Leitsatz
[1] Zur Zurechnung des Verschuldens eines beim Berufungsgericht nicht zugelassenen angestellten Rechtsanwalts als Sozietätsmitglied, der den rechtzeitigen Einwurf einer Begründungsschrift in den Gerichtsbriefkasten versäumt hat.
Gesetze: ZPO § 85 Abs. 2
Instanzenzug: LG Frankfurt (Oder)
Gründe
I.
Durch Urteil des Landgerichts F. vom ist die Klage auf Zahlung von Schmerzensgeld und Feststellung der Einstandspflicht der Beklagten für künftige materielle und immaterielle Schäden aus einem Verkehrsunfall zum Teil abgewiesen worden. Gegen dieses Urteil hat die Klägerin rechtzeitig Berufung eingelegt und diese nach Verlängerung der Frist zur Begründung der Berufung bis zum erst am begründet, weil der in der Kanzlei ihres Prozeßbevollmächtigten angestellte Rechtsanwalt E. den Einwurf der rechtzeitig gefertigten und unterzeichneten Begründungsschrift in den Gerichtsbriefkasten versäumt hatte. Am hat der Prozeßbevollmächtigte der Klägerin Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Begründung der Berufung beantragt.
Das Oberlandesgericht in B. hat mit Beschluß vom den Wiedereinsetzungsantrag zurückgewiesen und die Berufung als unzulässig verworfen.
Zur Begründung hat es im wesentlichen ausgeführt, die Klägerin müsse sich die Nachlässigkeit des ausschließlich mit dem Einwurf der Begründungsschrift betrauten, in der Sozietät ihres Prozeßbevollmächtigten angestellten, beim Berufungsgericht nicht zugelassenen Anwalts E. zurechnen lassen, der nach außen hin als Mitglied der Sozietät in Erscheinung getreten sei.
Hiergegen richtet sich die Rechtsbeschwerde der Klägerin, mit der sie ihren Wiedereinsetzungsantrag weiterverfolgt und die Aufhebung des die Berufung verwerfenden Beschlusses erstrebt.
II.
Die Rechtsbeschwerde ist statthaft (§§ 574 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. §§ 522 Abs. 1 Satz 4, 238 Abs. 2 ZPO), aber unzulässig. Die Voraussetzungen des § 574 Abs. 2 ZPO sind nicht gegeben, insbesondere ist eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs - entgegen der Ansicht der Klägerin - zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 ZPO) nicht erforderlich.
1. Der Zulassungsgrund des § 574 Abs. 2 Nr. 2 ZPO ist nur erfüllt, wenn der Beschwerdeführer darlegt, daß die angefochtene Entscheidung von der Entscheidung eines höherrangigen Gerichts, von einer gleichrangigen Entscheidung eines anderen Spruchkörpers desselben Gerichts oder von der Entscheidung eines gleichgeordneten Gerichts abweicht. Eine solche Abweichung liegt nur vor, wenn die angefochtene Entscheidung dieselbe Rechtsfrage anders beantwortet als die Vergleichsentscheidung, also einen Rechtssatz aufstellt, der von einem die Entscheidung tragenden Rechtssatz der Vergleichsentscheidung abweicht (vgl. - VersR 2002, 1257, zur Veröffentlichung in BGHZ 151, 42 ff. vorgesehen). Daran fehlt es im vorliegenden Fall.
a) Allerdings beruft sich die Rechtsbeschwerde auf Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts (NJW 1985, 1178), des Bundesfinanzhofs (BFH-NV 2002, 807), des erkennenden Senats (Urteil vom - VI ZR 145/73 - VersR 1974, 1000) sowie weiterer Senate des Bundesgerichtshofs (Beschlüsse vom - XII ZB 21/92 - NJW-RR 1992, 1019, 1020 und vom - X ZB 2/93 - NJW-RR 1993, 892, 893), die sich mit der Frage befassen, wann das Verschulden eines angestellten Anwalts dem Mandatsträger und damit der Partei (§ 85 Abs. 2 ZPO) zuzurechnen ist. Die Rechtsbeschwerde verweist aber schon nicht auf einen von diesen Entscheidungen abweichenden Rechtssatz in der angefochtenen Entscheidung. Daß diese die höchstrichterliche Rechtsprechung, wie die Rechtsbeschwerde meint (vgl. aber - NJW 1995, 1841), nicht berücksichtigt, stellt noch keine zur Zulässigkeit der Rechtsbeschwerde führende Abweichung dar (vgl. - aaO 1258) und läßt zudem außer Acht, daß die von der Rechtsbeschwerde angeführten Entscheidungen lediglich Fälle betreffen, in denen der angestellte Anwalt - anders als vom Berufungsgericht hier festgestellt - nicht zugleich Mandatsträger war.
