BGH Beschluss v. - 2 StR 230/03

Leitsatz

[1] Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.

Gesetze: StPO § 349 Abs. 2; StGB § 21; StGB § 212 Abs. 2; StGB § 211; StGB § 49 Abs. 1; StGB § 212 Abs. 1; StGB § 50

Instanzenzug:

Gründe

1. Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Totschlags (Einzelfreiheitsstrafe: elf Jahre und sechs Monate) und wegen Unterschlagung in Tateinheit mit Erwerb sowie Führen einer Schußwaffe ohne erforderliche Erlaubnis (Einzelfreiheitsstrafe: 1 Jahr und sechs Monate) zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwölf Jahren und drei Monaten verurteilt und seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet.

Hiergegen richtet sich die Revision des Angeklagten, mit der er die Verletzung formellen und materiellen Rechtes rügt. Sein Rechtsmittel hat mit der Sachrüge in dem aus der Beschlußformel ersichtlichen Umfang Erfolg: der Einzelstrafausspruch wegen Totschlags und damit auch der Gesamtstrafenausspruch haben keinen Bestand, da die Ausführungen des Tatrichters bei der Prüfung eines besonders schweren Falles des Totschlags (§ 212 Abs. 2 StGB) rechtlichen Bedenken begegnen. Im übrigen ist das Rechtsmittel unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.

2. Nach den Feststellungen des Landgerichts tötete der Angeklagte im Wald einen Jäger, der ihm den Weg zu Pilzen versperrte, mit einem Messer. Hierbei stach er ca. 50 Mal auf das Opfer ein, wobei das Landgericht zugunsten des Angeklagten davon ausging, daß bereits der erste mit direktem Tötungsvorsatz geführte Stich tödlich war. Nach dem Tod des Opfers nahm der Angeklagte dessen Gewehr in Zueignungsabsicht an sich.

Der Angeklagte handelte bei der Ausführung der Tat im Zustand erheblich verminderter Schuldfähigkeit; seine Steuerungsfähigkeit war erheblich eingeschränkt, aber nicht aufgehoben. Nach Auffassung des Landgerichts weise die Persönlichkeitsstruktur des Angeklagten paranoide und schizoide Züge auf, die den schweren anderen seelischen Abartigkeiten zuzuordnen seien und das Gewicht einer krankhaften seelischen Störung erreichen würden. Dieser Zustand sei keineswegs nur vorübergehender Natur, sondern länger andauernd.

Das Landgericht bejahte die Voraussetzungen des Totschlags, verneinte aber Mordmerkmale im Ergebnis. Es nahm hierbei an, daß der Angeklagte objektiv aus niedrigen Beweggründen gehandelt habe, er sich aber letztlich im Hinblick auf seine paranoide Persönlichkeitsstruktur nicht der Umstände bewußt gewesen sei, die den Antrieb zum Handeln sittlich besonders verwerflich machen. Deshalb würden die subjektiven Voraussetzungen des Merkmals "niedrige Beweggründe" fehlen. Das Mordmerkmal "grausam" lehnte der Tatrichter aus objektiven und subjektiven Gründen ab. Objektiv liege Grausamkeit nicht vor, da zugunsten des Angeklagten davon ausgegangen werden müsse, daß bereits der erste Messerstich tödlich gewesen sei, so daß das Opfer nicht besonders starke Schmerzen oder Qualen erlitten habe. Es fehle aber auch an den subjektiven Voraussetzungen, da in Anbetracht der affektiven Erregung und der ursächlichen Persönlichkeitsstörung nicht davon ausgegangen werden könne, er habe mit dem Bewußtsein grausamer Tatausführung gehandelt.

Im Rahmen der Strafzumessung lehnte das Landgericht zunächst einen minder schweren Fall des Totschlags (§ 213 StGB) - auch unter Berücksichtigung des vertypten Milderungsgrundes des § 21 StGB - rechtsfehlerfrei ab. Bei der Prüfung eines besonders schweren Falles des Totschlags (§ 212 Abs. 2 StGB) war sich das Landgericht bewußt, daß die Nähe zu einem Mordmerkmal zur Bejahung des § 212 Abs. 2 StGB nicht ausreicht, sondern vielmehr schulderhöhende Umstände hinzukommen müssen, die besonderes Gewicht haben. Diese sah der Tatrichter in der Nähe zu zwei Mordmerkmalen ("grausam" und "aus niedrigen Beweggründen"), um dann auszuführen:

