BVerwG Beschluss v. - 4 B 66.05

Leitsatz

Weist der Raumordnungsplan Vorranggebiete aus, die der Nutzung der Windenergie im Plangebiet substanziell Raum schaffen, stehen Flächen, auf denen die Träger der Flächennutzungsplanung weitere Standorte für Windenergieanlagen ausweisen dürfen (so genannte "weiße" Flächen), der Ausschlusswirkung des § 35 Abs. 3 Satz 3 BauGB nicht entgegen. Die Ausschlusswirkung erstreckt sich allerdings nur auf die Gebiete, die der Plan als Ausschlusszone festschreibt. Die "weißen" Flächen erfasst sie nicht, weil es in Bezug auf diese Flächen an einer abschließenden raumordnerischen Entscheidung fehlt.

Gesetze: BauGB § 35 Abs. 1 Nr. 5; BauGB § 35 Abs. 3 Satz 1; BauGB § 35 Abs. 3 Satz 3

Instanzenzug: VG Augsburg VG Au 4 K 01.5 vom VGH München VGH 26 B 01.2833 vom

Gründe

Die auf sämtliche Zulassungsgründe des § 132 Abs. 2 VwGO gestützte Beschwerde ist unbegründet.

Nach Auffassung des Berufungsgerichts sind die Vorhaben des Klägers, zwei Windkraftanlagen mit einer Gesamthöhe von jeweils ca. 100 m, aus zwei Gründen bauplanungsrechtlich unzulässig: Ihnen stünden zum einen Belange des Naturschutzes und zum anderen ein in Aufstellung befindliches Ziel der Raumordnung als öffentliche Belange im Sinne des § 35 Abs. 3 Satz 1 BauGB entgegen. Ist ein Urteil auf mehrere, jeweils selbständig tragende Begründungen gestützt, kann die Revision nur zugelassen werden, wenn bezüglich jeder Begründung ein Zulassungsgrund aufgezeigt wird und vorliegt (vgl. BVerwG 11 PKH 28.94 - Buchholz 310 § 132 Abs. 2 Ziff. 1 VwGO Nr. 4; stRspr). Wenn nur bezüglich einer Begründung ein Zulassungsgrund gegeben ist, kann diese Begründung nämlich hinweggedacht werden, ohne dass sich der Ausgang des Verfahrens ändert. Es ist deshalb folgerichtig, dass die Beschwerde beide vorinstanzlichen Begründungen mit Zulassungsgründen angreift. Soweit sie die Darlegungen des Berufungsgerichts zur Unvereinbarkeit der Vorhaben mit einem in Aufstellung befindlichen Ziel der Raumordnung kritisiert, greifen ihre Rügen allerdings nicht durch. Daher kann offen bleiben, ob das Verdikt der Unzulässigkeit der Vorhaben aus Gründen des Naturschutzes einem Grund für die Zulassung der Revision ausgesetzt ist.

1. Die Frage, ob eine regionalplanerische Zielausweisung, bei der weniger als 0,15 % der Gesamtfläche als Vorrangfläche für die Windkraftnutzung ausgewiesen wird und dem ca. 80 % der Gesamtfläche als Ausschlussfläche entgegengesetzt werden, grundsätzlich eine unzulässige Verhinderungsplanung darstellt, rechtfertigt nicht die Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO). In der Rechtsprechung des Senats ist geklärt, dass sich nicht abstrakt bestimmen lässt, wo die Grenze zur unzulässigen "Negativplanung" verläuft (vgl. BVerwG 4 C 4.02 - BVerwGE 118, 33 <47>). Maßgeblich sind die tatsächlichen Verhältnisse im jeweiligen Planungsraum, Größenangaben sind, isoliert betrachtet, als Kriterium ungeeignet (vgl. BVerwG 4 C 15.01 - BVerwGE 117, 287 <295>). Einen Bedarf für eine Korrektur dieser Rechtsprechung zeigt die Beschwerde nicht auf.

