BSG Beschluss v. - B 3 SF 1/05 R

Leitsatz

Zum Rechtsweg für Streitigkeiten zwischen einem privaten Pflegeversicherungsunternehmen und einem Pflegeheim, in dem dessen Versicherungsnehmer untergebracht ist.

Gesetze: SGG § 51 Abs 1 Nr 2; SGG § 51 Abs 2 S 3; GVG § 13; HeimG § 5; VVG § 67; BGB § 812; BGB § 823; BGB § 826

Instanzenzug: SG Aachen S 13 P 46/03 vom LSG Nordrhein-Westfalen L 6 (3) B 4/04 P vom

Gründe

I

Die Klägerin ist ein privates Pflegeversicherungsunternehmen. Die bei ihr pflegeversicherte Frau Berta L. (Versicherungsnehmerin) lebt in einem Altenheim mit einer Pflegestation, das von dem Beklagten betrieben wird. Für die Zeit von November 1998 bis Dezember 2002 zahlte die Klägerin für ihre Versicherungsnehmerin insgesamt 62.642,51 € als Teil des Gesamtheimentgelts für vollstationäre Pflege unmittelbar an den Beklagten. Im Jahre 2003 forderte die Klägerin den Beklagten auf, zu Unrecht überwiesene Beträge an sie zurückzuzahlen. Die tatsächlichen Voraussetzungen für eine vollstationäre Pflege hätten nicht vorgelegen, da die Versicherungsnehmerin in einem Appartement gewohnt habe und nicht auf der Pflegestation untergebracht gewesen sei; zudem habe weder ein Versorgungsvertrag iS von § 72 Sozialgesetzbuch Elftes Buch (SGB XI) noch eine Vergütungsvereinbarung bestanden. Der Versicherungsnehmerin habe nur Pflegegeld in deutlich niedrigerer Höhe zugestanden.

Die Klägerin hat am Klage zum Sozialgericht Aachen (SG) erhoben. Sie stützt ihren Zahlungsanspruch in Höhe von 40.292,01 € nebst Zinsen auf ihr von der Versicherungsnehmerin abgetretene Rückforderungsansprüche sowie auf § 67 Abs 1 Versicherungsvertragsgesetz (VVG) und behauptet zudem, die Überzahlung sei auf Grund unrichtiger Angaben und falscher Abrechnungen des Beklagten erfolgt, sodass ihr auch selbst ein Schadensersatzanspruch nach § 823 Abs 2 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) iVm § 263 Strafgesetzbuch (StGB) und § 826 BGB zustehe. Das SG hat den Rechtsweg zu den Sozialgerichten für unzulässig erklärt und den Rechtsstreit an das Landgericht Aachen verwiesen (Beschluss vom ). Das Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen (LSG) hat die hiergegen gerichtete Beschwerde zurückgewiesen (Beschluss vom ). Es handele sich nicht um eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit iS des § 51 Abs 1 Nr 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG). Der Sozialrechtsweg sei in Angelegenheiten der privaten Pflegepflichtversicherung nur insoweit gegeben, als es um Streitigkeiten "nach dem SGB XI" gehe. Vorliegend handele es sich jedoch um Ansprüche aus abgetretenem Recht (Heimvertrag) oder übergegangenem Recht (§ 67 VVG) sowie um Ansprüche aus dem Bereich der unerlaubten Handlungen (§§ 823 ff BGB); hierfür seien die Zivilgerichte zuständig.

Mit der vom LSG zugelassenen weiteren Beschwerde wiederholt die Klägerin ihre Auffassung, dass Streitigkeiten der vorliegenden Art von den Sozialgerichten zu entscheiden seien. Es handele sich um Schadensersatz- und Erstattungsansprüche, die ihre Grundlagen im Sozialversicherungsrecht hätten. Sie habe Leistungen der vollstationären Pflege gemäß dem auch im privaten Pflegepflichtversicherungsrecht geltenden Sachleistungsprinzip des SGB XI unmittelbar an den Beklagten gezahlt; deshalb müssten die Sozialgerichte ebenso für die Rückabwicklung derartiger Ansprüche zuständig sein. Andernfalls wäre die Einheitlichkeit der Rechtsprechung gefährdet, die durch die Regelung in § 51 Abs 1 Nr 2, Abs 2 Satz 1 und 3 SGG gerade hergestellt werden soll. Der mit der Versicherungsnehmerin abgeschlossene Heimvertrag habe ausdrücklich ein Entgelt für Pflegeleistungen nach dem SGB XI vorgesehen. Auch ihre eigenen - originären - Ansprüche seien auf Ersatz der zu Unrecht geleisteten Zahlungen aus der privaten Pflegepflichtversicherung gerichtet.

