BSG Urteil v. - B 1 KR 5/02 R

Leitsatz

Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.

Gesetze: SGB V § 18; SGG § 103; SGG § 128

Instanzenzug:

Gründe

I

Die Beteiligten streiten um die Erstattung der Kosten für eine in den USA durchgeführte Nierentransplantation.

Bei dem 1948 geborenen, bei der beklagten Ersatzkasse freiwillig versicherten Kläger wurde Mitte 1996 eine erblich bedingte dialysepflichtige Niereninsuffizienz festgestellt. Unter Vorlage von Kostenvoranschlägen beantragte er in der Folgezeit die Übernahme der Kosten für eine in den USA durchzuführende Nierentransplantation, wo die Wartezeit auf ein Spenderorgan erheblich kürzer sei als in Deutschland. Nach Einholung einer Stellungnahme des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (MDK) lehnte die Beklagte den Antrag wegen der Möglichkeit einer Inlandsbehandlung ab (Bescheide vom 25. Februar und ; Widerspruchsbescheid vom ).

Während des dagegen eingeleiteten Klageverfahrens wurde dem Kläger im August 1998 in den USA die Niere eines verstorbenen Spenders implantiert. Die ihm dafür entstandenen Gesamtkosten bezifferte er mit 265.007,53 DM; davon habe ihm eine private Zusatzversicherung 40.000 DM erstattet.

Die Klage ist in den Vorinstanzen ohne Erfolg geblieben. Nach Vernehmung des MDK-Arztes Dr. H. (Internist und Nephrologe) hat das Sozialgericht die Klage unter Hinweis auf die Ausführungen des sachverständigen Zeugen als unbegründet abgewiesen (Urteil vom ). Die dagegen gerichtete Berufung hat das Landessozialgericht (LSG) zurückgewiesen: Die Voraussetzungen für einen Kostenerstattungsanspruch des Klägers nach dem allein dafür in Betracht kommenden § 18 Abs 1 Satz 1 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) seien nicht erfüllt. Zwar könne angenommen werden, dass die abstrakte statistische Wartezeit auf ein Spenderorgan in den USA kürzer gewesen sei als in Deutschland. Sie habe für Patienten der Blutgruppe des Klägers in den USA 1997 etwa zwei Jahre betragen, während sie im Bereich des mitteleuropäischen Organspenden-Verteilungssystems "Eurotransplant" 1995 bei ca 4,5 Jahren und 1999 bei ca sechs Jahren gelegen habe. Ausgehend von dieser durchschnittlichen Wartezeit für eine Inlandsbehandlung habe bei dem Kläger keine medizinische Notwendigkeit für eine frühere Transplantation bestanden, da er während der Wartezeit in Deutschland per Dialyse ausreichend habe behandelt werden können. Sein Vortrag, dass eine besondere psychische Belastung die sofortige Transplantation erforderlich gemacht habe, führe zu keinem anderen Ergebnis. Die Dialysepflicht und -abhängigkeit stelle für jeden Patienten eine psychische und physische Belastung dar, die auch nach einer erfolgreichen Transplantation in Form einer lebenslangen Abhängigkeit von Medikamenten und Anfälligkeiten für Infektionskrankheiten bestehen bleibe. Insoweit habe der Kläger weder dargelegt noch bewiesen, dass die Transplantation bei ihm die einzig lebenserhaltende Behandlungsmöglichkeit gewesen sei (Urteil vom ).

Mit der vom LSG zugelassenen Revision verfolgt der Kläger sein Begehren weiter. Er rügt eine Verletzung des § 18 SGB V sowie der §§ 103, 128 Sozialgerichtsgesetz (SGG). Die in den USA durchgeführte Nierentransplantation sei einer in Deutschland erst nach mehreren Jahren Dialyse verfügbar gewesenen Transplantation eindeutig überlegen und stelle im Gegensatz zur symptomatischen Dialyse-Behandlung letztlich eine kausale Therapie dar. Die frühzeitige Nierentransplantation habe zudem die Chance geboten, seine Arbeitsfähigkeit schneller wiederherzustellen. Neben dem Nierenleiden habe er auch an einer schweren Depression gelitten, die ihren Ursprung in der familiären Belastung mit entsprechenden Nierenerkrankungen gehabt habe; 1980 bzw 1982 seien seine Mutter und sein Bruder im Zusammenhang mit Dialysebehandlungen verstorben. Das LSG sei auch verpflichtet gewesen, Beweis darüber zu erheben, dass seine 1997/1998 vorhanden gewesene Depression die baldige Transplantation erfordert habe; dabei hätte die bei ihm bestehende Suizidgefahr mitberücksichtigt werden müssen. Weiterhin habe es der Ermittlung der konkreten Wartezeit auf eine Spenderniere in diesen Jahren bedurft; die realistische Wartedauer habe seinerzeit mehr als vier Jahre betragen und sei ihm wegen seiner schweren Depression nicht zuzumuten gewesen.

