BGH Beschluss v. - KVZ 7/03

Leitsatz

[1] Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.

Gesetze: GWB § 20; GWB § 20 Abs. 1; GWB § 32; GWB § 35 Abs. 2 a.F.; GWB § 69 Abs. 1; GWB § 70 Abs. 3 a.F.; GWB § 71 Abs. 3; GWB § 74 Abs. 2; GWB § 74 Abs. 2 Nr. 1; GWB § 76 Abs. 3; GWB § 76 Abs. 5; VwGO § 113 Abs. 1 Satz 4; ZPO § 523 Abs. 1; ZPO § 552 Abs. 1 Satz 2; ZPO § 552 Abs. 2

Instanzenzug:

Gründe

I.

Die Beteiligte, deren Kommanditisten Hörfunksender sind, verkauft auf der Grundlage von Geschäftsbesorgungsverträgen Werbezeiten einzelner Hörfunksender und übernimmt zudem die Abwicklung der Werbeaufträge (Disposition, Rechnungsstellung, Mahnwesen und Inkasso). Neben der Vermarktung für einzelne Sender vergibt die Beteiligte gebündelt die Werbezeiten der lokalen Sender für das Gebiet eines oder mehrerer Bundesländer. Die beiden für den Bereich A.-Stadt und A.-Land tätigen Lokalsender (zukünftig: A. Sender) hatten zunächst von "raddio N." ihr Rahmenprogramm bezogen, das auch über die Beteiligte vermittelte Werbeblöcke einschloß. Nachdem die A. Sender ab 1999 ein eigenständiges 24-stündiges Hörfunkprogramm ausstrahlten und nicht mehr die Rahmenprogramme von "radio N." übernahmen, lehnte es "radio N." ab, noch Werbeblöcke an die A. Sender zu liefern. Zugleich weigerte sich die Beteiligte, deren Kommanditistin "radio N." ist, Werbezeiten der A. Sender zu vermarkten.

Die A. Sender wurden damit von der Beteiligten auch nicht in den überregionalen Verkauf von Werbeblöcken einbezogen. Die A. Sender hatten deshalb erhebliche Schwierigkeiten, Werbekunden zu finden, weil für diese die Kosten für eine Werbekombination deutlich niedriger liegen als der Gesamtpreis bei einer jeweiligen Buchung über die einzelnen Lokalsender.

Das Bundeskartellamt erließ daraufhin eine Verfügung gemäß § 32 GWB, wonach es der Beteiligten untersagt wurde, sich zu weigern, Hörfunkzeiten der A. Sender an nationale Werbekunden zu vermarkten. Hiergegen hat die Beteiligte Beschwerde eingelegt. Nachdem über das Vermögen der A. Sender das Insolvenzverfahren eröffnet worden ist, hat das Beschwerdegericht auf Antrag des Bundeskartellamts festgestellt, daß die Untersagungsverfügung bis zum Zeitpunkt des erledigenden Ereignisses begründet war.

II.

Die von der Beteiligten eingelegte "zulassungsfreie Rechtsbeschwerde" wie auch ihre Nichtzulassungsbeschwerde bleiben ohne Erfolg.

1. Die zulassungsfreie Rechtsbeschwerde ist unzulässig. Die Beteiligte hat die Rechtsbeschwerde nach Ablauf der Monatsfrist des § 76 Abs. 3 GWB eingelegt. Der Senat kann dabei dahinstehen lassen, ob wegen des fehlenden Hinweises in der Rechtsbehelfsbelehrung auf die zulassungsfreie Rechtsbeschwerde nach § 74 Abs. 4 GWB unter entsprechender Anwendung des § 58 Abs. 2 VwGO die fristgerechte Erhebung der zulassungsfreien Rechtsbeschwerde innerhalb der Jahresfrist noch möglich wäre. Die Rechtsbeschwerde ist nämlich schon deshalb unzulässig, weil die geltend gemachte Verletzung rechtlichen Gehörs nicht schlüssig behauptet wird (vgl. K. Schmidt in Immenga/Mestmäcker, GWB, 3. Aufl. § 74 Rdn. 18; Kollmorgen in Langen/Bunte, Kartellrecht, 9. Aufl. § 74 GWB Rdn. 13). Entgegen der Auffassung der Beteiligten ist das Gericht nicht gehalten, sich in den Entscheidungsgründen mit sämtlichem Vorbringen einer Prozeßpartei auseinanderzusetzen und hierzu im einzelnen Stellung zu nehmen. Eine Verletzung rechtlichen Gehörs kann nur dann angenommen werden, wenn sich aus den Umständen des Falles ergäbe, daß das Gericht tatsächliches Vorbringen des Beschwerdeführers entweder nicht zur Kenntnis genommen oder bei seiner Entscheidung ersichtlich nicht in Erwägung gezogen hat (BVerfGE 86, 133, 146; 75, 369, 381). Aus den Gründen der angefochtenen Entscheidung wird jedoch deutlich, daß das Beschwerdegericht dem Sachvortrag, dessen Erörterung die Beteiligte vermißt, schon im Ansatz keine Entscheidungserheblichkeit beigemessen hat. Die einzelnen von der Beteiligten behaupteten Gehörsverstöße begründen keine schlüssige Rüge der Verletzung rechtlichen Gehörs:

