BSG Urteil v. - B 10 EG 5/05 R

Leitsatz

Der Anspruch auf Bundeserziehungsgeld wird bei Mehrlingen für jedes Kind einzeln berechnet.

Gesetze: BErzGG § 3 Abs 1 S 2; BErzGG § 5; BErzGG F. § 1 Abs 1 ; GG Art 3 Abs 1

Instanzenzug: SG Aachen S 13 EG 16/04 vom

Gründe

I

Streitig ist die Berechnung der Höhe des Bundeserziehungsgeldes (BErzg) für den 7. bis 12. Lebensmonat der Zwillinge der Klägerin.

Die Klägerin ist Mutter der am geborenen Zwillinge N und L . Sie war bis zum Beginn der Mutterschutzfrist erwerbstätig und bezog bis zum Mutterschaftsgeld. Im streitigen Zeitraum übte sie keine Erwerbstätigkeit aus, betreute und erzog die beiden Kinder, mit denen sie und ihr Ehemann in einem Haushalt lebten. Der Ehemann bezog im Jahre 2003 ein Bruttoarbeitsentgelt aus nicht selbstständiger Erwerbstätigkeit in Höhe von 39.053,- €. Als Werbungskosten sind im Steuerbescheid 3.932,- € ausgewiesen.

Am beantragte die Klägerin BErzg in Höhe des Regelbetrages für das erste Lebensjahr beider Kinder. Für den Sohn N setzte der Beklagte durch Bescheid vom das BErzg für den Zeitraum vom 2. August bis unter Anrechnung des Mutterschaftsgeldes mit 0,- €, vom bis mit 260,- € und vom 2. Januar bis mit dem vollen Regelsatz in Höhe von 300,- € fest. Für die Tochter L ergab die Berechnung des Beklagten für die Zeit vom bis einen monatlichen Betrag von 300,- € (Bescheid vom ). Ab dem Beginn des 7. Lebensmonats errechnete der Beklagte in den genannten Bescheiden für die beiden Kinder jeweils einen Zahlbetrag von 0,- €, da die maßgebliche Einkommensgrenze überschritten worden sei. Mit ihren Widersprüchen gegen beide Bescheide begehrte die Klägerin für beide Kinder gemeinsam einen Zahlbetrag an BErzg in Höhe von 233,- € monatlich. Dieser Betrag ergebe sich nach folgender Berechnung: Es sei für die Zwillinge insgesamt von einem einheitlichen BErzg-Anspruch in Höhe von 600,- € auszugehen. Das zu berücksichtigende Einkommen der Eltern (26.691,96 €) überschreite die maßgebliche Einkommensgrenze von 19.640,- € um 7.051,96 €. 5,2 % hiervon ergäben 366,70 € . Diese seien von den 600,- € abzuziehen, sodass sich gerundet ein Betrag von 233,- € ergebe. Durch Widerspruchsbescheide vom 4. und wies der Beklagte die Widersprüche zurück. Zur Begründung führte er aus: Für jedes Kind bestehe ein eigener Anspruch auf BErzg; bei Mehrlingen bedeute dieses, dass gleichzeitig mehrere Ansprüche nebeneinander gegeben seien, die Berechnung für jedes Kind also gesondert zu erfolgen habe.