Der Kläger beantragt,

die Urteile des Hessischen Landessozialgerichts vom und des Sozialgerichts Darmstadt vom aufzuheben sowie die Beklagte unter Aufhebung ihrer Bescheide vom 25. Februar und in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom zu verurteilen, ihm (225.007,53 DM =) 115.044,52 EUR zu erstatten,

hilfsweise,

die Beklagte zu verurteilen, ihn unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats neu zu bescheiden.

Die Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Sie verteidigt die angefochtenen Entscheidungen.

II

Die zulässige Revision des Klägers ist unbegründet. Die Vorinstanzen haben zutreffend entschieden, dass er von der beklagten Ersatzkasse keine Kostenerstattung für die im August 1998 in den USA durchgeführte Transplantation der Niere eines verstorbenen Spenders beanspruchen kann.

Als Anspruchsgrundlage dafür kommt nur § 18 Abs 1 Satz 1 SGB V in Betracht. Nach § 16 Abs 1 Nr 1 SGB V ruht der Anspruch auf Leistungen, solange Versicherte sich im Ausland aufhalten. Nichts anderes ergibt sich aus dem Abkommensrecht. Das zwischen der Bundesrepublik Deutschland und den USA geschlossene Sozialversicherungsabkommen (vom - BGBl II 1358 - idF der Zusatzabkommen vom - BGBl II 1988, 83 - und vom - BGBl II 1996, 302) betrifft nach seinem Art 2 keine Rechtsvorschriften des Leistungsrechts der gesetzlichen Krankenversicherung (KV).

Nach § 18 Abs 1 SGB V (in der hier anzuwendenden, von 1993 bis Ende 2003 geltenden Fassung des Gesundheitsstrukturgesetzes vom - BGBl I 2266) kann eine Krankenkasse die Kosten einer erforderlichen Behandlung (Abs 1 Satz 1) sowie weitere Kosten des Versicherten und Kosten für eine erforderliche Begleitperson (Abs 2) ganz oder teilweise übernehmen, wenn eine dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entsprechende Behandlung einer Krankheit "nur im Ausland möglich" ist.

Der Kostenerstattungsanspruch des Klägers nach § 18 Abs 1 Satz 1 SGB V scheitert nicht daran, dass ein Versicherter vor Durchführung der Auslandsbehandlung bei seiner Krankenkasse die Kostenübernahme beantragen und ihr Gelegenheit zur Prüfung geben und deren Entscheidung abwarten muss (vgl dazu Urteil des Senats vom - B 1 KR 34/01 R - Petö, zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen); denn der Kläger hat die Nierentransplantation erst während des laufenden sozialgerichtlichen Verfahrens durchführen lassen, nachdem die abschlägigen Bescheide der Beklagten bereits ergangen waren. Ob eine Kostenerstattung weiter voraussetzt, dass der Betroffene der Krankenkasse eine vertragsärztliche Verordnung für die Auslandsbehandlung vorlegt (für dieses Erfordernis zB LSG Berlin NZS 1997, 519, 520; Noftz in: Hauck/Noftz, SGB V, K 18 RdNr 19, Stand Juni 1999; R. Wagner in: Krauskopf, Soziale KV - Pflegeversicherung, Stand November 1998, § 18 SGB V RdNr 4) und ob dies hier der Fall war, kann offen bleiben. Das Kostenerstattungsbegehren des Klägers ist jedenfalls aus anderen Gründen erfolglos.