a) Die umfänglichen Darlegungen der Beteiligten zu einer angeblichen Verletzung der Mitwirkungspflichten der A. Sender, die deren Schadensersatzansprüchen entgegenstehen sollen, hat das Beschwerdegericht ersichtlich schon deshalb als nicht relevant angesehen, weil der Insolvenzverwalter Schadensersatzansprüche angekündigt hat und diese jedenfalls im Hinblick auf die unrichtige Bewerbung des Angebots "R. West Kombi" auch nicht als ausgeschlossenen erschienen.

b) Hinsichtlich der von der Rechtsbeschwerdebegründung vermißten Prüfung einer Vermarktung der Werbezeiten durch "radio N." ist das Beschwerdegericht offensichtlich davon ausgegangen, daß hierin keine zumutbare Alternative für die A. Sender zu sehen ist. In den Entscheidungsgründen teilt das Beschwerdegericht nämlich mit, "radio N." habe eine isolierte Vermarktung von Werbezeiten abgelehnt. Damit hätten die A. Sender das gesamte Rahmenprogramm von "radio N." übernehmen müssen, was eine weitgehende Aufgabe ihrer redaktionellen Selbständigkeit bedeutet hätte.

c) Soweit die Rechtsbeschwerde schließlich meint, ihr Vortrag zu dem fehlenden wirtschaftlichen Interesse der A. Sender sei übergangen worden, berücksichtigt sie nicht hinreichend, daß die wirtschaftliche Abhängigkeit der A. Sender von der Vermarktung durch die Beteiligte schon ein zentraler Punkt der kartellbehördlichen Untersagungsverfügung war. Anders als die Beteiligte ist auch das Beschwerdegericht von einem existentiellen Interesse der A. Sender ausgegangen.

2. Die Nichtzulassungsbeschwerde zeigt keinen Zulassungsgrund im Sinne des § 74 Abs. 2 GWB auf.

a) Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerdebegründung kommt der Frage keine grundsätzliche Bedeutung im Sinne des § 74 Abs. 2 Nr. 1 GWB zu, ob mögliche Schadensersatzansprüche der A. Sender bei der Prüfung des Feststellungsinteresses nach § 71 Abs. 3 GWB zu berücksichtigen sind und inwieweit das Bundeskartellamt hierzu vortragen muß.

aa) Durch den Bundesgerichtshof ist die Frage des Feststellungsinteresses bereits entschieden. Zu der inhaltsgleichen Vorgängerregelung des § 70 Abs. 3 GWB a.F. hat der Senat ausgeführt, daß für einen entsprechenden Feststellungsantrag ein schutzwürdiges Interesse bestehen muß, wobei Ansprüche nach § 35 Abs. 2 GWB a.F. (der § 33 GWB n.F. entspricht) ausreichend sind (, WuW/E 3021, 3025 - Stadtgaspreise). Da diese Frage durch die höchstrichterliche Rechtsprechung bereits geklärt ist, entfällt die Grundsätzlichkeit im Sinne des § 74 Abs. 2 Nr. 1 GWB (, WuW/E 3035, 3036 - Nichtzulassungsbeschwerde).

