Leitsatz
[1] Zum Nachweis der Voraussetzungen für die öffentliche Zustellung genügt beim Erlaß eines Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses grundsätzlich die Vorlage aktueller Auskünfte des für den letzten bekannten Wohnort des Schuldners zuständigen Einwohnermelde- und Postamts.
Gesetze: ZPO § 203 Abs. 1 a.F.; ZPO § 185 Nr. 1 n.F.; ZPO § 829 Abs. 2 Satz 2; ZPO § 835 Abs. 3 Satz 1
Instanzenzug: LG Halle vom AG Halle-Saalkreis vom
Gründe
I.
Die Gläubigerin hat beim Amtsgericht Halle-Saalkreis den Erlaß eines Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses beantragt und dabei den Aufenthalt des Schuldners unter Vorlage aktueller Auskünfte des Einwohnermeldeamtes und der Post an seinem letzten bekannten Wohnsitz als derzeit unbekannt angegeben. Nachdem die Gläubigerin auf die Aufforderung des Amtsgerichts, die Voraussetzungen für eine öffentliche Zustellung nachzuweisen, mitgeteilt hatte, ihr seien weitere Nachweise nicht möglich, hat das Amtsgericht den Antrag auf Erlaß eines Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses mit der Begründung zurückgewiesen, die Gläubigerin habe keine zustellungsfähige Anschrift des Schuldners bekanntgegeben und auch nicht ausreichend nachgewiesen, daß sein Aufenthalt allgemein unbekannt sei. Die gegen diese Entscheidung eingelegte sofortige Beschwerde der Gläubigerin hat das Landgericht Halle mit Beschluß vom zurückgewiesen. Dagegen richtet sich die zugelassene Rechtsbeschwerde.
II.
Das gemäß § 574 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 3 Satz 2, § 575 ZPO n.F. statthafte und auch im übrigen zulässige Rechtsmittel führt zur Aufhebung der Beschlüsse des Land- sowie des Amtsgerichts und zur Zurückverweisung der Sache an das Amtsgericht.
1. Das Beschwerdegericht meint, die nach § 829 Abs. 2 Satz 2 ZPO vorgeschriebene Zustellung des Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses an den Schuldner könne nur dann unterbleiben, wenn der Aufenthalt des Schuldners im Sinne des § 203 Abs. 1 a.F. (= § 185 Nr. 1 n.F.) ZPO allgemein unbekannt sei, wobei an die Feststellung dieser Voraussetzung wegen der besonderen Bedeutung der Zustellung für die Gewährung rechtlichen Gehörs hohe Anforderungen zu stellen seien. Neben der Auskunft der Meldebehörde seien von der Gläubigerin weitergehende Nachweise zu erwarten, so zum Beispiel über Ermittlungen beim letzten Vermieter und Arbeitgeber, bei früheren Hausgenossen, bei bekannten Verwandten, beim Zustellungspostamt, bei der zuletzt zuständigen Polizeidienststelle sowie beim Sozialversicherungsträger. Zwar müsse die Gläubigerin alle diese Informationswege nicht zwingend kumulativ beschreiten, die Vorlage lediglich aktueller Auskünfte des Einwohnermeldeamtes und der Post reichten jedoch nicht aus.
2. Die Rechtsbeschwerde rügt, daß das Beschwerdegericht die Vorlage aktueller Auskünfte des Einwohnermeldeamtes und der Post als nicht ausreichend angesehen hat, um den unbekannten Aufenthalt des Schuldners nachzuweisen. Die Zustellung des Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses an den Schuldner habe keine mit der Klagezustellung vergleichbare Bedeutung, so daß an den Nachweis nicht dieselben strengen Anforderungen zu stellen seien. Die vom Beschwerdegericht geforderten weiteren Ermittlungen seien in der Regel nicht möglich oder zumindest nicht erfolgversprechend und erschwerten der Gläubigerin den Zugriff auf das Vermögen des Schuldners, der sich der drohenden Zwangsvollstreckung durch einen Wohnortwechsel unter Verstoß gegen die polizeiliche Meldepflicht entzogen habe. Zusätzliche Ermittlungen könnten von der Gläubigerin nur dann verlangt werden, wenn sich aus den Zwangsvollstreckungsunterlagen ergebe, daß ihr Angaben über Personen, die möglicherweise Kenntnis vom neuen Wohnsitz des Schuldners haben, tatsächlich vorlägen.