§ 18 Abs 1 Satz 1 SGB V gewährt dem Versicherten nur dann einen in das Ermessen der Krankenkasse gestellten Anspruch auf Kostenübernahme, wenn die in Aussicht genommene Behandlung einer Krankheit dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entspricht und darüber hinaus - kumulativ (vgl BSGE 84, 90, 91 = SozR 3-2500 § 18 Nr 4 S 13 - Kozijavkin I) - nur im Ausland möglich ist. Die erste Voraussetzung ist hier erfüllt; es besteht in medizinischer Hinsicht Konsens darüber, dass die Transplantation der Niere eines verstorbenen Spenders allgemein eine geeignete therapeutische Maßnahme zum Ausgleich der beim Empfänger des Spenderorgans ausgefallenen Nierenfunktion ist. Ein Anspruch des Klägers scheitert jedoch daran, dass eine qualitativ gleichwertige und unter zumutbaren Bedingungen verfügbare Behandlungsmöglichkeit im Inland bestand.

Als Bestimmung, die eine Krankenbehandlung ausnahmsweise auch im (Nichtvertrags-) Ausland zulässt, ist § 18 Abs 1 SGB V eng auszulegen. Er ermöglicht es zwar, dass Versicherten bei etwaigen Versorgungsdefiziten in Deutschland eine Behandlung zuteil wird, soll aber andererseits der Gefahr des "Gesundheitstourismus" vorbeugen und hat - ausgestaltet als Ermessensleistung - im Blick, eine finanzielle Überforderung der Krankenkassen zu vermeiden (so BSGE 84, 90, 92 f = SozR 3-2500 § 18 Nr 4 S 15 unter Hinweis auf BT-Drucks 11/2237 S 166). Nach dem Wortlaut des § 18 Abs 1 Satz 1 SGB V und seinen Gesetzesmaterialien ist die Kostenübernahme allerdings nicht darauf beschränkt, dass eine konkrete medizinische Behandlungsmaßnahme im Inland überhaupt nicht zu erlangen ist. Umfasst davon ist ebenso die Fallgestaltung, dass eine Behandlung zwar im Inland mit den hier verfügbaren personellen und sächlichen Mitteln erfolgen kann, der im Ausland praktizierten anderen Methode jedoch ein qualitativer Vorrang gegenüber den in Deutschland angewandten Methoden gebührt. Solches hat der Senat zB erwogen, wenn eine Krankheit im Inland nur symptomatisch behandelt werden kann, während im Ausland eine kausale, die Krankheitsursache beseitigende Therapie angeboten wird, die begehrte Behandlung der Inlandsbehandlung also aus medizinischen Gründen "eindeutig überlegen" ist; nicht notwendig ist eine Auslandsbehandlung dagegen, wenn im Inland gleich oder ähnlich wirksame und damit zumutbare Behandlungsalternativen zur Verfügung stehen (vgl BSGE 84, 90, 93 = SozR 3-2500 § 18 Nr 4 S 15; BSG SozR 3-2500 § 18 Nr 6 S 27 - Kozijavkin II). Darüber hinaus ist § 18 Abs 1 SGB V auch einschlägig, wenn eine Behandlung im Inland zwar grundsätzlich möglich ist, aus Kapazitätsgründen und dadurch bedingte Wartezeiten aber nicht rechtzeitig erfolgen kann (BSGE 84, 90, 92 = SozR 3-2500 § 18 Nr 4 S 14 mwN; BSG SozR 3-2500 § 18 Nr 6 S 27). Auch einer Kostenübernahme für die zu einem früheren Zeitpunkt mögliche Behandlung im Ausland sind indessen Grenzen gesetzt. So wird die Anwendbarkeit schon in der Gesetzesbegründung zu § 18 Abs 1 SGB V darauf beschränkt, dass die früher als im Inland mögliche Auslandsbehandlung "aus medizinischen Gründen unbedingt erforderlich" ist (so BT-Drucks 11/2237 S 166).

Eine in den USA 1998 vorgenommene Nierentransplantation ist im beschriebenen Sinne keine Behandlungsmethode, die in der Zeit nach der ärztlichen Feststellung der dialysepflichtigen Niereninsuffizienz des Klägers nicht auch allgemein in Deutschland verfügbar gewesen wäre. Es handelt sich vielmehr um eine Therapie, die einer im Inland ebenso in Betracht gekommenen Transplantation gleichartig und gleichwertig war und bei Beginn der Behandlungsbedürftigkeit (nur) rein statistisch gesehen bereits zu einem früheren Zeitpunkt durchführbar erschien. Da die sich im Inland wie im Ausland ergebende Zeit des Wartens auf ein geeignetes Spenderorgan zunächst mit laufender Dialysebehandlung (seit Mai 1997) überbrückt werden musste, lag ein qualitatives Versorgungsdefizit nicht vor.

