Leitsatz
[1] Zur Anwendung von § 26 a StPO und ihrer revisionsgerichtlichen Kontrolle nach der Entscheidung des und 2 BvR 638/01).
Gesetze: StPO § 26 a; StPO § 338 Nr. 3; GG Art. 101 Abs. 1 Satz 2
Instanzenzug: LG Krefeld vom
Gründe
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren und sechs Monaten verurteilt. Die hiergegen gerichtete Revision des Angeklagten, mit der er das Verfahren beanstandet und die Sachrüge erhebt, ist, wie der Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift dargelegt hat, unbegründet.
Anlass zu näherer Erörterung gibt nur die Rüge, an dem Urteil habe der Vorsitzende Richter L. mitgewirkt, nachdem er wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt und das Ablehnungsgesuch mit Unrecht verworfen worden sei. Mit ihr wird u. a. beanstandet, das Landgericht habe mehrere Ablehnungsgesuche fehlerhaft als unzulässig (§ 26 a StPO) behandelt. Auch insoweit zeigt die Revision indes keinen Rechtsfehler auf. Der absolute Revisionsgrund des § 338 Nr. 3 StPO ist nicht gegeben.
1. Einen Grund, der geeignet war, Misstrauen in die Unparteilichkeit des Vorsitzenden Richters zu rechtfertigen (§ 24 Abs. 1 und 2 StPO), hat der Angeklagte mit keinem seiner Ablehnungsanträge - soweit sie zulässig zum Gegenstand der Revision gemacht worden sind - vorgetragen.
a) Ein solcher Grund ist offensichtlich nicht gegeben, soweit der Angeklagte die Besorgnis der Befangenheit damit begründet hat, der Vorsitzende habe seinen Antrag auf Verlesung des Anklagesatzes in türkischer Sprache zurückgewiesen, die Hinzuziehung eines Dolmetschers für die türkische Sprache abgelehnt und ihm schließlich untersagt, einen türkischen Text zu verlesen (Ablehnungsgesuch vom ).
Der Angeklagte, der seit 1978 durchgehend in Deutschland lebt, hier die Schule besucht und eine Ausbildung durchlaufen hat, beherrscht, wovon sich das Landgericht durch Vernehmung von Zeugen und Auswertung von Urkunden überzeugt hat, die deutsche Sprache in Wort und Schrift fließend. Seine Sprachkenntnisse haben ihn in der Vergangenheit in die Lage versetzt, von ihm als solche empfundene sprachliche Ungenauigkeiten in den Protokollen über seine polizeilichen und richterlichen Vernehmungen zu korrigieren.
Bei diesem Sachverhalt vermögen die Anordnungen, mit denen der Vorsitzende auf der Verhandlung in deutscher Sprache bestanden hat, die Besorgnis seiner Befangenheit nicht zu begründen. Sie entsprechen § 184 GVG und sind deshalb nicht einmal zu beanstanden. Die Hinzuziehung eines Dolmetschers ist nach § 187 Abs. 1 GVG nur für den Beschuldigten vorgesehen, der der deutschen Sprache nicht ausreichend mächtig ist. Die Gewährleistungen aus Art. 6 Abs. 3 Buchst. b MRK und Art. 14 Abs. 3 Buchst. f IPBPR gehen darüber nicht hinaus. Wer die Gerichtssprache ausreichend versteht, eine Verhandlung in ihr aber - aus welchen Gründen auch immer - ablehnt, hat keinen Anspruch auf einen Dolmetscher (vgl. Gollwitzer in Löwe/Rosenberg, StPO 25. Aufl. Art. 6 MRK /Art. 14 IPBPR Rdn. 233).
b) Einen Grund zum Misstrauen in seine Unparteilichkeit hat der Vorsitzende ersichtlich auch nicht damit gegeben, dass er - in Übereinstimmung mit den Vorschriften des Prozessrechts - eingegriffen hat, als der Verteidiger die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle aufforderte zu protokollieren, dass der Vorsitzende "die Verteidigung behindere" (Ablehnungsgesuch vom ).