b) Zwar kann die Rechtsbeschwerde zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung auch auf materiell-rechtliche oder verfahrensrechtliche Fehler gestützt werden (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 2 ZPO). Voraussetzung ist aber, daß der Fehler über die Einzelfallentscheidung hinaus die Interessen der Allgemeinheit nachhaltig berührt (vgl. Senatsbeschluß vom - VI ZB 26/02 - DAR 2003, 64; BT-Drs. 14/4722 S. 104). So ist die Rechtsbeschwerde zulässig, wenn vermieden werden soll, daß schwer erträgliche Unterschiede in der Rechtsprechung entstehen oder fortbestehen, wobei es darauf ankommt, welche Bedeutung die angefochtene Entscheidung für die Rechtsprechung im Ganzen hat. Diese Voraussetzungen sind beispielsweise dann gegeben, wenn ein Gericht in einer bestimmten Rechtsfrage in ständiger Praxis eine höchstrichterliche Rechtsprechung nicht berücksichtigt, der Rechtsfehler also "symptomatische Bedeutung" hat, nicht aber schon dann, wenn im Einzelfall eine Fehlentscheidung getroffen worden ist, selbst wenn der Rechtsfehler offensichtlich ist. Anders verhält es sich nur dann, wenn aufgrund konkreter Anhaltspunkte zu besorgen ist, daß dem Rechtsfehler ohne eine Korrektur durch das Rechtsbeschwerdegericht ein Nachahmungseffekt zukommt, der geeignet ist, das Vertrauen in die Rechtsprechung insgesamt zu erschüttern, und deswegen eine höchstrichterliche Leitentscheidung erfordert (vgl. - aaO 1258). Dafür ist hier nichts ersichtlich.
Die Rechtsbeschwerde beanstandet die Ansicht des Berufungsgerichts, Rechtsanwalt E. sei in das Mandatsverhältnis einbezogen gewesen. Das genügt jedoch nicht, um die genannten Voraussetzungen zu bejahen.
aa) Ohne Rechtsfehler stützt sich das Berufungsgericht auf das - NJW 1995, 1841). Dort ist ausgeführt, daß auch die fehlende Zulassung beim Berufungsgericht der Einbeziehung in ein Mandatsverhältnis zur Einlegung und Begründung der Berufung nicht entgegenstehe. Der Vortrag der Rechtsbeschwerde, es habe ausschließlich ein beim Berufungsgericht zugelassener Anwalt beauftragt werden sollen, entbehrt jeglicher Anhaltspunkte in jener Entscheidung.
bb) Soweit die Rechtsbeschwerde meint, das Berufungsgericht weiche von der Rechtsprechung ab, nach der die Partei nur für das Verschulden des im Prozeßkostenhilfeverfahren beigeordneten Anwalts, nicht auch für das Verschulden eines anderen Mitglieds der Sozietät einstehen müsse (vgl. - VersR 1992, 121), führt das nicht zur Zulässigkeit der Rechtsbeschwerde. Das Berufungsgericht hat insoweit keinen abweichenden Rechtssatz aufgestellt. Die Rechtsbeschwerde zeigt insbesondere keinen Vortrag der Klägerin auf, wonach diese Rechtsanwalt Dr. F. vor Ablauf der Frist zur Begründung der Berufung eine auf dessen Person beschränkte Vollmacht (Einzelmandat) erteilt gehabt habe. Auch ist den Akten nicht zu entnehmen, daß das Berufungsgericht entsprechend dem Vortrag der Rechtsbeschwerde auf Antrag der Klägerin Prozeßkostenhilfe für die Berufung bewilligt und Rechtsanwalt Dr. F. beigeordnet habe.
cc) Das Berufungsgericht verletzt durch seine Entscheidung auch nicht die Rechte der Klägerin auf Gewährung von wirkungsvollem Rechtsschutz und auf rechtliches Gehör (Art. 2 Abs. 1, 19 Abs. IV GG i.V.m. dem Rechtsstaatsprinzip; Art. 103 Abs. 1 GG; vgl. Bundesverfassungsgericht, Beschluß der 2. Kammer des Zweiten Senats vom - 2 BvR 2813/93 - NJW 1995, 249; Beschluß der 3. Kammer des Ersten Senats vom - 1 BvR 476/01 - NJW 2002, 3692, 3693). Die Rechtsbeschwerde übersieht bei ihrer Beanstandung, daß das Berufungsgericht das von der Klägerin behauptete Einzelmandat nicht nur mit der angegriffenen Auslegung der Berufungsschrift, sondern auch mit der Nennung von Rechtsanwalt E. ohne jeden einschränkenden Zusatz im Briefkopf der Sozietät begründet.
2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
Fundstelle(n):
BB 2003 S. 1252 Nr. 24
RAAAC-02580
1Nachschlagewerk: ja; BGHZ: nein; BGHR: nein