Auch das Vorliegen eines quantitativen Versorgungsdefizits in Deutschland ist in Bezug auf Nierentransplantationen zweifelhaft, weil der Vergleich der vom LSG mitgeteilten abstrakten Wartezeiten für diese Beurteilung nur beschränkte Aussagekraft besitzt (vgl BSGE 84, 90, 95 = SozR 3-2500 § 18 Nr 4 S 17; BSG SozR 3-2500 § 18 Nr 6 S 27). Selbst wenn man aber von einem solchen Defizit ausgeht, folgt daraus nicht schon, dass die beklagte Ersatzkasse gehalten war, eine dem Kläger günstige Entscheidung über die Kosten seiner Auslandsbehandlung zu treffen. Denn eine dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entsprechende und den medizinischen Fortschritt berücksichtigende Behandlung seiner Niereninsuffizienz (vgl § 2 Abs 1 Satz 3 SGB V) war entgegen § 18 Abs 1 SGB V nicht "nur im Ausland möglich". Die sich in Deutschland ergebende längere Wartezeit auf ein geeignetes Spenderorgan konnte mit einer Dialysebehandlung überbrückt werden, die ebenfalls dem allgemein anerkannten medizinischen Standard entspricht. Die Auslegung des § 18 SGB V ergibt in Verbindung mit den vom LSG zum Gesundheitszustand des Klägers getroffenen Feststellungen, dass die gesetzlichen Voraussetzungen für eine Übernahme der Kosten der Nierentransplantation in den USA nicht erfüllt sind, obwohl die Wartezeit dort kürzer war.

Die Ermöglichung von Behandlungen außerhalb Deutschlands durch § 18 SGB V führt schon nach der bisherigen Rechtsprechung nicht dazu, dass allgemeine Prinzipien des Leistungsrechts außer Kraft gesetzt werden. So gilt zB auch für eine Auslandsbehandlung das Erfordernis, dass die Behandlung dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse - im Sinne eines medizinischen Konsenses über die Zweckmäßigkeit der Therapie - entsprechen muss (BSGE 84, 90, 96 f = SozR 3-2500 § 18 Nr 4 S 18 f mwN; SozR 3-2500 § 18 Nr 6 S 23; vgl auch Urteil des Senats vom - B 1 KR 34/01 R, zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen) und dass das Wirtschaftlichkeitsgebot (§ 2 Abs 1 Satz 3, § 12, § 70 Abs 1 SGB V) beachtet wird (BSGE 84, 90, 93 f = SozR 3-2500 § 18 Nr 4 S 15 f; vgl bereits BSG - 6. Senat - SozR 5520 § 29 Nr 3 S 8 f). Über § 18 Abs 1 SGB V sind ebenso die Kosten einer wegen ethisch-moralischer Bedenken in Deutschland unzulässigen Behandlung nicht erstattungsfähig (vgl zur Beschaffung von Organen zum Zwecke der Transplantation unter Lebenden BSGE 79, 53 = SozR 3-2500 § 27 Nr 7, BSG SozR 3-2500 § 18 Nr 2 sowie , S 8 des Umdrucks, zur Veröffentlichung in BSGE und SozR vorgesehen). Gleiches gilt in Bezug auf eine Behandlung, für die im Inland aus Gründen des Gesundheitsschutzes eine stationäre Aufnahme vorgeschrieben ist (BSGE 89, 34 = SozR 3-2500 § 18 Nr 8 - ambulante Radio-Jod-Therapie).