Die Klägerin ist vor dem Sozialgericht Aachen (SG) mit ihrer Klage erfolgreich gewesen (Urteil vom ). Dieses hat den Beklagten "unter entsprechender Abänderung der beiden Bescheide vom in der Fassung der beiden Widerspruchsbescheide vom " verurteilt, der Klägerin BErzg für den 7. bis 12. Lebensmonat der Kinder N und L in Höhe von monatlich 233,- €, insgesamt 1.398,- €, zu gewähren. Es hat zur Begründung ausgeführt: Bei dem Anspruch der Klägerin auf BErzg handele es sich um einen einheitlichen Anspruch für Zwillinge, der durch die Geburt der Kinder entstehe. § 3 Abs 1 Satz 2 Bundeserziehungsgeldgesetz (BErzGG) begründe bei Mehrlingsgeburten nicht mehrere eigenständige Ansprüche auf Erziehungsgeld. Zwar werde dort bestimmt, dass bei Betreuung und Erziehung mehrerer Kinder für jedes Kind Erziehungsgeld zu zahlen sei. Hieraus folge jedoch lediglich die Erhöhung des BErzg-Betrages. Diese Auffassung finde ihre Stütze in der Ziffer 5.3.3 der Richtlinien des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) idF vom (aF), in welcher von einem einheitlichen Anspruch für Mehrlinge ausgegangen werde. Obwohl sich die Rechtslage durch die hier maßgebliche Fassung des BErzGG ab dem nicht geändert habe und den Gesetzesmaterialien ein geänderter Wille des Gesetzgebers nicht zu entnehmen sei, habe das BMFSFJ seine Auffassung geändert (s Richtlinien idF vom <nF>) und gehe nunmehr von einem eigenständigen Anspruch für jedes zu betreuende Kind aus, bei Mehrlingen von mehreren eigenständigen Ansprüchen. Hiergegen spreche jedoch, dass das bei Mehrlingen verlängert gezahlte Mutterschaftsgeld nur bei einem Kind auf das BErzg angerechnet werde. Dieses sei auch konsequent, denn es handele sich auch bei Mehrlingen nur um eine anspruchsbegründende Geburt. Einzig auf diesen Tatbestand komme es an. Demnach sei der Berechnung der Klägerin zu folgen.

Hiergegen hat der Beklagte die von dem SG im Urteil zugelassene Sprungrevision eingelegt, wozu die Klägerin schriftlich ihre Zustimmung erklärt hat. Er rügt einen Verstoß gegen § 3 Abs 1 Satz 2 iVm § 5 Abs 4 und Abs 3 Sätze 3 und 4 BErzGG und trägt vor:

Bereits aus dem Wortlaut des § 3 Abs 1 Satz 2 BErzGG - "Werden in einem Haushalt mehrere Kinder betreut und erzogen, wird für jedes Kind Erziehungsgeld gezahlt" - ergebe sich, dass entgegen der Auffassung des SG bei der Geburt von Mehrlingen kein einheitlicher Erziehungsgeldanspruch bestehe. Die Entstehungsgeschichte der Vorschrift zeige: Nicht nur dann, wenn mehrere Ansprüche auf Erziehungsgeld zusammenträfen, weil während des Erziehungsgeldzeitraumes ein weiteres Kind geboren werde, sei von jeweils selbstständigen Ansprüchen des Erziehungsgeldberechtigten für jedes Kind auszugehen, sondern auch bei Mehrlingen. In diesem Sinne habe das Bundessozialgericht (BSG) auch bereits entschieden, dass BErzg für mehrere Kinder nicht auf einem einheitlichen, sondern getrennten Ansprüche beruhe. Zwar möge dieses nach der ursprünglichen Konzeption des BErzGG anders gewesen sein. § 3 Abs 1 Satz 2 BErzGG sei jedoch durch Art 1 Nr 3 Gesetz zur Änderung des BErzGG und anderer Vorschriften (BErzGG-ÄndG) vom mit Wirkung zum entsprechend dem nunmehrigen Wortlaut geändert worden. Begründet worden sei die Änderung mit dem erhöhten Betreuungsaufwand bei Mehrlingen. Ziel sei es gewesen, die Begrenzung des Anspruchs auf Erziehungsgeld auf monatlich 600,- DM aufzuheben, wenn mehr als ein Kind betreut werde. Dieses betreffe sowohl die Fälle, in denen im Erziehungsgeldzeitraum ein weiteres Kind geboren werde, als auch die Geburten von Mehrlingen.

Ebenso wenig könne dem SG gefolgt werden, wenn es auf eine einheitliche Geburt bei Mehrlingen abstelle. Erstens sei der Anspruch auf BErzg nicht nur von der Geburt abhängig; diese sei zwar notwendige Bedingung dafür, aber nicht ausschließliche Anspruchsvoraussetzung. Zweitens sei der Geburtszeitpunkt auch bei Mehrlingen nicht identisch; sie kämen zu unterschiedlichen Zeitpunkten zur Welt, ggf auch an verschiedenen Tagen. Drittens stelle sich - ginge man von einer einheitlichen Geburt aus - die Frage, wie die Fallkonstellation zu handhaben sei, in der die Kinder nach der Geburt in verschiedenen Haushalten betreut und erzogen würden.