Zweck des Protokolls ist es, eine zuverlässige Grundlage für die Feststellung zu schaffen, ob der Verlauf der Hauptverhandlung den gesetzlichen Vorschriften entsprochen hat (Engelhardt in KK StPO, 5. Aufl. § 271 Rdn. 1). Das Protokoll muss u. a. den Gang der Hauptverhandlung im Wesentlichen wiedergeben. Für die richtige und vollständige Beurkundung ist der Vorsitzende in gleichem Maße verantwortlich wie der Urkundsbeamte. Unabhängig von der in den Einzelheiten umstrittenen Frage, ob und in welchem Umfang der Vorsitzende den Urkundsbeamten anweisen kann, eine aus seiner Sicht unnötige Protokollierung zu unterlassen (vgl. die Nachweise bei Gollwitzer in Löwe/Rosenberg aaO § 271 Rdn. 17), ist er zweifelsfrei befugt einzuschreiten, wenn ein Dritter versucht, seine eigene (zudem tendenziöse) Bewertung von Verfahrensvorgängen ins Protokoll zu diktieren.
2. Der absolute Revisionsgrund des § 338 Nr. 3 StPO ist auch nicht unter dem Gesichtspunkt gegeben, dass die Strafkammer die beiden genannten Ablehnungsgesuche nicht - wie im Regelfall - nach Einholung dienstlicher Erklärungen ohne den abgelehnten Vorsitzenden gemäß § 27 StPO zurückgewiesen, sondern sie gemäß § 26 a StPO unter dessen Mitwirkung als unzulässig verworfen hat.
a) Nach § 26 a StPO hat das Gericht die Ablehnung eines Richters unter anderem dann als unzulässig zu verwerfen (§ 26 a Abs. 1 Nr. 2 StPO), wenn ein Grund zur Ablehnung nicht angegeben wird. Dem Fehlen einer Begründung steht der Fall gleich, dass die Begründung aus zwingenden rechtlichen Gründen zur Rechtfertigung eines Ablehnungsgesuchs völlig ungeeignet ist (BGH NStZ 1999, 311; NStZ-RR 2002, 66; BGHR StPO § 26 a Unzulässigkeit 2, 3; als verfassungsrechtlich unbedenklich bewertet von BVerfG NJW 1995, 2912, 2913; und 2 BvR 638/01).
Bei der Prüfung, ob die für eine Ablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit gegebene Begründung in dem genannten Sinne völlig ungeeignet ist, muss allerdings ein strenger Maßstab angelegt werden. Von der Beurteilung dieser Voraussetzung hängt die Zusammensetzung der Richterbank für die Entscheidung über das Ablehnungsgesuch ab. Während im Regelfall des Verfahrens nach § 27 StPO der abgelehnte Richter nicht mitwirkt (§ 27 Abs. 1 aE StPO), scheidet er im Falle der Zurückweisung als unzulässig nicht aus (§ 26 a Abs. 2 Satz 1 StPO). Im Hinblick darauf verlangen Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG und dessen Gewährleistungen eine enge Auslegung des § 26 a StPO ( und 2 BvR 638/01).
Auch bei Anlegung der gebotenen strengen Maßstäbe hat das Landgericht die zu 1. genannten Ablehnungsgesuche indes zu Recht als unzulässig angesehen und gemäß § 26 a StPO unter Mitwirkung des abgelehnten Richters verworfen. Die mit den Gesuchen geltend gemachten Ablehnungsgründe waren von vornherein völlig ungeeignet, eine Besorgnis der Befangenheit zu rechtfertigen, und konnten aus zwingenden rechtlichen Gründen keinen Erfolg haben.
Allerdings kann grundsätzlich auch die Verhandlungsführung des Vorsitzenden Anlass zu Misstrauen in seine Unvoreingenommenheit geben. Sie kann ein Ablehnungsgesuch rechtfertigen, wenn sie rechtsfehlerhaft, unangemessen oder sonst unsachlich ist. Zwar wird dazu im Allgemeinen ein schlichter Fehler oder ein bloßer Irrtum nicht ausreichen. Jedenfalls bei grob rechtsfehlerhafter oder unsachlicher Vorgehensweise kann ein Ablehnungsgesuch aber Erfolg haben. Dementsprechend wird in aller Regel ein Gesuch, das an eine objektiv rechtsfehlerhafte, insbesondere prozessordnungswidrige Zwischenentscheidung oder eine solche Maßnahme der Verhandlungsleitung anknüpft, nicht als völlig ungeeignet und deshalb unzulässig im Sinne von § 26 a Abs. 1 Nr. 2 StPO zurückgewiesen werden können.