Krankenkassen schulden ihren Versicherten auch bei einer Auslandsbehandlung mithin keine Versorgung, die alle dort bestehenden Behandlungsmöglichkeiten bis an ihre medizinisch-technischen Grenzen um jeden Preis ausschöpft. Den Versicherten steht bei der Inanspruchnahme medizinischer Leistungen außerhalb Deutschlands regelmäßig (nur) eine bedarfsgerechte Versorgung zu, die ebenso an die Grundsätze der Wirtschaftlichkeit und Notwendigkeit gebunden ist wie der Behandlungsanspruch im Inland (§ 12 Abs 1 SGB V). Wie sich zusätzlich aus § 70 Abs 1 Satz 1 SGB V ergibt, ist daneben auf eine gleichmäßige Versorgung zu achten, was durch den verfassungsrechtlichen allgemeinen Gleichheitssatz bestärkt wird. Art 3 Abs 1 Grundgesetz (GG) begründet die verfassungsrechtliche Pflicht, die Versicherten bei der Versorgung mit Leistungen auch in bestehenden Mangelsituationen nicht willkürlich ungleich zu behandeln (vgl zB BVerfGE 33, 303, 345 ff; 43, 291, 314 ff; 59, 1, 21 ff). Vor diesem Hintergrund erlangt im zu entscheidenden Fall das am in Kraft getretene "Gesetz über die Spende, Entnahme und Übertragung von Organen - Transplantationsgesetz" (TPG) vom (BGBl I 2631) besondere Bedeutung. Dieses Gesetz wurde ua in der Erkenntnis geschaffen, dass Spenderorgane nicht in ausreichender Zahl zur Verfügung stehen und nur begrenzt vermehrbar sind und dass sich daraus zahlreiche Probleme im Zusammenhang mit der Versorgung von Behandlungsbedürftigen mit diesen Organen ergeben können (vgl dazu zB die Beiträge in: Nagel/Fuchs, Soziale Gerechtigkeit im Gesundheitswesen - Ökonomische, ethische, rechtliche Fragen am Beispiel der Transplantationsmedizin, 1993, sowie in: Meuter/Lachmann, Zur Gerechtigkeit der Organverteilung, 1997; Conrads, MedR 1996, 300 ff; ferner: Schutzeichel, Geschenk oder Ware? Das begehrte Gut Organ - Nierentransplantation in einem hochregulierten Markt, 2002). So befanden sich nach der "Eurotransplant"-Statistik des Jahres 1998, dem Jahr der Transplantation des Klägers, in Deutschland 9.067 Patienten auf der Warteliste für eine Nierenspende, während hier nur 1.997 Nieren von Verstorbenen transplantiert wurden (vgl www.eurotransplant.nl/statistics/zfl_d98.htm, im Internet recherchiert am ). Das TPG verfolgt das Ziel, die Voraussetzungen für die Spende und Entnahme menschlicher Organe zum Zwecke der Transplantation rechtssicher zu regeln (vgl BT-Drucks 13/4355 S 1 und S 14 f) und stellt dazu in seinem § 12 verbindliche Regeln über die Organvermittlung auf. Nach § 12 Abs 3 TPG sind die vermittlungspflichtigen menschlichen Organe von einer Vermittlungsstelle nach Regeln zu vermitteln, die dem Stand der medizinischen Wissenschaft entsprechen, insbesondere nach Erfolgsaussicht und Dringlichkeit; diese Vermittlungsstelle kann - wie die im niederländischen Leiden ansässige "Eurotransplant International Foundation" - auch eine international tätige Einrichtung außerhalb Deutschlands sein (§ 12 Abs 2 TPG). Der hierin zum Ausdruck kommende Gesichtspunkt der Chancengleichheit bei der Möglichkeit zur Erlangung eines Spenderorgans (vgl BT-Drucks 13/4355 S 26 zu § 11 Abs 3 des Entwurfs; Klinkhammer, DÄBl 1998, A-1503 f) wird weiter konkretisiert durch die auf der Grundlage des § 16 TPG von der Bundesärztekammer erlassenen Richtlinien über die Organvermittlung zur Nierentransplantation (erstmals idF vom , DÄ 2000, C-322, zuletzt idF vom ). Die Richtlinien stellen einen Kriterienkatalog auf, der die schon in der Gesetzesbegründung zu § 12 Abs 3 TPG geforderte angemessene Gewichtung der maßgeblichen Umstände vornimmt und dabei die bereits verstrichene Wartezeit sowie eingetretene bzw absehbare zusätzliche gesundheitliche Belastungen einbezieht (BT-Drucks 13/4355, ebenda). In den Richtlinien werden neben dem medizinischen Gesichtspunkt der Blutgruppenkompatibilität der Grad der Gewebeverträglichkeit (sog HLA-Merkmale, zu 40 %), die Mismatch-Wahrscheinlichkeit (10 %), die Wartezeit (zu 30 %) und die Konservierungszeit des Spenderorgans (20 %) prozentual gewichtet; für bestimmte Patientengruppen (zB Kinder) sind Abweichungen und Bonus-Vergaben vorgesehen (vgl im Einzelnen zB Schreiber/Haverich, DÄBl 2000, A-385). Bedeutsam ist bei alledem unter dem Blickwinkel des Leistungsrechts der gesetzlichen KV, dass damit unter Gleichbehandlungsgesichtspunkten sachliche Kriterien für eine möglichst gleichmäßige Vergabepraxis geschaffen worden sind. Mit dieser Ausgestaltung wird weitgehend erreicht, dass die Chancen auf eine Transplantation insbesondere von Wohnort, sozialem Status, finanzieller Situation und der Meldung bei einem bestimmten Transplantationszentrum unabhängig sind, wie dies inzwischen die Richtlinien der Bundesärztekammer idF vom (unter I. Nr 7 letzter Satz) ausdrücklich verlangen.

