Leitsatz
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Gesetze: SGB III § 133; SGB III § 434c
Instanzenzug: Sächsischen SG Chemnitz vom
Gründe
I
Die Beteiligten streiten noch über die Höhe des der Klägerin in der Zeit vom bis zum gezahlten Arbeitslosengeldes (Alg).
Die Klägerin war vom bis zum als Sachbearbeiterin beschäftigt. Sie erzielte ausweislich der Arbeitsbescheinigung in der Zeit vom bis ein Bruttoarbeitsentgelt in Höhe von 55.447,33 DM. In diesem Betrag war ein von der Klägerin erzieltes Urlaubsgeld in Höhe von 500,00 DM und ein Weihnachtsgeld in Höhe von 3.271,35 DM nicht enthalten.
Vom bis bezog die Klägerin Alg, das ihr ab für insgesamt 971 Leistungstage in Höhe von (zunächst) 436,31 DM wöchentlich bewilligt wurde (Bemessungsentgelt 1.070,00 DM; Leistungsgruppe B, erhöhter Leistungssatz). Einen wegen der nicht berücksichtigten Einmalzahlungen mit Schreiben vom gestellten Überprüfungsantrag lehnte die Beklagte unter Hinweis auf § 330 Abs 1 Sozialgesetzbuch - Drittes Buch - (SGB III) ab (Bescheid vom ; Widerspruchsbescheid vom ).
Vom bis zum war die Klägerin im Rahmen einer Arbeitsbeschaffungsmaßnahme beschäftigt. Sie erzielte in dieser Zeit ein beitragspflichtiges Arbeitsentgelt in Höhe von 42.693,53 DM (einschließlich einer Einmalzahlung in Höhe von 2.936,67 DM).
Vom bis zur Aufnahme einer versicherungspflichtigen Beschäftigung ab bezog die Klägerin wiederum Alg. Das Alg wurde mit Bescheid vom ab in Höhe von (zunächst) 389,83 DM wöchentlich bewilligt (Bemessungsentgelt 1.080,00 DM, Leistungsgruppe A, Allgemeiner Leistungssatz). Den wegen der Nichtberücksichtigung der Einmalzahlungen des Jahres 1998 eingelegten Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom zurück. Da der Anspruch auf Alg nach dem entstanden sei, komme eine 10%ige Erhöhung des Bemessungsentgelts nicht in Betracht.
Die Klägerin hat wegen der Nichtberücksichtigung der Einmalzahlungen in den Bewilligungszeiträumen bis sowie bis jeweils Klage erhoben. Das Sozialgericht (SG) hat die Klagen zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbunden. Mit Urteil vom hat das SG die Beklagte unter Aufhebung der angefochtenen Bescheide zur Zahlung eines höheren Alg ab unter Zugrundelegung des um 10 % pauschal erhöhten Bemessungsentgelts des Leistungsbezugs bis zum verurteilt. Im Übrigen hat das SG die Klage abgewiesen.
Gegen dieses Urteil hat die Beklagte Berufung eingelegt. Das Landessozialgericht (LSG) hat die Klage auch insoweit abgewiesen, als die Beklagte zur Zahlung von höherem Alg ab verurteilt worden ist. Das LSG hat zur Begründung ausgeführt, eine unmittelbare Anwendung der Übergangsregelung nach § 434c Abs 1 SGB III komme nicht in Betracht, weil die Bescheide über die Bewilligung von Alg vom bis am bereits unanfechtbar gewesen seien. Am sei die Klägerin nicht mehr arbeitslos gewesen. Die Anwendung des § 133 Abs 1 SGB III könne zu keinem anderen Ergebnis führen, denn die Vorschrift bezwecke einen Bestandsschutz in Bezug auf den tatsächlichen Bezug einer Leistung, nicht aber einen darüber hinausgehenden Vertrauensschutz. Für eine analoge Anwendung des § 434c SGB III fehle es an einer planwidrigen Regelungslücke. Die Normierung einer ausdrücklichen Bezugnahme auf § 133 SGB III in § 434c SGB III sei entbehrlich, weil § 133 SGB III als Sonderregelung in Ermangelung abweichender Bestimmungen den selben Vorschriften wie die grundsätzliche Bestimmung unterliege. Dies gelte auch für das Kriterium der Unanfechtbarkeit der Entscheidung. Es werde durch die Nichtberücksichtigung der Einmalzahlungen ein verfassungswidriger Zustand nicht perpetuiert, da es zum verfassungsgemäßen Zustand gehöre, dass bestandskräftige Bescheide bis zum Wirksamwerden der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts unanfechtbar seien. Auch im Rahmen von § 330 Abs 1 SGB III komme es auf das Wirksamwerden des Beschlusses des Bundesverfassungsgerichts an.