"Obwohl damit die Nähe zu zwei Mordmerkmalen und gleichsam besonders schulderhöhende Momente vorlägen, mußte die Annahme eines besonders schweren Falles des Totschlags bei Gesamtwürdigung aller objektiven und subjektiven Umstände aus dem Grund scheitern, daß diese Nähe der Tat zum Mord auf der paranoiden Persönlichkeitsstörung des Angeklagten beruht, der infolge dessen im Zustand verminderter Schuldfähigkeit gemäß § 21 StGB handelte. Somit können die niedrigen Beweggründe und die brutale Art der Tatausführung dem Angeklagten nicht mit dem einen besonders schweren Fall begründenden Gewicht vorgeworfen werden, da der Angeklagte nicht voll umfänglich in der Lage war, die tatauslösenden Wut- und Rachegefühle willensmäßig zu steuern, denn bei dem Angeklagten war die Steuerungsfähigkeit erheblich eingeschränkt. Es würde in der Regel dem Schuldprinzip widersprechen, wollte man den Täter, der aus subjektiven Gründen nicht wegen Mordes verurteilt werden kann, wegen der Nähe der objektiv vorliegenden Motive zu den niedrigen Beweggründen im Sinne des § 211 StGB auf dem Umweg über den besonders schweren Fall des Totschlages mit der dem Mörder zugedachten Strafe belegen (vgl. BGH NStZ 1981, 258). Ausscheiden mußte schließlich auch die Möglichkeit, den Strafrahmen des besonders schweren Falles gemäß § 212 Abs. 2 StGB lediglich nach § 49 Abs. 1 StGB herabzusetzen.

Aufgrund der Ablehnung eines besonders schweren Falles wegen der eine andere schwere seelische Abartigkeit darstellenden paranoiden Persönlichkeitsstörung kam nunmehr jedoch eine Milderung des daraufhin einschlägigen Strafrahmens des § 212 Abs. 1 StGB nach den §§ 21, 49 Abs. 1 StGB nicht mehr in Betracht. Denn der Umstand der erheblich verminderten Schuldfähigkeit des Angeklagten wurde bereits bei der Strafrahmenbestimmung herangezogen und ist damit für eine weitere Strafrahmenverschiebung verbraucht. Bei Verneinung eines besonders schweren Falles aufgrund der erheblichen Verminderung der Schuldfähigkeit allein oder mit weiteren Umständen kommt entsprechend dem Grundgedanken des § 50 StGB eine nochmalige Strafrahmenverschiebung durch Herabsetzung des Regelstrafrahmens nach §§ 21, 49 Abs. 1 StGB nicht mehr in Frage (vgl. BGH NStZ 1986, 312; Stree in Schönke/Schröder, StGB 26. Aufl. § 50 Rdn. 7; Tröndle/Fischer, StGB 51. Aufl. § 50 Rdn. 2). Denn andernfalls würde eine mit dem Regelungszweck des § 50 StGB nicht vereinbare Doppelverwertung von Strafzumessungstatsachen in Bezug auf die Strafrahmenwahl ermöglicht.

Zur Ahndung der Tat reichte mithin der Regelstrafrahmen des Totschlagtatbestandes aus, so daß gemäß § 212 Abs. 1 StGB für die Tat von einem Strafrahmen von fünf Jahren bis 15 Jahren auszugehen war."

3. Diese Ausführungen des Tatrichters begegnen durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Das Landgericht hat rechtsfehlerhaft nur unter "Verbrauch" (§ 50 StGB) des vertypten Milderungsgrundes (§ 21 StGB) einen besonders schweren Fall des Totschlags verneint. Es kann hierbei dahinstehen, ob im vorliegenden Fall überhaupt grundsätzlich an die Nähe zu zwei Mordmerkmalen gedacht werden kann, da das Mordmerkmal "grausam" nicht lediglich aus subjektiven Gründen ausscheidet, sondern auch objektiv nicht gegeben ist, wenn man die zugunsten des Angeklagten getroffenen Feststellungen, daß bereits der erste Messerstich tödlich war, konsequent beachtet. Es bedarf auch keiner Entscheidung, ob die Verneinung eines besonders schweren Falles unter Berufung auf einen vertypten Milderungsgrund die Anwendung des § 50 StGB ohne weiteres nach sich zieht (vgl. dazu unter anderem Gribbohm in LK StGB 11. Aufl. Rdn. 14 ff. zu § 50 StGB; BGH NJW 1986, 1699, 1700; BGHR StGB vor § 1/minder schwerer Fall - Gesamtwürdigung, unvollständige 11).

