BSG Beschluss v. - B 11 AL 33/03 R

Leitsatz

Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.

Gesetze: BRAGO § 116; BRAGO § 134; SGG § 183; SGB III § 217 ff

Instanzenzug: SG Chemnitz vom

Gründe

I

Die Beteiligten haben im Ausgangsverfahren über die Gewährung eines Eingliederungszuschusses bei erschwerter Vermittlung gestritten. Gegen die ablehnenden Bescheide hat die Klägerin am Klage beim Sozialgericht (SG) Hannover erhoben. Das Landessozialgericht (LSG) hat mit Urteil vom auf die Berufung der Klägerin das Urteil des SG und die angefochtenen Bescheide aufgehoben und die Beklagte verpflichtet, über den Antrag der Klägerin auf Gewährung eines Eingliederungszuschusses unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu bescheiden.

Die Beklagte hat ihre gegen dieses Urteil am erhobene Revision im Termin zur mündlichen Verhandlung vom zurückgenommen.

Die Klägerin beantragt Streitwertfestsetzung. Die Beklagte beantragt den Antrag zurückzuweisen und verweist zur Begründung auf den Beschluss des SG Chemnitz vom .

II

Der Antrag der Klägerin ist zurückzuweisen. Die Gebühren sind vom Anwalt als Rahmengebühren nach billigem Ermessen zu bestimmen (§ 116 Abs 1, § 12 Abs 1 Satz 1 Bundesgebührenordnung für Rechtsanwälte <BRAGO>).

Für den vorliegenden Antrag findet im Hinblick auf die Beendigung des Verfahrens am die BRAGO in der bis zum geltenden Fassung Anwendung. Für die Vergütung des Rechtsanwalts in Verfahren vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit enthält § 116 BRAGO eine abschließende Sonderregelung. Während § 116 Abs 1 BRAGO für Verfahren vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit Rahmengebühren bestimmt, enthält Abs 2 eine Bestimmung derjenigen Verfahren, in denen die Anwaltsgebühren sich nach dem Wert richten. Eine Festsetzung des Streitwertes kommt nach § 116 Abs 2 Satz 1 BRAGO (idF durch Art 15 des 6. Gesetzes zur Änderung des Sozialgerichtsgesetzes <6. SGG-ÄndG> vom , BGBl I 2001, 2144) nur in Betracht, wenn der Auftraggeber nicht zu den in § 183 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) genannten Personen gehört, denn nur für derartige Verfahren gelten die Vorschriften des 3. Abschnittes der BRAGO sinngemäß. § 116 Abs 2 idF des 6. SGG-ÄndG ist am in Kraft getreten (Art 19 6. SGG-ÄndG). Die Vorschrift findet nach § 134 BRAGO auch auf den hier zu beurteilenden Antrag auf Festsetzung des Streitwertes Anwendung. Zwar enthält § 134 Abs 1 Satz 1 BRAGO den Grundsatz, dass die Vergütung nach bisherigem Recht zu berechnen ist, wenn der unbedingte Auftrag zur Erledigung derselben Angelegenheit iS des § 13 vor dem Inkrafttreten einer Gesetzesänderung erteilt oder der Rechtsanwalt vor diesem Zeitpunkt gerichtlich bestellt oder beigeordnet worden ist. Von diesem Grundsatz weicht § 134 Abs 1 Satz 2 jedoch für den Fall ab, dass der Rechtsanwalt im Zeitpunkt des Inkrafttretens einer Gesetzesänderung in derselben Angelegenheit und, wenn ein gerichtliches Verfahren noch anhängig ist, in demselben Rechtszug bereits tätig gewesen ist. In einem derartigen Fall ist die Vergütung für das Verfahren über ein Rechtsmittel, das nach diesem Zeitpunkt eingelegt ist, nach neuem Recht zu berechnen. Die letztgenannte Regelung ist hier einschlägig, weil die Revision durch die Beklagte am und damit nach dem Inkrafttreten des § 116 Abs 2 BRAGO nF eingelegt worden ist, obwohl die Prozessbevollmächtigten der Klägerin bereits in der Vorinstanz tätig gewesen sind.

