BGH Urteil v. - 2 StR 365/04

Leitsatz

[1] Zum Tatbestand des Verharmlosens in einer öffentlichen Versammlung im Sinne von § 130 Abs. 3 StGB.

Gesetze: StGB § 130 Abs. 2 Nr. 1 Buchst. a; StGB § 130 Abs. 2 Nr. 1 Buchst. b; StGB § 130 Abs. 2 Nr. 1 Buchst. d; StGB § 130 Abs. 3

Instanzenzug: LG Erfurt vom

Gründe

I.

Das Landgericht hat den Angeklagten aus tatsächlichen Gründen vom Vorwurf eines Vergehens der Volksverhetzung (§ 130 Abs. 2 Nr. 1 a, Abs. 3, Abs. 4 StGB) freigesprochen. Ihm lag zur Last, eine Schrift verbreitet zu haben, in der die Tötung von Juden in Auschwitz verharmlost worden sei.

1. Die Strafkammer hat folgende Feststellungen getroffen:

Der Angeklagte war Landesvorsitzender des Landesverbandes Thüringen des Bundes der Vertriebenen und auf Bundesebene dessen Vizepräsident. Am fand in der Stadthalle in A. der Verbandstag des Landesverbandes Thüringen statt, auf dem der Angeklagte als Landesvorsitzender einen Rechenschaftsbericht zu erstatten hatte. Der von ihm erstellte Rechenschaftsbericht lag in schriftlicher Form vor und wurde in fünf vorbereiteten Pressemappen im Eingangsbereich der Stadthalle von der Pressereferentin des Landesverbandes für geladene Pressevertreter bereitgehalten. Ausgehändigt wurden Pressemappen zunächst an den bei der Rede anwesenden Journalisten K. der Thüringer Allgemeinen Zeitung und später an den Reporter des MDR 1 Radio Thüringen S. , der die Rede des Angeklagten selbst aber nicht mit angehört hatte und darüber auch nicht berichtete.

Der Text des Rechenschaftsberichtes war nach den handschriftlichen Vorgaben des Angeklagten von der Zeugin H. in Maschinenschrift umgesetzt worden. Das Deckblatt des Rechenschaftsberichts enthielt den Vermerk "Sperrfrist: , 9.30 Uhr. Es gilt das gesprochene Wort!"

Der Rechenschaftsbericht enthielt folgende Passage:

"Noch verhindern die Wolken einer bewusst betriebenen einseitigen Kollektivschuldzuweisung gegenüber unserem Volke den klaren Blick zur Beurteilung der Verbrechen in der jüngeren europäischen Geschichte und über die Kriegsschuld an den Kriegen des vergangenen Jahrhunderts. Dies wird sich bald verändern, da die Lügen über Katyn, über Jebawke (richtig: Jedwabne), über die Opfer in Auschwitz und anderes nicht mehr länger zu halten sind".

Der in der Pressemappe enthaltene Rechenschaftsbericht wurde vom Angeklagten in veränderter Form vor den etwa 200 Delegierten mündlich vorgetragen. Dabei formulierte er diese Passage wie folgt:

"Noch verhindern die Wolken einer bewusst betriebenen einseitigen Kollektivschuldzuweisung gegenüber unserem Volke den klaren Blick zur Beurteilung der Verbrechen in der jüngeren europäischen Geschichte und über die Kriegsschuld in den Kriegen des vergangenen Jahrhunderts. Dies wird sich bald verändern, da die Lügen über Katyn, Jedwabne und die Aussagen über die Opfer in Auschwitz und anderes nicht mehr länger zu halten sind. In Auschwitz gab es offensichtlich keine 6 Millionen Opfer, sondern, wie ich in Polen erfahren habe, sind 930.000 nachgewiesen. Dabei geht es nicht um die Relativierung des Verbrechens, sondern um die geschichtliche Wahrheit. Sie kennen meine Einstellung, daß jedes Opfer eines Verbrechens eines zu viel ist."

