Leitsatz
[1] Der Beginn der Rechtsmittelfrist spätestens mit dem Ablauf von fünf Monaten nach der Verkündung wird nicht dadurch gehindert, daß die betroffene Partei von dem konkreten Verkündungstermin keine Kenntnis hatte.
Gelingt es dem Anwalt einer Partei trotz mehrfacher, auch schriftlicher Anfragen nicht, von dem Gericht zu erfahren, ob, gegebenenfalls wann und gegebenenfalls mit welchem Inhalt eine Entscheidung verkündet worden ist, so beruht die Versäumung der Rechtsmittelfrist auch dann nicht auf dem Verschulden des Anwalts, wenn die absolute Frist des § 48 Abs. 2 Satz 2 LwVG i.V.m. § 517 ZPO abgelaufen ist. Es ist der Partei nicht zuzumuten, fristwahrend ein Rechtsmittel gegen eine zu welchem Zeitpunkt und mit welchem Inhalt auch immer ergangene Entscheidung einzulegen.
Gesetze: LwVG § 48 Abs. 2 Satz 2; ZPO § 233
Instanzenzug: OLG Schleswig vom AG Flensburg
Gründe
I.
Nach Beweisaufnahme und Verhandlung beraumte das Landwirtschaftsgericht mit am verkündetem Beschluß einen Termin zur Verkündung einer Entscheidung auf den an. An diesem Tag verkündete es einen den Parteien unmittelbar danach zugesandten Beschluß, wonach der Verkündungstermin auf den verlegt werde. Nach weiteren sechs verkündeten, den Parteien aber nicht mitgeteilten Verlegungsbeschlüssen kam es am zur Verkündung eines Urteils, das nicht in vollständiger Form abgefaßt war, erst am zur Geschäftsstelle gelangte und den Parteien am zugestellt wurde. Aufgrund telefonischer Nachfrage hatten die Prozeßbevollmächtigten der Beklagten noch von einer Verlegung des Verkündungstermins auf den erfahren. Weitere schriftliche Nachfragen vom 27. Mai, 25. Juni, 23. Juli (mit Hinweis auf den drohenden Ablauf der absoluten Berufungsfrist) und , ob denn nun eine Entscheidung verkündet worden sei und gegebenenfalls welche, blieben unbeantwortet.
Mit am bei dem Oberlandesgericht eingegangenen Schriftsatz hat die Beklagte gegen das Urteil des Landwirtschaftsgerichts, das sie in Höhe von 11.433,30 € beschwert, Berufung eingelegt und zugleich Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsfrist beantragt. Das Oberlandesgericht hat den Wiedereinsetzungsantrag abgelehnt und die Berufung als unzulässig verworfen. Dagegen richtet sich die Rechtsbeschwerde der Beklagten, mit der sie die Aufhebung des Beschlusses erstrebt.
II.
1. Die Rechtsbeschwerde ist nach § 574 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. §§ 522 Abs. 1 Satz 4, 238 Abs. 2 ZPO statthaft (, NJW 2002, 2473, vorgesehen für BGHZ 151, 42). Dem steht nicht entgegen, daß der Wert der geltend gemachten Beschwer 20.000 € nicht übersteigt. Diese Wertgrenze gilt nach § 26 Nr. 8 EGZPO nur für die Statthaftigkeit der Nichtzulassungsbeschwerde nach § 544 ZPO, nicht aber für die Rechtsbeschwerde gegen einen die Berufung als unzulässig verwerfenden Beschluß (, NJW-RR 2003, 132). Sie ist auch im übrigen zulässig, weil die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordert (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 ZPO). Die Rechtsbeschwerde hat sich zwar auf diesen Zulässigkeitsgrund nicht ausdrücklich berufen, der Sache nach aber geltend gemacht, die Entscheidung des Berufungsgerichts beruhe auf einer Würdigung, die der Beklagten den Zugang zu dem von der Zivilprozeßordnung eingeräumten Instanzenzug in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigender Weise erschweren. Eine solche Handhabung des Verfahrensrechts verletzt den Anspruch der Beklagten auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes (Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. dem Rechtsstaatsprinzip, vgl. BVerfGE 77, 275, 284; BVerfG NJW 2003, 281) und eröffnet die Rechtsbeschwerde nach § 574 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 2 ZPO (vgl. , NJW 2002, 3029, 3030 f, vorgesehen für BGHZ 151, 221; Beschl. v. , V ZB 60/02, Umdr. S. 4, zur Veröffentl. vorgesehen; Beschl. v. , V ZB 71/02, Umdr. S. 3, zur Veröffentl. vorgesehen).
