Leitsatz
[1] Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Gesetze: JGG § 105 Abs. 1 Nr. 1; JGG § 106 Abs. 1; StGB § 46 Abs. 1 Satz 2; StGB § 57 a
Instanzenzug: LG Duisburg vom
Gründe
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen "unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in vier Fällen, davon in drei Fällen bandenmäßig begangen" zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von elf Jahren (Einzelstrafen von zweimal sieben Jahren sechs Monaten, einmal sechs Jahren sechs Monaten und einmal von fünf Jahren) verurteilt. Hiergegen wendet sich der Angeklagte mit seiner Revision, die er auf die Verletzung sachlichen Rechts stützt. Das Rechtsmittel hat im Strafausspruch Erfolg.
Nach den Feststellungen kaufte der Angeklagte, der Anführer einer Bande von Betäubungsmittelhändlern war, in vier Fällen Heroin in größeren Mengen ein und ließ es in einem Zeitraum von knapp sechs Wochen von seinen Mittätern in Kleinmengen an Konsumenten verkaufen. In zwei Fällen wurde mit jeweils 700 Gramm, in einem Fall mit 200 Gramm und in einem weiteren Fall mit ca. 80 - 100 Gramm Heroin, das jeweils von hoher Qualität war, Handel getrieben.
1. Die Überprüfung des Urteils auf Grund der Revisionsrechtfertigung hat aus den Gründen der Antragsschrift des Generalbundesanwalts zum Schuldspruch keinen Rechtsfehler zu Nachteil des Angeklagten ergeben (§ 349 Abs. 2 StPO).
Insbesondere ist die Jugendkammer rechtsfehlerfrei von vier selbständigen Fällen des unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln ausgegangen. Aus den Feststellungen ergibt sich mit hinreichender Deutlichkeit, daß die verkauften Heroinbubbles aus vier unterschiedlichen Einkaufsmengen (UA S. 7, 12, 18, 19) stammen, welche die vielen Einzelverkäufe zu vier Bewertungseinheiten zusammenfassen (vgl. BGHR BtMG § 29 Bewertungseinheit 10 und 20; Weber, BtMG Vor §§ 29 ff. Rdn. 266, 298). Die von der Revision vorgetragene - rein theoretische - Möglichkeit, daß die zwei Einkaufsmengen von jeweils 700 Gramm Heroin vor Herstellung der Bubbles vermischt worden sein könnten, kann nicht zur Annahme einer Bewertungseinheit führen (vgl. Weber, aaO Rdn. 278 f.).
Da sich das unerlaubte Handeltreiben mit Betäubungsmitteln jeweils auf eine nicht geringe Menge bezog, hat der Senat entsprechend dem Antrag des Generalbundesanwalts den Schuldspruch geändert.
2. Der Strafausspruch hat insgesamt keinen Bestand.
a) Die Begründung, mit der die Jugendkammer zur Anwendung von Erwachsenenstrafrecht auf den Angeklagten, der zu den Tatzeitpunkten ca. 19 1/2 Jahre alt und damit Heranwachsender war, gekommen ist, weist keinen Rechtsfehler auf.
Sie hat die gemäß § 105 Abs. 1 Nr. 1 JGG erforderliche Gesamtwürdigung seiner Persönlichkeit und der sehr schwierigen Lebensverhältnisse, unter denen er aufgewachsen ist, vorgenommen. Wesentliche Gesichtspunkte hat sie dabei nicht übersehen. Daß sie dabei zu dem Schluß gekommen ist, es handle sich bei dem Angeklagten um eine bereits gefestigte Person mit weitgehend abgeschlossener Entwicklung, liegt noch innerhalb des weiten Beurteilungsspielraums, der dem Jugendrichter zukommt (BGHSt 36, 37 f.; BGH NJW 2002, 73). Entgegen der Meinung der Revision kommt es für die Gleichstellung eines Heranwachsenden mit einem Jugendlichen nach § 105 Abs. 1 Nr. 1 JGG nicht darauf an, daß er - wie hier der Angeklagte - auf Grund seines Lebensweges keine echte Chance auf eine positive Entwicklung hatte; vielmehr ist maßgebend, ob in dem heranwachsenden Täter noch in größerem Umfang Entwicklungskräfte wirksam sind (st. Rspr., vgl. BGHSt 36, 37, 40; BGHR JGG § 105 Abs. 1 Nr. 1 Entwicklungsstand 8), was das Landgericht rechtsfehlerfrei verneint hat.
b) Gegen die Einzelstrafaussprüche und den Gesamtstrafenausspruch bestehen hingegen durchgreifende rechtliche Bedenken, weil die Jugendkammer bei der Verhängung der hohen Freiheitsstrafen nicht erkennbar geprüft hat, welche Wirkungen von diesen Strafen für das künftige Leben des zum Urteilszeitpunkt erst 20 Jahre alten Angeklagten in der Gesellschaft zu erwarten sind.