Der Beklagte hält die Verweisung des Rechtsstreits an das Landgericht Aachen für zutreffend.

II

Die weitere Beschwerde ist gemäß § 17a Abs 4 Satz 4 Gerichtsverfassungsgesetz (GVG) statthaft und zulässig, weil sie vom LSG wegen einer Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung zugelassen worden ist. Sie ist auch innerhalb der nach § 17a Abs 4 Satz 3 GVG iVm § 173 Satz 1 SGG maßgeblichen Monatsfrist eingelegt worden. Die Tatsache, dass die Beschwerde erst nach weiteren drei Monaten begründet wurde, ist unerheblich, weil die in §§ 164 Abs 2 Satz 1, 160a Abs 2 Satz 1 SGG für die Begründung einer Revision bzw einer Nichtzulassungsbeschwerde vorgesehene Monatsfrist im Falle des § 17a GVG nicht anwendbar ist. Die weitere Beschwerde ist aber unbegründet, weil die Vorinstanzen den Rechtsweg zu den Sozialgerichten zu Recht als nicht zulässig angesehen haben.

Zuständig für die von der Klägerin erhobene Leistungsklage sind gemäß § 13 GVG die ordentlichen Gerichte (Zivilgerichte); die Streitigkeit fällt nicht in die gemäß § 51 Abs 1 Nr 2 oder Abs 2 Satz 3 SGG begründete Sonderzuständigkeit der Sozialgerichtsbarkeit. Nach der durch Art 33 des Gesetzes zur sozialen Absicherung des Risikos der Pflegebedürftigkeit (PflegeVG) vom (BGBl I S 1014) modifizierten Regelung des § 51 SGG entscheiden die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit zwar über Streitigkeiten, die in Angelegenheiten der sozialen und der privaten Pflegeversicherung nach dem SGB XI entstehen (Abs 1 Nr 2); dies gilt ausdrücklich auch für privatrechtliche Streitigkeiten in diesen beiden Zweigen der Pflegeversicherung (Abs 2 Satz 3). Um eine solche Streitigkeit handelt es sich aber deshalb nicht, weil es nicht um eine Angelegenheit nach dem SGB XI geht, insbesondere keine Ansprüche aus dem privatrechtlichen Pflegeversicherungsvertrag streitbefangen sind.

Der Gesetzgeber hatte mit der oa Neuregelung des § 51 SGG eine umfassende Rechtswegzuweisung in Angelegenheiten der sozialen und der privaten Pflegeversicherung beabsichtigt. Dies ergibt sich aus dem Gang des Gesetzgebungsverfahrens zum PflegeVG und insbesondere aus den parlamentarischen Beratungen zum 1. SGB XI-Änderungsgesetz (1. SGB XI-ÄndG - vgl dazu ausf die Entscheidung des Senats vom - 3 BS 1/96 -, BSGE 79, 80 = SozR 3-1500 § 51 Nr 19). Seine Vorstellung ging aber nicht soweit, alle Rechtsstreitigkeiten mit Beteiligung privater Pflegeversicherer unabhängig von den zu Grunde liegenden Rechtsfragen an die Sozialgerichtsbarkeit zu verweisen. Entscheidendes Abgrenzungskriterium sollte vielmehr sein, dass es sich um Streitfragen nach dem SGB XI handelt. Dies ergibt sich deutlich aus einer Stellungnahme des Bundesrates, der wegen einer geplanten Rechtswegänderung in § 51 Abs 2 Satz 2 SGG im Entwurf des 1. SGB XI-ÄndG den Vermittlungsausschuss angerufen (Plenarprotokoll 696, S 171 iVm BR-Drucks 228/1/96) und zur Begründung der geforderten Streichung der Neufassung ausgeführt hatte (vgl BSG SozR 3-1500 § 51 Nr 19 S 40):

"Die Versicherten in der privaten Pflegeversicherung sind mit Blick auf Leistungsumfang und Versicherungsbedingungen im Wesentlichen den Versicherten in der sozialen Pflegeversicherung gleichgestellt. Die private Pflegeversicherung folgt insoweit der sozialen Pflegeversicherung. Dies verlangt nach einer einheitlichen Zuständigkeit der Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit. Dadurch wird die besondere Kompetenz und Erfahrung der Sozialgerichte in Fragen der Pflegeversicherung, die vor allem medizinischer Natur sind, genutzt. Der einheitliche Rechtsweg erleichtert die Herausbildung einer einheitlichen Rechtsprechung zu für beide Bereiche identischen Fragen, die sich bei der Auslegung und Anwendung des SGB XI ergeben."

