BSG Urteil v. - B 4 RA 25/01 R

Leitsatz

Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.

Gesetze: AAÜG § 5

Instanzenzug: LSG Brandenburg SG Neuruppin

Gründe

I

Die Beteiligten streiten, ob die Beklagte als Versorgungsträger für das Zusatzversorgungssystem nach Nr 1 der Anlage 1 zum AAÜG verpflichtet ist, für die Klägerin Zeiten der Zugehörigkeit zum Altersversorgungssystem der technischen Intelligenz und die entsprechenden Arbeitsentgelte festzustellen.

Die 1937 geborene Klägerin legte am an der Pädagogischen Hochschule P. ihr Staatsexamen als Lehrerin an der Allgemeinbildenden Polytechnischen Oberschule für die Klassen 5 bis 12 in den Fächern Biologie und Chemie ab. Bis Mitte 1966 war sie als Lehrerin tätig und war im Jahre 1965 auf Grund ihrer Tätigkeit als Lehrerin in die zusätzliche Altersversorgung der Intelligenz an wissenschaftlichen, künstlerischen, pädagogischen und medizinischen Einrichtungen (AVI) einbezogen. Mit dem Wechsel aus dieser Beschäftigung schied sie aus dem Versorgungssystem aus. Ab war sie sodann als Laboringenieurin, ab als Gruppenleiterin und ab Juni 1973 als kommissarische Abteilungsleiterin bei dem VEB Atomkraftwerk R. beschäftigt. Seit September 1979 war sie als wissenschaftliche Mitarbeiterin am Zentralinstitut für Mikrobiologie und experimentelle Therapie tätig.

Mit Bescheid vom stellte die Beklagte die Zeit vom bis sowie vom 1. September 1979 bis als Zeit der Zugehörigkeit zur Altersversorgung der Intelligenz an wissenschaftlichen, künstlerischen, pädagogischen und medizinischen Einrichtungen sowie die während dieser Zeit erzielten Entgelte fest und lehnte die Feststellung von Zeiten der Zugehörigkeit zum Versorgungssystem der technischen Intelligenz bzw zur AVI für die Zeit vom bis , während der sie als Laboringenieurin bzw Gruppenleiterin tätig gewesen war, ab; sie habe in dieser Zeit keine hauptamtliche Tätigkeit an einer pädagogischen Einrichtung ausgeübt; durch die Qualifikation als Lehrerin sei sie nicht zum Führen des Titels eines Technikers bzw Ingenieurs befugt gewesen. Den hiergegen gerichteten Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom zurück.

Das SG Neuruppin hat die Klage abgewiesen (Urteil vom ). Das LSG für das Land Brandenburg hat die Berufung zurückgewiesen und im Wesentlichen ausgeführt (Urteil vom ): Maßstab für die Prüfung der Frage, ob die Klägerin einen Anspruch auf Feststellung von Zeiten der Zugehörigkeit zur zusätzlichen Altersversorgung der technischen Intelligenz habe, sei § 5 AAÜG. Unter Berücksichtigung der einschlägigen Versorgungsordnung sowie der Durchführungsbestimmung könne jedoch nicht festgestellt werden, dass die Klägerin in dem streitigen Zeitraum eine Beschäftigung ausgeübt habe, wegen der ihrer Art nach eine zusätzliche Altersversorgung vorgesehen gewesen sei. Denn sie weise keinen Titel auf, der nach § 1 Abs 1 der 2. Durchführungsbestimmung vom (GBl S 487) zur Verordnung über die zusätzliche Altersversorgung der technischen Intelligenz in den volkseigenen und ihnen gleichgestellten Betrieben vom (GBl S 844) berechtigt habe, ohne Antrag des Werkdirektors in die zusätzliche Altersversorgung einbezogen zu werden. Es sei insoweit auf den Titel und nicht etwa auf die tatsächlich ausgeübte Tätigkeit abzustellen, wie sich aus § 1 Abs 1 der 2. Durchführungsbestimmung (aaO) ergebe. Offen bleiben könne, ob allein die Möglichkeit einer Einbeziehung in das Versorgungssystem auf Antrag des Werkdirektors gemäß § 1 Abs 1 der 2. Durchführungsbestimmung als "Zeit der Zugehörigkeit zu einem Versorgungssystem" genügen würde. Denn eine derartige Einbeziehung sei bereits deshalb ausgeschlossen, weil die Klägerin durch ihre Tätigkeit nicht den erforderlichen bedeutenden Einfluss auf den Produktionsprozess iS der Versorgungsordnung gehabt habe.

