BVerwG Beschluss v. - 1 B 429.02

Leitsatz

1. Die Pflicht zur Begründung der Berufung nach § 124 a Abs. 6 VwGO n.F. erfordert unverändert die Einreichung eines gesonderten Schriftsatzes nach Zulassung der Berufung.

2. Zur Vermeidung der Zurechenbarkeit einer Fristversäumnis ist der Prozessbevollmächtigte verpflichtet, das Empfangsbekenntnis über die Zustellung eines Berufungszulassungsbeschlusses erst dann zu unterzeichnen und zurückzugeben, wenn in den Handakten die Begründungsfrist festgehalten und vermerkt ist, dass die Frist im Fristenkalender notiert worden ist.

3. Ein Anwaltsverschulden ist dem Asylbewerber im Asylrechtsstreit auch dann gemäß § 173 VwGO i.V.m. § 85 Abs. 2 ZPO zuzurechnen, wenn nur noch der Anspruch auf Abschiebungsschutz nach § 53 AuslG im Streit ist.

Gesetze: VwGO § 60; VwGO § 124 a Abs. 6; ZPO § 85 Abs. 2; AuslG § 53

Instanzenzug: VG Stuttgart VG A 17 K 12714/01 vom VGH Mannheim VGH A 9 S 386/02 vom

Gründe

Die auf die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache und auf Verfahrensmängel (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 und Nr. 3 VwGO) gestützte Beschwerde hat keinen Erfolg.

I. Das Berufungsgericht hat die Berufung der Kläger verworfen, weil sie nicht innerhalb der einmonatigen Begründungsfrist des § 124 a Abs. 6 Satz 1 VwGO begründet worden sei. Es hat dabei unter Berufung auf das BVerwG 9 C 6.98 - (BVerwGE 107, 117) die Auffassung vertreten, dass es nicht genüge, wenn sich die Begründung und der Berufungsantrag aus dem Vorbringen im Zulassungsverfahren entnehmen ließen, sondern der Berufungsführer nach Zulassung der Berufung einen Schriftsatz zur Begründung einreichen müsse. Dies gelte auch für § 124 a Abs. 6 Satz 1 VwGO in der Fassung des Gesetzes zur Bereinigung des Rechtsmittelrechts im Verwaltungsprozess (RmBereinVpG) vom (BGBl I S. 3987) - n.F. -, der seinem Inhalt nach § 124 a Abs. 3 VwGO a.F. entspreche. Dem Antrag der Kläger auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach § 60 Abs. 1 VwGO könne nicht entsprochen werden, da die Prozessbevollmächtigte die Fristversäumnis verschuldet habe und die Kläger sich deren Verschulden zurechnen lassen müssten.

II. 1. Die Beschwerde hält die Frage für grundsätzlich klärungsbedürftig, ob § 124 a Abs. 6 Satz 1 VwGO n.F. dieselben Anforderungen an die Berufungsbegründung stelle, wie § 124 a Abs. 3 VwGO a.F. Zugleich macht sie als Verfahrensmangel geltend, das Berufungsgericht habe den Umstand, dass der Berufungsantrag und die Berufungsbegründung als solche bereits in dem Schriftsatz, mit dem die Zulassung der Berufung beantragt worden sei, enthalten gewesen seien, zu Unrecht nicht für eine ordnungsgemäße Begründung der Berufung nach § 124 a Abs. 6 VwGO habe ausreichen lassen.