Mit dem Vorhalten dieses Vergabesystems und den dafür geltenden allgemeinen Regelungen wird bezogen auf den Bereich der Transplantation anonymer Spenderorgane das Merkmal der krankenversicherungsrechtlichen Notwendigkeit in zulässiger Weise konkretisiert. Die durch das TPG vorgenommenen, trotz des Mangels an Spenderorganen (auch) die Gleichbehandlung aller Versicherten der KV gewährleistenden Wertungen führen dazu, dass ein Versicherter, der das im Einzelnen austarierte inländische, um den "Eurotransplant"-Vergabepool auf Belgien, die Niederlande, Luxemburg, Österreich und (seit ) Slowenien erweiterte Verteilungssystem verlässt und sich im vertragslosen Ausland auf eigene Kosten ein Spenderorgan verschafft, diese Kosten von den Krankenkassen grundsätzlich nicht erstattet bekommen kann. Dies gilt insbesondere unter dem Blickwinkel, dass das Fehlen einer ausreichenden Zahl transplantationsgeeigneter Spenderorgane kein nur nationales, sondern ein international auftretendes Problem ist. So gibt es gerade in den vom Kläger zwecks Beschaffung einer Niere aufgesuchten USA gleichermaßen ein Wartelistensystem für Bewerber um eine Spenderniere (vgl dazu Erklärung des US-amerikanischen "United Network for Organ Sharing" - UNOS - von 1994, abgedruckt in Meuter/Lachmann, aaO, S 139 ff; Conrads, MedR 1996, 300, 304 ff). In dieser Situation würde eine am Gleichheitssatz und an der medizinischen Erforderlichkeit orientierte Verteilung unmöglich gemacht, wenn sich der Patient der Warteliste mit den für den konkreten Bedarf jeweils günstigsten Wartezeiten anschließen dürfte und wenn dieses Verhalten durch Kostenerstattungen seitens der Solidargemeinschaft unterstützt würde.

Für Ansprüche des Versicherten im Sinne eines Eintretens der Krankenkassen für sog Systemversagen (vgl zB BSGE 86, 54, 60 ff = SozR 3-2500 § 135 Nr 14 S 66 ff; BSGE 89, 184, 190 = SozR 3-2500 § 31 Nr 8 S 34) ist in diesem Bereich entgegen den rechtlichen Erwägungen des Klägers kein Raum. Denn mit dem gesetzlich anerkannten, im Inland verbindlichen Verteilungssystem wird dem Gesichtspunkt Rechnung getragen, dass die Leistungsträger im Zusammenwirken mit anderen Institutionen alle nötigen Anstrengungen unternehmen müssen, um Behandlungsansprüche der Versicherten auch bei Versorgungsengpässen erfüllen zu können (vgl § 17 Abs 1 Nr 1 und 2, Abs 3 SGB I). Weitergehende Ansprüche fordert auch das Verfassungsrecht nicht. Aus Art 2 Abs 2 Satz 1 GG folgt kein Anspruch auf Bereithaltung spezieller Gesundheitsleistungen (BSGE 86, 54, 65 = SozR 3-2500 § 135 Nr 14 S 71 mwN aus der Rspr des Bundesverfassungsgerichts <BVerfG>). Der grundrechtliche Anspruch ist im Hinblick auf die den zuständigen staatlichen Stellen eingeräumte weite Gestaltungsfreiheit bei der Erfüllung der Schutzpflicht nur darauf gerichtet, dass überhaupt Vorkehrungen zum Schutz des Grundrechtes getroffen werden, die nicht völlig ungeeignet oder völlig unzulänglich sind. Das gilt auch für die Versorgung mit Spendernieren (vgl BVerfG NJW 1999, 3399 = MedR 2000, 28). Soweit das (NJW 2003, 1236) einem Versicherten weitergehende Leistungsansprüche bei der Therapie eines lebensbedrohenden Leidens eingeräumt hat, hängt dies damit zusammen, dass im zu Grunde liegenden Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes die Sach- und Rechtslage nicht abschließend geklärt werden konnte.

