Leitsatz
[1] § 581 Abs. 1 2. Fall ZPO bestimmt eine Ausnahme von dem in § 581 Abs. 1 1. Fall ZPO angeordneten Grundsatz, nach dem eine Restitutionsklage aus den in § 580 Abs. 1 Nr. 1 bis 5 ZPO bezeichneten Gründen nur nach einer rechtskräftigen Verurteilung in einem Strafverfahren zulässig ist, für den Fall, dass ein Strafverfahren aus anderen Gründen als wegen Mangels an Beweis nicht erfolgen kann. So verhält es sich nur, wenn eine Verfolgung der als Restitutionsgrund vorgetragenen Straftat infolge hinzugetretener, vom Restitutionskläger nicht beeinflussbarer Umstände unmöglich ist.
Gesetze: ZPO § 581
Instanzenzug: OLG München 18 U 3619/04 vom
Tatbestand
Die Parteien streiten um die Wiederaufnahme eines Rechtsstreits wegen nicht offenbarter Mängel eines Wohngebäudes. Die Kläger erwarben auf Grund notariellen Vertrages vom , in dem sie sich wegen des Kaufpreises der sofortigen Zwangsvollstreckung in ihr gesamtes Vermögen unterwarfen, ein Hausgrundstück von der Beklagten. Als diese hieraus die Zwangsvollstreckung betrieb, erhoben die Kläger Vollstreckungsabwehrklage, die sie mit arglistig von der Beklagten verschwiegenen Feuchtigkeitsschäden begründeten. Klage und Berufung blieben erfolglos, eine eingelegte Revision nahmen die Kläger zurück.
Ein auf Anzeige der Kläger eingeleitetes staatsanwaltschaftliches Ermittlungsverfahren wegen Prozessbetrugs wurde nach § 170 Abs. 2 StPO eingestellt; die hiergegen eingelegte Beschwerde und der Antrag auf gerichtliche Entscheidung hatten keinen Erfolg.
Im März 2004 beantragten die Kläger die Wiederaufnahme der Ermittlungen auf Grund neu aufgefundener Beweismittel, welche die Staatsanwaltschaft unter Hinweis auf die zwischenzeitlich eingetretene Verjährung der behaupteten Straftaten ablehnte. Hierauf haben die Kläger Restitutionsklage erhoben und zu deren Begründung vorgetragen, der frühere Eigentümer und Errichter des Anwesens habe ihnen im Mai 2002 berichtet, dass der Keller schon immer undicht und Feuchtigkeitsschäden auch sichtbar gewesen seien. Das Vorhandensein solcher Mängel werde durch das daraufhin von ihnen eingeholte weitere Gutachten vom bestätigt.
Sie meinen, auf Grund der Verjährung der im Vorprozess begangenen Straftaten liege nunmehr ein Hindernis für die Einleitung eines Strafverfahrens vor, das auch ohne rechtskräftige Verurteilung der Beklagten bzw. der Zeugen die Möglichkeit einer Wiederaufnahme des unrichtig entschiedenen Zivilprozesses eröffne.
Die Restitutionsklage ist erfolglos geblieben. Mit der von dem Oberlandesgericht zugelassenen Revision verfolgen die Kläger ihren Klageantrag weiter.
Gründe
I.
Das Berufungsgericht meint, die Kläger könnten sich auf die besonderen Voraussetzungen des § 581 Abs. 1 2. Fall ZPO, nach denen eine Restitutionsklage ohne strafgerichtliche Verurteilung zulässig sei, nicht berufen, weil sie die Möglichkeit einer Verurteilung in einem Strafverfahren ohne sachlichen Grund verhindert hätten und die Berufung auf die Wiederaufnahmegründe in § 580 Nr. 3 und Nr. 4 ZPO daher rechtsmissbräuchlich sei. Aus § 581 ZPO folge, dass ein Zivilgericht ein Restitutionsverfahren nur ausnahmsweise ohne eine inhaltliche Prüfung des Tatvorwurfes durch ein Strafgericht oder die Staatsanwaltschaft durchführen könne.