Am verfaßte der bei der Rede anwesende Journalist K. der Thüringer Allgemeinen Zeitung einen Artikel, in dem er den Angeklagten wegen dessen Äußerungen vor den Delegierten, insbesondere in Bezug auf die betreffende Passage des Rechenschaftsberichts, scharf angriff.

2. Das Landgericht hält ein strafbares Verhalten des Angeklagten nicht für gegeben. Zwar handele es sich bei der Formulierung in dem von ihm inhaltlich zu verantwortenden schriftlichen Rechenschaftsbericht um eine im Rahmen von § 130 Abs. 2, 3 und 4 StGB strafrechtlich relevante Äußerung, da hierdurch der Holocaust in Auschwitz zumindest verharmlost werde. Die Ausführungen seien auch geeignet, den öffentlichen Frieden zu stören, der Angeklagte habe aber diesen Bericht weder öffentlich zugänglich gemacht noch verbreitet.

3. Gegen den Freispruch wendet sich die Staatsanwaltschaft mit ihrer auf die Verletzung sachlichen Rechts gestützten Revision. Sie ist der Meinung, das Landgericht habe den Begriff des Verbreitens verkannt. Die vom Angeklagten gewollte Aushändigung der Pressemappe mit seinem Redemanuskript an Journalisten als Grundlage für deren Bericht von seiner Rede erfülle den Tatbestand des Verbreitens.

4. Den vom Angeklagten im Rahmen seiner Rede getätigten Äußerungen hat das Landgericht wie bereits die Staatsanwaltschaft in ihrer Abschlußverfügung vom zumindest mangels nachweisbaren Vorsatzes keine strafrechtliche Relevanz im Rahmen von § 130 Abs. 3 StGB zugemessen.

II.

Das Rechtsmittel, das der Generalbundesanwalt vertritt, führt zur Aufhebung des Urteils.

1. Die Strafkammer hat zwar unter den gegebenen Umständen im Ergebnis in rechtlich nicht zu beanstandender Weise in der Verteilung der Presseerklärung an zwei Journalisten kein Vergehen der Volksverhetzung nach § 130 Abs. 2 Nr. 1 Buchst. a), Abs. 3, 4 StGB gesehen. Nach diesen Vorschriften macht sich strafbar, wer Schriften verbreitet, die eine unter der Herrschaft des Nationalsozialismus begangene Handlung der in § 6 Abs. 1 VStGB bezeichneten Art in einer Weise, die geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören, leugnet oder verharmlost.

Der Begriff "Verbreiten" wird in mehreren Straftatbeständen des StGB verwendet (vgl. u.a. §§ 86, 86 a, 184, 186 StGB). Der Gesetzgeber hat den Begriff nicht näher abgegrenzt. Er unterliegt deshalb der Auslegung, wobei insbesondere auf den Grundgedanken der jeweiligen Vorschrift abzustellen ist. Im Rahmen von § 130 Abs. 2 Nr. 1 Buchst. a) StGB bedeutet "Verbreiten" die mit einer körperlichen Weitergabe der Schrift verbundene Tätigkeit, die darauf gerichtet ist, die Schrift ihrer Substanz nach einem größeren Personenkreis zugänglich zu machen, wobei dieser nach Zahl und Individualität so groß sein muß, daß er für den Täter nicht mehr kontrollierbar ist. Dabei reicht schon die Weitergabe eines Exemplars der Schrift aus, wenn dies mit dem Willen geschieht, der Empfänger werde die Schrift durch körperliche Weitergabe einem größeren Personenkreis zugänglich machen oder wenn der Täter mit einer Weitergabe an eine größere nicht mehr zu kontrollierende Zahl von Personen rechnet (Kettenverbreitung). Bei der Aushändigung einer Vielzahl gleicher Exemplare an verschiedene Abnehmer (Mengenverbreitung) wird bereits verbreitet, wenn der Täter das erste Exemplar einer Mehrzahl von ihm zur Verbreitung bestimmter Schriften an einen einzelnen Bezieher abgegeben hat. Voraussetzung ist aber immer, daß an einen größeren und nicht (vom Täter) kontrollierbaren Personenkreis weitergegeben wird oder weitergegeben werden soll. Die Weitergabe an einzelne bestimmte Dritte allein vermag das Merkmal des Verbreitens nicht zu erfüllen, wenn nicht feststeht, daß der Dritte seinerseits die Schrift an weitere Personen überlassen wird. Entscheidend ist, daß die Schrift, nicht etwa bloß ihr geistiger Inhalt, so vielen Personen zugänglich gemacht wird, daß es sich bei den Empfängern um einen für den Täter nicht mehr kontrollierbaren Personenkreis handelt (vgl. dazu BGHSt 13, 257, 258; 18, 63, 64; 19, 63, 71; 47, 55, 59; BGH MDR 1966, 687; BGH NJW 1999, 1979, 1980 insoweit in BGHSt 45, 41 nicht abgedruckt; BayObLG NStZ 1983, 120 ff. m. Anm. Keltsch; 1996, 436, 437; 2002, 258, 259 m. Anm. Schröder JZ 2002, 412 f.; OLG Frankfurt StV 1990, 209; Thüring. OLG NStZ 2004, 628 ff. (betrifft den hier abzuurteilenden Sachverhalt().