Die Klägerin hat die vom LSG zugelassene Revision eingelegt. Sie rügt sinngemäß eine Verletzung von § 5 AAÜG und trägt vor: Bei der Beurteilung der Frage, ob für sie im streitigen Zeitraum Zeiten zu dem Versorgungssystem der technischen Intelligenz festzustellen seien, sei auf die tatsächlichen Gegebenheiten in der ehemaligen DDR abzustellen. Insoweit sei zu berücksichtigen, dass sie als Ingenieurin eingesetzt gewesen sei. Entgegen der Auffassung des LSG seien die Regelungen der 2. Durchführungsbestimmung bei der Auslegung der Versorgungsordnung nicht heranzuziehen, wie das - ausgeführt habe. Da die Verordnung über die technische Intelligenz selbst keine Bestimmung über den Kreis der zum Versorgungssystem einzubeziehenden Personen enthalte, könne auch der Abschluss eines Ingenieurstudiums nicht Voraussetzung für die Zugehörigkeit zu diesem Altersversorgungssystem sein.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Landessozialgerichts für das Land Brandenburg vom sowie das Urteil des Sozialgerichts Neuruppin vom aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung der Ablehnung der begehrten Feststellung im Bescheid vom in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom zu verpflichten, die Zeit vom bis zum als Zeit der Zugehörigkeit zum Versorgungssystem der zusätzlichen Altersversorgung der technischen Intelligenz sowie die aus dieser Beschäftigung erzielten Arbeitsentgelte festzustellen.

Die Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Zur Begründung bezieht sie sich auf die Entscheidung des ) und trägt ergänzend vor: Die Qualifikation der Klägerin als Lehrerin genüge nicht den Anforderungen an eine Einbeziehung in das Versorgungssystem der technischen Intelligenz. Die tatsächliche Ausübung einer ingenieurtechnischen Tätigkeit sei insoweit unbeachtlich.

II

Die Revision der Klägerin ist unbegründet.

Die Vorinstanzen und die Beklagte haben im Ergebnis zu Recht entschieden, dass die Klägerin keinen mit der Anfechtungs- und Verpflichtungsklage (§ 54 Abs 1 SGG) durchsetzbaren Anspruch auf Feststellung von Zeiten der Zugehörigkeit zu einem Versorgungssystem für die Zeit vom bis hat, in der sie Laboringenieurin, Gruppenleiterin und kommissarische Abteilungsleiterin bei dem VEB Atomkraftwerk R. beschäftigt war, sowie auf Feststellung der in diesem Zeitraum erzielten Arbeitsentgelte (§§ 1, 5 ff AAÜG).

Die Vorschriften des AAÜG finden zwar auf die Klägerin Anwendung (§ 1 AAÜG). Die Beklagte hat mit Bescheid vom bereits Zeiten der Zugehörigkeit zu einem Versorgungssystem - ua - vom bis festgestellt, also Zeiten, in denen die Klägerin eine Beschäftigung ausgeübt hat, wegen der ihrer Art nach eine zusätzliche Altersversorgung in einem System vorgesehen war, das in der Anlage 1 (hier: Nr 4) zum AAÜG aufgelistet ist (§ 5 Abs 1 AAÜG). Daraus folgt hier auch, dass die Klägerin aus bundesrechtlicher Sicht zum (nach den Gegebenheiten der DDR) eine Versorgungsanwartschaft zum ("erworben") hatte. Aus bundesrechtlicher Sicht hätte ihr eine Versorgungszusage erteilt werden müssen, weil sie als wissenschaftliche Mitarbeiterin am Zentralinstitut für Mikrobiologie und experimentelle Therapie gemäß § 2 Buchst a) und § 6 der Verordnung über die Altersversorgung der Intelligenz an wissenschaftlichen, künstlerischen, pädagogischen und medizinischen Einrichtungen der DDR vom (GBl S 675) tätig war.