Dieser Begründung ist die Beschlussempfehlung des Vermittlungsausschusses (BT-Drucks 13/4688) gefolgt, woraufhin dann sowohl der Bundestag (Plenarprotokoll 13/107, S 9420 ff) als auch der Bundesrat (Plenarprotokoll 697, S 230, 232) die Streichung der geplanten Rechtswegänderung in § 51 Abs 2 Satz 2 SGG beschlossen haben, sodass es bei der bisherigen und auch heute noch gültigen Regelung verblieb. Die Tatsache, dass die Zuständigkeit der Sozialgerichtsbarkeit an Streitfragen nach dem SGB XI gekoppelt ist, wird zudem auch noch dadurch verdeutlicht, dass die Benennung der sozialen und privaten Pflegeversicherung sowohl in § 51 Abs 1 Nr 2 SGG als auch in Absatz 2 Satz 2 dieser Vorschrift jeweils um den Klammerzusatz "Elftes Buch Sozialgesetzbuch" ergänzt worden ist, um klarzustellen, in welchem Umfang die Sozialgerichte zur Entscheidung berufen sein sollen (vgl -, NZS 2005, 317).

Angelegenheiten nach dem SGB XI sind sowohl Angelegenheiten der sozialen als auch der privaten Pflegeversicherung. Beide Zweige der Pflegeversicherung sind im SGB XI gesetzlich durch öffentlich-rechtliche Vorschriften des Sozialrechts geregelt. Zwischen beiden besteht ein enger Zusammenhang in der Weise, dass sie auf einer Versicherungspflicht beruhen und die Leistungen der privaten Pflegeversicherung den Leistungen der sozialen Pflegeversicherung nach Art und Umfang gleichwertig sein müssen (§ 23 Abs 1 Satz 2 SGB XI). Die Rechtswegzuweisung des § 51 Abs 1 Satz 2 SGG bezieht sich auf den gesamten Bereich des Leistungs- und Leistungserbringungsrechts des SGB XI - aber immer nur insoweit, als es um die Auslegung von Vorschriften des SGB XI geht (Keller in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 8. Aufl 2005, § 51 RdNr 26; wegen der Zuweisung von Streitigkeiten über die Investitionsförderung für Pflegeeinrichtungen an die Verwaltungsgerichtsbarkeit vgl -, DVBl 1999, 1045). Entscheidend kommt es mithin darauf an, ob die Vorschriften, die zur Klärung der streitigen Rechtsfragen heranzuziehen und auszulegen sind, zumindest im Grundsatz im SGB XI geregelt sind (Senatsentscheidung vom - B 3 SF 1/99 R -, BSG SozR 3-1500 § 51 Nr 25 S 62, 64). Dies ist vorliegend nicht der Fall.

Soweit sich die Klägerin originärer - eigener - Ansprüche gegen den Beklagten berühmt, könnten diese ihre Rechtsgrundlage in erster Linie im Recht der unerlaubten Handlungen finden (§§ 823, 826 BGB). Auch vertragliche Beziehungen, die Grundlage eines Erstattungs- oder Ersatzanspruches sein könnten, wären ebenso wie Ansprüche aus ungerechtfertigter Bereicherung (§ 812 BGB) eindeutig zivilrechtlicher Natur; ob und inwieweit ihre Voraussetzungen erfüllt sind, wird gemäß § 13 GVG ausschließlich von den Zivilgerichten überprüft. Dabei kann offen bleiben, ob die unmittelbare Leistungsgewährung an den Beklagten sich aus dem Gebot der gleichwertigen Leistungserbringung herleiten lässt (§§ 23 Abs 1 Satz 2, 87a Abs 3 SGB XI). Dies würde allein im Verhältnis zur Versicherten eine Rolle spielen können. Das Leistungserbringerrecht im 7. Kapitel des SGB XI gilt für die private Pflegeversicherung ebensowenig wie das Sachleistungsprinzip (vgl § 23 Abs 1 Satz 3 SGB XI).