Auf der Grundlage der den Senat bindenden Feststellungen des LSG besteht kein Anlass, beim Kläger vom Grundsatz abzuweichen, dass die Zuteilungskriterien des TPG den krankenversicherungsrechtlich abzudeckenden Bedarf an Organtransplantationen zutreffend widerspiegeln. Die Kriterien beinhalten eine objektive Gewichtung der maßgeblichen medizinisch-ethischen Gründe für die Notwendigkeit und Dringlichkeit einer Transplantation und ermöglichen nur so eine sachgerechte und für alle Beteiligten hinnehmbare Bewältigung des Mangels an Spenderorganen. Der Senat kann offen lassen, unter welchen allgemeinen Bedingungen eine Durchbrechung des aufgezeigten Grundsatzes gerechtfertigt wäre; die vom Kläger angeführten Umstände reichen jedenfalls hierfür nicht aus, sodass eine Auslandsversorgung für den Kläger nicht "unbedingt erforderlich" war (vgl erneut BT-Drucks 11/2237 S 166). Dabei fällt vor allem ins Gewicht, dass keine Gesichtspunkte vorliegen, die nicht schon im Rahmen von § 12 TPG zu berücksichtigen wären und die deshalb für die Berechtigung des Klägers sprechen könnten, sich an der Warteliste der "Eurotransplant"-Stiftung vorbei über ein im Ausland existierendes Vergabesystem mit kürzeren Wartezeiten auf Kosten der gesetzlichen KV ein Spenderorgan zu beschaffen. Eine derart weitgehende Begünstigung ist umso weniger berechtigt, als eine Inlandsbehandlung trotz längerer Wartezeit mit medizinischen Vorteilen verbunden sein kann, auch wenn grundsätzlich eine möglichst frühzeitige Transplantation anzustreben ist (vgl zB Zylka-Menhorn, DÄBl 2002, A-1727 f; Land, BayÄBl 2002, 296). Gesundheitliche Risiken sind jedoch nicht ganz auszuschließen; insbesondere kann es beim Organempfänger gerade in den folgenden drei Monaten zu behandlungspflichtigen Komplikationen und im Extremfall zu nicht beherrschbaren Gewebsabstoßungen kommen (so BT-Drucks 13/4355 S 32 zu § 21 des Entwurfs; Blaeser-Kiel, DÄBl 2001, A-934; vgl auch den Verlauf im Fall einer in Indien durchgeführten Nierentransplantation BSG SozR 3-2500 § 18 Nr 2). Deshalb kann es vorzuziehen sein, die Transplantation im Inland durchführen zu lassen, um etwa notwendig werdende Folgebehandlungen am Ort des gewöhnlichen Aufenthalts des Patienten alsbald erkennen und einleiten zu können.

Demgegenüber sind keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, die Kriterien des TPG außer Acht zu lassen und einen vorrangigen Behandlungsbedarf des Klägers anzunehmen. Das LSG hat auf der Grundlage der Ausführungen eines sachverständigen Zeugen angenommen, dass der Kläger nicht zu einer Personengruppe mit einer besonderen Dringlichkeitsstufe für eine Transplantation gehörte. Diese Annahmen stehen mit dem Umstand im Einklang, dass in Mitteleuropa immerhin über 10 % der Bevölkerung seine Blutgruppe B - die dritthäufigste Gruppe - besitzt (vgl Pschyrembel, Klinisches Wörterbuch, 259. Aufl, 2001, Stichwort "ABNull-Blutgruppen"), sodass sie noch nicht als "selten" bezeichnet werden kann. Die Beurteilung des LSG, dass eine Dialyse für den Kläger ähnlich wie für jeden anderen Patienten mit einer behandlungspflichtigen Niereninsuffizienz eine besondere psychische und physische Belastung mit sich brachte und er sich insoweit nicht wesentlich von anderen Patienten dieser Gruppe unterschied, ist aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden. Darüber hinaus hat das Berufungsgericht in diesem Zusammenhang zutreffend darauf hingewiesen, dass Betroffene mit der Grunderkrankung des Klägers selbst nach einer erfolgreich durchgeführten Transplantation lebenslang medikamentös behandelt werden müssen und anfällig für Infektionskrankheiten sind, also auch danach mit gesundheitlichen Risiken und Belastungen zu leben haben und diese psychisch bewältigen müssen.