Mit diesem Vorbringen ist weder eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache noch ein Verfahrensmangel aufgezeigt. Es bedarf nicht der Klärung in einem Revisionsverfahren, dass für die Begründung der Berufung nach § 124 a Abs. 6 Satz 1 VwGO n.F. dieselben Grundsätze gelten wie für die Berufungsbegründung nach dem bisherigen geltenden § 124 a Abs. 3 VwGO a.F. Dies ergibt sich schon daraus, dass die Vorschriften bis auf redaktionelle Änderungen, die sich aus der Einführung der Zulassung der Berufung durch das Verwaltungsgericht in § 124 a Abs. 1 bis 3 VwGO n.F. ergeben, wortgleich sind (vgl. auch die Begründung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung zu § 124 b - jetzt § 124 a Abs. 4 bis 6 - BTDrucks 14/6393 S. 13). Die von der Rechtsprechung entwickelten Anforderungen an die Berufungsbegründung gelten daher auch nach der Gesetzesänderung fort. Die erforderliche Begründung kann danach nicht bereits im Zulassungsverfahren abgegeben werden. Vielmehr muss der Berufungsführer nach Zulassung der Berufung durch das Oberverwaltungsgericht in jedem Fall einen gesonderten Schriftsatz zur Berufungsbegründung einreichen; es genügt nicht, wenn sich die Begründung und der Antrag dem Vorbringen im Zulassungsverfahren entnehmen lassen (vgl. das vom Berufungsgericht herangezogene Urteil vom a.a.O. sowie BVerwG 6 C 31.98 - BVerwGE 109, 336, 338 und BVerwG 1 B 11.02 - Buchholz 310 § 124 a VwGO Nr. 22). Demnach liegt auch der von der Beschwerde gerügte Verfahrensverstoß nach § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO nicht vor, weil das Berufungsgericht zu Recht die Ausführungen in dem Antrag auf Zulassung der Berufung nicht für eine ordnungsgemäße Berufungsbegründung im Sinne des § 124 a Abs. 6 VwGO hat ausreichen lassen.

2. Soweit die Beschwerde außerdem eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache im Zusammenhang mit der Versagung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach § 60 VwGO durch das Berufungsgericht geltend macht, wirft sie ebenfalls keine klärungsfähige und klärungsbedürftige Rechtsfrage von allgemeiner Bedeutung auf. Die von der Beschwerde für klärungsbedürftig gehaltene Frage, ob sich aus dem vorgetragenen Geschehensablauf tatsächlich ein Anwaltsverschulden der Prozessbevollmächtigten der Kläger ergibt, zielt nicht auf eine verallgemeinerungsfähig zu beantwortende rechtsgrundsätzliche Frage, sondern betrifft die Anwendung der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze zum Organisationsverschulden auf den Einzelfall. Dies rechtfertigt nicht die Zulassung einer Grundsatzrevision.

3. Auch die in der Grundsatzrüge zur Wiedereinsetzung nach § 60 VwGO sinngemäß enthaltene Verfahrensrüge, dass das Berufungsgericht den Klägern verfahrensfehlerhaft die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand versagt und deshalb die Berufung zu Unrecht als unzulässig verworfen habe, greift nicht durch.

Denn das Berufungsgericht hat den Wiedereinsetzungsantrag zu Recht abgelehnt.

