Leitsatz
[1] Dem Antrag einer Partei auf Ladung eines Sachverständigen zur Erläuterung seines schriftlichen Gutachtens ist grundsätzlich auch dann zu entsprechen, wenn das Gericht das Gutachten für überzeugend hält und selbst keinen Erläuterungsbedarf sieht.
Gesetze: ZPO § 397; ZPO § 402; ZPO § 411 Abs. 3
Instanzenzug: OLG Celle vom LG Bückeburg
Tatbestand
Die Klägerin begehrt wegen behaupteter ärztlicher Fehler die Zahlung eines Schmerzensgeldes sowie die Feststellung der Ersatzpflicht für weitere Schäden. Sie litt unter Senkungsbeschwerden und unterzog sich deshalb am einer Unterleibsoperation in der Gynäkologischen Abteilung des Kreiskrankenhauses St., dessen Träger der Erstbeklagte ist. Die von dem Zweitbeklagten vorgenommene Uterusexstirpation mit vorderer und hinterer Plastik (Anheben der Harnblase und Festigung des Beckenbodens) verlief nach dem Operationsbericht komplikationslos. Es wurde ein suprapubischer Katheter gelegt, aus dem sich klarer Urin entleerte. Zwei Tage später stellten sich schmerzhafte Harnentleerungsstörungen ein. Am konnte die Klägerin tropfenweise Wasser lassen. Im Urin fanden sich Bakterien der Species staphylococcus. Ab erfolgte eine antibiotische Behandlung. Am entließ der Zweitbeklagte die Klägerin aus der stationären Behandlung. Der Katheter verblieb bis zum . Bei einer an diesem Tage durchgeführten sonographischen Untersuchung wurde eine verdickte Blasenwand festgestellt. Eine am vorgenommene Cystoskopie ergab eine schwere Harnblasenentzündung. Röntgenologisch fanden sich eine Stauung der Harnleiter beiderseits sowie eine Aufweitung des Nierenbecken- und Kelchsystems. Die Klägerin litt unter starken Schmerzen. Sie wurde am in eine Urologische Klinik verlegt. Dort wurde eine massiv entzündliche Blasenschleimhaut mit massiver Gefäßinjektion und reichlich Fibrinbelägen festgestellt. Die Blase war extrem geschrumpft. Am erfolgte in der Universitätsklinik U. bei bereits deutlich eingeschränkter Gesamtfunktion beider Nieren eine Cystektomie mit gleichzeitiger Konstruktion einer orthotopen Ersatzblase. Die Neoblase erwies sich jedoch nach kurzer Zeit als funktionslos. Die Klägerin, der eine Miktion auch heute noch nur mit Hilfe eines Katheters möglich ist, leidet seitdem an verschiedenen körperlichen und psychischen Beschwerden, die eine ständige ärztliche Behandlung erfordern.
Die Klägerin hat dem Zweitbeklagten eine unzureichende Aufklärung über Behandlungsalternativen und Operationsrisiken vorgeworfen und geltend gemacht, die Schrumpfblasenbildung sei vermeidbar gewesen. Diese könne zwei Ursachen haben: Entweder sei infolge mangelhafter Hygiene im Operationssaal ein äußerlich anzuwendendes Desinfektionsmittel in Harnröhre und Blase gelangt und habe dort Verätzungen hervorgerufen oder die Blase sei durch Naht- oder Narbenbildung unzureichend arteriell versorgt gewesen. Das entzündliche Geschehen sei zudem verspätet festgestellt worden. Die antibiotische Behandlung sei nicht rechtzeitig eingeleitet worden und unzureichend gewesen. Der Katheter habe zu lange gelegen. Auch habe sie bei noch liegendem Katheter nicht aus der stationären Behandlung entlassen werden dürfen.
Das Landgericht hat die Klage nach Beweisaufnahme abgewiesen. Das Oberlandesgericht hat die Berufung der Klägerin zurückgewiesen. Dagegen wendet diese sich mit der Revision.
Gründe
I.
Das Berufungsgericht ist der Auffassung, die Klägerin sei vor der Operation ordnungsgemäß und in ausreichender Weise aufgeklärt worden. Ein Behandlungsfehler sei dem Zweitbeklagten und den anderen behandelnden Ärzten des Kreiskrankenhauses St. nicht unterlaufen. Auch habe die Klägerin am ohne Sorgfaltsverstoß entlassen werden dürfen. Der Harnwegsinfekt habe keine weitere stationäre Behandlung erfordert. Die Klägerin habe auch nicht dargelegt, welche für sie günstigen Auswirkungen eine weitere Hospitalisierung gehabt hätte. Das Landgericht habe ohne Verfahrensfehler von der Ladung des Sachverständigen Dr. K. zur Erläuterung seines Gutachtens absehen dürfen. Die Klägerin habe - von einer für den Ausgang des Rechtsstreits belanglosen Frage abgesehen - nicht vorgetragen, daß sie von dem Sachverständigen überhaupt noch etwas haben wissen wollen. Im übrigen seien ihre Einwendungen schon durch die schriftlichen Gutachten erschöpfend beantwortet. Im Berufungsrechtszug hätte der Sachverständige nur geladen werden müssen, wenn das Gericht selbst Erläuterungsbedarf gesehen hätte. Das sei nicht der Fall.
