Leitsatz
[1] Die Vorschrift des § 78b Abs. 1 Nr. 1 StGB findet auch auf Straftaten im Sinne der §§ 176 bis 179 StGB Anwendung, die in der ehemaligen DDR begangen wurden.
Gesetze: StGB § 2; StGB § 78b Abs. 1 Nr. 1; EStGB Art. 315; StGB-DDR § 148 Abs. 1
Instanzenzug: LG Berlin
Gründe
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen sexuellen Mißbrauchs eines Kindes in fünf Fällen, Vergewaltigung in Tateinheit mit sexuellem Mißbrauch eines Kindes und wegen Bedrohung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und neun Monaten verurteilt. Die Revision des Angeklagten hat einen Teilerfolg. Sie führt in einem Fall zur Verfahrenseinstellung wegen eines Verfahrenshindernisses.
Nach den vom Landgericht getroffenen Feststellungen hat der Angeklagte von September 1983 bis März 1991 in Berlin-Ost seine im Mai 1977 geborene Stieftochter mehrmals sexuell mißbraucht. Zwischen September 1983 und Mai 1984 kam es zur ersten Tat, als die Geschädigte am Glied des Angeklagten bis zum Samenerguß manipulieren mußte. Zwischen Mai 1989 und dem kam es zu drei weiteren Taten, bei denen der Angeklagte das Kind an der Scheide streichelte, das Kind veranlaßte, an seinem Glied bis zum Samenerguß zu manipulieren und den Oralverkehr bis zum Samenerguß auszuführen.
1. Die Verurteilung des Angeklagten wegen sexuellen Mißbrauchs eines Kindes nach § 148 Abs. 1 StGB-DDR im ersten Fall (II 1 der Urteilsgründe) kann keinen Bestand haben, weil insoweit Strafverfolgungsverjährung eingetreten ist.
Zwar war die achtjährige Verjährungsfrist des § 82 Abs. 1 Nr. 3 StGB-DDR am , dem Wirksamwerden des Beitritts, noch nicht abgelaufen. Jedoch ist vor Inkrafttreten des 2. Verjährungsgesetzes vom (BGBl. I 1657) am absolute Verjährung (§ 78c Abs. 3 Satz 2 StGB) eingetreten. Die Beurteilung der Verfolgungsverjährung von DDR-Alttaten richtet sich nach Art. 315a EGStGB i.d.F. des Einigungsvertrages (BGHSt 40, 48, 56). Soweit die Strafverfolgungsverjährung nach dem Recht der DDR bis zum Wirksamwerden des Beitritts - also bis zum - nicht eingetreten war, bleibt es danach dabei (Art. 315a Abs. 1 Satz 1 EGStGB). An diesem Tag wurde gemäß Art. 315a Abs. 1 Satz 3 erster Halbsatz EGStGB der Lauf der Verjährung kraft Gesetzes unterbrochen; ab diesem Zeitpunkt gelten die §§ 78 ff. StGB (vgl. BGH NStZ 1998, 36; BGH NJ 2001, 493; ). Auf der Grundlage des nun maßgeblichen § 78 Abs. 3 Nr. 4 StGB i.V.m. § 148 Abs. 1 StGB-DDR beträgt die Verjährungsfrist fünf Jahre. Danach bestimmt sich der Zeitpunkt des Eintritts der absoluten Verjährung (Art. 315a Abs. 1 Satz 3 letzter Halbsatz EGStGB i.V.m. § 78c Abs. 3 Satz 2 StGB), der gemäß § 78a StGB von der Beendigung der Tat an zu berechnen ist (Jähnke in LK 11. Aufl. § 78c Rdn. 43 m.w.N.). Wie der Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift zu Recht hervorhebt, hat der Angeklagte die festgestellte Tat an einem Tag in der Zeit zwischen September 1983 und Mai 1984 begangen, so daß nach dem Grundsatz "in dubio pro reo" als Tat-ende der anzunehmen ist.
Die Neufassung des § 78b Abs. 1 Nr. 1 StGB durch das am in Kraft getretene 30. Strafrechtsänderungsgesetz vom - 30. StrÄndG - (BGBl. I 1310) vermochte den Eintritt der Verjährung nicht zu hindern, weil insoweit bereits zuvor absolute Verjährung eingetreten war (vgl. BGHR EGStGB Art. 315a Verjährungsfrist 2; Tröndle/Fischer StGB 50. Aufl. § 78b Rdn. 3). Die Voraussetzungen der Qualifikation des § 148 Abs. 2 StGB-DDR sind im angefochtenen Urteil nicht hinreichend festgestellt; der Senat schließt auch aus, daß dies in einer neuen Verhandlung nachzuholen wäre.
2. Die übrigen Fälle (II 2 bis 4) des sexuellen Mißbrauchs eines Kindes nach § 148 Abs. 1 StGB-DDR mit Tatzeiten zwischen Mai 1989 und Oktober 1990 sind hingegen nicht verjährt.
Die Taten sind erst im Jahre 2001 abgeurteilt worden. Deshalb folgt dieses Ergebnis nicht bereits aus Art. 315a Abs. 2 EGStGB in der Fassung des 3. Verjährungsgesetzes vom (BGBl. I 3223), wonach die Verfolgung von Taten, die in dem in Art. 3 des Einigungsvertrages genannten Gebiet begangen worden sind und die - wie der sexuelle Mißbrauch eines Kindes nach § 148 Abs. 1 StGB-DDR - im Höchstmaß mit Freiheitsstrafe von mehr als einem Jahr bis zu fünf Jahren bedroht sind, frühestens mit Ablauf des verjährt.