Hier hat sich der Angeklagte indes mit den zu 1. dargestellten Ablehnungsgesuchen nicht auf eine rechtsfehlerhafte Verhandlungsleitung des Vorsitzenden gestützt. Wie ausgeführt, entsprachen dessen mit den Gesuchen beanstandete Anordnungen in jeder Weise der Prozessordnung. Den Anträgen der Verteidigung, dem Angeklagten die Abgabe von Erklärungen in türkischer Sprache zu ermöglichen und die Verlesung der Anklage in türkischer Sprache sowie die Hinzuziehung eines Dolmetschers zu erzwingen, musste der Vorsitzende ebenso entgegentreten wie der Aufforderung an die Protokollführerin zur Aufnahme einseitiger rechtlicher Bewertungen in die Niederschrift. Vor diesem Hintergrund liegt es nicht fern, dass die Ablehnung des Vorsitzenden letztlich nur der Durchsetzung der zu Recht abgelehnten Anträge und damit verfahrensfremden Zwecken (§ 26 a Abs. 1 Nr. 3 StPO) dienen sollte. Jedenfalls aber können Maßnahmen der Verhandlungsleitung, die ohne nähere Prüfung und losgelöst von den Umständen des Einzelfalls als prozessordnungsgemäß anzusehen sind, bei verständiger Würdigung von vornherein kein Grund sein, Misstrauen in die Unparteilichkeit des Vorsitzenden zu hegen. Ein darauf gestütztes Ablehnungsgesuch ist deshalb wegen völliger Ungeeignetheit des vorgebrachten Grundes nach § 26 a Nr. 2 1. Alt. StPO zurückzuweisen.
b) Selbst wenn man dies anders bewerten wollte, wäre der absolute Revisionsgrund des § 338 Nr. 3 StPO nicht gegeben.
Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist ein Ablehnungsgesuch nicht allein schon dann "mit Unrecht verworfen" im Sinne des § 338 Nr. 3 StPO, wenn es rechtsfehlerhaft als unzulässig behandelt worden ist. Maßgeblich ist vielmehr, ob es tatsächlich sachlich gerechtfertigt gewesen wäre und ihm hätte stattgegeben werden müssen. Die Entscheidung darüber richtet sich nach Beschwerdegrundsätzen (vgl. BGHSt 18, 200, 202; BGHR StPO § 26 a Unzulässigkeit 3; BGH StV 2002, 116). Diese Auffassung wird auch in der Kommentarliteratur vertreten (vgl. Hanack in Löwe/Rosenberg, StPO 25. Aufl. Rdn. 65; Meyer-Goßner, StPO 48. Aufl. Rdn. 28; Kuckein in KK 5. Aufl. Rdn. 59 jeweils zu § 338; anders für den Fall offenkundig willkürlicher Gesetzesauslegung durch den Tatrichter Pfeiffer, StPO 5. Aufl. § 338 Rdn. 13).
Das Bundesverfassungsgericht hat sich in seinem Beschluss vom (2 BvR 625/01 und 2 BvR 638/01) mit der Frage befasst, ob diese Auslegung des § 338 Nr. 3 StPO auch dann mit dem Grundgesetz in Einklang stünde, wenn die Gerichte tatsächlich zunehmend in Fällen offensichtlicher Unbegründetheit eines Ablehnungsantrags bewusst in das Verfahren nach § 26 a StPO ausweichen sollten, weil der begangene Rechtsverstoß im Revisionszug regelmäßig folgenlos bleibt. Es hat die Frage aber noch nicht abschließend entschieden, sondern sich auf die Feststellung beschränkt, dass das Revisionsgericht "jedenfalls bei einer willkürlichen Überschreitung des von § 26 a StPO gesteckten Rahmens" die angegriffene Entscheidung aufzuheben habe. Diese Formulierung lässt offen, ob auch bei einer nicht willkürlichen - aber rechtsfehlerhaften - Anwendung des § 26 a StPO der absolute Revisionsgrund des § 338 Nr. 3 StPO eingreift.