Mit der vom LSG zugelassenen Revision rügt die Klägerin sinngemäß eine Verletzung der §§ 133, 434c SGB III. Dem Kontext des , 4/98, 15/99 - sei zu entnehmen, dass bei Bewilligungen, die ab dem nicht bestandskräftig gewesen seien, Einmalzahlungen für die Bemessung der Lohnersatzleistungen Berücksichtigung fänden. Der Gesetzgeber, der auf Beiträge für Einmalzahlungen nicht habe verzichten wollen, habe alle neuen Leistungsfälle mit Einmalzahlungen erfüllen müssen. Mit der Änderung bzw Einfügung der §§ 134, 434c SGB III habe er dieses Konzept umgesetzt. Weil über § 133 SGB III auf ein Entgelt vor der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zurückzugreifen sei, sei dieses Entgelt analog zu § 434c Abs 1 SGB III pauschal um 10 % anzuheben. Der 11. Senat habe dies im Urteil vom - B 11 AL 45/02 R - auch für die Fälle des § 434c Abs 3 SGB III angenommen.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sächsischen Landessozialgerichts vom aufzuheben und die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Chemnitz vom zurückzuweisen.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie ist der Auffassung, dass eine Berücksichtigung der Einmalzahlungen eine Rücknahme des Bewilligungsbescheides vom und des Änderungsbescheids vom für die Vergangenheit nach § 44 Sozialgesetzbuch - Zehntes Buch - (SGB X) voraussetze. Ein derartiger Anspruch scheitere an der Regelung des § 330 Abs 1 SGB III. § 434c Abs 1 Satz 2 SGB III solle unter den dort genannten Voraussetzungen nur zu einer künftigen Erhöhung des Bemessungsentgelts führen (vgl BT-Drucks 14/4371, S 14).
II
Die Revision der Klägerin ist begründet. Ihr steht ab Alg nach einem um 10 % erhöhten Bemessungsentgelt zu.
Der Anspruch der Klägerin auf höheres Alg folgt aus dem mit Wirkung vom durch das Einmalzahlungs-Neuregelungsgesetz vom (Einmalzahlungs-NeuregelungsG, BGBl I 2000, 1971) eingefügten § 434c Abs 1 SGB III. Nach Satz 1 dieser Vorschrift sind, soweit sich die Höhe eines Anspruchs auf Alg, der vor dem entstanden ist, nach § 112 des Arbeitsförderungsgesetzes in der bis zum geltenden Fassung oder nach § 134 Abs 1 SGB III in der vor dem geltenden Fassung richtet, diese Vorschriften mit der Maßgabe anzuwenden, dass sich das Bemessungsentgelt, das sich vor der Rundung ergibt, ab dem um 10 %, höchstens bis zur jeweiligen Leistungsbemessungsgrenze, erhöht. Nach Satz 2 gilt die Erhöhung für Ansprüche, über die am bereits unanfechtbar entschieden war, vom an.
Die Höhe des von der Klägerin in der Zeit vom bis zum bezogenen Alg richtete sich nach § 134 SGB III in der vor dem geltenden Fassung, denn die Beklagte hatte auf der Grundlage des im Bemessungszeitraum (§ 130 SGB III) erzielten Arbeitsentgelts ein gerundetes Bemessungsentgelt von zunächst 1.070,00 DM wöchentlich errechnet. Bei diesem Bemessungsentgelt blieben nach der vor dem geltenden Fassung des § 134 Abs 1 Satz 3 Nr 1 SGB III Arbeitsentgelte, die einmalig gezahlt werden, außer Betracht. Das Bemessungsentgelt lag auch der Bewilligung im streitigen Zeitraum vom bis zu Grunde. Zwar hatte die Klägerin durch die Beschäftigung im Rahmen einer Arbeitsbeschaffungsmaßnahme vom bis die Anwartschaftszeit (§ 123 SGB III) für einen neuen Anspruch auf Alg erfüllt, der sich nach § 127 Abs 4 SGB III um die Restdauer des erloschenen Anspruchs verlängerte. Dem neuen Anspruch lag jedoch das Bemessungsentgelt des früheren Anspruchs auf Alg zu Grunde. Denn nach § 133 Abs 1 SGB III (in der bis zum geltenden Fassung) ist Bemessungsentgelt mindestens das Entgelt, nach dem Alg oder die Arbeitslosenhilfe (Alhi) zuletzt bemessen worden ist, wenn der Arbeitslose innerhalb der letzten drei Jahre vor der Entstehung des Anspruchs Alg oder Alhi bezogen hat. Die Voraussetzungen des § 133 Abs 1 SGB III waren durch den Vorbezug von Alg und die Beschäftigung im Rahmen der Arbeitsbeschaffungsmaßnahme erfüllt.