Die Kläger hätten eine solche Aufklärung des streitigen Sachverhalts in einem Strafverfahren verhindert. Die neuen Beweismittel, auf die sie den Vorwurf des Prozessbetrugs und der Falschaussage stützten, seien ihnen spätestens seit dem Zugang des Gutachtens am und damit längere Zeit vor dem Eintritt der Verjährung der vorgetragenen Straftaten am bekannt gewesen. Da sie gleichwohl ohne sachlichen Grund bis zum mit ihrem Antrag auf Wiederaufnahme der strafrechtlichen Ermittlungen gewartet hätten, hätten sie eine Überprüfung der erhobenen Tatvorwürfe auf Grund der jetzt vorgebrachten Beweismittel in einem Strafverfahren objektiv vereitelt. Ein eventueller Fehler ihres Prozessbevollmächtigten bei der verspäteten Anzeige sei ihnen dabei zuzurechnen.
II.
Diese Ausführungen halten revisionsrechtlicher Überprüfung im Ergebnis stand. Das Berufungsgericht hat die Restitutionsklage zu Recht als unzulässig verworfen. Die Unzulässigkeit der Wiederaufnahme beruht indes nicht auf einer von dem Berufungsgericht angenommenen missbräuchlichen Rechtsausübung in einem Einzelfall, sondern darauf, dass die in § 581 Abs. 1 ZPO bestimmten besonderen Voraussetzungen der Restitutionsklage nicht vorliegen.
Eine solche Klage ist, wenn sie wie hier auf Restitutionsgründe nach § 580 Nr. 3 und 4 ZPO gestützt wird, nur zulässig, wenn deswegen eine rechtskräftige Verurteilung wegen einer Straftat ergangen ist oder wenn die Einleitung eines Strafverfahrens aus anderen Gründen als wegen Mangels an Beweis nicht erfolgen kann. § 581 Abs. 1 ZPO bestimmt für diese Fälle eine Bedingung für eine Fortsetzung des Prozesses in einem Wiederaufnahmeverfahren (vgl. Wieczorek/Rössler, ZPO, 2. Auflage, § 581 Anm. A), die an eine Vorprüfung der von dem Kläger als Wiederaufnahmegrund behaupteten Straftat durch die dafür institutionell zuständigen Strafgerichte und Staatsanwaltschaften anknüpft (, VersR 1962, 175, 177; BGHZ 50, 115, 122; 85, 32, 37). Liegen die besonderen Voraussetzungen der Restitutionsklage nicht vor, so ist ein Wiederaufnahmeverfahren aus diesen Gründen von vornherein ausgeschlossen, und dem Zivilgericht ist eine eigene Beurteilung der Richtigkeit der vorgetragenen Behauptungen versperrt (vgl. BGHZ 85, 32, 37). So ist es hier.
Eine strafrechtliche Verurteilung der Zeugen oder der Beklagten nach § 581 Abs. 1 1. Fall ZPO ist nicht erfolgt. Auch die Voraussetzungen des § 581 Abs. 1 2. Fall ZPO liegen nicht vor, obwohl die behaupteten Straftaten nunmehr nach § 78 Abs. 3 Nr. 4 StGB verjährt sind. Bei dem Erfordernis einer strafrechtlichen Verurteilung nach § 581 Abs. 1 1. Fall ZPO und der Zulassung einer Restitutionsklage ohne einen solchen Abschluss des Strafverfahrens nach § 581 Abs. 1 2. Fall ZPO handelt es sich nämlich entgegen der Annahme der Revision nicht um gleichberechtigte Alternativen, zwischen denen die Partei für die Durchführung des Wiederaufnahmeverfahrens wählen könnte. Vielmehr ist die strafrechtliche Verurteilung vorrangig und ein Absehen von dieser Voraussetzung nur in - hier nicht gegebenen - Ausnahmefällen möglich, wie aus der Entstehungsgeschichte und dem Sinn der Norm hervorgeht.