Der Rechtsfehler des Landgerichts ist darin zu sehen, daß es nicht erkannt hat, daß hier nicht der vertypte Milderungsgrund der erheblich verminderten Steuerungsfähigkeit als Folge der Persönlichkeitsstörung an sich zur Verneinung eines besonders schweren Falles des Totschlags führt, sondern daß bereits die tatsächlichen Umstände aus dem Umkreis des besonderen gesetzlichen Milderungsgrundes die Annahme eines besonders schweren Falles ausschließen. Die paranoide Persönlichkeitsstörung des Angeklagten, die zur Verneinung der subjektiven Voraussetzungen der Mordmerkmale geführt hat, läßt auch die "Nähe" zu diesen Mordmerkmalen entfallen. Es fehlt die besondere Verwerflichkeit, die die Tat in ihrem Unwert zurechenbar mit Mord auf eine Ebene hebt. Der Tatrichter durfte daher nicht zunächst gedanklich die Voraussetzungen des § 212 Abs. 2 StGB bejahen, um dann in die Prüfung einzutreten, ob dieser Strafrahmen gemäß §§ 21, 49 Abs. 1 StGB zu mildern ist oder, ob mit der Folge des § 50 StGB von einem besonders schweren Fall unter "Verbrauch" eines vertypten Milderungsgrundes abzusehen ist. Er hätte vielmehr bedenken müssen, daß bereits die paranoide Persönlichkeitsstörung des Angeklagten hier der Bejahung des § 212 Abs. 2 StGB entgegenstand und daß er dann an einer weiteren Milderung nach §§ 21, 49 Abs. 1 StGB nicht gehindert war (vgl. auch Horstkotte, Festschrift für Eduard Dreher 1977 S. 265, 278).

Aus der vom Tatrichter angeführten Entscheidung (BGH NStZ 1981, 258) ergibt sich nichts anderes. Der Bundesgerichtshof hat dort betont, daß die Nähe des objektiven Sachverhalts zum Mord dann kaum zur Anwendung des § 212 Abs. 2 StGB führen kann, wenn die zur Aburteilung stehende Tötung gerade in einer besonderen die Mordqualifikation ausschließenden Persönlichkeitsstruktur ihre charakteristische Prägung findet, ohne daß in dem Sachverhalt gravierende sonstige Besonderheiten gegeben sind, die eine lebenslange Freiheitsstrafe nahelegen. Abgesehen davon, daß diese Entscheidung keinen Fall betrifft, in dem - wie hier - das Vorliegen der Voraussetzungen des § 21 StGB bejaht wurde, macht sie jedoch gerade deutlich, daß die Umstände, die zur Verneinung von Mordmerkmalen geführt haben, auch die Verneinung der Nähe zu Mordmerkmalen - damit auch des § 212 Abs. 2 StGB - nahe legen. Ansonsten käme man unter Verstoß gegen das Schuldprinzip auf dem Umweg über die Bejahung der Voraussetzungen des § 212 Abs. 2 StGB zu einem dem Mörder zugedachten Strafrahmen.

Dies zeigt gerade auch der vorliegende Fall. Würde die Auffassung des Tatrichters zutreffen, hätte sich der Angeklagte bei Annahme von Mord besser gestellt; denn der gemäß §§ 21, 49 Abs. 1 StGB gemilderte Strafrahmen des § 211 StGB beträgt drei bis fünfzehn Jahre Freiheitsstrafe und liegt damit unter dem vom Landgericht angewandten Regelstrafrahmen des § 212 Abs. 1 StGB (fünf bis fünfzehn Jahre Freiheitsstrafe). Es ist deshalb auch nicht ohne weiteres verständlich, daß das Landgericht - ausgehend von seinem unzutreffenden Ausgangspunkt - ohne nähere Begründung die dem Angeklagten gegenüber dem Regelstrafrahmen des § 212 Abs. 1 StGB günstigere Möglichkeit einer Milderung des Strafrahmens des § 212 Abs. 2 StGB gemäß §§ 21, 49 Abs. 1 StGB (vgl. hierzu auch ) abgelehnt hat. Hierauf kommt es aber letztlich nicht entscheidend an, da bereits die Verneinung eines besonders schweren Falles (§ 212 Abs. 2 StGB) unter "Verbrauch" des vertypten Milderungsgrundes (§ 21 StGB) bei der gegebenen Sachlage rechtsfehlerhaft war.

Der Senat kann nicht ausschließen, daß die für den Totschlag verhängte Freiheitsstrafe von elf Jahren und sechs Monaten auf diesem Rechtsfehler beruht. Die Aufhebung der Einzelstrafe zieht die Aufhebung der Gesamtfreiheitsstrafe nach sich.

Die jeweils zugrundeliegenden Feststellungen sind von dem Rechtsfehler nicht berührt und können daher bestehen bleiben.

Der Senat schließt aus, daß sich der Rechtsfehler auf die weitere Einzelstrafe von einem Jahr und sechs Monaten und auf die Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus (§ 63 StGB) ausgewirkt hat.

Durch die Teilaufhebung des Urteils und entsprechende Zurückverweisung der Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung ist die ebenfalls eingelegte Kostenbeschwerde gegenstandslos geworden.

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:

Fundstelle(n):
DAAAC-11379

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