Obwohl - vermittelt durch die Regelung in § 133 Abs 1 SGB III - für die Bemessung des Alg-Anspruchs ab die bis zum geltende (alte) Fassung des § 134 SGB III maßgebend war, ist dem LSG zuzugeben, dass der Wortlaut des § 434c Abs 1 SGB III eher gegen eine Erstreckung der Norm auf den vorliegenden Sachverhalt spricht. Denn § 434c Abs 1 SGB III erfasst ausdrücklich nur Ansprüche, die vor dem entstanden sind und deren Bemessung sich nach § 134 Abs 1 SGB III in der vor dem geltenden Fassung richtet. Gleichwohl führt eine an Sinn und Zweck unter Einbeziehung der Entstehungsgeschichte orientierte Auslegung zu dem Ergebnis, auch das Bemessungsentgelt, das auf Grund der Besitzstandsklausel des § 133 Abs 1 SGB III gewährt wird, in die Regelung einzubeziehen, wenn es ohne den Erwerb einer neuen Anwartschaft auf Alg zu einer Erhöhung der Leistung nach § 434c Abs 1 SGB III gekommen wäre (vgl zu ähnlichen Erwägungen bei der Auslegung des § 434c Abs 3 Satz 3 SGB III BSG SozR 4-4300 § 434c Nr 2 mit zustimmender Anm Hase AuB 2003, 281).
Der Gesetzgeber wollte mit der Neufassung des SGB III durch das Einmalzahlungs-NeuregelungsG, zu der die Übergangsvorschrift in § 434c SGB III gehört, einen verfassungswidrigen Rechtszustand beseitigen. Das Bundesverfassungsgericht hatte es bereits 1995 als mit dem Grundgesetz (GG) unvereinbar beanstandet, einmalig gezahltes Arbeitsentgelt zwar zu Beiträgen heranzuziehen, jedoch bei der Höhe beitragsfinanzierter Entgeltersatzleistungen nicht zu berücksichtigen, und dem Gesetzgeber aufgegeben, bis spätestens Ende 1996 eine verfassungskonforme Regelung zu treffen (BVerfGE 92, 53 ff = SozR 3-2200 § 385 Nr 6). Die daraufhin durch das Gesetz zur sozialrechtlichen Behandlung von einmalig gezahltem Arbeitsentgelt vom (BGBl I 1996, 1859) erfolgten Neuregelungen schlossen für das Alg und das Unterhaltsgeld weiterhin die Berücksichtigung von einmalig gezahltem Arbeitsentgelt aus. Diese Regelungen verletzten nach wie vor Art 3 Abs 1 GG, wie das (BVerfGE 102, 127 ff = SozR 3-2400 § 23a Nr 1) entschieden hat. Erneut hat das Bundesverfassungsgericht in der zuletzt genannten Entscheidung ausgesprochen, der Gleichheitssatz (Art 3 Abs 1 GG) gebiete es, einmalig gezahltes Arbeitsentgelt, das zu Sozialversicherungsbeiträgen herangezogen wird, bei der Berechnung von kurzfristigen beitragsfinanzierten Lohnersatzleistungen, wie beispielsweise Alg und Krankengeld, zu berücksichtigen. Das Bundesverfassungsgericht hat die zur Prüfung gestellten leistungsrechtlichen Vorschriften beanstandet, weil die Beiträge unverändert einen unterschiedlichen Erfolgswert hatten.