Nach Auffassung des Senats ist diese Frage zu verneinen. § 26 a StPO stellt die Entscheidung über die Zurückweisung eines Ablehnungsgesuchs durch den mit dem Verfahren befassten Spruchkörper unter Mitwirkung des abgelehnten Richters nicht etwa, was angesichts der Gewährleistungen des Prinzips des gesetzlichen Richters auch nicht möglich wäre, in das freie Ermessen des Gerichts. Vielmehr hat das Gericht, wenn eine der in § 26 a Abs. 1 Nr. 1 bis 3 StPO genannten Voraussetzungen der Vorschrift vorliegt, in dem vereinfachten Verfahren und unter Mitwirkung des Abgelehnten zu entscheiden (BGHSt 37, 99, 105; BGH NStZ 1982, 291; Meyer-Goßner, StPO 48. Aufl. § 26 a Rdn. 2). Dementsprechend werden (deutlich etwa mit Blick auf Nebenkläger und Adhäsionskläger) Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG und sein materieller Gewährleistungsgehalt durch eine Entscheidung, die - trotz Vorliegens der Voraussetzungen des § 26 a StPO - im Verfahren nach § 27 StPO, also ohne den abgelehnten Richter ergeht, in gleicher Weise berührt wie umgekehrt eine Entscheidung, die zu Unrecht nach § 26 a StPO unter seiner Mitwirkung getroffen wird. Vor diesem Hintergrund, nämlich der Tatsache, dass von der richterlichen Beurteilung des Ablehnungsgesuchs als zulässig oder unzulässig die Zusammensetzung der Richterbank abhängt und jede falsche Entscheidung - gleichgültig in welche Richtung - möglicherweise das Prinzip des gesetzlichen Richters berührt, kann der Maßstab für die Anwendung des § 338 Nr. 3 StPO - wie auch sonst, wenn die Zuständigkeit eines Gerichts durch richterliche Entscheidung festgelegt wird - nur derjenige der Willkür sein. Willkürlich falsch war die Bewertung der oben zu 1. erörterten Ablehnungsgesuche als unzulässig gemäß § 26 a StPO aber in keinem Fall.
3. Nach allem bedarf es keiner näheren Begründung, dass das Landgericht unter Mitwirkung des abgelehnten Vorsitzenden Richters gemäß § 26 a Abs. 1 Nr. 2 StPO auch die Ablehnungsgesuche als unzulässig verwerfen durfte, die darauf gestützt waren, dass dieser zu dem vorausgegangenen (aus den Anordnungen betreffend §§ 184 ff GVG abgeleiteten) Ablehnungsgesuch keine dienstliche Äußerung abgegeben hatte (Ablehnungsgesuche vom 3. und ). Da dieses Gesuch zu Recht als unzulässig gemäß § 26 a Abs. 1 Nr. 2 StPO verworfen wurde (vgl. oben zu 2. a)), bedurfte es einer dienstlichen Erklärung des abgelehnten Richters nicht (vgl. BVerfGE 11, 1, 3; Wendisch in Löwe/Rosenberg, StPO 25. Aufl. § 26 Rdn. 20, Meyer-Goßner, StPO 48. Aufl. § 26 Rdn. 14).
4. Zur Bewertung des Vorgehens der Verteidigung verweist der Senat auf seine Entscheidung vom (NStZ 2005, 341). Der Verteidiger hat in der Hauptverhandlung die Deutschkenntnisse und Sprachfähigkeiten des nach den Feststellungen "fließend deutsch sprechenden" Angeklagten nicht bestritten. Auf Fragen des Gerichts hat er eine Stellungnahme dazu sogar ausdrücklich abgelehnt. Wenn er gleichwohl in umfangreichen Schriftsätzen ein für jeden Verständigen hier ersichtlich nicht gegebenes Recht "auf Gebrauch der Muttersprache" beansprucht und die dem entgegentretenden Entscheidungen des Vorsitzenden zum Anlass für ein Ablehnungsgesuch macht, dann liegt - zumal unter Berücksichtigung der weiteren, völlig ungeeigneten Ablehnungsgesuche - die Annahme nicht fern, dass damit keine Anliegen verfolgt wurden, die zu den Aufgaben der Verteidigung gehören.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
NJW 2005 S. 3434 Nr. 47
wistra 2005 S. 464 Nr. 12
IAAAC-09248
1Nachschlagewerk: ja