BGH Beschluss v. - VII ZB 20/05

Leitsatz

[1] Sowohl § 850e Nr. 2a ZPO als auch § 54 Abs. 4 SGB I schließen es aus, Ansprüche auf Arbeitseinkommen mit Sozialleistungen oder Ansprüche auf verschiedene Sozialleistungen untereinander zusammenzurechnen, soweit diese der Pfändung nicht unterworfen sind.

Gesetze: ZPO § 850e; SGB I § 54

Instanzenzug: LG Amberg vom AG Amberg

Gründe

I.

Der Gläubiger betreibt gegen die Schuldnerin die Zwangsvollstreckung wegen einer Hauptforderung in Höhe von 3.078,22 € zuzüglich Zinsen und Kosten. Er erwirkte einen Pfändungs- und Überweisungsbeschluß, der die gegenwärtigen und künftigen Forderungen der Schuldnerin auf einmalige und laufende Geldleistungen gegen die Drittschuldner zum Gegenstand hat. Die Schuldnerin bezieht neben ihrem wöchentlichen Arbeitseinkommen in Höhe von 7,67 € (30,68 € monatlich) vom Drittschuldner zu 1) Sozialhilfe und Wohngeld in Höhe von 668,34 € monatlich sowie Leistungen nach dem Unterhaltsvorschußgesetz in Höhe von 333 € monatlich, vom Drittschuldner zu 2) für ihre drei minderjährigen Kinder, denen sie unterhaltspflichtig ist, Kindergeld in Höhe von 462 € monatlich und vom Drittschuldner zu 3) Bundeserziehungsgeld in Höhe von 307 € monatlich sowie Landeserziehungsgeld in Höhe von 256 € monatlich. Den Antrag des Gläubigers, die Sozialleistungen gemäß § 850e Nr. 2a ZPO zusammenzurechnen und den pfändbaren Betrag gemäß § 850c Abs. 1 ZPO auf 105 € monatlich festzusetzen, hat das Amtsgericht zurückgewiesen. Die dagegen gerichtete sofortige Beschwerde hat das Landgericht durch den Einzelrichter als unbegründet zurückgewiesen. Auf die zugelassene Rechtsbeschwerde hat der Bundesgerichtshof den Beschluß wegen fehlerhafter Besetzung des Beschwerdegerichts aufgehoben und die Sache an das Landgericht zurückverwiesen. Der Einzelrichter hat das Verfahren der Kammer zur Entscheidung übertragen; die sofortige Beschwerde ist wiederum ohne Erfolg geblieben. Dagegen wendet sich der Gläubiger mit seiner erneut zugelassenen Rechtsbeschwerde.

II.

Das gemäß § 574 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 3 Satz 2 ZPO statthafte und auch im übrigen zulässige Rechtsmittel ist unbegründet.

1. Das Beschwerdegericht hat ausgeführt: Die Schuldnerin, die Sozialleistungen von insgesamt 2.026,34 € monatlich beziehe, könne im gegebenen Fall einem Arbeitnehmer mit einem (Netto-)Einkommen in derselben Höhe nicht gleichgestellt werden. Für jede Sozialleistung müsse zunächst gesondert geprüft werden, ob und in welchem Umfang sie der Pfändung unterworfen sei. Dabei seien Ansprüche auf Sozialhilfe und auf Leistungen nach dem Bundeserziehungsgeldgesetz von vornherein unpfändbar (§ 54 Abs. 1 und 4 SGB I i.V.m. § 4 Abs. 1 Satz 2 BSHG, § 54 Abs. 3 Nr. 1 SGB I). Die Ansprüche auf Kindergeld und auf Leistungen nach dem BayLErzGG seien nur unter bestimmten - hier nicht gegebenen - Voraussetzungen pfändbar (§ 76 EStG; § 54 Abs. 3 Nr. 1, Abs. 5 SGB I, Art. 5 BayLErzGG). Die verbleibenden Ansprüche nach dem Unterhaltsvorschußgesetz und auf Wohngeld erreichten in Addition mit dem monatlichen Arbeitseinkommen der Schuldnerin die Pfändungsfreigrenzen nicht, wobei noch nicht einmal berücksichtigt sei, daß der Betrag von 668,34 € neben dem Wohngeld auch (unpfändbare) Sozialhilfeleistungen enthalte.