2. Die Rechtsbeschwerde ist begründet.
a) Rechtsfehlerfrei ist allerdings die Annahme des Berufungsgerichts, daß die Beklagte die Berufung verspätet eingelegt hat. Die einmonatige Berufungsfrist (§ 517 ZPO) beginnt, unabhängig von der Zustellung des Urteils, nach §§ 48 Abs. 2 Satz 2, 21 Abs. 2 Satz 3 LwVG spätestens mit dem Ablauf von fünf Monaten nach der Verkündung. Da das Urteil hier am verkündet wurde, lief sie am ab, so daß die am eingegangene Berufung nicht fristgerecht war.
Soweit das Urteil unter Verstoß gegen Verfahrensvorschriften verkündet wurde, die das Berufungsgericht im einzelnen dargelegt hat, hindert dies nicht den Fristenlauf. Voraussetzung dafür ist lediglich eine wirksame Verkündung, die hier außer Zweifel steht (vgl. , NJW 1999, 143, 144; Beschl. v. , VI ZB 27/88, NJW 1989, 1156, 1157).
Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde kann von einer Anwendung der §§ 48 Abs. 2 Satz 2, 21 Abs. 2 Satz 3 LwVG auch nicht deswegen abgesehen werden, weil die Beklagte von dem konkreten Verkündungstermin keine Kenntnis hatte und ihre Bemühungen, vom Landwirtschaftsgericht Aufklärung zu erfahren, erfolglos blieben. Für die sachlich gleiche Vorschrift des § 516 ZPO a.F. (jetzt § 517 ZPO) hat der Bundesgerichtshof allerdings angenommen, daß die Norm dann unanwendbar sein könne, wenn die beschwerte Partei im Verhandlungstermin nicht vertreten gewesen und zu dem Termin auch nicht ordnungsgemäß geladen worden sei (Urt. v. , IV ZR 68/76, LM ZPO § 88 Nr. 3; zweifelnd Beschl. v. , XI ZB 23/93, NJW-RR 1994, 1022). Dahinter steht die Erwägung, daß der Norm der Gedanke zugrunde liege, daß eine Partei, die vor Gericht streitig verhandelt habe, mit dem Erlaß einer Entscheidung rechnen müsse und es ihr daher zugemutet werden könne, sich danach zu erkundigen, ob und mit welchem Inhalt eine Entscheidung ergangen sei ( aaO). Ausgehend davon könne die Frist des § 516 ZPO a.F. (jetzt § 517 ZPO) nicht zu Lasten einer Partei zu laufen beginnen, die zu dem der Entscheidung vorausgehenden Verhandlungstermin nicht ordnungsgemäß geladen und vertreten gewesen sei. Denn sie habe mit einer Entscheidung nicht zu rechnen brauchen und auch dahingehende Erkundigungen nicht einziehen müssen.
Solche Überlegungen tragen hier nicht. Wie die Rechtsbeschwerde nicht verkennt, war die Beklagte in dem der Entscheidung vorausgehenden Verhandlungstermin ordnungsgemäß vertreten. Daß eine Entscheidung ergehen konnte, wußte sie. Zu den jeweils angesetzten Verkündungsterminen brauchte sie nicht geladen zu werden (§ 218 ZPO). Es war ihr daher zuzumuten, sich danach zu erkundigen, ob und gegebenenfalls mit welchem Inhalt eine Entscheidung ergangen sein mochte. Nicht anders hat es der Prozeßbevollmächtigte der Beklagten gesehen und sich dementsprechend verhalten. Daß seine Erkundigungen im konkreten Fall erfolglos blieben, hindert nicht den Lauf der Frist, sondern kann im Rahmen einer Wiedereinsetzung in den vorigen Stand von Bedeutung sein. § 517 ZPO und die sachgleichen und auf denselben Wertungen beruhenden Vorschriften der §§ 48 Abs. 2 Satz 2, 21 Satz 2 Satz 3 LwVG setzen zwar - wenn man der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs folgt - die generelle Möglichkeit der beschwerten Partei voraus, daß sie von einer Entscheidung zu ihren Lasten Kenntnis erhält, nimmt aber nicht Rücksicht auf die konkreten Umstände des Falles. Ziel der Norm ist es, unabhängig von einer Zustellung des Urteils und damit auch unabhängig von einer konkreten Kenntnis der beschwerten Partei nach Ablauf einer längeren Frist, die im allgemeinen zur Einlegung der Berufung trotz bestehender Erschwernisse ausreicht, für Rechtsfrieden und Rechtssicherheit zu sorgen (vgl. MünchKomm-ZPO/Rimmelspacher, 2. Aufl., Aktualisierungsband, § 517 Rdn. 2). Dieser Zweck würde verfehlt, wollte man konkreten Umständen, die im Einzelfall einer rechtzeitigen Berufungseinlegung entgegenstanden, für den Fristablauf Bedeutung beimessen.
b) Zu Recht wendet sich die Rechtsbeschwerde aber gegen die Versagung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Nach § 233 ZPO ist sie zu gewähren, wenn eine Partei ohne ihr Verschulden verhindert war, eine Notfrist, zu der die Berufungsfrist des § 517 ZPO gehört, einzuhalten. Diese Voraussetzungen sind hier entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts gegeben.