Soweit das SG auf die Änderung der Richtlinien des BMFSFJ ohne Initiierung durch eine gleichzeitige Gesetzesänderung hinweise, sei dieses zwar zutreffend, die gewandelte Auffassung im Hinblick auf die 1989 erfolge Neufassung des § 3 Abs 1 Satz 2 BErzGG jedoch zulässig und geboten gewesen. Die bisherige Verwaltungspraxis hätte nur dann beibehalten werden können, wenn die gesetzliche Regelung entsprechend geändert worden wäre. Die Änderung der Richtlinien sei zudem auf die klarstellende Rechtsprechung des -) zurückzuführen, in der dieses sich der in der Literatur vorherrschenden Meinung angeschlossen habe.

Die Annahme von getrennten Ansprüchen für Mehrlinge entspreche auch der in § 5 Abs 3 Satz 4 BErzGG enthaltenen Regelung. Danach erhöhe sich die maßgebliche Einkommensgrenze ab dem 7. Lebensmonat für "weitere" Kinder. Werde die Geburt von Mehrlingen als einheitliche Geburt mit einem einheitlichen Anspruch auf Erziehungsgeldleistungen gewertet, sei zweifelhaft, wie nach dieser Regelung zu verfahren sei. § 5 Abs 3 Satz 4 BErzGG stelle auf jedes weitere Kind ab und damit nicht auf dasjenige Kind, von dem sich der Erziehungsgeldanspruch ableite. Zwar sei mit der Änderung des BErzGG zum kein besonderer Berechnungsmodus für den Fall der Erziehung und Betreuung mehrerer gleichzeitig anspruchsbegründender Kinder eingeführt worden. Dieses führe jedoch nicht zu sachwidrigen Ergebnissen. Dem finanziellen Mehraufwand der Betreuung von Mehrlingen gegenüber dem bei der Betreuung eines einzelnen Kindes werde durch die Erhöhung der Einkommensgrenzen Rechnung getragen. Die Auffassung des SG würde zu einer nicht zu rechtfertigenden Bevorzugung von Anspruchsberechtigten mit Mehrlingen gegenüber solchen mit Kindern verschiedenen Alters führen, also zu einer nicht mit Art 3 Abs 1 Grundgesetz (GG) zu vereinbarenden Ungleichbehandlung, da nach dessen Auslegung neben der Erhöhung der Einkommensgrenzen bei Mehrlingen auch noch ein mehrfacher BErzg-Betrag dem Einkommen gegenüber gestellt würde.

Die Begründung der vorinstanzlichen Entscheidung durch einen Verweis auf § 7 BErzGG trage ebenfalls nicht, weil der Anrechnung von Mutterschaftsgeld auf das BErzg ein abweichender Regelungszweck zu Grunde liege. Die Anrechnung des Mutterschaftsgeldes diene der Vermeidung zweckidentischer Doppelleistungen. Dieses Ziel werde bereits durch die einmalige Anrechnung erreicht.

Der Beklagte beantragt,

das Urteil des SG Aachen vom aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Sie hält die Ausführungen im erstinstanzlichen Urteil für zutreffend und führt ergänzend aus: Die Regelung des § 3 Abs 1 Satz 2 BErzGG beziehe sich zwar auf mehrere Kinder, jedoch nicht auf Mehrlinge. Die Verwendung des Wortes "Ansprüche" in dieser Vorschrift spreche dafür, dass es als Anknüpfungspunkt auf "mehrere Geburten" ankomme. Da bei Mehrlingen jedoch nur von einer Geburt auszugehen sei, bestehe insoweit nur ein Anspruch. Die Regelung sei mithin auf diese Fallkonstellation ebenso wenig anzuwenden, wie die von dem Beklagten angeführte Rechtsprechung des BSG einschlägig sei. § 5 Abs 3 Satz 4 BErzGG könne nicht entnommen werden, dass es sich bei Mehrlingen um getrennte Ansprüche handele; die dort geregelte Erhöhung der Einkommensgrenze knüpfe an die Anzahl der Kinder - wörtlich: "jedes weitere Kind" - und nicht an die Geburt an. Die sich aus der Auffassung des SG ergebende Erhöhung der Einkommensgrenze neben einem dem Einkommen gegenüberzustellenden mehrfachen Regelbetrag sei sachlich durch den erhöhten Betreuungsbedarf bei Mehrlingen gerechtfertigt, der nicht mit dem bei größerer Kinderzahl unterschiedlichen Alters vergleichbar sei. Insbesondere treffe der erhöhte Betreuungsaufwand bei Mehrlingsgeburten die Familie unvorbereitet, während dieses bei Kindern unterschiedlichen Alters eine Frage der steuerbaren Familienplanung sei. Die Richtlinienänderung sei allein aus Kostengründen erfolgt, was sich bereits daran zeige, dass die Berechnungsweise des Beklagen gegenüber derjenigen des SG bei einer Drillingsgeburt für die entsprechende Familie ein Minus von ca 400,- € ergebe.