Die Rechtsbeschwerde vertritt demgegenüber die Auffassung, das Arbeitseinkommen müsse mit sämtlichen Sozialleistungen zusammengerechnet werden. Die Schuldnerin dürfe vollstreckungsrechtlich nicht besser stehen als ein Arbeitnehmer mit Einnahmen in gleicher Höhe, der mit seinem Arbeitseinkommen nach der Tabelle zu § 850c ZPO in Höhe von 105 € monatlich der Pfändung unterliege. Mehr als die einem Arbeitnehmer danach verbleibenden 1.921,34 € könne die Schuldnerin nicht für sich beanspruchen. Die Vorschrift des § 850e Nr. 2a Satz 2 ZPO müsse im Lichte des Art. 14 Abs. 1, 3 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip verfassungskonform ausgelegt werden. Die Schuldnerin werde dadurch nicht unangemessen benachteiligt. Die einzelnen Sozialleistungen blieben - für sich betrachtet - weiterhin unpfändbar. Lediglich in ihrer Zusammenrechnung ergebe sich ein Betrag, der bei einem Arbeitnehmer zur (teilweisen) Pfändbarkeit führe; insoweit sei auch ein entsprechender Teil der Sozialleistungen der Pfändung zu unterwerfen.

2. Der Rechtsbeschwerde ist nicht zuzustimmen.

a) Schon ihr Ausgangspunkt, die Schuldnerin sei besser gestellt als ein Arbeitnehmer mit vergleichbarem Arbeitseinkommen, ist nicht richtig. Dabei wird übersehen, daß in den von der Schuldnerin bezogenen Sozialleistungen in Höhe von 2.026,34 € Kindergeldleistungen enthalten sind, die gemäß § 66 Abs. 1 EStG in gleicher Höhe auch einem Arbeitnehmer zustünden und bei Ermittlung des pfändungsfreien Betrages des Arbeitseinkommens gemäß § 850c Abs. 1 ZPO nicht zu berücksichtigen wären. Das Kindergeld ist nicht als Lohnersatz anzusehen, sondern dient dem Ausgleich der aus dem Familienunterhalt folgenden Belastungen (MünchKomm/Smid 2. Aufl. § 850i ZPO Rdn. 45); es wird dem berechtigten Arbeitnehmer im laufenden Kalenderjahr als monatliche Steuervergütung gezahlt (§ 31 Satz 3 EStG). Dem Umstand, daß ein Schuldner, der einem oder mehreren Kindern unterhaltspflichtig ist, regelmäßig Kindergeld für diese bezieht, hat der Gesetzgeber bereits bei der Bemessung des pauschalierten ( IXa ZB 207/03 - Rpfleger 2004, 232) pfändungsfreien Betrages in der Tabelle zu § 850c Abs. 1 ZPO Rechnung getragen (BT-Drucks. 10/229, 40 f. zum Entwurf eines Fünften Gesetzes zur Änderung der Pfändungsfreigrenzen).

Die um das Kindergeld in Höhe von 462 € bereinigten Leistungen, die die Schuldnerin monatlich erhält, betragen nur noch 1.564,34 €. Aus der Lohnpfändungstabelle zu § 850c Abs. 1 ZPO ergibt sich, daß bei einem Arbeitnehmer mit monatlichen Nettobezügen in dieser Höhe, für den Unterhaltspflichten gegenüber drei Personen bestehen, kein für den Gläubiger pfändbarer Teil des Arbeitseinkommens verbleibt. Die von der Rechtsbeschwerde vorgebrachte Besserstellung des Empfängers von Sozialleistungen gegenüber einem erwerbstätigen Schuldner besteht somit nicht.

b) Auch sonst ist die Entscheidung des Beschwerdegerichts nicht zu beanstanden. Die Rechtsbeschwerde verkennt, daß der Gesetzgeber die von ihr geforderte pfändungsrechtliche Gleichstellung von erwerbstätigen und nichterwerbstätigen Schuldnern bereits vollzogen hat.

