Leitsatz
Die Rücknahme einer Klage oder eines sonstigen Rechtsbehelfs ist bedingungsfeindlich. Sie darf aber von innerprozessualen Vorgängen abhängig gemacht werden. Trifft das OVG eine Sachentscheidung, obwohl die Klage wirksam zurückgenommen worden ist, so kann es im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren nach § 133 Abs. 6 VwGO mit einer Aufhebung dieser Entscheidung sein Bewenden haben.
Gesetze: VwGO § 92 Abs. 1 Satz 1; VwGO § 92 Abs. 3 Satz 1; VwGO § 133 Abs. 6
Instanzenzug: OVG Lüneburg OVG 1 K 4145/00
Gründe
Dem Antragsteller ist antragsgemäß für die Durchführung des Beschwerdeverfahrens Prozesskostenhilfe zu gewähren und Rechtsanwalt F. beizuordnen (§ 166 VwGO i.V.m. § 114 und § 121 Abs. 1 ZPO). Er ist nicht in der Lage, die Kosten der Prozessführung auch nur zum Teil oder in Raten aufzubringen. Dies ergibt sich aus der Erklärung über seine persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse sowie den dieser Erklärung beigefügten Belegen. Unschädlich ist, dass die nach § 166 VwGO i.V.m. § 117 Abs. 2 ZPO erforderliche Erklärung erst nach Ablauf der Beschwerdefrist vorgelegt worden ist (vgl. hierzu BVerwG 1 B 3.99 - Buchholz 310 § 166 VwGO Nr. 38). Der Antragsteller hat bereits in seinem Prozesskostenhilfegesuch auf die Prozesskostenhilfeunterlagen der ersten Instanz Bezug genommen. In der Zwischenzeit haben sich keine nach § 166 VwGO i.V.m. § 115 ZPO relevanten Änderungen in seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen ergeben.
Die Rechtsverfolgung des Antragstellers bietet auch hinreichende Aussicht auf Erfolg (§ 166 VwGO i.V.m. § 114 ZPO). Dies ergibt sich aus Folgendem:
Die sinngemäß auf § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO gestützte Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Beschluss des Normenkontrollgerichts vom ist zulässig. Sie ist auch begründet.
Die angefochtene Entscheidung leidet an dem in der Beschwerdebegründung bezeichneten Verfahrensmangel. Das Normenkontrollgericht hat den Normenkontrollantrag des Antragstellers verworfen. Es ist so verfahren, obwohl die prozessuale Lage für eine Sachentscheidung keinen Raum ließ. Denn der Antragsteller hat seinen Normenkontrollantrag mit Schriftsatz vom , beim Oberverwaltungsgericht eingegangen am , zurückgenommen. Das war zu diesem Zeitpunkt nach § 92 Abs. 1 Satz 1 VwGO möglich. Der Beschluss vom war noch nicht rechtskräftig. Er wurde dem Antragsteller erst am zugestellt.
Die Rücknahme ist wirksam. Sie lässt sich entgegen der Auffassung der Vorinstanz nicht mit der Begründung als unbeachtlich abtun, sie sei "an Bedingungen geknüpft" gewesen. Richtig ist allerdings, dass die Rücknahme einer Klage oder eines sonstigen Rechtsbehelfs zu den Prozesshandlungen gehört, die bedingungsfeindlich sind. Die Rücknahme hat eine Gestaltungswirkung. Sie führt, ohne dass es zusätzlicher gerichtlicher Maßnahmen bedürfte, unmittelbar zur Beendigung des Prozesses. Diese Rechtsfolge verbietet es, ihre Wirksamkeit von einem außerprozessualen Ereignis abhängig zu machen. Ob die prozessbeendigende Wirkung eingetreten ist, darf nicht ungewiss bleiben. Wegen der Bedeutung für den Gegner, aber auch für das Gericht verträgt die Rücknahme aus Gründen der Rechtssicherheit keinen Schwebezustand (vgl. BVerwG 11 C 2.95 - Buchholz 424.01 § 142 FlurbG Nr. 4; IVb ZB 135/88 - NJW-RR 1990, 67). Rechtlich zulässig ist es dagegen, auf Ereignisse abzuheben, die in einem innerprozessualen Abhängigkeitsverhältnis stehen. Wird die Wirksamkeit einer Prozesserklärung mit Vorgängen verknüpft, die das Gericht in Ausübung seiner prozessualen Befugnisse selbst herbeigeführt hat oder herbeizuführen in der Lage ist, so wird die Rechtssicherheit nicht beeinträchtigt. Als ein solcher prozessualer Vorgang, der zur Voraussetzung für die Beendigung eines Prozesses gemacht werden darf, kommt nicht zuletzt der Erfolg oder der Misserfolg einer eigenen oder vom Prozessgegner unbedingt vollzogenen anderweitigen Prozesshandlung in Betracht (vgl. - NJW 1984, 1240 und vom - IX ZR 226/94 - NJW 1996, 3147). Dies hat das Normenkontrollgericht verkannt.
