BGH Urteil v. - XII ZR 303/02

Leitsatz

[1] a) Zu den Anforderungen an ein Berufungsurteil, gegen das (hier: nach erfolgreicher Nichtzulassungsbeschwerde) die Revision stattfindet (Fortführung von Senatsbeschluß BGHZ 156, 97 ff.).

b) Zur Notwendigkeit eines Tatbestandes und der Wiedergabe der zweitinstanzlichen Anträge in einem der Revision oder der Nichtzulassungsbeschwerde unterliegenden Urteil in einem Berufungsverfahren, für das nach § 26 Nr. 5 EGZPO die am geltenden Vorschriften der Zivilprozeßordnung weitergelten.

Gesetze: ZPO n.F. § 543 Abs. 1 Nr. 2; ZPO n.F. § 540 Abs. 1; ZPO a.F. § 543 Abs. 1; ZPO a.F. § 543 Abs. 2

Instanzenzug: AG Schöneberg

Tatbestand

Das Berufungsgericht hat auf mündliche Verhandlung vom ein Urteil des Amtsgerichts, das auf mündliche Verhandlung vom ergangen war, auf die Berufung der Klägerin geändert und die Beklagte zur Zahlung von weiteren 140.372,17 € nebst Zinsen verurteilt. Die weitergehende Berufung der Klägerin und die Anschlußberufung der Beklagten hat es zurückgewiesen und die Revision nicht zugelassen.

Von der Darstellung des Tatbestandes hat das Berufungsgericht unter Hinweis auf § 543 Abs. 1 BGB a.F. abgesehen. Ferner enthält das Urteil weder eine Bezugnahme auf die erstinstanzliche Entscheidung oder auf Schriftsätze, Protokolle und andere Unterlagen, noch gibt es die Berufungsanträge der Parteien wieder.

Die Beklagte hat Nichtzulassungsbeschwerde erhoben, um das Berufungsurteil mit der beabsichtigten Revision in vollem Umfang anzugreifen. Nach deren Zulassung durch Senatsbeschluß vom (BGHZ 156, 97 ff.) verfolgt sie dieses Ziel weiter.

Gründe

Die Revision hat Erfolg. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.

1. Zutreffend ist der Ausgangspunkt des Berufungsgerichts, daß auf das Berufungsverfahren noch die am geltenden Vorschriften der Zivilprozeßordnung anzuwenden waren. Denn die letzte mündliche Verhandlung vor dem Amtsgericht war noch vor dem geschlossen worden, so daß nach § 26 Nr. 5 EGZPO auch für die Abfassung des Berufungsurteils noch das alte Verfahrensrecht maßgebend war. Hingegen ist auf die Revision - ebenso wie schon zuvor auf die Nichtzulassungsbeschwerde - das neue Verfahrensrecht anzuwenden, weil die mündliche Verhandlung, auf die das Berufungsurteil erging, nicht vor dem stattfand (§ 26 Nr. 7 EGZPO).

Richtet sich das Berufungsverfahren - wie hier - nach dem am geltenden Verfahrensrecht, bedarf es der Wiedergabe der Berufungsanträge und außerdem der Darstellung des Tatbestandes, zumindest aber der Bezugnahme auf die tatsächlichen Feststellungen des erstinstanzlichen Urteils, wenn gegen das Berufungsurteil die Revision stattfindet, § 543 Abs. 2 Satz 2 ZPO a.F. Gleiches gilt, wenn gegen deren Nichtzulassung in diesem Urteil die Nichtzulassungsbeschwerde stattfindet (vgl. Senatsbeschluß vom aaO S. 100; BGHZ 156, 216 ff.; - nicht veröffentlicht).

Der vom Berufungsgericht in der Sache vertretene rechtliche Standpunkt kann nämlich nur bei Kenntnis des tatsächlichen Streitstoffes nachvollzogen werden. Ist aus dem Urteil nicht ersichtlich, von welchem Sach- und Streitstand das Gericht ausgegangen ist, welches Rechtsmittelbegehren die Parteien verfolgt haben und welche tatsächlichen Feststellungen der Entscheidung zugrunde liegen, kann auch nicht überprüft werden, ob diese frei von Verfahrensfehlern getroffen wurden und die daraus gezogenen Schlußfolgerungen des Berufungsgerichts im Einklang mit den bisherigen Rechtsprechungsgrundsätzen stehen. Damit fehlt es an den notwendigen Voraussetzungen, die dem Revisionsgericht auf eine Nichtzulassungsbeschwerde hin die Prüfung ermöglichen, ob das Berufungsgericht aus einem der in § 543 Abs. 2 Satz 1 ZPO genannten Gründe die Revision hätte zulassen müssen.

Ist dem Urteil nicht zuverlässig zu entnehmen, um welchen Sachverhalt es geht, kann dem Revisionsgericht nicht angesonnen werden, diesen selbst zu ermitteln und festzustellen, um abschließend beurteilen zu können, ob die Nichtzulassungsbeschwerde begründet ist. Die Ermittlung und Feststellung des Sachverhalts war bisher nicht Aufgabe des Revisionsgerichts (vgl. BGHZ 73, 248, 252) und kann es auch nach neuem Recht nicht sein. Denn auch nach dem ab geltenden Verfahrensrecht müssen die tatsächlichen Grundlagen, von denen das Berufungsgericht ausgegangen ist, aus dem Berufungsurteil ersichtlich sein, um dem Revisionsgericht im Falle der Nichtzulassung der Revision die Überprüfung auf die Zulassungsgründe des § 543 Abs. 2 ZPO zu erlauben (vgl. Senatsbeschluß vom aaO S. 102; Zöller/Gummer ZPO 23. Aufl. § 540 Rdn. 6).

