Leitsatz
[1] a) Bei der Prüfung, ob der Wert des Beschwerdegegenstands den für eine Wertberufung erforderlichen Betrag von 600 € erreicht, ist das Berufungsgericht nicht an eine Streitwertfestsetzung durch das erstinstanzliche Gericht gebunden. Daran hat sich durch das ZPO-Reform-Gesetz nichts geändert.
b) Will das Berufungsgericht von der Festsetzung des Streitwerts durch das erstinstanzliche Gericht abweichen und den Streitwert und mit diesem die Beschwer niedriger ansetzen, muß es den Kläger nach §§ 525, 139 Abs. 2, 3 ZPO darauf hinweisen und ihm Gelegenheit geben, sich dazu zu äußern.
Gesetze: ZPO § 511 Abs. 2; ZPO § 522 Abs. 1
Instanzenzug: AG Köln
Gründe
I.
Die Kläger verlangen von den Beklagten, es zu unterlassen, Werbeprospekte und anderes Werbematerial für seine Pizzeria in die Briefkästen ihres Hauses einzuwerfen. Mit am zugestelltem Urteil hat das Amtsgericht K. die Klage abgewiesen und darin den Streitwert auf 2.000 € festgesetzt. Gegen dieses Urteil haben die Kläger fristgerecht Berufung eingelegt, die sie auch fristgerecht begründet haben. Mit Beschluss vom hat das Landgericht den Streitwert auf 100 € abgeändert. Dieser Beschluß hat die Kläger erst am erreicht.
Mit einem ebenfalls erst am zugestellten Beschluss vom hat das Landgericht die Berufung der Kläger wegen Verfehlens des Berufungswerts von 600 € als unzulässig verworfen. Dagegen richtet sich die Rechtsbeschwerde der Kläger, mit der sie die Aufhebung des angefochtenen Beschlusses erreichen und ihre Berufung weiterverfolgen möchten.
II.
Die Rechtsbeschwerde ist zulässig, aber unbegründet.
1. Die Rechtsbeschwerde ist nach § 574 Abs. 1 Nr. 1 i. V. m. § 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO statthaft und auch im übrigen zulässig, weil die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordert (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 ZPO).
Eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts ist zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich, wenn das Beschwerdegericht Verfahrensgrundrechte, namentlich das Grundrecht auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG), verletzt hat (Senat BGHZ 151, 221, 226; 154, 288, 296 f.) und die angefochtene Entscheidung hierauf beruht (BGHZ 151, 221, 227). Diese Voraussetzung ist hier gegeben. Die Kläger konnten davon ausgehen, daß ihre Berufung gegen das Urteil des Amtsgerichts kraft Gesetzes zulässig war, weil das Amtsgericht den Streitwert auf 2.000 € festgesetzt hatte und sich hieraus eine Beschwer der Kläger in demselben Umfang ergab. Wollte das Berufungsgericht hiervon abweichen und die Beschwer niedriger ansetzen, mußte es die Kläger nach §§ 525, 139 Abs. 2, 3 ZPO darauf hinweisen und ihnen Gelegenheit geben, sich dazu zu äußern (vgl. MünchKomm-ZPO/Rimmelspacher, 2. Aufl., [Aktualisierungsband] § 511 Rdn. 57). Das ist nicht geschehen. Damit aber blieb den Klägern das von Verfassungs wegen zu gewährende rechtliche Gehör zur Frage des Werts des Beschwerdegegenstands versagt. Dieser Verstoß gegen das Gebot des rechtlichen Gehörs führt, anders als im Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde, unabhängig davon zur Zulässigkeit der Rechtsbeschwerde, ob er sich auf das Ergebnis auswirkt (Senat Beschl. v. , V ZR 118/02, NJW 2002, 3180, 3181; Urt. v. , V ZR 187/02, NJW 2003, 3205; , NJW 2003, 831; Senat Beschl. v. , V ZB 28/03, NJW 2004, 367, 368). Darauf, ob die Rechtsbeschwerde auch unter anderen Gesichtspunkten zulässig war, kommt es nicht an.
2. Die Rechtsbeschwerde ist aber nicht begründet. Das Berufungsgericht hat die Berufung der Kläger zu Recht als unzulässig verworfen, weil der Wert des Beschwerdegegenstands 600 € nicht übersteigt.
a) Bei der Prüfung, ob der Wert des Beschwerdegegenstands den für eine Wertberufung erforderlichen Betrag von 600 € erreicht, ist das Berufungsgericht nicht an eine Streitwertfestsetzung durch das erstinstanzliche Gericht gebunden ( IVb ZB 124/87, NJW-RR 1988, 836, 837; Beschl. v. , XII ZB 61/91, FamRZ 1992, 169, 170; Urt. v. , II ZR 334/96, NJW-RR 1998, 573; Senatsurt. v. , V ZR 225/97, NJW 1998, 2368; Baumbach/Lauterbach/Hartmann/Albers, ZPO, 60. Aufl., § 511 Rdn. 19; MünchKomm-ZPO/Rimmelspacher aaO. § 511 Rdn. 58; Zöller/Gummer, ZPO, 23. Aufl., § 511 Rdn. 20a). Es stellt den Wert des Beschwerdegegenstandes vielmehr im Rahmen der ihm von Amts wegen obliegenden Prüfung der Zulässigkeitsvoraussetzungen nach § 522 Abs. 1 Satz 1 ZPO nach eigenem freiem Ermessen fest.