(1) Nach § 54 Abs. 4 SGB I sind Ansprüche auf laufende Sozialleistungen, die in Geld zu erbringen sind, "wie Arbeitseinkommen" pfändbar. Damit unterliegen die Ansprüche der Schuldnerin gegen die Drittschuldner den §§ 850 ff. ZPO (vgl. aaO; Beschluß vom - IXa ZB 180/03 - Rpfleger 2004, 111). Ihr pfändungsfreier Teil bestimmt sich nach § 850c ZPO; bei ihrer Zusammenrechnung ist - ebenso wie bei der Zusammenrechnung von Arbeitseinkommen mit Sozialleistungen - die Vorschrift des § 850e Nr. 2a ZPO zu beachten.

Sowohl § 850e Nr. 2a ZPO als auch § 54 Abs. 4 SGB I schließen es jedoch aus, Ansprüche auf Arbeitseinkommen mit Sozialleistungen oder Ansprüche auf verschiedene Sozialleistungen untereinander zusammenzurechnen, soweit diese der Pfändung nicht unterworfen sind. Das ist verfassungsrechtlich unbedenklich, weil der Gesetzgeber in § 54 Abs. 4 i.V.m. Abs. 3 SGB I die Unpfändbarkeit im Hinblick auf die Zweckbestimmung der Sozialleistungen erklärt hat (Stein/Jonas/Brehm, ZPO 22. Aufl. § 850i Rdn. 73). Sie sollen dem Berechtigten ungeschmälert verbleiben und nicht - letztlich auf Kosten der Allgemeinheit - dazu dienen, titulierte Ansprüche seines Gläubigers zu befriedigen. Darin liegt ein ebenso sachlich gerechtfertigter Grund, wie er in der Anordnung der Unpfändbarkeit für bestimmte Bezüge des erwerbstätigen Schuldners in § 850a ZPO zu sehen ist, die gleichfalls auf sozialen Erwägungen sowie darauf beruht, daß Bezüge wie etwa das Weihnachts- oder das Urlaubsgeld dem Arbeitnehmer zweckgebunden zugewendet werden (Schuschke/Walker, Vollstreckung und Vorläufiger Rechtsschutz, 3. Aufl. § 850a ZPO Rdn. 1). Hinsichtlich der Pfändbarkeit des Kindergeldes sind erwerbstätige und nichterwerbstätige Schuldner ohnehin gleichgestellt: Die Ansprüche auf Geldleistungen für Kinder dürfen mit Arbeitseinkommen oder mit anderen Sozialleistungen nur insoweit zusammengerechnet werden, als sie nach § 76 EStG oder nach § 54 Abs. 5 SGB I gepfändet werden könnten (§ 850e Nr. 2a Satz 3 ZPO).

(2) Die danach pfändbaren Sozialleistungen übersteigen bei ihrer Zusammenrechnung mit dem monatlichen Arbeitseinkommen der Schuldnerin die Pfändungsfreigrenzen des § 850c Abs. 1 ZPO nicht; auf die zutreffenden Gründe des angefochtenen Beschlusses nimmt der Senat Bezug. Von einer weiteren Begründung wirdgemäß § 577 Abs. 6 ZPO abgesehen, weil sie nicht geeignet wäre, zur Klärung von Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung, zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung beizutragen.

Fundstelle(n):
NJW-RR 2005 S. 1010 Nr. 14
LAAAC-03152

1Nachschlagewerk: ja; BGHZ: nein; BGHR: ja