bb) Ebensowenig grundsätzlich ist die damit von der Beteiligten verknüpfte Frage, in welchem Umfang das Bundeskartellamt zu möglichen Schadensersatzansprüchen vortragen muß. Abgesehen davon, daß im Beschwerdeverfahren der - lediglich durch den Beteiligten obliegende Mitwirkungspflichten modifizierte - Untersuchungsgrundsatz gilt (§ 70 Abs. 1 GWB), zeigt auch insoweit die Rechtsbeschwerde keine Rechtsfrage auf, der eine über den Fall hinausgehende Bedeutung zukäme. Insoweit hat nämlich das Beschwerdegericht in Anlehnung an die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zu der vergleichbaren Bestimmung des § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO (BVerwG NJW 1986, 1826, 1827; vgl. auch Kopp/Schenke, VwGO, 13. Aufl. § 113 Rdn. 136) ein Feststellungsinteresse schon deshalb bejaht, weil ein Schadensersatzanspruch nicht ausgeschlossen erscheint. Das Beschwerdegericht hat sich dabei auf die Aussage des Insolvenzverwalters gestützt, Schadensersatzansprüche geltend machen zu wollen, und ersichtlich das Bestehen solcher Ansprüche schon deshalb für möglich erachtet, weil die Beteiligte für das die A. Sender nicht umfassende Kombinationsangebot "R. West Kombi" mit der unzutreffenden Aussage geworben hat, dies sei ein Angebot zur vollständigen Abdeckung Westdeutschlands.

b) Eine Abweichung des Beschwerdegerichts von der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zu den Eingriffsvoraussetzungen des § 20 Abs. 1 GWB ist nicht erkennbar. Die insoweit von der Rechtsbeschwerde in Bezug genommene Entscheidung "Krankentransporte" (BGHZ 101, 72) ist mit der Fallkonstellation in diesem Verfahren nicht vergleichbar. Die Beteiligte tritt - anders als die Kommune in der dort genannten Entscheidung - nicht sowohl auf der Anbieter- als auch auf der Nachfragerseite auf. Vielmehr handelt sie lediglich als Vermittlerin für Werbezeiten. Insoweit weicht auch die Marktabgrenzung des Beschwerdegerichts nicht von der Senatsentscheidung "Krankentransporte" ab. Sie entspricht im übrigen auch den Grundsätzen höchstrichterlicher Rechtsprechung (vgl. , WuW/E DE-R 1251 - Galopprennübertragung, m.w.N.), anhand deren der Tatrichter die Marktabgrenzung im Einzelfall vorzunehmen hat. Dabei begegnet es keinen Bedenken, wenn das Beschwerdegericht die flächendeckende, mindestens drei Bundesländer umfassende Vermarktung gegenüber der Einzelvermarktung als eigenständigen Markt angesehen hat, weil insoweit ein anderes Werbeinteresse der Werbetreibenden zugrunde liegt und die Vermittlung im Paket schon wegen des dann deutlich niedrigeren Preises pro Sender nicht austauschbar ist.

c) Soweit das Beschwerdegericht eine Kontrahierungspflicht der Beteiligten bejaht hat, liegt keine Abweichung von den Senatsentscheidungen "Zuckerrübenanlieferungsrecht II" (Urt. v. - KZR 30/95, WuW/E 3104) und "Importarzneimittel" (BGHZ 129, 53) vor. Der Bundesgerichtshof hat in seiner Entscheidung "Zuckerrübenanlieferungsrecht II" keine Abhängigkeit des Anbieters von einem marktmächtigen Nachfrager angenommen und schon deshalb eine Kontrahierungspflicht abgelehnt. Dagegen hat das Beschwerdegericht im vorliegenden Fall eine solche Abhängigkeit im Sinne des § 20 GWB rechtsfehlerfrei festgestellt. Zudem sind an einen aus § 20 GWB abgeleiteten Kontrahierungszwang dann besondere Anforderungen zu stellen, wenn ein marktmächtiger Nachfrager diesem unterworfen werden soll (BGHZ 129, 53, 60 f., m.w.N.). Deshalb ist die hier vorliegende Fallkonstellation mit derjenigen, die der Entscheidung "Importarzneimittel" zugrunde liegt, nicht vergleichbar, weil die zur Belieferung verpflichtete marktbeherrschende Beteiligte auf der Anbieterseite stand.

d) Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde wirft die vom Beschwerdegericht vorgenommene Interessenbewertung keine grundsätzlichen Fragen auf und erfordert keine Zulassung der Rechtsbeschwerde zur Sicherung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung. Die Beteiligte beanstandet, das Beschwerdegericht habe die Möglichkeit außer Betracht gelassen, daß die A. Sender ihre Werbezeiten auf anderem Weg (womit sie ersichtlich eine Vermittlung der Werbeblöcke durch "radio N." meint) mit größerem Erfolg hätten vermarkten können.

