BGH Beschluss v. - StB 8/05

Leitsatz

[1] Zum Umfang des Auskunftsverweigerungsrechts eines Zeugen, wenn gegen ihn wegen des Lebensvorgangs, zu dem er befragt werden soll, ein bereits rechtskräftiger Schuldspruch vorliegt, der Straf- bzw. sonstige Rechtsfolgen-

ausspruch jedoch noch nicht rechtskräftig geworden ist.

Gesetze: StPO § 55 Abs. 1

Instanzenzug: OLG Naumburg vom

Gründe

I.

Das Oberlandesgericht Naumburg hatte den Beschwerdeführer sowie den damaligen Mitangeklagten W. am der Brandstiftung sowie der versuchten Brandstiftung in je zwei Fällen schuldig gesprochen: Es hatte gegen den Beschwerdeführer auf eine Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten und gegen den damaligen Mitangeklagten W. auf eine Jugendstrafe von zwei Jahren erkannt. Auf die von beiden eingelegten Revisionen ist die Verurteilung des damaligen Mitangeklagten W. auf eine Verfahrensrüge in vollem Umfang aufgehoben worden; hinsichtlich des Beschwerdeführers ist der Schuldspruch dahin geändert worden, daß er der tateinheitlichen Brandstiftung in zwei vollendeten und zwei versuchten Fällen schuldig ist, und der Strafausspruch - unter Aufrechterhaltung der insoweit vom Oberlandesgericht getroffenen Feststellungen - aufgehoben worden. Im Umfang der Aufhebung ist die Sache an das Oberlandesgericht zurückverwiesen worden (BGH NStZ 2005, 46). Nach Abtrennung des Verfahrens gegen den Beschwerdeführer hat das Oberlandesgericht diesen am zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Diese Entscheidung ist noch nicht rechtskräftig. Das Oberlandesgericht hat den Beschwerdeführer anschließend in dem abgetrennten Verfahren gegen den Angeklagten W. als Zeugen vernommen. Er hat dabei lediglich die Frage beantwortet, ob er den Angeklagten W. kenne, und danach jede weitere Aussage - etwa auch zu den persönlichen Verhältnissen des Angeklagten W. - umfassend verweigert, weil die Beantwortung weiterer Fragen ihn der Gefahr der Strafverfolgung aussetze. Das Oberlandesgericht hat die einschränkungslose Auskunftsverweigerung als unberechtigt angesehen. Es hat deswegen dem Beschwerdeführer die durch seine Weigerung verursachten Kosten des Verfahrens auferlegt, gegen ihn ein Ordnungsgeld von 500 € - ersatzweise für den Fall der Nichtbeitreibbarkeit Ordnungshaft von fünf Tagen - festgesetzt sowie zur Erzwingung des Zeugnisses Haft bis zur Beendigung des Verfahrens im ersten Rechtszug, jedoch nicht über sechs Monate hinaus, angeordnet. Der hiergegen vom Beschwerdeführer eingelegten Beschwerde hat das Oberlandesgericht nicht abgeholfen.

II.

1. Das Rechtsmittel des Beschwerdeführers ist nur teilweise zulässig.

Die Beschwerde ist gemäß § 304 Abs. 4 Satz 2 Halbs. 1 StPO nicht statthaft, soweit sie sich gegen die Kostenüberbürdung sowie die Festsetzung von Ordnungsgeld (§ 70 Abs. 1 StPO) richtet; insoweit greift keiner der Ausnahmetatbestände des § 304 Abs. 4 Satz 2 Halbs. 2 StPO ein. Anders verhält es sich bezüglich der Anordnung der Erzwingungshaft. Hierin liegt eine Verhaftung im Sinne des § 304 Abs. 4 Satz 2 Halbs. 2 Nr. 1 StPO (vgl. BGHSt 36, 192 zu § 304 Abs. 5 StPO), so daß die Beschwerdemöglichkeit eröffnet ist.

2. In dem danach zulässigen Umfang erweist sich die Beschwerde jedoch als unbegründet. Zu Recht hat das Oberlandesgericht ein umfassendes Auskunftsverweigerungsrecht des Beschwerdeführers verneint und ihn daher zur Erzwingung des Zeugnisses gemäß § 70 Abs. 2 StPO in Haft genommen.

a) Gemäß § 55 Abs. 1 StPO ist ein Zeuge grundsätzlich nur berechtigt, die Auskunft auf einzelne Fragen zu verweigern, deren Beantwortung ihn oder einen in § 52 Abs. 1 StPO genannten Angehörigen der Gefahr aussetzen würde, wegen einer Straftat oder einer Ordnungswidrigkeit verfolgt zu werden. Nur ausnahmsweise ist er zur umfassenden Verweigerung der Auskunft berechtigt, wenn seine gesamte in Betracht kommende Aussage mit einem möglicherweise strafbaren oder ordnungswidrigen eigenen Verhalten in einem so engen Zusammenhang steht, daß im Unfang der vorgesehenen Vernehmungsgegenstände nichts übrig bleibt, wozu er ohne die Gefahr der Verfolgung wegen einer Straftat oder Ordnungswidrigkeit wahrheitsgemäß aussagen könnte (BGH NStZ 2002, 607).