Nach § 46 Abs. 1 Satz 2 StGB sind bei der Strafzumessung die Wirkungen einer Strafe auf den Täter unter dem spezialpräventiven Gesichtspunkt einer Resozialisierung zu berücksichtigen (vgl. BGHSt 24, 40 ff.; Gribbohm in LK 11. Aufl. § 46 Rdn. 21 ff.). Deshalb sind Art und Umfang der Strafe so zu bestimmen, daß ihr Resozialisierungszweck erfüllt werden kann (vgl. Stree in Schönke/Schröder, StGB 26. Aufl. Vorbem. § 38 Rdn. 15). Bei der Verhängung einer sehr hohen Freiheitsstrafe gegen einen jungen Angeklagten, der eine lange Freiheitsstrafe während einer Zeit verbüßen muß, in der häufig noch entscheidende Weichenstellungen im Hinblick auf das zukünftige Leben getroffen werden können, besteht die Gefahr, daß wegen des Fehlens jeglicher Perspektive für ein eigenverantwortliches Leben die anzustrebende Wiedereingliederung in die Gesellschaft nicht erreicht wird. Dies gilt vor allem für einen jungen Straftäter, der bisher - wie hier der Angeklagte - keine echte Chance für eine positive Entwicklung hatte, auch nicht durch eine erzieherische Einwirkung im Rahmen des Vollzugs von Jugendstrafe.
Auch der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat zur Bemessung einer langen Freiheitsstrafe, die gegen einen zum Tatzeitpunkt noch Heranwachsenden zu verhängen war, in einem die Entscheidung nicht tragenden Hinweis an den neuen Tatrichter ausgeführt, bei einem altersgemäß entwickelten Heranwachsenden seien die von einer solchen Strafe für sein zukünftiges Leben in der Gesellschaft zu erwartenden Auswirkungen regelmäßig eingehend zu prüfen (BGHR StGB § 46 Abs. 1 Wiedereingliederung 1; so auch Brunner/Dölling, JGG 11. Aufl. § 106 Rdn. 1; Eisenberg, JGG 9. Aufl. § 106 Rdn. 6), weil die Reifeentwicklung noch nicht so hoffnungslos abgeschlossen sei, daß bei entsprechenden erzieherischen Bemühungen eine spätere Wiedereingliederung in die Gesellschaft unmöglich wäre. Soweit der 2. Strafsenat dies aus dem der Milderungsmöglichkeit des § 106 Abs. 1 JGG zugrunde liegenden Gedanken abgeleitet hat, vermag der Senat dem nicht zu folgen: Die Vorschrift bezieht sich dem Wortlaut nach nur auf die lebenslange Freiheitsstrafe und stammt aus der Zeit vor Einfügung des § 57 a StGB in das Strafgesetzbuch. Im übrigen bedarf es eines Rückgriffs auf § 106 Abs. 1 JGG nicht, weil nach der ausdrücklichen Regelung in § 46 Abs. 1 Satz 2 StGB bei jedem Angeklagten, der nach allgemeinem Strafrecht abzuurteilen ist, die Wirkungen der Strafe für das zukünftige Leben zu berücksichtigen sind, und zwar unabhängig davon, ob er zum Tatzeitpunkt Heranwachsender war oder nicht.
Ob sich die Urteilsgründe mit den Wirkungen einer Strafe auf einen zum Urteilszeitpunkt noch sehr jungen Angeklagten ausdrücklich befassen müssen und in welchem Umfang dies zu geschehen hat, hängt im Einzelfall von der Höhe der verhängten Freiheitsstrafe sowie dem Alter des Verurteilten und den übrigen Strafzumessungserwägungen ab. Dabei gilt der Grundsatz, daß die sachlich-rechtliche Begründungspflicht umso eher eine ausdrückliche Erörterung gebietet, je jünger der Verurteilte und je höher die verhängten Freiheitsstrafen sind. Wegen des Alters des Angeklagten von zum Urteilszeitpunkt erst 20 Jahren, seinem bisherigen Lebensweg und angesichts der verhängten sehr hohen Freiheitsstrafen hätte bei der Zumessung sowohl der Einzelstrafen als auch der Gesamtstrafe der Aspekt der Resozialisierung in den Urteilsgründen als bestimmender Strafzumessungsgesichtspunkt ausdrücklich erörtert werden müssen. Daß die Jugendkammer dies nicht erkennbar getan hat, stellt unter den gegebenen Umständen einen durchgreifenden Rechtsfehler dar. Die umfangreichen Ausführungen zu § 105 Abs. 1 Nr. 1 JGG genügen dafür nicht, weil sie nur auf den Entwicklungsstand des Angeklagten zu den Tatzeitpunkten und nicht auf die Auswirkungen der Strafen für sein zukünftiges Leben abstellen.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
CAAAC-08816
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