Damit ist für die Frage, ob die Vergütung für das Revisionsverfahren nach dem Streitwert zu berechnen ist, nach § 116 Abs 2 Satz 1 BRAGO maßgebend, ob die Klägerin als Auftraggeberin zu den in § 183 SGG genannten Personen gehört. Es handelt sich um einen Verweis auf § 183 SGG in der jeweils aktuell geltenden Fassung dieser Vorschrift, da die Begünstigung dieses Personenkreises hinsichtlich der Gerichtskosten auf die Anwaltsgebühren übertragen werden sollte (vgl BT-Drucks 14/5943 S 32 zu Art 16). Damit kommt die ebenfalls durch das 6. SGG-ÄndG mit Wirkung vom geänderte Fassung des § 183 SGG zur Anwendung. Nichts anderes ergibt sich insoweit aus der allgemeinen Übergangsregelung in Art 17 Abs 1 Satz 2 6. SGG-ÄndG und der hierzu ergangenen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts - BSG - (BSG SozR 3-2500 § 116 Nr 24; SozR 3-2500 § 135 Nr 21; SozR 4-1500 § 183 Nr 1). Art 17 Abs 1 Satz 2, der die Weitergeltung des bisherigen Rechts für laufende Gerichtsverfahren anordnet, betrifft unmittelbar nur die Gerichtsgebühren. Die Erstreckung auch auf sonstige Kostenregelungen durch die og Entscheidungen des BSG erfolgte wegen Fehlens einer anderen Übergangsregelung. Für die Vergütung der Rechtsanwälte enthält aber § 134 Abs 1 Satz 2 BRAGO die speziellere Regelung. Im Übrigen ergäbe sich aus der Heranziehung des Art 17 Abs 1 Satz 2 6. SGG-ÄndG auch im Rahmen des § 116 Abs 2 Satz 1 BRAGO, dass eine Berechnung der Vergütung nach dem Streitwert in Übergangsfällen grundsätzlich nicht in Betracht käme, weil § 183 SGG aF die Verfahren vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit ausnahmslos gerichtskostenfrei stellte. Eine Anwendung von Art 17 6. SGG-ÄndG hätte dementsprechend zur Folge, dass zB auch die Streitigkeiten mit Beteiligung von Leistungserbringern iS von § 51 Abs 2 Satz 1 SGG übergangsrechtlich nicht nach dem Streitwert zu berechnen wären. Ein derartiges Ergebnis hat der Gesetzgeber jedoch offenbar nicht gewollt.

Die Klägerin gehört zu dem durch § 183 SGG nF privilegierten Personenkreis, denn sie ist Leistungsempfänger im Sinne dieser Vorschrift. Die Frage, ob Arbeitgeber bei Streitigkeiten über Lohnkostenzuschüsse Gerichtskostenfreiheit in Anspruch nehmen können, wird von den Instanzgerichten und der Literatur streitig behandelt (Kostenfreiheit nehmen an: LSG Celle-Bremen, Beschluss vom - L 8 B 5/03 AL -; -; SG Chemnitz, Beschluss vom - S 2 AL 941/02 -; Eicher in Kassler Handbuch des Arbeitsförderungsrechts § 40 Rz 21; die Kostenfreiheit verneinen: -; -; Meyer-Ladewig, SGG, 7. Aufl, § 183 Rz 3; Groß in HK-SGG § 183 Rz 3).

Der Senat folgert aus dem Wortlaut des § 183 SGG, Systematik sowie auch Sinn und Zweck der Vorschrift über die Kostenfreiheit des sozialgerichtlichen Verfahrens, dass die Arbeitgeber bei Streitigkeiten über Eingliederungszuschüsse nach den §§ 217 ff Sozialgesetzbuch - Drittes Buch - (SGB III) als Leistungsempfänger zu demjenigen Personenkreis gehören, für den Gerichtskostenfreiheit besteht.

Nach dem Wortlaut des § 183 Satz 1 SGG werden außer den Versicherten und Behinderten auch die "Leistungsempfänger einschließlich Hinterbliebenenleistungsempfänger" von den Gerichtskosten des sozialgerichtlichen Verfahrens freigestellt. Klarstellend wird im zweiten Halbsatz ausgeführt, es komme auf die jeweilige Eigenschaft als Kläger oder Beklagter an. Der Wortlaut des § 183 Satz 1 SGG lässt es nicht zweifelhaft erscheinen, dass Arbeitgeber bei Streitigkeiten über die Gewährung von Eingliederungszuschüssen als "Leistungsempfänger" zum privilegierten Personenkreis gehören, denn die Zuschüsse zu den Arbeitsentgelten nach den §§ 217 ff SGB III werden alleine den Arbeitgebern gewährt. Dies entspricht im Übrigen auch der Terminologie und Systematik des SGB III, denn die Eingliederungszuschüsse gehören zu den im 5. Kapitel des Gesetzbuches unter der Überschrift "Leistungen an Arbeitgeber" geregelten Leistungen, die gleichwertig neben die "Leistungen an Arbeitnehmer" (4. Kapitel) und die "Leistungen an Träger" (6. Kapitel) treten. Diese Systematisierung des Leistungskatalogs wird in § 3 Abs 1 bis 3 SGB III (Leistungen der Arbeitsförderung) fortgeführt. Aus § 3 Abs 4 SGB III folgt zudem, dass es sich bei den Eingliederungszuschüssen um Leistungen der aktiven Arbeitsförderung handelt. Da § 183 SGG lediglich den Begriff des Leistungsempfängers verwendet, kann letztlich offen bleiben, ob es sich beim Eingliederungszuschuss auch um eine "Sozialleistung" im Sinne der für das gesamte Sozialgesetzbuch geltenden Vorschrift des § 11 Sozialgesetzbuch - Erstes Buch - enthaltenen Definition handelt. Durchgreifende Zweifel sind allerdings auch insoweit nicht ersichtlich.