Die Prozessbevollmächtigte der Kläger hat mit dem Wiedereinsetzungsantrag im Wesentlichen vorgetragen, sie selbst sei vom bis zum im Urlaub gewesen und ihre erfahrene und zuverlässige Fachangestellte habe trotz der Rechtsmittelbelehrung in dem am zugestellten Zulassungsbeschluss die Frist für die Berufungsbegründung versehentlich nicht in das Fristenbuch eingetragen. Deshalb sei ihr die Sache erstmals mit dem gerichtlichen Schreiben vom nach Fristablauf vorgelegt worden. Die Prozessbevollmächtigte hat damit nicht - wie erforderlich (vgl. etwa BVerwG 2 B 57.00 - Buchholz 310 § 60 VwGO Nr. 236) - innerhalb der Frist des § 60 Abs. 2 Satz 1 VwGO schlüssig dargelegt, dass sie selbst kein Verschulden an der Fristversäumnis trifft. Dies wäre nur der Fall, wenn sie geltend gemacht hätte, durch geeignete organisatorische Maßnahmen dafür gesorgt zu haben, dass derartige Fristen korrekt eingetragen werden. Hierzu gehört es auch, dass das Empfangsbekenntnis über die Zustellung eines Urteils vom Rechtsanwalt erst dann unterzeichnet und zurückgesandt werden darf, wenn in den Handakten die Rechtsmittelfrist festgehalten und vermerkt ist, dass die Frist im Fristenkalender notiert worden ist (stRspr des BGH, etwa Beschluss vom - VI ZB 1.96 - NJW 1996, 1900; ebenso 6 RKa 61.96 - <juris>). Dies gilt auch für die Zustellung eines Beschlusses über die Zulassung der Berufung nach § 124 a Abs. 5 VwGO n.F., durch die die Berufungsbegründungsfrist ausgelöst wird. Dass die Prozessbevollmächtigte derartige organisatorische Vorkehrungen zur Vermeidung von Fehlern bei der Fristeintragung - auch und gerade für ihre urlaubsbedingte Abwesenheit - getroffen hat, ist nicht vorgetragen oder erkennbar. Das Berufungsgericht ist daher zu Recht davon ausgegangen, dass die Kläger nicht ohne das ihnen zuzurechnende Verschulden ihrer Prozessbevollmächtigten (vgl. hierzu unten 4.) an der Einhaltung der Frist gehindert waren. Angesichts dieser Sachlage braucht nicht weiter geklärt zu werden, ob das zu den Gerichtsakten gereichte Empfangsbekenntnis über die Zustellung des Zulassungsbeschlusses - wie es den Anschein hat - von der Prozessbevollmächtigten selbst unterschrieben worden ist.

4. Soweit die Beschwerde schließlich die Frage aufwirft, ob dem Asylbewerber im Asylrechtsstreit das Verschulden seines Anwalts auch dann zuzurechnen ist, wenn materiellrechtlich nur noch das Vorliegen von Abschiebungshindernissen gemäß § 53 AuslG zu prüfen ist, und ob dies einen Verstoß gegen Art. 1 und 2 GG darstellt, bedarf es ebenfalls nicht der Durchführung eines Revisionsverfahrens, weil diese Frage bereits geklärt ist ( 2 BvR 1989.97 - NJW 2000, 907 = DVBl 2000, 1279). Danach verstößt die in § 85 Abs. 2 ZPO, § 173 VwGO vorgesehene Gleichstellung des Verschuldens des Prozessbevollmächtigten mit dem Verschulden der Partei auch in Asylrechtsstreitigkeiten nach dem seit dem geltenden neuen Asylverfahrensgesetz nicht gegen das Grundgesetz. Obwohl eine Fristversäumung des Prozessbevollmächtigten danach zum Verlust nicht nur des Asylanspruchs nach Art. 16 a Abs. 1 GG und des Abschiebungsschutzanspruchs nach § 51 Abs. 1 AuslG, sondern auch des Abschiebungsschutzanspruchs nach § 53 AuslG führt, kann der Betroffene wegen des ihm von der Rechtsprechung zugebilligten Anspruchs auf ermessensfehlerfreie Entscheidung über ein Wiederaufgreifen des Verfahrens nach § 51 Abs. 5 i.V.m. § 48 Abs. 1 VwVfG zumindest eine erneute gerichtlich überprüfbare Entscheidung zum Abschiebungsschutz nach § 53 AuslG erlangen. Dies gilt unabhängig davon, ob im konkreten Fall sämtliche in die Zuständigkeit des Bundesamts für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge fallenden Schutzbegehren noch Gegenstand des gerichtlichen Verfahrens sind oder ob - wie hier - nur noch der Anspruch auf Abschiebungsschutz nach § 53 AuslG im Streit ist. Die maßgeblichen Erwägungen über die Möglichkeit des Wiederaufgreifens des Verfahrens gelten auch im letztgenannten Fall.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Gerichtskosten werden gemäß § 83 b Abs. 1 AsylVfG nicht erhoben. Der Gegenstandswert ergibt sich aus § 83 b AsylVfG.

Fundstelle(n):
VAAAC-12024