1. Nach den Materialien zum jetzigen § 581 Abs. 1 ZPO sollte die Möglichkeit der Restitutionsklage "der Regel nach" von einer strafrechtlichen Verurteilung abhängen (Hahn, Materialien zu den Reichsjustizgesetzen, Bd. 2, S. 381). Nach Auffassung des Gesetzgebers wäre es ein "unter allen Umständen (...) unerwünschter Zustand, dass im Zivilverfahren über eine strafbare Handlung gestritten wird, zu deren Feststellung das zunächst dafür bestimmte Strafverfahren nicht ausreicht" (Hahn, aaO, S. 381). Hieraus ergibt sich, dass grundsätzlich zunächst die Strafverfolgungsbehörden mit dem strafbaren Verhalten, um dessentwillen die Restitutionsklage zulässig sein soll, befasst werden müssen. Die Ermittlung und die Prüfung der behaupteten Straftat durch die Strafverfolgungsbehörden ist von dem Gesetz als ein für die Restitutionsklage notwendiges Vorverfahren bestimmt worden (BGHZ 50, 115, 122; 85, 32, 37). Die gegenteilige Auffassung von Braun (Rechtskraft und Restitution, Zweiter Teil, S. 125 ff.; ders. in MünchKomm-ZPO, 2. Aufl., § 581 Rdn. 2) hat im geltenden Recht keine Grundlage (vgl. dazu Stein/Jonas/Grunsky, ZPO, 21. Aufl., § 581 Rdn. 4).
Zu Recht ist das Berufungsgericht daher davon ausgegangen, dass die Restitutionsklage nur dann nach § 581 Abs. 1 2. Fall ZPO zulässig ist, wenn der Kläger die ihm vorliegenden Erkenntnisse über eine Straftat und die ihm bekannten Beweismittel unverzüglich zur Einleitung von Ermittlungen (oder hier für deren Wiederaufnahme nach einer Einstellung) angezeigt hat. § 581 Abs. 1 2. Fall ZPO ist eine aus Gründen der Billigkeit eröffnete Ausnahme von dem Grundsatz, dass nur eine rechtskräftige Verurteilung die Restitutionsklage ermöglicht. Sie ist nur für den Fall zugelassen, dass die Strafverfolgung wegen hinzugetretener, vom Restitutionskläger nicht beeinflussbarer Umstände unmöglich geworden ist (vgl. RGZ 139, 44).
War bei rechtzeitiger Anzeige die Ermittlung oder Durchführung eines Strafverfahrens dagegen (noch) möglich, so ist eine Wiederaufnahme allein unter Hinweis auf eine angeblich in dem rechtskräftig abgeschlossenen Prozess begangene Straftat ausgeschlossen (vgl. , VersR 1962, 175, 177). Unterlässt die Partei eine rechtzeitige Anzeige bei den Strafverfolgungsbehörden, liegen die Voraussetzungen des zivilrechtlichen Wiederaufnahmeverfahrens auch dann nicht vor, wenn sie hätten erfüllt werden können (vgl. BGHZ 153, 189, 197). Vor diesem Hintergrund besteht kein Anlass, auf Grund des erst nachträglich eingetretenen Strafverfolgungshindernisses der Verjährung die Restitutionsklage zuzulassen und damit den vom Gesetzgeber gewollten Vorrang der Zulassung auf Grund strafrechtlicher Verurteilung auszuhöhlen.
2. Eine solche Obliegenheit des Restitutionsklägers, den Verdacht einer Straftat unter Angabe der diesen begründenden Umstände unverzüglich bei den Strafverfolgungsbehörden anzuzeigen, wird auch vom Zweck des Gesetzes gefordert.