Unter diesen Umständen konnte aus der psychischen Situation des Klägers nach Feststellung der Dialysepflicht keine für eine Auslandsbehandlung sprechende Besonderheit von Gewicht abgeleitet werden. Soweit er sich im Revisionsverfahren auf eine seinerzeit vorhanden gewesene Suizidgefahr beruft, handelt es sich um nicht statthaften neuen Sachvortrag (vgl § 163 SGG). Nach dem Sach- und Streitstand im Berufungsverfahren musste sich das LSG nicht gedrängt fühlen, weitere Feststellungen zu seinem Gesundheitszustand zu treffen (vgl allgemein zu den Ermittlungspflichten der Tatsachengerichte BSG SozR Nr 64 zu § 162 SGG und Nr 3 zu § 103 SGG; SozR 1500 § 160a Nr 34; Meyer-Ladewig, SGG, 7. Aufl 2002, § 103 RdNr 7 mwN). Der Kläger hat sich erst in zweiter Instanz darauf berufen, vor Beginn der Dialysebehandlung extrem psychisch belastet gewesen zu sein und unter schweren Depressionen gelitten zu haben, die vor allem durch die Angst vor der Dialyse und die Ungewissheit des weiteren Krankheitsverlaufes hervorgerufen worden seien. Weder durch ärztliche Unterlagen noch durch entsprechende Beweisanträge hat er aber untermauert, dass sein Gesundheitszustand die Transplantation in den USA im Vergleich zu der in Deutschland zunächst fortzusetzenden Dialyse aus psychischen Gründen unbedingt medizinisch erforderlich machte.

Da es somit unter keinem Gesichtspunkt geboten war, die sich auf Grund der Kriterien des TPG ergebende Warteliste mit Hilfe einer Beschaffung außerhalb des "Eurotransplant"-Vergabesystems zu umgehen, kommt es im Falle des Klägers auf die genaue Ermittlung der jeweiligen Wartezeiten nicht an. Denn die in einem ausländischen Vergabesystem möglicherweise bestehenden kürzeren Wartezeiten sind für sich genommen ungeeignet, den Behandlungsanspruch eines Versicherten zu begründen, wenn nicht - im umschriebenen Sinne - gewichtige Gründe für das Übergehen des inländischen Vergabesystems vorliegen. Den Hinweisen in den Transplantations-Statistiken der USA, dass die statistische Wartezeit auf eine Niere dort im Jahr 1998 tatsächlich länger war als die vom LSG zu Gunsten des Klägers angenommenen zwei Jahre, brauchte der Senat daher nicht weiter nachzugehen; allerdings betrug die mittlere Wartezeit bei den registrierten Spendenempfängern in seiner Alterskohorte (50- bis 64-jährige) nach den Übersichten des vom US-Kongress eingesetzten "Organ Procurement and Transplantation Network" (OPTN) mehr als drei Jahre (vgl Annual Report of the OPTN and the Scientific Registry of Transplant Recipients 2002, Table 5.2). Ebenso wenig war die nach Auffassung des Klägers erforderliche Beweiserhebung hinsichtlich der tatsächlichen Wartezeit auf eine Nierenspende in Deutschland in den Jahren 1997/1998 geboten. Abgesehen davon, dass es dabei auf die vom LSG zu Grunde gelegten, zum Zeitpunkt der konkreten Behandlungsmaßnahme verfügbaren Erfahrungswerte ankommen muss, wäre eine diesbezügliche anders lautende Feststellung nach den obigen Erwägungen unerheblich.

Die Revision musste nach alledem ohne Erfolg bleiben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:

Fundstelle(n):
OAAAC-14553