Einen Zulassungsgrund im Sinne des § 74 Abs. 2 GWB zeigt sie damit jedoch nicht auf. Die A. Sender brauchten sich nämlich nicht darauf verweisen zu lassen, in dem System von "radio N." zu verbleiben und sich hierdurch in ihrer redaktionellen, aber auch wirtschaftlichen Entfaltungsfreiheit einschränken zu lassen. Die insoweit vom Beschwerdegericht vorgenommene Interessenbewertung ist eine an der Zielsetzung des Kartellgesetzes orientierte Einzelfallentscheidung. Sie berührt keine grundsätzliche Frage und hält sich im Rahmen der hierfür vom Bundesgerichtshof entwickelten Grundsätze. Gleiches gilt für die Bewertung der Interessen der Beteiligten, die erkennbar deshalb Werbezeiten der A. Sender nicht vermarkten will, weil sie die Rahmenprogramme ihrer Kommanditistin, der "radio N.", erhalten und absichern will.

Diese Intention ist nicht schutzwürdig, weil die Beteiligte nicht nur für ihre Kommanditistin tätig wird, sondern auch Werbezeiten anderer Sender vermarktet. Dann muß sie als Normadressatin des § 20 GWB die Nachfrager gleichbehandeln (, WuW/E DE-R 1051, 1052 - Vorleistungspflicht, m.w.N.).

e) Auch die weiteren von der Beteiligten vorgebrachten Zulassungsgründe sind nicht gegeben. Ob die Beteiligte an einer Vermarktung der A. Sender gehindert gewesen wäre, weil die anderen Sender eine Einbeziehung der A. Sender in den Kombitarif verhindert hätten, ist eine bloß hypothetische Frage. Die späteren Kombiangebote zeigen nämlich, daß die anderen Lokalsender zu einer solchen Zusammenarbeit bereit waren. Ebenso spekulativ ist die Annahme der Beteiligten, es drohe ein Dominoeffekt, weil dann auch andere Sender von ihr direkt beliefert werden wollten. Solche hypothetischen Erwägungen vermögen die grundsätzliche Bedeutung einer Sache nicht zu begründen. Die von der Beteiligten weiterhin als grundsätzlich bezeichnete Frage des notwendigen Inhalts der Rechtsmittelbelehrung zur Beschwerdeentscheidung berührt lediglich eine Annexfrage, die der Zulassungsentscheidung des Beschwerdegerichts nicht unterliegt und damit auch nicht Gegenstand einer Nichtzulassungsbeschwerde sein kann.

Entgegen der Auffassung der Beteiligten konnte die Untersagungsverfügung mit einem Leistungsgebot verbunden werden, weil nur so die Diskriminierung beseitigt werden konnte. Damit folgt das Beschwerdegericht den vom Bundesgerichtshof hierzu aufgestellten Grundsätzen (, WuW/E 2951 f. - Weigerungsverbot).

III.

Der Senat entscheidet ohne mündliche Verhandlung. Eine solche ist zwar bezüglich der zulassungsfreien Rechtsbeschwerde nach § 76 Abs. 5 i.V.m. § 69 Abs. 1 GWB vorgesehen. Da die Rechtsbeschwerde jedoch nicht zulässig erhoben wurde, bedarf es in analoger Anwendung von § 523 Abs. 1, § 552 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 ZPO für die Verwerfung als unzulässig durch Beschluß keiner mündlichen Verhandlung. Im Hinblick auf die Entscheidung über die Nichtzulassungsbeschwerde ist die Durchführung einer mündlichen Verhandlung nicht erforderlich (§ 75 Abs. 2 Satz 2 GWB).

Fundstelle(n):
JAAAC-01310

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