Den sich aus den Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts ergebenden Anforderungen wollte der Gesetzgeber mit dem Einmalzahlungs-NeuregelungsG genügen (BT-Drucks 14/4371 S 11). Deshalb wurde zum einen durch ab in Kraft getretene Änderungen des § 134 SGB III sichergestellt, dass einmalig gezahltes Arbeitsentgelt wie laufendes Arbeitsentgelt in die Berechnung des Bemessungsentgelts des Alg einbezogen wird. Ergänzend hierzu sollte die Übergangsregelung in § 434c Abs 1 SGB III für das Alg in pauschalierender Weise bewirken, dass einmalig gezahltes Arbeitsentgelt das für die Höhe des Alg maßgebliche Arbeitsentgelt (Bemessungsentgelt) erhöht. Hierbei sollte sich die Regelung ausweislich der Gesetzesmaterialien nicht nur auf Leistungsansprüche beschränken, über die am noch nicht unanfechtbar entschieden war, sondern "darüber hinaus für die Zukunft auch alle Leistungsansprüche erfassen, über die an diesem Tag bereits bestandskräftig entschieden war" (BT-Drucks 14/4371 S 14). Insoweit verdrängt § 434c Abs 1 SGB III im Rahmen seines Anwendungsbereichs die allgemeinen Regelungen über die Korrektur von Verwaltungsakten nach § 44 SGB X, § 330 Abs 1 SGB III (BSGE 91, 47 = SozR 4-4300 § 434c Nr 1), sodass die diesbezüglichen Bedenken der Beklagten nicht durchgreifen. Der Konzeption des Gesetzgebers entspricht es folglich, die leistungsrechtliche Berücksichtigung von einmalig gezahltem Arbeitsgeld beim Alg ohne Ausnahme in pauschalierter Form sicherzustellen. Diesem Willen des Gesetzgebers wird nur entsprochen, wenn die durch § 133 Abs 1 SGB III vermittelte Anknüpfung an ein Bemessungsentgelt nach § 134 SGB III in der vor dem geltenden Fassung in den Anwendungsbereich der Übergangsregelung einbezogen wird. Vor diesem Hintergrund braucht nicht erörtert zu werden, ob ein derartiges Ergebnis auch verfassungsrechtlich geboten wäre. Hierfür spräche allerdings, dass die Dauer des Anspruchs der Klägerin auf Alg ab wegen § 127 Abs 4 SGB III auch auf Zeiten der Versicherungspflicht beruhte, die für den früheren Anspruch auf Alg maßgebend waren.
Die vorstehenden Erwägungen werden im Übrigen durch Sinn und Zweck der "Besitzstandsregelung" in § 133 Abs 1 SGB III gestützt. Denn durch diese erstmals durch das Gesetz zur Reform der Arbeitsförderung - AFRG - vom (BGBl I 1997, 594) eingefügte Regelung wollte der Gesetzgeber die Bereitschaft von Arbeitslosen, Zwischenbeschäftigungen mit geringerem Arbeitsentgelt aufzunehmen, stärken und bei Begründung eines neuen Anspruchs entstehende Nachteile ausschließen (BT-Drucks 13/4941 S 178). Dieses Ziel würde verfehlt, wenn die pauschale Aufstockung des Bemessungsentgelts nach § 434c Abs 1 SGB III in Fällen der vorliegenden Art unterbliebe, denn ohne die Zwischenbeschäftigung in der Arbeitsbeschaffungsmaßnahme hätte die Klägerin nach § 434c Abs 1 Satz 2 SGB III ab Anspruch auf höheres Alg gehabt (vgl Senats-Urteil vom - B 11 AL 19/03 R - veröffentlicht in juris). Aus diesem Grunde entspricht es - trotz ihres Charakters als reiner Besitzstandsklausel (vgl etwa Pawlak in Kasseler Handbuch des Arbeitsförderungsrechts, § 11 RdNr 126, 128) und der grundsätzlichen Bindungswirkung des Bewilligungsbescheids - der Zielsetzung des § 133 Abs 1 SGB III, dass sie im Zusammenwirken mit § 434c Abs 1 SGB III bei der früheren Bemessung nicht berücksichtigte Einmalzahlungen nunmehr einbezieht und insoweit nicht - wie die Beklagte meint - eine Sperrwirkung des § 434c Abs 1 Satz 2 SGB III für nach dem entstandene Ansprüche besteht.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstelle(n):
HAAAC-14807