Die Beteiligten haben sich übereinstimmend mit einer Entscheidung des Senats durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (§ 124 Abs 2 Sozialgerichtsgesetz <SGG>).

II

Die Sprungrevision des Beklagten ist zulässig und begründet. Die Klage ist entgegen dem Urteil des SG abzuweisen. Sie richtet sich gegen die Bescheide des Beklagten vom in der Gestalt der Widerspruchsbescheide vom 4. und . Soweit das SG in seinem Urteilsausspruch beide Widerspruchsbescheide auf den datiert, handelt es sich um eine unschädliche Falschbezeichnung. Der Widerspruchsbescheid, der die Leistungen für die Tochter L betrifft, trägt das Datum des . Er ist von der Klägerin mit angefochten worden, wie sich schon daraus ergibt, dass sie eine Ablichtung davon ihrer Klageschrift beigefügt hat. Die so verstandene Klage ist unbegründet, da die Klägerin keinen Anspruch auf BErzg für den 7. bis 12. Lebensmonat der am geborenen Zwillinge N und L F hat. Die angefochtenen Verwaltungsakte des Beklagten sind rechtmäßig.

Die BErzg-Ansprüche des Anspruchsberechtigten iS des § 1 Abs 1 BErzGG (in der hier zu Grunde zu legenden Neufassung vom , BGBl I, 206; vgl § 24 BErzGG) sind auch bei Mehrlingen für jedes Kind einzeln zu zahlen und zu berechnen. Dieses folgt aus § 3 Abs 1 Satz 2 und § 5 BErzGG. Insoweit bestehen auch unter Berücksichtigung der Verwaltungspraxis keine verfassungsrechtlichen Bedenken.

Streitig ist hier lediglich die Höhe der Leistungsansprüche für den 7. bis 12. Lebensmonat der Zwillinge der Klägerin (2. Februar bis ). Der Beklagte hat die Leistungshöhe für beide Kinder insoweit zu Recht mit jeweils 0,- € festgestellt. Entgegen der Auffassung der Klägerin handelt es sich bei dem Erziehungsgeld für Zwillingskinder nicht um einen einheitlichen, sondern zwei getrennte Ansprüche. Daraus folgt, dass der Erziehungsgeldanspruch des Anspruchsberechtigten für jedes Kind einzeln zu berechnen ist.

Nach § 3 Abs 1 Satz 2 BErzGG wird, wenn in einem Haushalt mehrere Kinder betreut und erzogen werden, für jedes Kind Erziehungsgeld gezahlt. Zwar betrifft die Regelung nach deren Wortlaut nur die Zahlung von BErzg, sagt also nicht ausdrücklich, ob es sich dabei um einen einheitlichen Anspruch oder um mehrere gesonderte handelt. Letzteres liegt jedoch nicht nur bei natürlicher Betrachtsweise nahe, sondern lässt sich auch aus der Überschrift zu § 3 BErzGG ("Zusammentreffen von Ansprüchen; Änderung in der Person des Berechtigten") schließen (vgl BGBl I 1989 I, 1551). Jedenfalls differenziert diese Bestimmung - anders als die Klägerin meint - nicht danach, ob die betreuten Kinder gleichen oder unterschiedlichen Alters sind; also nicht danach, ob Geschwisterkinder unterschiedlicher Altersstufen oder Mehrlinge betroffen sind.

