhalb welcher Frist ein entsprechender Antrag zu stellen wäre. Dies wird gegebenenfalls das dann zuständige LSG zu prüfen haben.

Fundstelle(n):
FAAAC-15554