Eine das Recht zur Auskunftsverweigerung begründende Verfolgungsgefahr im Sinne des § 55 Abs. 1 StPO besteht dann nicht mehr, wenn eine Strafverfolgung des Zeugen wegen des Lebenssachverhalts, zu dem er befragt werden soll, zweifelsfrei ausgeschlossen ist, weil er insoweit bereits rechtskräftig abgeurteilt wurde und daher die Strafklage verbraucht ist (BGH NJW 1999, 1413). Besteht zwischen dem Gegenstand, zu dem er befragt werden soll, und dem abgeurteilten Sachverhalt ein Zusammenhang, ist daher abzugrenzen: Das Auskunftsverweigerungsrecht kann grundsätzlich nur in dem Umfang greifen, in welchem die Befragung sich auf Vorgänge richtet, die im Verhältnis zu dem abgeurteilten Geschehen andere Taten im verfahrensrechtlichen Sinn des § 264 Abs. 1 StPO darstellen würden (vgl. BGH NJW 1999, 1413, 1414) und der Zeuge hierfür möglicherweise durch eine - wahrheitsgemäße - Aussage zumindest weitere Ermittlungsansätze gegen sich selbst liefern müßte (vgl. BVerfG NStZ 2002, 378, 379).

Besonderheiten bestehen dann, wenn wegen des Lebensvorgangs, zu dem der Zeuge befragt werden soll, gegen ihn ein bereits rechtskräftiger Schuldspruch vorliegt, der Straf- bzw. sonstige Rechtsfolgenausspruch jedoch noch nicht rechtskräftig geworden ist. In einem derartigen Fall besteht ein Auskunftsverweigerungsrecht des Zeugen, soweit er durch die Beantwortung der an ihn gerichteten Fragen strafzumessungsrelevante oder für den sonstigen Rechtsfolgenausspruch bedeutsame Umstände offenbaren müßte, die gegebenenfalls zu seinem Nachteil Berücksichtigung finden könnten (vgl. LG Darmstadt StV 1988, 101). Jedoch ist insoweit zu beachten, daß sogenannte doppelrelevante Tatsachen, die sowohl für den Schuld- wie für den Rechtsfolgenausspruch bedeutsam sind, durch die Rechtskraft des Schuldspruchs und der ihm zugrunde liegenden Feststellungen für das weitere Verfahren gegen den Zeugen bindend geworden sind (Meyer-Goßner, StPO 48. Aufl. § 353 Rdn. 20 m. zahlr. w. N.). Gleiches gilt hinsichtlich der allein für den Rechtsfolgenausspruch maßgeblichen Feststellungen, die das Revisionsgericht bei Teilaufhebung des ersten gegen den Zeugen ergangenen Urteils hat bestehen lassen (vgl. § 353 Abs. 2 StPO). Der Beantwortung von Fragen, die sich mit diesen Feststellungen befassen, kann sich der Zeuge nicht entziehen, da das Gericht, das noch über den Rechtsfolgenausspruch zu entscheiden hat, an die bisher getroffenen Feststellungen gebunden ist, so daß es dem Zeugen nachteiligere Umstände, die er bei seiner Befragung insoweit eventuell offenbaren müßte, nicht mehr zu seinem Nachteil verwerten dürfte.

b) Nach diesen Maßstäben ist die Entscheidung des Oberlandesgerichts nicht zu beanstanden. Zu Recht hat es angenommen, daß dem Beschwerdeführer kein umfassendes Auskunftsverweigerungsrecht zusteht, das es ihm gestatten würde, auf sämtliche Fragen des Gerichts und der weiteren Prozeßbeteiligten - abgesehen von derjenigen nach seiner Bekanntschaft mit dem Angeklagten W. - zu schweigen.