Der Gegenauffassung kann auch nicht darin gefolgt werden, dass sich aus der Entstehungsgeschichte überzeugende Hinweise auf eine einschränkende Auslegung der Regelung ergäben. Zwar ist in der Begründung des Gesetzentwurfes der Bundesregierung zum 6. SGG-ÄndG zu der korrespondierenden Regelung in § 197a SGG ausgeführt worden, dass die Anwendung des Gerichtskostengesetzes und bestimmter Vorschriften der Verwaltungsgerichtsordnung für Verfahren geregelt würden, an denen Personen beteiligt seien, die nicht eines besonderen sozialen Schutzes in Form eines kostenfreien Rechtsschutzes bedürften (BT-Drucks 14/5943 S 29). Anschließend daran werden in der Gesetzesbegründung Streitigkeiten von Sozialleistungsträgern untereinander oder Streitigkeiten zwischen Sozialleistungsträgern und Arbeitgebern sowie Vertragsarztverfahren als Beispiele dafür genannt, dass eine Gebührenprivilegierung nach dem auf die Durchsetzung von Ansprüchen auf Sozialleistungen ausgerichteten Schutzzweck der Regelung nicht gerechtfertigt sei. Die allgemeine Nennung von Streitigkeiten zwischen "Sozialleistungsträgern und Arbeitgebern" ist jedoch kein hinreichender Beleg für eine einschränkende Auslegung des § 183 Satz 1 SGG, weil nicht deutlich wird, ob auch Streitigkeiten über Arbeitgeberleistungen gemeint waren. Dagegen spricht, dass § 183 Satz 1 SGG ausdrücklich auf bestimmte Eigenschaften der Beteiligten abstellt. Insofern ist etwa nicht zweifelhaft, dass ein Arbeitgeber, der in seiner Eigenschaft als Versicherter (zB nach § 2 Sozialgesetzbuch - Sechstes Buch -) klagt, zum nach § 183 Satz 1 SGG privilegierten Personenkreis gehört, während ein Arbeitgeber, der auf Erstattung oder Ersatz von Beiträgen in Anspruch genommen wird, die Voraussetzungen einer Privilegierung nach § 183 Satz 1 SGG nicht erfüllen dürfte.

Schließlich widerspräche eine Auslegung gegen den Wortlaut auch dem mit der Gewährung von Eingliederungszuschüssen verfolgten Zweck, der es vielmehr nahe legt, auch die Arbeitgeber hinsichtlich der damit verbundenen Streitigkeiten nach § 183 SGG gerichtskostenfrei zu stellen. Denn diese Leistungen zielen nicht auf eine Bereicherung des Arbeitgebers ab, sondern sie dienen der Eingliederung von förderungsbedürftigen Arbeitnehmern durch den Ausgleich von Minderleistungen. Dementsprechend soll der Eingliederungszuschuss den Arbeitgeber gerade nicht durch eine Senkung seiner Lohnkosten im Verhältnis zu Wettbewerbern begünstigen und soll auch nicht seine Lasten, die durch eine Einarbeitung ohnehin entstehen, auf die Versichertengemeinschaft abwälzen (vgl zum Einarbeitungszuschuss BSG SozR 3-4100 § 49 Nr 1 und 2; Voelzke in Hauck/Noftz, SGB III, § 217 Rz 6). Entspricht es jedoch der Ausgestaltung der Eingliederungszuschüsse, lediglich Minderleistungen von förderungsbedürftigen Arbeitnehmern auszugleichen, um deren Einstellung zu fördern, so erscheint es auch gerechtfertigt, Arbeitgeber im Zusammenhang mit Streitigkeiten über die Gewährung oder Rückzahlung derartiger Zuschüsse nicht mit Gerichtskosten zu belasten.

Fundstelle(n):
EAAAC-14714