3. Die Rechtsbeschwerde hat Erfolg. Dabei kann für die Entscheidung offen bleiben, ob Zweifel des Vollstreckungsgerichts an den Voraussetzungen einer öffentlichen Zustellung überhaupt die Ablehnung des Erlasses eines Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses rechtfertigen. Denn das Beschwerdegericht hat an den Nachweis der Voraussetzungen für die öffentliche Zustellung als Grund dafür, von einer sofortigen Zustellung an den Schuldner abzusehen, zu hohe Anforderungen gestellt und damit § 203 Abs. 1 a.F. (= § 185 Nr. 1 n.F.) ZPO i.V.m. § 829 Abs. 2 Satz 2, § 835 Abs. 3 Satz 1 ZPO verletzt.
In der instanzgerichtlichen Rechtsprechung und der Literatur werden zu der Frage, welche Ermittlungen zum Nachweis des unbekannten Aufenthalts erforderlich sind, unterschiedliche Meinungen vertreten. Zum Teil wird es für den Normalfall als ausreichend angesehen, wenn Nachforschungen beim Einwohnermeldeamt und dem Zustellungspostamt des letzten Wohnsitzes ergebnislos verlaufen sind (OLG Naumburg NJW-RR 2001, 1148, 1149; LG Berlin NJW-RR 1991, 1152; Stein/Jonas/Roth, ZPO 21. Aufl. § 203 Rdn. 6; Thomas/ Putzo, ZPO 24. Aufl. § 185 n.F. Rdn. 7). Überwiegend werden weitergehende Ermittlungen verlangt (OLG Frankfurt MDR 1999, 1402; OLG Hamm JurBüro 1994, 630, 631; OLG Zweibrücken FamRZ 1983, 630; KG KGReport 1994, 273, 274; MünchKomm-ZPO/Wenzel 2. Aufl. § 203 Rdn. 8; Zöller/Stöber, ZPO 23. Aufl. § 185 Rdn. 2; Musielak/Wolst, ZPO 3. Aufl. § 185 Rdn. 2; Fischer, Die öffentliche Zustellung im Zivilprozeß ZZP 1994, S. 163, 167), wobei - soweit ersichtlich - die veröffentlichten Entscheidungen ausschließlich zu öffentlichen Zustellungen im Erkenntnisverfahren ergangen sind und sich die Literatur mit den Voraussetzungen für eine öffentliche Zustellung im Zwangsvollstreckungsverfahren nicht näher befaßt.
a) Bei der erforderlichen Abwägung zwischen dem Justizgewährungsanspruch des Antragstellers mit den Belangen des Zustellungsadressaten sind im Fall der Forderungspfändung in der Regel an den Nachweis des unbekannten Aufenthalts des Schuldners, der die Zustellung des Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses an ihn entbehrlich macht (§ 829 Abs. 2 Satz 2, § 835 Abs. 3 Satz 1 ZPO), wegen dessen wesentlich geringeren Schutzbedürfnisses weniger strenge Anforderungen zu stellen als für öffentliche Zustellungen an den Beklagten im Erkenntnisverfahren.