Soweit die Klägerin Ansprüche aus abgetretenem oder auf sie übergegangenem Recht geltend macht, beruft sie sich auf Anspruchsgrundlagen, die dem Rechtsverhältnis zwischen der Versicherten und dem Beklagten entstammen, welches wesentlich durch den Heimvertrag vom bestimmt wird. Dieser Vertrag beruht auf § 5 Heimgesetz (HeimG) in der ab Jahresbeginn 2002 gültigen Fassung (BGBl I 2001 S 2960) und regelt die Rechte und Pflichten des Trägers sowie der Bewohner, vor allem die Leistungen des Trägers und das dafür insgesamt zu entrichtende Heimentgelt (§ 5 Abs 3 Satz 1 HeimG). Als Leistungen des Trägers sind insbesondere Art, Inhalt und Umfang der Unterkunft, Verpflegung und Betreuung einschließlich der auf die Unterkunft, Verpflegung und Betreuung jeweils entfallenden Entgelte anzugeben (§ 5 Abs 3 Satz 3 HeimG); weitere Leistungen müssen im Einzelnen gesondert beschrieben und die jeweiligen Entgeltbestandteile hierfür gesondert angegeben werden (§ 5 Abs 3 Satz 4 HeimG). Damit ist der Heimvertrag seinem Wesen nach ein gemischter Vertrag, da bei ihm verschiedene Vertragstypen - insbesondere mit Elementen aus den Bereichen des Mietvertrages und des Dienstvertrages - miteinander verbunden sind (Kunz/Butz, Heimgesetz, 10. Aufl 2004, § 5 RdNr 10 mwN). Derartige Verträge gehören nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH) zum Zivilrecht und sind an den einschlägigen zivilrechtlichen Normen zu messen (BGHZ 148, 233; 157, 309; vgl auch NJW 2005, 824, und Urteil vom , NJW-RR 2005, 777). Dieser Rechtsprechung - sie wird auch vom Bundesfinanzhof geteilt (vgl BFHE 172, 141) - schließt sich der erkennende Senat an. Zur Beurteilung, ob sich aus dem Heimvertrag Ansprüche auf Ersatz oder Erstattung ggf überzahlter Heimentgelte ergeben und ob diese durch Abtretung oder gemäß § 67 VVG auf die Klägerin übergegangen sind, sind allein die Zivilgerichte berufen, auch wenn wegen des Umfangs der Pflegeleistungen und dem Pflegestandard auf Vorschriften des SGB XI verwiesen wird. Das ändert nichts an der Rechtsnatur eines privatrechtlichen Vertrages. Entsprechendes gilt für etwaige Ansprüche aus § 812 BGB wegen ungerechtfertigter Bereicherung.

Die Zuständigkeit der Sozialgerichte für den hier in Rede stehenden Komplex kann auch nicht durch eine erweiternde Auslegung des § 51 Abs 2 Satz 3 SGG begründet werden. Zwar kommt auch dem Gesichtspunkt der Sachkunde, der Sachnähe und des Sachzusammenhangs für die Auslegung der Vorschriften über die Rechtswegzuweisung im Zweifel Bedeutung zu (vgl -, BSGE 37, 292 = SozR 1500 § 51 Nr 2). Zur Prüfung von Ersatz- und Erstattungsansprüchen wegen der Verletzung des Heimvertrages oder aus unerlaubter Handlung ist aber eine besondere Sachnähe der Sozialgerichtsbarkeit nicht mehr gegeben, selbst wenn es als Vorfrage um die Heimunterbringung einer privat Pflegeversicherten geht. Der Gesichtspunkt der Sachnähe spricht im vorliegenden Fall sogar dafür, es bei der allgemeinen Zuständigkeitszuweisung an die Zivilgerichtsbarkeit nach § 13 GVG zu belassen. Die Zivilgerichte sind in erster Linie zur Beurteilung von Vertragsverletzungen und unerlaubten Handlungen berufen, auf die die Klage gestützt wird.

Die Tatsache schließlich, dass sich der Beklagte in einer "Vereinbarung zur Schadensregulierung" vom gegenüber verschiedenen Pflegekassen zur Zahlung eines Schadensausgleiches verpflichtet und entsprechende Leistungen inzwischen wohl auch erbracht hat, ist für die Beurteilung der hier allein streitigen Rechtswegfrage ohne Belang.

In Verfahren über eine Rechtswegbeschwerde ist eine Kostenentscheidung zu treffen, wenn der Rechtsstreit verwiesen wird oder die Kosten streitwertabhängig zu berechnen sind (BSG SozR 3-1500 § 51 Nr 15 und 27). Beides ist hier der Fall. Die danach zu treffende Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 197a Abs 1 Satz 1 SGG iVm § 154 Abs 1 und 2 Verwaltungsgerichtsordnung. Die Entscheidung über den Streitwert folgt aus § 63 Abs 2 Satz 1 iVm § 72 Nr 1, 2. Halbs Gerichtskostengesetz (GKG) idF vom (BGBl I S 718). Maßgebend ist die Klageforderung (§ 52 Abs 1 GKG iVm § 43 Abs 1 GKG).

Fundstelle(n):
YAAAC-13624