aa) Ein Verschulden der Beklagten selbst ist nicht ersichtlich und vom Berufungsgericht auch nicht in Erwägung gezogen worden. Ein Verschulden des Prozeßbevollmächtigten, das sich die Beklagte nach § 85 Abs. 2 ZPO zurechnen lassen müßte, liegt ebenfalls nicht vor. Allerdings trifft es zu - wovon das Berufungsgericht ausgeht -, daß der Prozeßbevollmächtigte einer Partei, in dessen Gegenwart Termin zur Verkündung einer Entscheidung anberaumt worden ist, sein weiteres Prozeßverhalten an der Möglichkeit ausrichten muß, daß in dem Verkündungstermin ein Urteil ergangen ist, das die von ihm vertretene Partei beschwert. Dies hat der Prozeßbevollmächtigte der Beklagten aber nicht verkannt. Gestützt auf die gerichtliche Auskunft ist er davon ausgegangen, daß am eine möglicherweise seine Partei beschwerende Entscheidung verkündet worden ist, und hat in der Folgezeit drei schriftliche Anfragen an das Gericht gerichtet, um zu erfahren, welche Entscheidung ergangen sei. Diese blieben sämtlich unbeantwortet. Eine weitere Intensivierung seiner Bemühungen war nicht zu verlangen. Es ist nicht seine Aufgabe, massive Verstöße des Gerichts gegen das Gebot der Gewährung rechtlichen Gehörs durch überobligationsmäßige Anstrengungen auszugleichen. Er durfte vielmehr darauf vertrauen, daß seine Anfragen ordnungsgemäß bearbeitet und so rechtzeitig beantwortet würden, daß seiner Partei keine Nachteile entstünden. Soweit das Berufungsgericht meint, er habe vorsorglich fristwahrende Berufung einlegen müssen, überspannt es die Anforderungen in einer Weise, die im Ergebnis zu einer nicht zu rechtfertigenden Erschwerung des Zugangs zu dem von der Zivilprozeßordnung eingeräumten Instanzenzug führen würde und den Anspruch der Beklagten auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes verletzte (Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. dem Rechtsstaatsprinzip). Denn eine Berufung gegen ein am verkündetes Urteil wäre von vornherein unzulässig gewesen, da an diesem Tag keine Entscheidung ergangen war. Auch der Weg, ein Rechtsmittel gegen ein möglicherweise zu welchem Zeitpunkt und mit welchem Inhalt auch immer ergangenes Urteil einzulegen, kam nicht ernsthaft in Betracht. Wenn man überhaupt trotz des Kostenrisikos die vorläufige Einlegung eines Rechtsmittels für zumutbar erachtet, dann allenfalls gegen ein Urteil, von dessen Existenz die Partei Kenntnis hat und dessen Tenor sie kennt, mögen auch Tatbestand und Entscheidungsgründe ihr noch nicht zugestellt worden sein (vgl. BGHZ 2, 347, 349 f.; , VersR 1970, 159). Nicht angesonnen werden kann ihr hingegen, ein Rechtsmittel aufs Geratewohl einzulegen, auch auf die Gefahr hin, daß eine Entscheidung noch gar nicht ergangen ist oder wegen des Inhalts oder Umfangs von ihr nicht angefochten werden kann (vgl. auch , LM ZPO § 551 Ziff. 7 Nr. 3; Wiedereinsetzung nach aaO gewährt, da sich die das Rechtsmittel eröffnende Zulassung erst aus den nach Ablauf der Fünf-Wochen-Frist zugestellten Urteilsgründen ergab).
b) Die Beklagte hat ihr Wiedereinsetzungsgesuch fristgerecht eingereicht (§ 234 Abs. 1 und 2 ZPO). Das Hindernis zur Berufungseinlegung entfiel erst mit Zustellung des Urteils am . Die Beklagte hatte zwar zuvor durch Zustellung einer Rechtsmittelschrift des Klägers am mittelbar davon erfahren, daß zwischenzeitlich offensichtlich ein Urteil ergangen war. Hieraus konnte sie aber nicht ersehen, daß auch sie durch das Urteil beschwert wurde. Der am eingegangene Wiedereinsetzungsantrag, verbunden mit der nachgeholten Prozeßhandlung (§ 236 Abs. 2 Satz 2 ZPO), war daher rechtzeitig.
III.
Über die Kosten des Wiedereinsetzungsverfahrens, zu denen auch die Kosten des für die Beklagte erfolgreichen Rechtsbeschwerdeverfahrens gehören, ist erst in der Endentscheidung über die Hauptsache zu erkennen (, NJW 2000, 3284, 3286).
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
GAAAC-01405
1Nachschlagewerk: ja; BGHZ: nein; BGHR: ja