Darüber hinaus dürfte die Klägerin auch gemäß § 1 Abs 1 Satz 2 AAÜG in den Anwendungsbereich dieses Gesetzes fallen, weil sie - nach den vom LSG auch insoweit in Bezug genommenen Feststellungen des SG - vor dem , während ihrer Tätigkeit als Lehrerin nach den Gegebenheiten in der DDR in deren Systemen, in der AVI, auf Grund einer Versorgungszusage eine Versorgungsanwartschaft erlangt hatte. Diese entfiel nach der Regelung des Versorgungssystems (§ 11 der VO, aaO, iVm § 5 der hierzu ergangenen 1. Durchführungsbestimmung vom , GBl S 879), nachdem sie aus dem Beschäftigungsverhältnis ausgeschieden war. § 1 Abs 1 Satz 2 AAÜG fingiert jedoch insoweit das Fortbestehen der Versorgungsanwartschaft, "soweit die Regelungen der Versorgungssysteme einen Verlust der Anwartschaften bei Ausscheiden vor dem Leistungsfall" vorsahen. Dann gilt der Verlust als nicht eingetreten. Die Vorschrift knüpft somit - anders als § 1 Abs 1 Satz 1 AAÜG - an eine formale Rechtsposition der ehemaligen DDR an, bestimmt jedoch bundesrechtlich, dass ein nach den Regelungen der Versorgungssysteme eingetretener Verlust der Anwartschaft unbeachtlich und daher davon auszugehen ist, dass am (und deshalb zum ) eine Versorgungsanwartschaft bestand.

Die Klägerin hat jedoch in dem og Zeitraum keine "Zeit der Zugehörigkeit in einem Versorgungssystem" zurückgelegt und damit auch keine gleichgestellte Pflichtbeitragszeit iS von § 5 Abs 1 AAÜG erlangt. Sie hat in dieser Zeit keine Beschäftigung ausgeübt, wegen der ihrer Art nach eine zusätzliche Altersversorgung in einem System vorgesehen war, das in der Anlage 1 (und 2) zum AAÜG aufgelistet war.

Ob eine derartige Zeit nach § 5 Abs 1 AAÜG vorliegt, ist ausschließlich nach objektiver Auslegung des Bundesrechts unter Beachtung des Gleichheitssatzes zu ermitteln. Es kommt mithin weder auf die Auslegung der Versorgungsordnungen durch die Staatsorgane der DDR an noch auf deren Verwaltungspraxis. Nur in faktischer Anknüpfung an die (von der DDR erlassenen) Versorgungsordnungen ist zu klären, ob in der Zeit, für die die Feststellung begehrt wird, eine nach den jeweiligen Kriterien der Versorgungsordnungen iVm den Durchführungsbestimmungen sowie den sonstigen, diese ergänzenden bzw ausfüllenden abstrakt-generellen Regelungen eine in der Versorgungsordnung genannte Beschäftigung oder Tätigkeit individuell und konkret ausgeübt worden ist und ob die in der Versorgungsordnung als zwingende Voraussetzung für eine Einbeziehung (dh für die Pflicht auf Erteilung einer Versorgungszusage) genannte notwendige berufliche Qualifikation zur Ausübung dieser (konkreten) Beschäftigung bei der entsprechenden "Arbeitsstelle" vorgelegen hat (vgl hierzu Urteil des Senats vom - B 4 RA 63/97 R - mwN; Urteil vom - B 4 RA 11/98 R - sowie BSG SozR 3-8570 § 5 Nr 6 mwN).