Das vom Angeklagten verfaßte und in die Pressemappe aufgenommene Redemanuskript war eine Schrift im Sinne von § 130 StGB (vgl. dazu BGHSt 13, 375, 376), das Manuskript war nicht nur an eine Person gerichtet und nicht nur für einen einzelnen Empfänger bestimmt, sondern sollte an alle interessierten Journalisten, die an der Versammlung teilnehmen wollten, verteilt werden. Tatsächlich ist der in der Presseerklärung enthaltene schriftliche Rechenschaftsbericht als solcher nicht verbreitet worden, sondern nur dessen Inhalt war im Zusammenhang mit der Rede des Angeklagten Gegenstand der Veröffentlichung in der Thüringer Zeitung. Das allein genügt aber nicht für ein "Verbreiten" im Sinne von § 130 Abs. 2 Nr. 1 Buchst. a) StGB. In der Weitergabe von zwei Pressemappen selbst liegt nach den getroffenen Feststellungen noch kein Verbreiten, da weder eine Ketten- noch eine Mengenverbreitung vorliegen.

2. Das Landgericht hat jedoch den Umstand, daß fünf Pressemappen bereitgehalten wurden und nach den getroffenen Feststellungen zu dem Verbandstag an Vertreter von verschiedenen Zeitungen, Agenturen, des Fernsehens und des Rundfunks Einladungen verschickt worden waren, nur unzureichend rechtlich bewertet.

a) Es hat ein Zugänglichmachen i.S.v. § 130 Abs. 2 Nr. 1 Buchst. b) StGB fehlerhaft abgelehnt, weil das Merkmal der Öffentlichkeit nicht erfüllt sei. Zugänglichmachen bedeutet, einem anderen die Möglichkeit zu eröffnen, sich durch sinnliche Wahrnehmung vom Inhalt der Schrift Kenntnis zu verschaffen. Dies kann entweder durch Wahrnehmung des Erzeugnisses in seiner Substanz oder in seinem Inhalt geschehen (BGH NJW 1976, 1984; Lackner/Kühl StGB 25. Aufl. Rdn. 5; Tröndle/Fischer StGB 52. Aufl. Rdn. 10; Lenckner/Perron in Schönke/Schröder StGB 26. Aufl. Rdn. 9 jew. zu § 184). Das Zugänglichmachen muß allerdings öffentlich erfolgen und ist dann gegeben, wenn die Möglichkeit der Wahrnehmung durch eine unbestimmte Vielzahl von - innerlich nicht notwendigerweise verbundenen - Personen eröffnet ist (Lackner/Kühl aaO Rdn. 6; Tröndle/Fischer aaO Rdn. 6 jew. zu § 74 d). Ein solcher Sachverhalt liegt hier nahe. Soweit das Landgericht (UA S. 16) eine Anwendung dieser Begehungsalternative abgelehnt hat, weil zu dem Verbandstag neben den Delegierten nur Pressevertreter zugelassen waren, nicht aber sonstige Öffentlichkeit und der Bericht nur auf Anforderung und nur an einen ganz bestimmten, eng begrenzten Personenkreis persönlich ausgegeben wurde, hat es nicht bedacht, daß die Pressevertreter ein Teil der Öffentlichkeit sind (vgl. BGHSt 34, 329, 332; 47, 278, 282) und dadurch eine unbestimmte Zahl von Personen von den Manuskripten Kenntnis nehmen konnten.