a) Die durch § 581 Abs. 1 ZPO angeordnete grundsätzliche Abhängigkeit der Zulässigkeit der Restitutionsklage von dem Ergebnis eines vorangegangenen Strafverfahrens wirkt nach beiden Seiten. Mit der rechtskräftigen Verurteilung ist der Weg zur Restitutionsklage eröffnet, während ein Freispruch oder auch nur die Einstellung der Ermittlungen mangels hinreichenden Tatverdachts durch die Staatsanwaltschaft nach § 170 Abs. 2 Satz 1 StPO oder eine Ablehnung der Eröffnung des Hauptverfahrens durch das Strafgericht nach § 204 StPO die Restitutionsklage ausschließen (, VersR 1962, 175, 177 und BGHZ 85, 32, 37). Der nach ihrer Auffassung durch eine Straftat geschädigten Partei kann es daher nicht gestattet sein, diese Folgen einer für ihr Anliegen nachteiligen Entscheidung im Strafverfahren dadurch zu vermeiden, dass sie auf deren zeitige Anzeige bei den Strafverfolgungsbehörden verzichtet und bis zur Verjährung zuwartet. Damit wäre der Zweck des § 581 Abs. 1 ZPO vereitelt, dass in dem Verfahren über die Wiederaufnahme grundsätzlich nicht über das Vorliegen einer Straftat gestritten werden soll.
b) Nach der von der Revision vertretenen gegenteiligen Auffassung, nach der die Restitutionsklage stets zulässig sein soll, wenn die Staatsanwaltschaft eine Wiederaufnahme der Ermittlungen wegen inzwischen eingetretener Verjährung ablehnt, würde dagegen nicht nur das in § 581 Abs. 1 ZPO bezweckte Regel-Ausnahme-Verhältnis umgekehrt, sondern das Erfordernis einer strafrechtlichen Verurteilung als Voraussetzung der Restitutionsklage bedeutungslos. Nachträglich aufgefundene Beweismittel könnten dann trotz Rechtskraft eines zivilrechtlichen Urteils ohne weiteres in ein Wiederaufnahmeverfahren eingeführt werden, und der Zivilrichter hätte entgegen dem ausdrücklich geäußerten Willen des Gesetzgebers regelmäßig auf die bloße Behauptung einer strafbaren Handlung hin das Restitutionsverfahren durchzuführen.
c) Auch der Einwand der Revision, dass ein Revisionskläger wegen der in § 586 Abs. 1 ZPO bestimmten Ausschlussfrist für die Restitutionsklage von einem Monat nach Erlangung der Kenntnis des Restitutionsgrundes nicht so lange zuwarten könne, ist unbegründet. Die Revision übersieht dabei, dass in den Fällen, in denen es für eine Restitutionsklage einer strafgerichtlichen Verurteilung ausnahmsweise nicht bedarf, die Frist nach § 586 Abs. 2 Satz 1 ZPO erst dann zu laufen beginnt, wenn der Kläger auch von der Einstellung oder der Unmöglichkeit eines Strafverfahrens erfährt (vgl. BGHZ 1, 153, 155; Zöller/Greger, ZPO, 25. Aufl., § 586 Rdn. 10).
3. Für den Ausschluss der Restitutionsklage bei nicht rechtzeitiger Anzeige spielt es schließlich entgegen der Auffassung der Revision auch keine Rolle, dass die Strafverfolgungsbehörden von Amts wegen ermitteln müssen und die von den Klägern angeführten neuen Beweismittel ohne deren Anzeige hätten ausfindig machen können. Der Zulässigkeit der Restitutionsklage steht hier entgegen, dass die Staatsanwaltschaft das Ermittlungsverfahren mangels eines für die Erhebung einer Anklage hinreichenden Tatverdachts eingestellt hat.
Der Hinweis der Restitutionskläger auf neue Beweismittel, die der Staatsanwaltschaft bei ihrer Entscheidung nicht bekannt gewesen sein sollen, vermag nichts daran zu ändern, dass die Restitutionsklage nach § 581 Abs. 1 1. Fall ZPO grundsätzlich die strafgerichtliche Verurteilung voraussetzt. Auch die auf neue Beweismittel gestützte Restitutionsklage, die durch Anzeige des Klägers bei den Strafverfolgungsbehörden zur Einleitung eines Strafverfahrens geführt hätte, ist daher nur zulässig, wenn es auf Grund der neuen Beweislage zu einer Verurteilung in einem Strafverfahren gekommen ist. Das ist hier nicht geschehen.
III.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
NJW-RR 2006 S. 1573 Nr. 22
SAAAC-02036
1Nachschlagewerk: ja; BGHZ: nein; BGHR: ja