Leitsatz
1. Eine instanzübergreifende Richterehe kann im Rechtsmittelverfahren Grund zur Richterablehnung sein (Abgrenzung zu = NJW 2004, 163).
2. Ist eine instanzübergreifende Richterehe den Beteiligten des betreffenden Verfahrens unbekannt, so hat das Rechtsmittelgericht diese darauf hinzuweisen.
Gesetze: SGG § 60 Abs 1; SGG § 62; SGG § 160 Abs 2 Nr 3; ZPO §§ 42ff; GG Art 101 Abs 1 S 2; GG Art 103 Abs 1
Gründe
I
Der Kläger wurde am von Kräften des Mobilen Einsatzkommandos der Polizei überwältigt und verhaftet. Er behauptet, dabei von den Beamten verletzt worden zu sein. Die Beklagte lehnte es ab, ihm wegen Verletzungsfolgen Versorgung nach dem Opferentschädigungsgesetz iVm dem Bundesversorgungsgesetz zu gewähren (Bescheid vom ; Widerspruchsbescheid vom ).
Die Klage ist abgewiesen worden (Urteil des Sozialgerichts <SG> Hamburg vom ). Das Landessozialgericht (LSG) Hamburg hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen (Beschluss vom ). An dieser Entscheidung hat der Richter am LSG mitgewirkt, dessen Ehefrau - Richterin am SG - (damals als Ledige noch unter dem Namen ) als Kammervorsitzende an dem erstinstanzlichen Urteil beteiligt gewesen ist. Das LSG hat die Revision nicht zugelassen.
Mit seiner dagegen eingelegten Beschwerde macht der Kläger - nachdem der Senat ihn über die Familienverhältnisse der vorinstanzlichen Richter informiert hat - ua geltend, das Berufungsgericht habe ihm rechtliches Gehör versagt, indem es die instanzübergreifende Richterehe nicht aufgedeckt habe. Hätte er einen Hinweis darauf erhalten, so hätte er den Richter - mit Aussicht auf Erfolg - wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt.
II
Die Beschwerde ist begründet.
Der gerügte Verfahrensfehler (§ 160 Abs 2 Nr 3 Sozialgerichtsgesetz <SGG>) liegt vor. Das LSG hat Art 103 Abs 1 Grundgesetz (GG), § 62 SGG (rechtliches Gehör) verletzt, indem es den Kläger nicht über die ihm unbekannte instanzübergreifende Richterehe als möglichen Ablehnungsgrund unterrichtet hat.
Wie der Senat bereits entschieden hat, verstößt ein Gericht gegen das Gebot, die Beteiligten rechtlich zu hören, wenn es sie über einen ihnen verborgenen, dem Gericht aber bekannten - möglichen - Ablehnungsgrund gegen einen Sachverständigen nicht informiert, auf dessen Gutachten das Urteil sich stützt (SozR 3-1500 § 128 Nr 7). Entsprechendes gilt für die Richterablehnung.
Die grundrechtliche Garantie des gesetzlichen Richters (Art 101 Abs 1 Satz 2 GG) umfasst das Recht auf ein unparteiisches Gericht. Dessen Unparteilichkeit wird ua durch das Recht eines Beteiligten gesichert, Gerichtspersonen wegen Besorgnis der Befangenheit abzulehnen (§ 60 Abs 1 SGG iVm §§ 42 ff Zivilprozessordnung). Damit ein Beteiligter von diesem prozessualen Recht Gebrauch machen kann, muss das Gericht ihn auf einen ihm als Außenstehenden ersichtlich verborgenen Sachverhalt hinweisen, der - wie hier - aus der Sicht einer objektiv und vernünftig urteilenden Partei Anlass für einen Befangenheitsantrag sein kann (vgl dazu Bundesgerichtshof <BGH>, Urteil vom - I ZR 121/92 -, NJW 1995, 1677, 1679). Ein solcher Sachverhalt lag hier im Berufungsverfahren vor.
Auf dem gerügten Verfahrensfehler kann das angegriffene Berufungsurteil beruhen. Dem steht hier nicht die Rechtsprechung des BGH entgegen, wonach die Mitwirkung der Ehefrau eines Rechtsmittelrichters bei Erlass der angefochtenen (Kollegial-) Entscheidung generell keinen Ablehnungsgrund im Hinblick auf dessen Beteiligung an der Entscheidung im Rechtsmittelverfahren darstellt (Beschluss vom - II ZB 31/02 -, NJW 2004, 163 f). Der Senat hat Bedenken gegen diese Ansicht (vgl zur überzeugenden Kritik an der Entscheidung des BGH: Feiber, NJW 2004, 650 f und Vollkommer, EWiR 2004, 205 f; s auch Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 8. Aufl 2005, § 60 RdNr 8a), kann aber offen lassen, ob ihr zu folgen ist. Er hält den vom BGH aufgestellten Rechtssatz jedenfalls dann für unanwendbar, wenn das Ablehnungsgesuch nicht allein - wie in dem vom BGH entschiedenen Fall - auf das eheliche Näheverhältnis gestützt, sondern darüber hinaus ein Verstoß des vorinstanzlichen Richters gegen die Prozessordnung geltend gemacht wird. Denn durch eine derartige Rüge wird nicht nur die Überlegenheit einer von dem angegriffenen Urteil abweichenden Rechtsauffassung behauptet, vielmehr wird dem an der angegriffenen Entscheidung beteiligten Richter eine berufliche Fehlleistung vorgeworfen. Bei einer solchen Sachlage kann bei einem Beteiligten die begründete Besorgnis bestehen, dass ein mit einer erstinstanzlichen Richterin als Ehegatte eng verbundener Berufungsrichter bei der Überprüfung der angefochtenen Entscheidung im Rechtssinne befangen ist (vgl dazu bereits den Beschluss des Senats vom - B 9a VJ 4/05 B - nicht veröffentlicht). So liegt der Fall auch hier. Der Kläger hatte im Berufungsverfahren geltend gemacht, das erstinstanzliche Gericht habe von ihm benannte Zeugen nicht prozessordnungsgemäß vernommen, sondern bei ihnen jeweils nur telefonisch nachgefragt.
Nach § 160a Abs 5 SGG kann das Bundessozialgericht in dem Beschluss über die Nichtzulassungsbeschwerde das angefochtene Urteil aufheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückverweisen, wenn - wie hier - die Voraussetzung des § 160 Abs 2 Nr 3 SGG vorliegt. Der Senat macht von dieser Möglichkeit Gebrauch.
Das LSG wird im wieder eröffneten Berufungsverfahren auch über die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu entscheiden haben.
Fundstelle(n):
KÖSDI 2006 S. 15072 Nr. 5
FAAAC-14543