b) Daran hat sich durch das ZPO-Reform-Gesetz nichts geändert. Allerdings ist die Berufung, anders als bisher, nicht schlechthin unzulässig, wenn der Berufungswert von 600 € verfehlt wird. In einem solchen Fall ist die Berufung vielmehr durch das Gericht erster Instanz zuzulassen, wenn einer der in § 511 Abs. 4 ZPO bestimmten Zulassungsgründe vorliegt. Zu einer Entscheidung darüber gelangt das erstinstanzliche Gericht aber nicht, wenn es, z. B. nach entsprechender eigener Streitwertfestsetzung, wie hier, annimmt, die Berufung sei im Hinblick auf den Wert nach § 511 Abs. 2 Nr. 1 ZPO zulässig. Dieser Umstand ändert jedoch nichts daran, daß bei unrichtiger Streitwertfestsetzung durch das Gericht erster Instanz der Berufungswert in der Sache nicht erreicht ist.
c) Die Bewertung des Beschwerdegegenstands mit (75 € Unterlassung zuzüglich 25 € =) 100 € ist nicht zu beanstanden.
aa) Der Wert des Unterlassungsantrags der Kläger war vom Berufungsgericht gemäß § 3 ZPO nach freiem Ermessen festzusetzen. Eine solche Festsetzung kann im Rechtsbeschwerdeverfahren nur darauf hin überprüft werden, ob das Berufungsgericht die Grenzen seines Ermessens überschritten oder von seinem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht hat (vgl. zur Revision: , WM 1984, 180; Beschl. v. , IVa ZB 2/85, NJW 1986, 1493; Beschl. v. , VIII ZR 300/88, NJW-RR 1989, 82; Senatsurt. v. , V ZR 225/97, NJW 1998, 2368).
bb) Die Wertfestsetzung durch das Berufungsgericht lässt einen derartigen Rechtsfehler nicht erkennen.
(1) Das Berufungsgericht hat den Wert des Beschwerdegegenstands nur indirekt, nämlich in seinem Streitwertbeschluß vom , und darin auch nur sehr knapp begründet. Eine knappe Begründung allein stellt die Wertfestsetzung aber nicht in Frage ( IVb ZB 154/82, NJW 1983, 123). Entscheidend ist vielmehr, ob die Begründung die Beurteilung erlaubt, daß das Berufungsgericht von seinem Ermessen einen gesetzmäßigen Gebrauch gemacht und alle wesentlichen Gesichtspunkte berücksichtigt hat (, NJW-RR 1991, 325, 326). Das ist hier der Fall. In seiner knappen Begründung hat das Berufungsgericht den für die geringe Bewertung des Rechtsverfolgungsinteresses der Kläger entscheidenden Gesichtspunkt angeführt, nämlich daß die Kläger einen singulären Vorfall zum Anlaß ihrer Klage genommen und zu etwaigen Weiterungen nichts vorgetragen haben. Aus diesem Umstand ergab sich auch, daß das Unterlassungsinteresse der Kläger kaum meßbar, jedenfalls aber nur mit einem ganz geringen Wert anzusetzen war.
(2) Dem Berufungsgericht lässt sich entgegen der Ansicht der Kläger auch nicht entgegenhalten, es habe nicht alle Gesichtspunkte berücksichtigt. Denn das Berufungsgericht hatte nur das Interesse an der Unterlassung der Störung zu bewerten, die die Kläger zum Gegenstand ihrer Klage gemacht hatten; ob auch andere Störungen denkbar waren, brauchte es nicht zu berücksichtigen (Senatsurt. v. , V ZR 255/97, NJW 1998, 2368). Die Kläger klagen als Wohnungseigentümer und haben auf Seite 2 der Klagebegründung ausdrücklich ausgeführt, daß sie eine Störung ihres Eigentums geltend machen wollten. Auf eine Störung der Persönlichkeitsrechte einzelner Wohnungseigentümer haben sie sich weder dort noch später berufen.
(3) Unerheblich ist schließlich auch der Hinweis der Kläger in der Begründung ihrer Rechtsbeschwerde, es sei am zu einem erneuten Verstoß gekommen. Ob der Berufungswert erreicht ist, bestimmt sich nach den Verhältnissen im Zeitpunkt der Berufungseinlegung (Senatsbeschl. v. , V ZB 9/82, NJW 1983, 1063; Zöller/Gummer § 511 Rdn. 14), hier dem . Es kann deshalb auch offen bleiben, ob das Hinzutreten eines weiteren singulären Vorfalls nach einem weiteren Jahr an der grundsätzlichen Bewertung des Unterlassungsinteresses der Kläger etwas ändern könnte.
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 ZPO.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
BAAAC-01878
1Nachschlagewerk: ja; BGHZ: nein; BGHR: ja