Die von Klägerin und SG vertretene Auslegung des § 3 Abs 1 Satz 2 BErzGG widerspricht auch dem in den Gesetzesmaterialien zum Ausdruck kommenden Regelungszweck. In der Begründung zur Einführung des § 3 Abs 1 Satz 2 BErzGG durch Art 1 Nr 3 BErzGG-ÄndG (vom mWv ; BGBl I, 1297) wird ausdrücklich darauf hingewiesen, die Vorschrift betreffe die Fälle, in denen während des Erziehungsgeldbezugs ein weiteres Kind geboren werde, sowie die Geburt von Mehrlingen (BT-Drucks 11/4776 S 3). Der Begründung für die Änderung der bisherigen gesetzlichen Regelung - der Erziehungsgeldanspruch war vorher unabhängig von der Anzahl der Kinder auf 600,- DM begrenzt - kann nicht entnommen werden, für Mehrlinge habe eine eigenständige Regelung geschaffen werden sollen. Das Gegenteil ist der Fall. Die alte Vorschrift war unter sozialpolitischen Gesichtspunkten vielfach kritisiert (vgl Grüner/Dalichau, BErzGG und Sozialgesetzbuch, Stand Oktober 2005, § 3 Anm II 2; Schleicher, BB Beilage 1/1986, 3; Stevens-Bartol, BErzGG, 2. Aufl, § 3 Anm 1), wenn auch durch die Gerichte als verfassungsrechtlich unbedenklich eingestuft worden (vgl BSGE 64, 296 = SozR 7833 § 3 Nr 1; BVerfG SozR 7833 § 3 Nr 2). Vor diesem Hintergrund wird in der Gesetzesbegründung die nunmehr mögliche mehrfache Gewährung von Erziehungsgeld an einen Berechtigten mit dem erhöhten Betreuungsaufwand, insbesondere bei "Mehrlingsgeburten", begründet.

Der alten Regelung lag der Gedanke eines einheitlichen Anspruchs auf BErzg für alle Kinder eines Erziehungsgeldberechtigten zu Grunde, von dem sich der Gesetzgeber mit der Neuregelung des § 3 Abs 1 Satz 2 BErzGG abgewandt hat (BT-Drucks 10/3926 S 2, zu § 3 Abs 1 Satz 2). Hieraus folgt, dass die mögliche mehrfache Erziehungsgeldgewährung an einen Leistungsempfänger auch nicht mehr auf Grund eines einheitlichen Anspruchs für alle bei der Berechnung zu berücksichtigenden Kinder, sondern auf Grund mehrfacher, also für jedes Kind einzeln zu berechnender Ansprüche erfolgt (vgl insoweit BSG SozR 3-7833 § 5 Nr 5, S 18 f; s auch Zmarzlik/Zipperer/Viethen, Mutterschutzgesetz, Mutterschaftsleistungen, BErzGG, 8. Aufl, 1999, § 3 RdNr 4; Buchner/Becker, Mutterschutzgesetz und Erziehungsgeldgesetz, 7. Aufl, 2003, § 3 RdNr 1; aA Behn, Versorgungsverwaltung 1994, 36, 38).

Soweit sich die Klägerin zur Begründung ihres Begehrens darauf beruft, Zwillinge würden in einer Geburt zur Welt gebracht, und hieraus folgert, es handele sich mithin auch nur um einen Erziehungsgeldanspruch für beide Kinder, sodass § 3 Abs 1 Satz 2 BErzGG überhaupt nicht zur Anwendung gelange, vermag der Senat dem ebenfalls nicht zu folgen. Dem Tatbestandsmerkmal der Geburt kommt weder für die Zahlung dem Grund nach, noch für die Berechnung der Höhe des BErzg eine konstituierende Bedeutung zu. Zutreffend weist der Beklagte darauf hin, dass die Geburt zwar die notwendige Bedingung (conditio sine qua non) für den Bezug von Erziehungsgeldleistungen sei. Sie habe jedoch nur insoweit Einfluss, als ohne Geburt ein Anspruch nicht ausgelöst werde und der Zeitpunkt der Geburt den Beginn und die Dauer des möglichen Leistungszeitraumes (§ 4 Abs 1 Satz 1 BErzGG), das für die Berechnung maßgebliche Einkommen (§ 6 Abs 2 BErzGG) und ggf die anzuwendende Gesetzesfassung (§ 24 BErzGG) bestimme. Zu diesen Punkten besteht im vorliegenden Fall kein Streit. Insbesondere wird der Erziehungsgeldanspruch dem Grunde nach nicht in Frage gestellt. Der Senat gibt zudem zu bedenken, dass es sich bei Zwillingen zwar um gleichzeitig entwickelte, doch kurz nacheinander geborene Menschen handelt (vgl Pschyrembel, Klinisches Wörterbuch, 259. Aufl, S 1824; Knörr/Knörr-Gärtner/Beller/Lauritzen, Lehrbuch der Geburtshilfe und Gynäkologie, 2. Aufl, 1982, S 347, bei denen von den jeweiligen Geburten der Zwillingskinder die Rede ist), die sich bezüglich ihrer physischen und psychischen Merkmale sogar sehr deutlich voneinander unterscheiden können (vgl Zwillingsforschung in www.wikipedia.de, Stichwort "Zwillinge"). Der Beklagte wendet zudem zutreffend ein, auch bei Mehrlingen gebe es keinen identischen Zeitpunkt der Geburt.