2. Dies gilt auch und erst recht für das Revisionsverfahren nach erfolgreicher Nichtzulassungsbeschwerde. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zu § 543 ZPO a.F. ist ein mit der Revision angreifbares Berufungsurteil grundsätzlich aufzuheben, wenn es keinen Tatbestand enthält (vgl. BGHZ 73, 248 ff.).

Allerdings kann ausnahmsweise von einer Aufhebung und Zurückverweisung aus diesem Grunde abgesehen werden, wenn sich die notwendigen tatsächlichen Grundlagen der Entscheidung zweifelsfrei aus den Urteilsgründen ergeben (z.B. - WM 1999, 871 = NJW 1999, 1720 unter I 1 m.w.N. und vom - V ZR 392/02 - FamRZ 2003, 1273). Ein solcher Ausnahmefall ist hier aber entgegen der Auffassung der Revisionserwiderung nicht gegeben.

a) Das angefochtene Berufungsurteil enthält nicht nur keinen Tatbestand, sondern nimmt nicht einmal auf den Tatbestand des amtsgerichtlichen Urteils Bezug, so daß auch nicht § 543 Abs. 2 Satz 2 ZPO a.F. eingreift.

Ist aber nach dieser Vorschrift schon die Bezugnahme auf den Tatbestand der erstinstanzlichen Entscheidung nur zulässig, wenn die Beurteilung des Parteivorbringens durch das Revisionsgericht hierdurch nicht wesentlich erschwert wird, kann es bei dem hier vorliegenden umfangreichen Streitstoff auch nicht genügen, wenn sich der vom Berufungsgericht zu Grunde gelegte Sachverhalt - wie hier - zwar möglicherweise weitgehend, aber jedenfalls nur mühsam und mosaiksteinartig aus den Entscheidungsgründen rekonstruieren läßt.

Insbesondere ist dem Berufungsurteil zwar zu entnehmen, daß die Beklagte der Klageforderung offenbar einen in einem Parallelverfahren geschlossenen Vergleich entgegenhält, und daß das Berufungsgericht diesen Vergleich anders auslegt als die erste Instanz. Da aber nicht einmal der Wortlaut und der Kontext dieses Vergleichs wiedergegeben werden, ist es schon nicht möglich, diese Auslegung nachzuvollziehen.

b) Hiervon abgesehen enthält das Berufungsurteil keine hinreichend zuverlässigen Angaben zu den Berufungsanträgen. Deren Aufnahme in das Berufungsurteil ist aber sogar nach dem neuen § 540 ZPO, der eine weitgehende Entlastung der Berufungsgerichte bei der Urteilsabfassung bezweckt, nicht entbehrlich (BGHZ 154, 99, 100 ff. und 156, 216, 218).

Die angefochtene Entscheidung läßt allenfalls erahnen, aber nicht zuverlässig erkennen, was die Berufungsklägerin mit ihrem Rechtsmittel erstrebt hatte. Zwar könnte der Aussage, daß die Klägerin gegen die Beklagte Anspruch auf Zahlung von 474.544,11 DM Mietzins und Nebenkosten für die Zeit von November 1996 bis Februar 1998 habe, in Verbindung mit der einleitenden Aussage, daß die Berufung der Klägerin in Höhe von weiteren 274.544,11 DM begründet sei, durch Rückrechnung die Vermutung entnommen werden, daß das Amtsgericht der Klage (nur) in Höhe von 200.000 DM stattgegeben hatte. Dem steht aber entgegen, daß die Gründe der angefochtenen Entscheidung in sich widersprüchlich sind. Einerseits hält das Berufungsgericht einen Anspruch der Klägerin auf Zahlung von Mietzins und Nebenkosten in Höhe von 474.544,11 DM zuzüglich 2.360,80 DM kapitalisierter Zinsen bis zum für gerechtfertigt, spricht andererseits lediglich weitere 140.372,17 € = 274.544,10 DM nebst Zinsen ab zu. Schon deshalb läßt sich auch durch Rückrechnung, die im übrigen angesichts ihres hier erforderlichen Umfangs einem Revisionsgericht nicht angesonnen werden kann, nicht zuverlässig ermitteln, in welcher Höhe die Klägerin in erster Instanz obsiegt hatte und welchen ursprünglich begehrten Betrag sie mit ihrem Rechtsmittel weiterverfolgte oder welchen Betrag sie gegebenenfalls im Wege der Klageerweiterung in zweiter Instanz insgesamt begehrte. Dies gilt insbesondere für den Betrag der offenbar in Höhe von mehr als 2.360,80 DM verlangten kapitalisierten Zinsen. Auch an Hand der ausgeworfenen Kostenquote läßt sich allenfalls die Größenordnung des Klagebegehrens überschlägig abschätzen. Das genügt nicht.

Das angefochtene Urteil ist daher aufzuheben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:



Fundstelle(n):
NJW 2005 S. 2858 Nr. 39
WM 2005 S. 1967 Nr. 41
UAAAC-08019

1Nachschlagewerk: ja; BGHZ: ja; BGHR: ja