Der Antragsteller begehrte für den von ihm gestellten Normenkontrollantrag die Bewilligung von Prozesskostenhilfe. Diesen Antrag lehnte die Vorinstanz mit Beschluss vom ab. Unter Bezugnahme auf diese Entscheidung wurde der Antragsteller um Mitteilung gebeten, ob er den Normenkontrollantrag zurücknehme. Auf diese Verfügung reagierte er mit Schreiben vom wie folgt: "Der Beschluß vom liegt mir nicht vor. Er ist hier nicht auffindbar, dadurch kann ich den Vorgang nicht erneut überprüfen." Das Schreiben schloss mit der Erklärung: "Sollte der Beschluß tatsächlich unanfechtbar sein und die geschilderten Mißstände mit dieser Normenkontrollklage nicht angegriffen werden können, so ziehe ich die Klage hiermit zurück, um eventuelle Kosten durch ein noch zu fällendes Urteil zu sparen." Dieser Satz ließ sich nicht als unzulässige Bedingung qualifizieren. Der Antragsteller brachte unzweideutig zum Ausdruck, den Normenkontrollantrag zurücknehmen zu wollen, falls der Beschluss vom unanfechtbar sei. Er erläuterte, weshalb er die Rücknahmeerklärung an diese Maßgabe knüpfte. Als Grund nannte er den Umstand, dass der Beschluss vom ihm nicht vorliege bzw. nicht auffindbar sei, so dass er die hierzu ihm gegenüber gemachten Angaben nicht überprüfen könne. Diese vom Normenkontrollgericht als unzulässiger Vorbehalt gewertete Wendung war bei objektiver Würdigung nicht geeignet, Zweifel darüber aufkommen zu lassen, ob die Erklärung die Wirkungen einer Antragsrücknahme entfaltete oder nicht. Der Beschluss vom , der in dem Schreiben des Antragstellers angesprochen wurde, war eine Tatsache, die das Normenkontrollgericht selbst geschaffen hatte. Dass diese Entscheidung nach § 152 Abs. 1 VwGO unanfechtbar war, lag für die Vorinstanz ebenfalls auf der Hand. Nur so erklärt sich, wieso dem Antragsteller unter Hinweis auf den besagten Beschluss indirekt nahe gelegt wurde, den Normenkontrollantrag zurückzunehmen. Das Oberverwaltungsgericht konnte auf die Erkenntnisse, über die es aufgrund eigener Tätigkeit und Sachkunde verfügte, problemlos zurückgreifen, ohne darauf angewiesen zu sein, dass auch der Antragsteller insoweit vollständig im Bilde war. Machte der Antragsteller ungeachtet des von ihm behaupteten Informationsdefizits, ohne weitere Aufklärung zu erbitten, die Rücknahme davon abhängig, dass ein unanfechtbarer Beschluss vorliege, in dem die Gewährung von Prozesskostenhilfe versagt werde, so war es für die Vorinstanz ein Leichtes, sich Gewissheit darüber zu verschaffen, ob diese Voraussetzung vorlag oder nicht. Ebenso wie es in ihre Sphäre fiel festzustellen, dass die vom Antragsteller genannte Bedingung erfüllt war, war es ihre Sache, die Konsequenzen zu ziehen, die das Prozessrecht für diesen Fall vorsieht.