Auf dieser Grundlage ergibt sich im vorliegenden Fall unter Berücksichtigung des Einkommens der Eltern der Kinder ab dem 7. Lebensmonat kein Anspruch auf BErzg. Es gilt folgende Berechnung: Die Einkommensgrenze, bis zu der BErzg in voller Höhe (300,- €/Monat) gezahlt wird, setzt sich zusammen aus dem Grundbetrag (§ 5 Abs 3 Satz 3 BErzGG), der vom Beginn des 7. Lebensmonats bei nicht dauernd getrennt lebenden Ehegatten 16.500,- € beträgt, und einem Erhöhungsbetrag (§ 5 Abs 3 Satz 4 BErzGG) von 3.140,- € für jedes weitere Kind (hier also im Falle von N für L und umgekehrt), liegt also für die Klägerin bei 19.640,- €. Dem steht ein Einkommen der Ehegatten nach § 6 BErzGG in Höhe von 39.053,- € abzüglich der Werbungskosten - laut Einkommensteuerbescheid - in Höhe von 3.932,- € (= 35.121,- €) gegenüber. Nach einem hiervon vorgenommenen Pauschalabzug von 24 % ergibt sich ein Einkommen der Ehegatten von 26.691,96 €, das die Einkommensgrenze (19.640,- €) um 7.051,96 € übersteigt. Gemäß § 5 Abs 4 BErzGG verringert sich in solch einem Fall der Regelbetrag des BErzg um 5,2 % des über der Grenze liegenden Einkommens. Da sich hier ein Kürzungsbetrag von 366,70 € (5,2 % von 7.051,96 €) errechnet, der größer ist als der Regelbetrag für ein Kind (300,- €), verbleiben der Klägerin für ihre Zwillingskinder keine Zahlungsansprüche auf BErzg.

Die von der Klägerin bevorzugte Berechnungsweise steht nicht in Übereinstimmung mit den Regelungen §§ 3 und 5 BErzGG. Sie begehrt eine Verdoppelung des Regelbetrags iS des § 5 Abs 1 Satz 1 Nr 2 BErzGG (2 x 300,- € = 600,- €), der dem Kürzungsbetrag von 366,70 € gegenüberzustellen sei, sodass sich im konkreten Fall ein gerundeter monatlicher BErzg-Betrag von 233,- € für den 7. bis 12. Lebensmonat der beiden Kinder ergebe. Dem steht schon die Verpflichtung zur gesonderten Zahlung von BErzg für jedes Kind nach § 3 Abs 1 Satz 2 BErzGG entgegen. Auch § 5 Abs 4 BErzGG bietet keine Anhaltspunkte dafür, dass bei der Berechnung der Minderung des BErzg im Falle einer Einkommensüberschreitung bei Zwillingskindern von einem doppelten Regelsatz auszugehen sein könnte.

Dem Anliegen der Klägerin ist auch nicht dadurch Rechnung zu tragen, dass der Minderungsbetrag, vergleichbar dem Verfahren bei der Anrechnung von Mutterschaftsgeld, bezogen auf gleichzeitig bestehende BErzg-Ansprüche (hier zweimal 300,- €) nur insgesamt einmal zu Buche schlagen dürfte. Nach Anrechnung auf den ersten Erziehungsgeldanspruch würde von dem Minderungsbetrag von 366,70 € nur ein Rest von 66,70 € verbleiben (300,- € - 366,70 € = 66,70 €), der dann zu einer entsprechend geringeren Kürzung des zweiten Erziehungsgeldanspruchs führen würde (300,- € - 66,70 € = gerundet 233,- €). Auf diese Weise erhielte die Klägerin nur für ein Kind kein BErzg, für das andere jedoch die beanspruchte Summe von 233,- €/Monat. Eine solche Vorgehensweise findet weder im Wortlaut des § 5 Abs 4 BErzGG, noch im Sinn und Zweck der Gesamtregelung einen Anknüpfungspunkt.