Unter Berücksichtigung der vorgenannten Grundsätze handelt es sich bei der Tätigkeit, die die Klägerin in der Zeit, in der sie als Laboringenieurin, Gruppenleiterin und Abteilungsleiterin bei dem VEB Atomkraftwerk R. beschäftigt war, im Hinblick auf ihre berufliche Qualifikation als Lehrerin für die Fächer Biologie und Chemie nicht um einen Beruf, der die Zugehörigkeit zu dem Versorgungssystem der Altersversorgung der technischen Intelligenz nach § 1 der 2. Durchführungsbestimmung hätte begründen können. Denn sie hat nach den tatsächlichen, mit zulässigen und begründeten Revisionsrügen nicht angegriffenen Feststellungen des LSG in dieser Zeit keine abstrakt von der Versorgungsordnung erfasste Berufsqualifikation gehabt. Dabei kommt es insoweit (zunächst) nicht darauf an, welche Tätigkeit sie verrichtet hat, und ob für diese ggf nach dem "Stellenplan" eine besondere Spezialausbildung erforderlich gewesen wäre. Allein entscheidend ist nach § 1 Abs 1 der 2. Durchführungsbestimmung, dass die Klägerin durch ihre Ausbildung zur Lehrerin bereits nicht zu einer der dort aufgeführten Berufsgruppen, zB der Ingenieure, Konstrukteure, Techniker oder der Architekten, gehört. Eine Befähigung zum Lehramt - auch - mit den Fächern Biologie und Chemie wird in § 1 Abs 1 Satz 1 der 2. Durchführungsbestimmung nicht genannt.

Eine Zeit der Zugehörigkeit zu einem Versorgungssystem kann auch nicht etwa nach § 1 Abs 1 Satz 2 dieser Durchführungsbestimmung festgestellt werden; danach konnten durch Einzel-(Ermessens-)Entscheidung auf Antrag des Werkdirektors auch Personen mit bestimmten Funktionen und Aufgaben unter weiteren Voraussetzungen in das Versorgungssystem einbezogen werden. Denn eine derartige Entscheidung kann - nach Bundesrecht - als Anknüpfung nicht in Betracht kommen, weil im Hinblick auf eingeräumte Entscheidungsspielräume insoweit auf eine ggf willkürliche gleichheitswidrige Verwaltungspraxis der DDR zurückgegriffen werden müsste.

Soweit - sinngemäß - die Auffassung vertreten wird, es sei mit dem Grundgesetz unvereinbar, dass Personen mit gleichwertiger beruflicher Qualifikation und gleichwertiger beruflicher Tätigkeit keine "Zeiten der Zugehörigkeit zu einem Versorgungssystem" erlangen könnten, so ist dem entgegenzuhalten, dass - eine derartige mögliche Ungleichbehandlung unterstellt - der Einigungsvertragsgesetzgeber nicht gehalten war, solche in den einzelnen Versorgungsordnungen möglicherweise angelegten Ungleichbehandlungen zu korrigieren. Denn er durfte im Rahmen der Rentenüberleitung an die insoweit vorgefundenen Versorgungsordnungen, wie sie am vorgelegen haben, anknüpfen (vgl hierzu BVerfGE 100, 138, 193 f). Im Übrigen ist es nicht Aufgabe der gesetzesgebundenen Staatsorgane, eine Regelung zu beschließen, um nachträglich eine eine Ungleichbehandlung beseitigende Einzelfallentscheidung zu ermöglichen; schließlich und darüber hinaus könnten dann wiederum entsprechende (willkürliche) Abgrenzungen zu anderen Personengruppen möglich sein.

Die Revision der Klägerin hat nach alledem keinen Erfolg.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Fundstelle(n):
UAAAC-13702