Wird eine Klage zurückgenommen, so fällt die Grundlage für eine Sachentscheidung weg. Das Gericht hat nach § 92 Abs. 3 Satz 1 VwGO das Verfahren durch Beschluss einzustellen. Für die Rücknahme eines Normenkontrollantrags gilt Entsprechendes.
Der Beschluss des Normenkontrollgerichts vom trägt dieser Rechtslage nicht Rechnung.
Der Senat macht von der in § 133 Abs. 6 VwGO eingeräumten Möglichkeit Gebrauch, die angefochtene Entscheidung aufzuheben. Eine Zurückverweisung des Rechtsstreits erübrigt sich. Sie ist nur dann geboten, wenn im Sinne des § 133 Abs. 6 VwGO eine anderweitige Verhandlung und Entscheidung in Betracht kommt, weil die Sache noch nicht spruchreif ist. Diese Voraussetzung ist nicht gegeben, wenn der Verfahrensfehler darin liegt, dass die Vorinstanz eine wirksame Rücknahmeerklärung übergangen hat. In diesem Fall scheidet die Möglichkeit, dass das Gericht, an das der Rechtsstreit zurückverwiesen wird, die Sachentscheidung, die auf dem Verfahrensfehler beruht, durch eine fehlerfreie andere ersetzt, von vornherein aus. Die schlichte Aufhebung der angefochtenen Entscheidung reicht aus, um dem Recht Genüge zu tun. Die Einstellung des Verfahrens dient lediglich der Klarstellung. Sie ändert nichts daran, dass der Rechtsstreit bereits durch die Rücknahme beendet worden ist. Um das mit § 133 Abs. 6 VwGO verfolgte Ziel der Verfahrensbeschleunigung zu erreichen, kann es mit der Aufhebung der Entscheidung sein Bewenden haben, die diesen rechtlichen Zusammenhängen nicht gerecht wird (vgl. BVerwG, Beschlüsse vom - BVerwG 7 B 48.96 - Buchholz 310 § 133 VwGO n.F. Nr. 22, vom - BVerwG 1 B 110.98 - Buchholz 310 § 124 a VwGO Nr. 6 und vom - BVerwG 4 B 30.99 - Buchholz 310 § 120 VwGO Nr. 10).
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Antragsgegnerin hat als unterliegender Teil die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen. § 154 Abs. 1 VwGO stellt allein auf das Ergebnis der jeweiligen Instanz, nicht auf die Gründe des Misserfolgs ab (vgl. BVerwG 1 B 51.00 - Buchholz 310 § 144 VwGO Nr. 69). Soweit es um die Kosten des Normenkontrollverfahrens geht, bleibt es im Ergebnis bei der vom Oberverwaltungsgericht angeordneten Kostenfolge. Die Kostenpflicht des Antragstellers ergibt sich zwar nicht, wie die Vorinstanz angenommen hat, aus § 154 Abs. 1 VwGO. Sie folgt jedoch aus § 155 Abs. 2 VwGO, wonach die Kosten auch derjenige zu tragen hat, der einen Antrag zurücknimmt. Allerdings kommt dem Antragsteller hierbei zugute, dass Gerichtsgebühren im Normenkontrollverfahren nicht entstanden sind (vgl. § 11 Abs. 1 GKG i.V.m. Nr. 2110 b des Kostenverzeichnisses). Der Schriftsatz der Antragsgegnerin vom hatte nicht den Charakter einer Antragserwiderung. Als Reaktion auf die gerichtliche Verfügung vom diente er lediglich der Klärung der Frage, ob das Haus B.-straße 8 überhaupt im Geltungsbereich eines bekannt gemachten Bebauungsplans liegt.
Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 14 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 und § 13 Abs. 1 Satz 1 GKG. Dabei orientiert sich der Senat an der Höhe der Gerichtsgebühren, die dem Antragsteller bei richtiger Sachbehandlung erspart geblieben wären (Nr. 2110 und Nr. 2116 des Kostenverzeichnisses).
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
AAAAC-12634