Nach § 5 Abs 4 Satz 2 BErzGG wird der Regelbetrag um 5, 2 % des Einkommens verringert, das die in Abs 3 Satz 3 und 4 geregelten Grenzen übersteigt. Eine Differenzierung danach, dass im Falle des Zusammentreffens von BErzg-Ansprüchen die Minderung nur einmal zu erfolgen habe, kann diesem Wortlaut nicht entnommen werden. Eine entsprechende Regelung wäre im Hinblick auf § 3 Abs 1 Satz 2 BErzGG jedoch erforderlich gewesen, denn danach sollen getrennte Ansprüche zur Auszahlung gelangen, die auch im Hinblick auf die Berechnung selbstständig neben einander stehen.

Soweit die Klägerin dagegen einwendet, bei dem gesonderten Erziehungsgeldanspruch für jedes Kind werde das Familieneinkommen der Berechnung zweimal zu Grunde gelegt, obwohl es nur einmal verbraucht werden könne, ist dem entgegen zu halten, dass es sich insoweit nicht im engeren Sinne um die Anrechnung von Einkommen auf Sozialleistungsansprüche handelt. Hierzu hat die bisherige Rechtsprechung auch bereits Stellung genommen; der Senat schließt sich den einschlägigen Ausführungen des 14. Senats des BSG in der Entscheidung vom (SozR 3-7833 § 5 Nr 5) an. Dort wird ausgeführt (aaO S 19 f): Es handele sich im strengen Sinne nicht um eine "Anrechnung" von Einkommen - wie etwa in § 7 BErzGG. Eine Anrechnung von Leistungen erfolge dann, wenn diese im Wesentlichen den gleichen Zweck verfolgten, und diene der Verhinderung von Doppelleistungen für einen bestimmten Bedarf. Daraus folge, dass sie auch nur einmal vorgenommen werden könne, weil bereits dadurch die Doppelversorgung verhindert sei. Im BErzg-Recht werde aber Elterneinkommen nicht deshalb "angerechnet", weil es denselben Zweck verfolge wie das BErzg; vielmehr werde es allein zur Feststellung herangezogen, inwieweit die Familie unter sozialen Gesichtspunkten auf die Zahlung von BErzg angewiesen sei. Der Gesetzgeber habe dies bei Familien mit Einkommen bis zu den jeweiligen Einkommensgrenzen voll bejaht, bei deutlicher Überschreitung dieser Grenzen verneint sowie zur Vermeidung von Härten bei den dazwischen liegenden Einkommen ein stufenweise gemindertes BErzg vorgesehen. Dem Gesichtspunkt, dass der Finanzbedarf einer Familie mit mehreren Kindern höher sei, habe er durch die Berücksichtigung von Kinderfreibeträgen (Erhöhungsbeträgen) Rechnung getragen; dabei seien auch solche Kinder einzubeziehen, für die ebenfalls Anspruch auf BErzg bestehe. Die Höhe des Kinderfreibetrages pro Kind stehe - wie auch im vorliegenden Fall - nicht im Streit und unterliege verfassungsrechtlich auch weniger strengen Maßstäben, weil die Sozialleistung BErzg nicht durch eigene Arbeit oder Beiträge erwirtschaftet sei und weder der existentiellen Sicherung, wie die Sozialhilfe, noch dem Ausgleich der steuerlichen Freistellung des Existenzminimums, wie das Kindergeld, diene (vgl BVerfGE 87, 153 und 82, 60, 78).