Jedoch hat das 30. StrÄndG in § 78b Abs. 1 Nr. 1 StGB angeordnet, daß die Verjährung bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres des Opfers bei Straftaten nach den §§ 176 bis 179 StGB ruht. Nach Art. 2 des 30. StrÄndG gilt "die Änderung des § 78b Abs. 1 StGB auch für vor Inkrafttreten dieses Gesetzes begangene Taten, es sei denn, daß deren Verfolgung zu diesem Zeitpunkt bereits verjährt war". Damit schiebt § 78b Abs. 1 Nr. 1 StGB den Beginn der Verjährungsfrist bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres des Opfers auch für die Taten hinaus, die vor dem Inkrafttreten des Gesetzes am begangen worden sind, sofern sie bis zu diesem Zeitpunkt nicht verjährt waren (vgl. BGHR StGB § 78b Abs. 1 Ruhen 3 und 7; , insoweit nicht abgedruckt in NStZ 1997, 296). Auf dieser Grundlage war keine Strafverfolgungsverjährung eingetreten. Die Verjährung ruhte bis zum 18. Lebensjahr der Geschädigten, also bis zum . Erst ab diesem Zeitpunkt begann, wie sich aus § 78c Abs. 3 Satz 3 StGB ergibt (vgl. dazu Tröndle/Fischer, StGB 50. Aufl. § 78c Rdn. 2a), die Verjährungsfrist zu laufen. Die Verjährung wurde durch die erste Vernehmung des Angeklagten als Beschuldigter am nach § 78c Abs. 1 Nr. 1 StGB unterbrochen.
Es rechtfertigt kein anderes Ergebnis, daß sich hier aufgrund Art. 315 Abs. 1 EGStGB, § 2 StGB die Strafbarkeit nach dem StGB-DDR richtet (so auch OLG Naumburg NStZ 1998, 411, 412). Die Vorschrift des § 78b Abs. 1 Nr. 1 StGB findet auch auf Straftaten im Sinne der §§ 176 bis 179 StGB Anwendung, die in der ehemaligen DDR begangen wurden. Dies ergibt die Auslegung des § 78b Abs. 1 Nr. 1 StGB. Mit der Bezeichnung "bei Straftaten nach den §§ 176 bis 179" in § 78b Abs. 1 Nr. 1 StGB werden nämlich nicht etwa nur diejenigen Fälle gesetzlich erfaßt, in denen die genannten Vorschriften unmittelbar zur Anwendung kommen. Vielmehr ist damit der Kreis derjenigen Taten umschrieben, die die Tatbestandsmerkmale dieser Normen erfüllen. Deshalb sind auch solche Taten einbezogen, deren Beurteilung sich im konkreten Fall zwar nach dem StGB-DDR richtet, die aber den Voraussetzungen der §§ 176 bis 179 StGB entsprechen.
Da das 30. StrÄndG keine besondere Vorschrift hinsichtlich seiner Anwendung auf in der ehemaligen DDR begangenen Straftaten enthält, ist die allgemeine Regelung des Art. 315 Abs. 1 EGStGB in Verbindung mit den Grundsätzen des § 2 StGB anzuwenden (vgl. BGHSt 39, 54, 66). Hiernach müssen die einander entsprechenden Normen der beiden Strafrechtsordnungen insgesamt oder in dem zur Anwendung kommenden Teilbereich dasselbe Rechtsgut schützen; sie müssen art- und wertgleiches Unrecht beschreiben (BGHSt aaO S. 68). Dies ist bei den hier in Frage stehenden §§ 176 StGB und 146 Abs. 1 StGB-DDR der Fall, so daß § 78b Abs. 1 Nr. 1 StGB mit der Bezugnahme auf § 176 StGB auch die dieser Norm entsprechende Vorschrift des § 148 Abs. 1 StGB-DDR erfaßt.
Nichts spricht dafür, daß der Gesetzgeber bei der Änderung des § 78b StGB die Verfolgbarkeit vor dem Beitritt begangener Sexualstraftaten im räumlichen Geltungsbereich der ehemaligen DDR abweichend ausgestalten und den Anwendungsbereich des § 78b Abs. 1 Nr. 1 StGB insoweit einschränken wollte. Vielmehr wird im Bericht des Rechtsausschusses (BT-Drs. 12/6980, S. 5) die Begründung eines Antrags, der zunächst die Zustimmung der Mehrheit gefunden hatte, unter anderem wie folgt wiedergegeben: "Die Regelung müsse auch im Zusammenhang mit der Verjährung der Straftaten in der ehemaligen DDR gesehen werden. Hier dürfe es zu keinem Wertungswiderspruch kommen. Eine Verlängerung der strafrechtlichen Verjährungsfristen sei in diesem Bereich beschlossen worden, weil eine Verfolgung von Straftaten aus tatsächlichen Gründen zeitweise nicht habe stattfinden können." Damit wird aus den Materialien der Wille des Gesetzgebers hinreichend deutlich, daß die entsprechenden Tatbestände nach dem StGB-DDR im Hinblick auf § 78b Abs. 1 Nr. 1 StGB nicht abweichend zu behandeln sind. Das Problem einer analogen Anwendung des § 78b Abs. 1 Nr. 1 StGB, wie sie von Puls befürwortet (DtZ 1995, 392) und vom LG Frankfurt/Oder (NJW 2001, 3064) abgelehnt wird, stellt sich danach nicht.
3. Einer Aufhebung der wegen der ersten vier Fälle verhängten Hauptstrafe und mithin der Gesamtfreiheitsstrafe bedarf es nicht. Der Senat schließt aus, daß der Tatrichter bei zutreffender rechtlicher Würdigung der Verjährung im Fall 1 eine geringere Hauptstrafe verhängt hätte.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
VAAAC-07372
1Nachschlagewerk: ja