b) Die Tatbestandsalternative des "Vorrätighaltens zum Zwecke der Verbreitung" i S.v. § 130 Abs. 2 Nr. 1 Buchst. d) StGB hat es überhaupt nicht geprüft. Diese Prüfung lag hier aber nach der Ablehnung eines "Verbreitens" i.S.v. § 130 Abs. 2 Nr. 1 Buchst. a) StGB wegen der Weitergabe nur zweier Exemplare nahe, da fünf Pressemappen bereit lagen und etwa 15 Pressevertreter eingeladen waren (UA S. 11; vgl. zum Vorrätighalten: Lackner/Kühl aaO Rdn. 5; Lenckner/Perron aaO Rdn. 46 jew. zu § 184 StGB).

3. Dazu kommt, daß das Landgericht den zur Aburteilung stehenden Sachverhalt nicht in seinem gesamten Umfang beurteilt hat. Es hat nämlich nur am Rande erörtert, ob die Rede des Angeklagten auf der Vertreterversammlung den Tatbestand des § 130 Abs. 3 StGB erfüllt, und - wie die Staatsanwaltschaft - ohne nähere Begründung ein vorsätzliches Handeln verneint (UA S. 21). Nach § 130 Abs. 3 StGB wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft, wer eine unter der Herrschaft des Nationalsozialismus begangene Handlung der in § 6 Abs. 1 des VStGB bezeichneten Art in einer Weise, die geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören, öffentlich oder in einer Versammlung billigt, leugnet oder verharmlost. Nach den bisherigen Feststellungen könnten die mündlichen Äußerungen des Angeklagten die Alternative "in einer Versammlung verharmlosen" im Rahmen von § 130 Abs. 3 StGB erfüllen.

a) Das Landgericht war gehalten, den durch die zugelassene Anklage abgegrenzten Prozeßstoff erschöpfend zu behandeln (st. Rspr. BGHSt 25, 72, 75, 76; 32, 215, 216 m.w.N.; vgl. BGH wistra 2004, 272). Die Äußerungen des Angeklagten in der Versammlung, die auch in der Anklage im wesentlichen Ergebnis der Ermittlungen ausdrücklich erwähnt sind, stellen zusammen mit dem verteilten Redemanuskript einen einheitlichen Vorgang dar. Denn das in der Pressemappe enthaltene Redemanuskript sollte als Hilfe bei der Berichterstattung über diese Rede dienen. Daß die Staatsanwaltschaft in ihrer Abschlußverfügung vom einen hinreichenden Tatverdacht für eine Anklageerhebung bezüglich der mündlichen Äußerungen aus subjektiven Gründen verneint hat, steht dem nicht entgegen, eine möglicherweise zu beachtende "(Teil-) Einstellung" ist insoweit nicht erfolgt.

b) Die Äußerungen beziehen sich, dafür steht schon das Synonym "Auschwitz", auf unter der Herrschaft des Nationalsozialismus begangene Handlungen der in § 6 Abs. 1 VStGB bezeichneten Art (vgl. Lackner/Kühl aaO Rdn. 8 a zu § 130; allgemein zum Leugnen des Holocaust EGMR NJW 2004, 3691 ff.).