Aus den Richtlinien des BMFSFJ zur Durchführung des BErzGG kann die Klägerin einem Anspruch auf die von ihr gewünschte Berechnungsweise und den begehrten Zahlbetrag an BErzg ebenfalls nicht herleiten. Die zwischen 1994 und geltenden Richtlinien aF bestimmten zu § 5 BErzGG unter Ziff 1.4 zwar: "Bei Mehrlingen besteht ein einheitlicher Anspruch auf Erziehungsgeld". Die hierin zum Ausdruck kommende Rechtsauffassung stand jedoch nicht in Übereinstimmung mit der seit 1989 geltenden Rechtslage. Eine entsprechende Korrektur erfolgte durch die Neufassung der Richtlinien (nF) für Geburten ab . Hier ist nunmehr unter Ziffer 5.4.3 geregelt: "Ein Anspruch auf Erziehungsgeld besteht für jedes Kind, das betreut wird. Bei Mehrlingen bestehen damit gleichzeitig mehrere eigenständige Ansprüche auf Erziehungsgeld. Das Erziehungsgeld wird bei jedem Mehrling ab dem 7. Lebensmonat um die Minderungsquote nach § 5 Abs 4 Satz 2 gemindert, wenn die maßgeblichen Einkommensgrenzen überschritten werden." Unabhängig vom Zeitpunkt der Änderung und ggf weiteren Überlegungen, wie beispielsweise Kostengesichtspunkten, ist diese Änderung rechtlich nicht zu beanstanden. Bei einer zeitlich unbeschränkten Verwaltungsverordnung (Richtlinie) hat die Behörde jederzeit das Recht, diese auf Grund neuer Überlegungen mit Wirkung für die Zukunft zu ändern (BVerwGE 35, 159, 163); zumindest dann, wenn es sich um sachliche Erwägungen - wie hier der Anpassung an die gesetzliche Vorgabe - handelt (vgl Kommentar zum GG der BRD, AK-GG, Hrsg Denninger ua, Bearb Stein, 3. Aufl, Stand August 2002, Art 3 RdNr 66)

Soweit sich die Klägerin als Grundlage der von ihr angestrebten Berechnung auf die Richtlinien aF beruft, macht sie letztendlich geltend, gegenüber denjenigen Anspruchsberechtigten, deren Anspruch auf Grund einer Geburt des Kindes vor dem nach Maßgabe der Richtlinien aF erfüllt worden ist, durch die für sie nunmehr geltende neue Fassung benachteiligt zu werden. Hiermit kann sie jedoch nicht zum Erfolg gelangen. Da die Richtlinien aF der Gesetzeslage widersprachen, vermögen sie keine Wirkung iS des Begehrens nach Gleichhandlung auszulösen. Der Gleichheitssatz verlangt keine rechtswidrige Begünstigung; es gibt kein Recht auf Fehlerwiederholung (vgl hierzu Dreier, Grundgesetz Kommentar, Bearb Heun, 1996, Art 3 RdNr 52; Schmidt-Bleibtreu, Kommentar zum GG, Bearb Kannengießer, 10. Aufl, 2004, Art 2 RdNr 46; BVerwGE 92, 153, 157, mwN).

Der Beklagte weist zudem zu Recht darauf hin, dass die von der Klägerin begehrte Berechnungsweise eine nicht zu rechtfertigende Ungleichbehandlung der Betreuenden und Erziehenden von Kindern unterschiedlichen Alters, für die als Geschwisterkinder BErzg gezahlt werde, und denen von Mehrlingen nach sich ziehe. Nach den Vorstellungen der Klägerin soll die Berücksichtigung des doppelten Regelbetrags nur bei Mehrlingen, nicht jedoch bei anderen Geschwisterkindern erfolgen. Sie begründet dieses mit dem erhöhten Arbeits- und finanziellen Aufwand, der Eltern von Mehrlingen zudem unvorbereitet treffe. Diese Erwägung vermag nicht zu überzeugen. Die gesetzliche Neuregelung (§ 3 Abs 1 Satz 2 idF des BErzGG-ÄndG vom ) sollte nicht dem finanziellen Mehraufwand für die Betreuung mehrerer Kinder Rechnung tragen, sondern dem erhöhten Betreuungsaufwand. Dieser ist jedoch im Wesentlichen ideeller Natur und unabhängig davon, welchen Altersabstand die Kinder haben, für die der Erziehungsberechtigte Leistungen erhält. Die Argumentation der Klägerin schlüge zudem bereits dann fehl, wenn neben dem eigenen, ein gleichaltriges Pflegekind in dem Haushalt aufgenommen würde und für beide Kinder BErzg-Anspruch bestünde.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Fundstelle(n):
OAAAC-14579