Dies versteht sich zunächst von selbst, soweit das Oberlandesgericht durch die Befragung des Beschwerdeführers die persönlichen Verhältnisse des - auch insoweit schweigenden - Angeklagten W. aufzuklären sucht. Es ist nicht ersichtlich, daß sich der Beschwerdeführer durch die Beantwortung entsprechender Fragen, die in keinerlei Zusammenhang mit dem ihm und dem Angeklagten W. vorgeworfenen oder sonstigem denkbaren strafbaren Verhalten stehen, dem Risiko strafrechtlicher Verfolgung aussetzen oder in Gefahr geraten könnte, für die Bemessung der gegen ihn noch nicht rechtskräftig verhängten Strafe Umstände nachteiligen Inhalts offenbaren zu müssen. Die entsprechende Behauptung des Beschwerdeführers entbehrt jeden sachlichen Gehalts. Sie verkennt namentlich, daß alle maßgeblichen, den Beschwerdeführer betreffenden Strafzumessungstatsachen, die im festgestellt wurden, für das weitere Verfahren verbindlich sind, da der Senat die Aufhebung des Strafausspruchs gegen den Beschwerdeführer nicht auf die zugrunde liegenden Feststellungen erstreckt hat. Selbst wenn vor diesem Hintergrund noch einzelne Fragen denkbar sein sollten, deren Beantwortung in Ergänzung der bindenden Feststellungen weitere für die Bemessung der Strafe gegen den Zeugen relevante, nachteilige Tatsachen aufdecken könnte, würde dies den Zeugen allein berechtigen, auf derartige Fragen die Auskunft zu verweigern, nicht indessen ein umfassendes Auskunftsverweigerungsrecht zu den persönlichen Verhältnissen des Angeklagten W. begründen.

Aber auch bezüglich der dem Angeklagten W. und dem Beschwerdeführer vom Generalbundesanwalt vorgeworfenen Tat (im Sinne des § 264 Abs. 1 StPO) steht dem Beschwerdeführer ein umfassendes Auskunftsverweigerungsrecht nicht mehr zu. Die Verurteilung des Beschwerdeführers ist im Schuldspruch rechtskräftig. Die den Schuld- wie den Strafausspruch betreffenden doppelrelevanten Tatsachen sind für das weitere Verfahren gegen den Beschwerdeführer ebenso bindend wie die im getroffenen Feststellungen, die allein für den Strafausspruch relevant sind (s. oben). Soweit der Generalbundesanwalt ursprünglich den weiteren Vorwurf erhoben hatte, der Beschwerdeführer habe tateinheitlich mit den abgeurteilten Brandstiftungsdelikten als Rädelsführer eine terroristische Vereinigung gegründet und sich an ihr mitgliedschaftlich beteiligt, steht aufgrund des insoweit in Rechtskraft erwachsenen weiterhin fest, daß der Beschwerdeführer hierfür nicht bestraft werden kann, weil ihm der persönliche Strafaufhebungsgrund nach § 129 a Abs. 5, § 129 Abs. 6 Halbs. 2 StGB aF zu Gute kommt. Damit ist insoweit nicht nur die Strafklage verbraucht; vielmehr kann dem Beschwerdeführer die Gründung der terroristischen Vereinigung sowie die mitgliedschaftliche Beteiligung an ihr auch nicht mehr strafschärfend angelastet werden (BGH NStZ 2005, 46, 47). Der durch das oberlandesgerichtliche Urteil bewirkte Strafklageverbrauch geht indessen noch weiter. Er erstreckt sich auch auf alle mit der Straftat nach § 129 a Abs. 1 und 2 StGB aF möglicherweise außer den abgeurteilten Brandstiftungstaten tateinheitlich verwirklichten weiteren Delikte, soweit sie wegen der für sie angedrohten Höchststrafe nicht schwerer wiegen als das Verbrechen nach § 129 a Abs. 1 und 2 StGB aF (vgl. BGHSt 29, 288, 293 ff.).

Der Beschwerdeführer darf daher allgemein weder Fragen nach dem Bestehen und der Tätigkeit der terroristischen Vereinigung noch nach der möglichen Beteiligung des Angeklagten W. hieran unbeantwortet lassen. Anders liegt es nur, soweit er hierdurch eventuell gleichzeitig ergänzende Umstände offenbaren müßte, die ohne Widerspruch zu den bindenden Feststellungen des oberlandesgerichtlichen Urteils vom für die Bemessung seiner Strafe für die tateinheitlichen vier Brandstiftungsdelikte strafschärfende Bedeutung erlangen könnten. Ebenso steht ihm § 55 Abs. 1 StPO zur Seite, soweit Fragen an ihn gerichtet werden, deren Beantwortung ihn der Gefahr aussetzen würde, wegen möglicher schwererer, vom Strafklageverbrauch nicht erfaßter Delikte verfolgt zu werden, und sei es auch nur, weil die Ermittlungsbehörden aus seinen Angaben weitere Ermittlungsansätze gewinnen könnten. Daß das Oberlandesgericht diese Einschränkungen der Zeugnispflicht respektieren will, hat es in dem angefochtenen Beschluß deutlich zum Ausdruck gebracht.

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:



Fundstelle(n):
EAAAC-01705

1Nachschlagewerk: ja