Zur Zulassung der Revision nötigt ferner nicht die Frage, ob einem Windkraftvorhaben ein in Aufstellung befindliches Ziel der Raumordnung in einem künftigen Regionalplan im Sinne des § 35 Abs. 3 Satz 1 BauGB auch dann entgegenstehen kann, wenn die Positivausweisungen für die Windkraftnutzung ohne Rücksicht auf § 10 Abs. 4 EEG erfolgt sind und ernstlich zu befürchten ist, dass in den ausgewiesenen Gebieten keine der gängigen Windkraftanlagen die gesetzlich vorgeschriebene Mindestvergütung nach § 10 EEG erhalten wird und damit letztlich faktisch ausgeschlossen ist, dass dort jemals Windkraftanlagen errichtet werden. Wie die Beschwerde einräumt, hat der Senat bereits entschieden (vgl. BVerwG 4 CN 16.03 - NVwZ 2004, 858 <859>), dass das EEG die Abnahme und Vergütung von Strom, jedoch keine bauplanungsrechtlichen Fragen regelt. Daran hat sich durch die Verschärfung der Voraussetzungen für die Mindestvergütung nichts geändert. Außerdem hat sich die Vorinstanz nicht mit der Frage befasst und keine Feststellungen dazu getroffen, ob auf den "Positivflächen" im Entwurf der 6. Änderung des Regionalplans der Region Augsburg ein wirtschaftlicher Betrieb von Windenergieanlagen möglich ist. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts scheidet die Zulassung der Revision aus, wenn ein Berufungsgericht eine Tatsache nicht festgestellt hat, die für die Entscheidung der angesprochenen Rechtsfrage erheblich sein würde, sondern lediglich die Möglichkeit besteht, dass die Rechtsfrage nach Zurückverweisung der Sache aufgrund weiterer Sachaufklärung entscheidungserheblich werden könnte (vgl. BVerwG 9 B 197.98 - juris).

2. Die Revision ist auch nicht nach § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO wegen einer Abweichung der angefochtenen Entscheidung von einer höchstrichterlichen Entscheidung zuzulassen. Der Tatbestand der Divergenz ist nicht erfüllt, weil das Berufungsgericht nicht in Anwendung derselben Rechtsvorschrift mit einem seine Entscheidung tragenden Rechtssatz einem ebensolchen Rechtssatz in einer Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts widersprochen hat.

Die Beschwerde entnimmt dem Berufungsurteil den Rechtssatz, ein Raumordnungsplan könne auch dann eine Ausschlusswirkung nach § 35 Abs. 3 BauGB entfalten, wenn lediglich für eine Teilfläche eine abschließende raumordnerische Entscheidung getroffen und daher nur für einen Teilraum ein schlüssiges Planungskonzept festgelegt und umgesetzt wurde und die Frage der Zulässigkeit von Windkraftanlagen in den übrigen Gebieten der kommunalen Planungshoheit vorbehalten bleibt. Sie sieht darin eine Divergenz zum amtlichen Leitsatz im Urteil des Senats vom - BVerwG 4 C 3.02 - (NVwZ 2003, 1261), dass ein Raumordnungsplan die Ausschlusswirkung des § 35 Abs. 3 Satz 3 BauGB nicht entfalten kann, wenn in einem die Standorte für Windenergieanlagen ausweisenden Raumordnungsplan für bestimmte Flächen noch keine abschließende raumordnerische Entscheidung getroffen ist und es daher an einem schlüssigen gesamtplanerischen Konzept fehlt.