c) Sie wurden in einer Versammlung getätigt. Daß es sich um eine Vertreterversammlung eines Verbandes mit einer beschränkten Anzahl von Teilnehmern gehandelt hat, steht dem nicht entgegen. Denn zur Erfüllung des Merkmals "Versammlung" genügt eine räumlich zu einem bestimmten Zweck vereinigte Personenmehrheit, dabei kann es sich auch um einen begrenzten Personenkreis handeln (vgl. Tröndle/Fischer aaO § 80 a Rdn. 4; Lackner/Kühl aaO Rdn. 2 zu § 80 a; Bubnoff in LK 11. Aufl. Rdn. 14 zu § 111 jew. m.w.N.).

d) Der Angeklagte hat nach den bisherigen Feststellungen auch verharmlost. Ein Verharmlosen liegt vor, wenn der Äußernde die Anknüpfungstatsachen für die Tatsächlichkeit der NS-Gewalttaten herunterspielt, beschönigt oder in ihrem wahren Gewicht verschleiert (BGHSt 46, 36, 40; 47, 278): Nicht erforderlich ist das Bestreiten des Völkermordes als historisches Gesamtgeschehen, es genügen ein "Herunterrechnen der Opferzahlen" und sonstige Formen des Relativierens oder Bagatellisierens seines Unrechtsgehalts (vgl. BT-Drucks. 9/2090 S. 7, 8; 10/1286 S. 9; BGHSt 46, 36, 40; Tröndle/Fischer aaO Rdn. 31; Bubnoff aaO Rdn. 44; Lenckner in Schönke/Schröder, aaO Rdn. 21 jeweils zu § 130; vgl. auch Wandres; Die Strafbarkeit des Auschwitz-Leugnens 2000 S. 230 ff.; 245 ff.; König/Seitz NStZ 1995, 1, 3; Stegbauer NStZ 2000, 281, 285), wobei es sich dann um eine abgeschwächte Form des Leugnens handelt ("teilweises Leugnen" vgl. Wandres aaO S. 230; Stegbauer NStZ 2000, 284). Ein solches Relativieren und Bagatellisieren liegt hier vor. Das NS-Gewalt- und Massenvernichtungsunrecht im Konzentrationslager Auschwitz ist eine geschichtliche Tatsache. Demgegenüber geht die Aussage der einschlägigen Textpassage der Rede des Angeklagten erkennbar dahin, daß es nicht in dem geschichtlich anerkannten Umfang zu dem Massenmord in Auschwitz gekommen sei. Die Zahl der Opfer müsse vielmehr in so erheblicher Weise nach unten korrigiert werden, daß es in diesem Zusammenhang als angebracht erscheine, der bisherigen Geschichtsschreibung bewußt betriebene einseitige Kollektivschuldzuweisung gegenüber dem deutschen Volk und den Gebrauch von Lügen zu bescheinigen. Der Kontext der Rede zeigt somit ein umfassendes Herunterspielen der Opferzahlen durch den Angeklagten, nicht nur ein zahlenmäßiges Infragestellen im Randbereich der geschichtlich feststehenden Größenordnung.

In der Rede findet sich zwar auch eine beschwichtigende Bekundung ("dabei geht es nicht um die Relativierung des Verbrechens, sondern um die geschichtliche Wahrheit"). Damit wird aber die verharmlosende Hauptaussage des Angeklagten, die Aussagen über die Zahl der Opfer in Auschwitz entspreche nicht der Wahrheit, nicht in Frage gestellt. Im Vordergrund bleibt das Leugnen der geschichtlichen Wahrheit durch das bewußte Infragestellen der Opferzahlen. Denn dem Angeklagten ging es ersichtlich nicht um ein "Zahlenspiel". Sinn seiner Ausführungen war es, "die Lügen über Katyn, über Jedwabne, die Aussagen über die Opfer in Auschwitz" anzuprangern. Der Angeklagte wollte den Eindruck erwecken, daß eine zutreffende Beurteilung der Verbrechen, also insbesondere auch der nationalsozialistischen Verbrechen in Auschwitz, bisher durch "bewußt betriebene einseitige Kollektivschuldzuweisung" und "Lügen" nicht möglich gewesen sei. Dies impliziert die Aussage, daß die bisherigen als gesichert geltenden Erkenntnisse über Anzahl und Schicksal der Opfer im Konzentrationslager Auschwitz das Ergebnis einer bewußten und gewollten Geschichtsfälschung seien, deren Richtigstellung zu einer entscheidend günstigeren Beurteilung nationalsozialistischer Unrechtstaten führen werde.