II.
Das Berufungsurteil hält einer Überprüfung nicht stand. Mit Recht rügt die Revision, daß das Berufungsgericht verfahrensfehlerhaft von einer mündlichen Befragung der gerichtlichen Sachverständigen abgesehen hat.
1. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts kommt es für die Frage, ob die Ladung eines Sachverständigen zur mündlichen Erläuterung des von ihm erstatteten Gutachtens geboten ist, nicht darauf an, ob das Gericht noch Erläuterungsbedarf sieht oder ob gar zu erwarten ist, daß der Gutachter seine Auffassung ändert. Nach ständiger Rechtsprechung des erkennenden Senats hat die Partei zur Gewährleistung des rechtlichen Gehörs nach §§ 397, 402 ZPO einen Anspruch darauf, daß dem Sachverständigen die Fragen, die sie zur Aufklärung der Sache für erforderlich hält, zur mündlichen Beantwortung vorgelegt werden (vgl. u.a. - VersR 1997, 509 ff.; vom - VI ZR 252/96 - VersR 1998, 342 und vom - VI ZR 268/00 - VersR 2002, 120, 121 f.). Dieses Antragsrecht besteht unabhängig von § 411 Abs. 3 ZPO (st. Rspr., vgl. BGHZ 6, 398, 400 f.; 24, 9, 14; - VersR 1996, 211, 212; vom - VI ZR 50/96 - aaO und vom - VI ZR 252/96 - VersR 1998, 342, 343).
Hat das Landgericht einem rechtzeitig gestellten Antrag auf Ladung eines Sachverständigen zur mündlichen Erläuterung seines schriftlichen Gutachtens nicht entsprochen, so muß das Berufungsgericht dem im zweiten Rechtszug wiederholten Antrag stattgeben (Senatsurteil vom - VI ZR 13/95 - aaO). Beschränkungen des Antragsrechts ergeben sich nur aus den Gesichtspunkten des Rechtsmißbrauchs und der Prozeßverschleppung. Daß hier zu einer solchen Annahme Anlaß bestand, ergeben die Darlegungen des Berufungsgerichts nicht. Ein beabsichtigter Rechtsmißbrauch läßt sich auch nicht daraus herleiten, daß die Klägerin nicht mitgeteilt hat, welche Fragen dem Sachverständigen gestellt werden sollten. Es kann von der Partei, die einen Antrag auf Ladung des Sachverständigen stellt, nicht verlangt werden, daß sie die Fragen, die sie an den Sachverständigen zu richten beabsichtigt, im voraus konkret formuliert. Es genügt, wenn sie allgemein angibt, in welcher Richtung sie durch ihre Fragen eine weitere Aufklärung herbeizuführen wünscht (BGHZ 24, 9, 14 f.).
Diesen Anforderungen genügte das Vorbringen der Klägerin. Mit Recht verweist die Revision darauf, daß die Klägerin im ersten Rechtszug mehrfach die Ladung der Sachverständigen M. und K. zur Erläuterung ihrer Gutachten beantragt hat. Mit Schriftsatz vom hat sie sodann im einzelnen auf ihrer Meinung nach gegebene Unklarheiten innerhalb der einzelnen Ausführungen des Sachverständigen K. und auf Widersprüche zu dem von ihr vorgelegten Privatgutachten Dr. Ka. hingewiesen. Über dieses Vorbringen durfte sich das Landgericht nicht hinwegsetzen. Die Klägerin hat diesen Verfahrensfehler in ihrer Berufungsbegründung ausdrücklich gerügt. Im Hinblick darauf hätte das Berufungsgericht dem Antrag auf Ladung der Sachverständigen entsprechen müssen, auch wenn es selbst die schriftlichen Gutachten für überzeugend hielt (vgl. Senatsurteil vom - VI ZR 50/96 - aaO).
2. Die Revision macht weiter geltend, das Berufungsgericht habe zu Unrecht die Aufklärung über mögliche Infektionsrisiken als ausreichend angesehen. Sie weist auch insoweit auf Widersprüche zwischen den gerichtlichen Gutachten und dem Privatgutachten Dr. Ka. hin und rügt mit Recht, daß die Problematik, ob eine Infektion der Harnblase zu einer Schrumpfblase führen kann, mit dem gerichtlichen Sachverständigen zu erörtern gewesen wäre.
III.
Das Berufungsurteil war daher aufzuheben und die Sache an das Berufungsgericht zurückzuverweisen. Dabei werden die Parteien Gelegenheit haben, zu den von der Revisionserwiderung angesprochenen Gesichtspunkten vorzutragen, insbesondere hinsichtlich eines Entscheidungskonflikts der Klägerin und der Frage, ob für die eingetretene Schädigung eine ihr seit 1992 bekannte, für die behandelnden Ärzte aber nicht erkennbare Pyelonephritis ursächlich sein kann.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
BB 2003 S. 124 Nr. 3
QAAAC-02978
1Nachschlagewerk: ja; BGHZ: nein; BGHR: nein