Die von der Beschwerde behauptete Divergenz liegt nicht vor. Das Berufungsgericht ist davon ausgegangen - und so versteht auch die Beschwerde das Berufungsurteil (Schriftsatz vom , S. 15) -, dass der Nutzung der Windenergie durch die Ausweisung von Vorrangflächen (600 ha) ausreichend Raum verschafft wird. Die Vorbehaltsflächen (400 ha) und die unbeplanten Gebiete (85 000 ha) hat es - wenngleich die Formulierungen auf Seite 21 des Urteilsabdrucks auch den gegenteiligen Schluss zuließen - nicht zu den Positivflächen gezählt, denn es zitiert für seine Schlussfolgerung, die Planung laufe erkennbar nicht auf eine "Verhinderungs-" oder "Feigenblattplanung" hinaus, u.a. die BVerwG 4 C 4.02 - (BVerwGE 118, 33) und des 20. Senats des 20 N 01.2612 - (BRS 66 Nr. 12). Die Entscheidung des beschließenden Senats macht die Ausschlusswirkung ausdrücklich davon abhängig, dass der Windenergie durch die Ausweisung von Vorrangflächen in substanzieller Weise Raum gegeben wird; Vorbehaltsgebiete seien in der Bilanz von Positiv- und Negativflächen nicht als Positivausweisung zu werten (a.a.O. <47 f.>). Auch nach Ansicht des 20. Senats des VGH München sind Vorbehaltsgebiete nicht für Positivausweisungen geeignet. Sind die Vorranggebiete so gewählt und zugeschnitten, dass sie - wie hier - für die Nutzung der Windenergie in substanzieller Weise Raum schaffen, stehen unbeplante ("weiße") Flächen der Ausschlusswirkung nicht entgegen. Die Ausschlusswirkung erstreckt sich freilich nur auf die Flächen, die der Plan als Ausschlusszone festschreibt. Die unbeplanten Flächen erfasst sie nicht, weil es in Bezug auf diese Flächen an einer abschließenden raumordnerischen Entscheidung des Trägers der Raumordnung fehlt (vgl. BVerwG 4 C 3.02 - a.a.O. <1262>). Im Unterschied zum Sachverhalt in der vorgenannten Entscheidung, in dem die Errichtung einer Windenergieanlage auf "weißen" Flächen zur Debatte stand, geht es vorliegend um Vorhaben, die in der Ausschlusszone errichtet werden sollen. Für diese Zone hat der Plangeber eine abschließende Entscheidung getroffen.

Dem Rechtssatz des Senats in der Entscheidung vom - BVerwG 4 C 15.01 - (a.a.O. <294 f.>), eine Gemeinde dürfe nicht das gesamte Gemeindegebiet mit dem Instrument des Flächennutzungsplans für Windenergieanlagen sperren und den Flächennutzungsplan daher nicht als Mittel dazu nutzen, unter dem Deckmantel der Steuerung Windkraftanlagen in Wahrheit zu verhindern, hat das Berufungsgericht nicht die Gefolgschaft verweigert. Im Gewand der Rüge, das Berufungsgericht habe diesem Rechtssatz einen Rechtssatz des Inhalts gegenübergestellt, die Positivausweisung einer Vorrangfläche für die Windenergienutzung in einer Größe von 0,15 % der Gesamtfläche des Plangebiets stelle keine verkappte Verhinderungsplanung dar, beanstandet die Beschwerde, dass die Vorinstanz den höchstrichterlichen Rechtssatz unrichtig auf den konkreten Sachverhalt angewandt hat. Subsumtionsfehler - so sie denn vorlägen - erfüllen den Tatbestand des § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO indessen nicht.

Das Berufungsgericht hat auch nicht dem Rechtssatz aus der Entscheidung des Senats vom - BVerwG 4 C 4.02 - (a.a.O. <47>) widersprochen, die gesetzgeberische Konzeption verbiete es, in der Bilanz der Positiv- und Negativflächen Vorbehaltsgebiete als Positivausweisung zu werten. Es hat sich diesem Rechtssatz vielmehr angeschlossen, indem es - wie bereits erwähnt - nur den Vorrangflächen die Wirkung einer Konzentrationszone zuerkannt hat.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO und die Streitwertentscheidung auf § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 1, § 72 Nr. 1 GKG.

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:




Fundstelle(n):
GAAAC-12619