e) Die Rede des Angeklagten war auch geeignet, den öffentlichen Frieden zu stören. Gestört ist der öffentliche Frieden unter anderem dann, wenn das Vertrauen der Bevölkerung in die öffentliche Rechtssicherheit erschüttert wird (BGHSt 34, 329, 331; 46, 212, 218; vgl. auch Tröndle/Fischer aaO Rdn. 14 aE; Bubnoff aaO Rdn. 13 und 46 jeweils zu § 130 StGB), die Äußerungen "auf die Betroffenen als Ausdruck unerträglicher Mißachtung wirkt" (BT-Drucks. 9/2090 S. 7). Geeignetheit zur Friedensstörung liegt nach dem Sinn des Gesetzes aber nur dann vor, wenn die Äußerung vernünftigerweise eine der angeführten Reaktionen erwarten lassen muß (BT-Drucks. 9/2090 S. 8). Daß die Äußerungen des Angeklagten vor der Vertreterversammlung diese Wirkung hatten, zeigen schon die scharfen Angriffe des anwesenden Journalisten in seinem Bericht in der Thüringer Allgemeinen Zeitung über die Rede des Angeklagten (vgl. zur Beobachtung durch die Presse: BGHSt 47, 278, 282; vgl. auch BGHSt 34, 329, 332) und die Reaktion einiger Versammlungsteilnehmer (UA S. 21).

f) Auch die subjektive Seite ist zumindest in Gestalt des bedingten Vorsatzes (vgl. Lackner/Kühl aaO Rdn. 12 zu § 130) entgegen der Ansicht des Landgerichts nach dem bisherigen Beweisergebnis naheliegend. Im Falle des "Verharmlosens" muß sich der Vorsatz auf die Unwahrheit der mit der Verharmlosung verbundenen Tatsachenbehauptungen sowie auf die gänzliche Unangemessenheit der geäußerten Wertungen erstrecken (vgl. Tröndle/Fischer aaO § 130 Rdn. 34 aE; vgl. auch Wandres aaO S. 230 f.). Die bisherigen Feststellungen sprechen dafür, daß dem Angeklagten - unabhängig von seiner persönlichen Überzeugung (BGH NStZ 1995, 128 f.; vgl. auch Stegbauer NStZ 2000, 281, 286) - die Tragweite seiner Äußerungen bewußt und ihr Inhalt auch gewollt war. Gerade die Einschränkung "dabei geht es nicht um die Relativierung des Verbrechens, sondern um die geschichtliche Wahrheit" zeigt, daß es dem Angeklagten darauf ankam, seinen Zuhören bewußt zu machen, daß es sich bei der Zahl der Opfer in Auschwitz neben den "Lügen über Katyn, Jedwabne" um eine (weitere) "Lüge" handelte, um die nach seiner Ansicht "einseitig betriebene Kollektivschuldzuweisung" zu begründen. Zu berücksichtigen ist in diesem Zusammenhang zudem, daß die Ausführungen des Angeklagten über Katyn, Jedwabne und Auschwitz in dem Rechenschaftsbericht des Landesvorsitzenden eines Landesverbands des Bundes der Vertriebenen ersichtlich fehl am Platze waren, was auch Delegierte selbst bemängelten (UA S. 21).

Die Sache muß deshalb neu verhandelt werden.

Fundstelle(n):
MAAAC-09841

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