Die öffentliche Zustellung einer Klageschrift und einer rechtsmittelfähigen Entscheidung berühren unmittelbar das rechtliche Gehör und die Rechtsverfolgungs- und Rechtsverteidigungsmöglichkeiten der Partei. Aus diesem Grunde hat die Rechtsprechung die öffentliche Zustellung einer Klageschrift und eines Urteils als unwirksam angesehen, wenn ihre Voraussetzungen nicht vorlagen und dies das die öffentliche Zustellung bewilligende Gericht hätte erkennen können (, NJW 2002, 827, 828). Ein vergleichbares Schutzbedürfnis besteht bei der Forderungspfändung für den Schuldner nicht. Vor Erlaß des Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses wird er grundsätzlich nicht gehört (§ 834 ZPO). Dessen Zustellung an ihn ist - wie sich aus § 829 Abs. 3 ZPO ergibt - für die Wirksamkeit der Pfändung unwesentlich (, NJW 2000, 730). Zwar wird, wenn das Vollstreckungsgericht die Voraussetzungen für eine öffentliche Zustellung bejaht und diese unterbleibt, das mit der Zustellung des Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses verbundene nachträgliche rechtliche Gehör (vgl. Zöller/Stöber, aaO § 829 Rdn. 15 und § 834 Rdn. 2) vorerst nicht gewährt. Ohne Zustellung werden jedoch keine Fristen für eine sofortige Beschwerde in Gang gesetzt, so daß der Schuldner, sobald er vom Erlaß des Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses erfährt, seine Rechte im Zwangsvollstreckungsverfahren noch geltend machen kann. Hinzu kommt, daß ein meldeamtlich unbekannt verzogener Schuldner, wenn gegen ihn ein Vollstreckungstitel vorliegt, mit einer Zwangsvollstreckung rechnen muß und durch einen Verstoß gegen die Meldevorschriften selbst dazu beiträgt, daß er für den Gläubiger nicht mehr erreichbar ist.
b) Dies bedeutet für den Beschwerdefall folgendes:
Zum Nachweis der Voraussetzungen für die öffentliche Zustellung genügt beim Erlaß eines Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses grundsätzlich die Vorlage aktueller Auskünfte des für den letzten bekannten Wohnort des Schuldners zuständigen Einwohnermelde- und Postamts.
Die Aufforderung des Vollstreckungsgerichts, Nachweise über zusätzliche weitere Ermittlungen vorzulegen, erschwert im Regelfall - wie hier - die Zwangsvollstreckung in unzumutbarer Weise, da diese nur selten erfolgversprechend, für den Gläubiger aber mit einem erheblichen Zeit- und Kostenaufwand verbunden sind. Insbesondere ist es dem Gläubiger nicht generell zumutbar, am letzten Wohnsitz oder Arbeitsplatz des Schuldners Nachforschungen über den derzeitigen Wohnsitz anzustellen. Entsprechende Ermittlungsauflagen können daher dem Gläubiger nur dann auferlegt werden, wenn sich aus den Zwangsvollstreckungsunterlagen ergibt, daß erfolgversprechende Ansätze für die Ermittlung des derzeitigen Aufenthaltsortes des unbekannt verzogenen Schuldners tatsächlich vorliegen. Dabei ist zu berücksichtigen: Ein Schuldner, der sich der drohenden Zwangsvollstreckung dadurch entzieht, daß er seinen Wohnsitz wechselt ohne dies dem Einwohnermeldeamt anzuzeigen, wird nur in seltenen Fällen dem früheren Arbeitgeber, dem ehemaligen Vermieter oder den früheren Nachbarn seinen neuen Aufenthaltsort mitteilen. Verwandte des Schuldners, die den neuen Wohnsitz kennen, haben häufig kein Interesse, den Gläubiger bei der Zwangsvollstreckung zu unterstützen. Auch die Polizeidienststelle, die für den früheren Wohnsitz des Schuldners zuständig war, hat üblicherweise keine Erkenntnisse über den neuen. Auskünfte eines Sozialversicherungsträgers zum Aufenthaltsort des Schuldners kann das Vollstreckungsgericht - mit Ausnahme von Zwangsvollstreckungsverfahren in Unterhaltssachen - vom Gläubiger schon deshalb nicht verlangen, weil gemäß § 67 d Abs. 1, §§ 68 ff. SGB X solche an eine Privatperson wegen des Sozialgeheimnisses nicht erteilt werden dürfen (vgl. Steinmeyer in Wannagat, SGB X 8. Lfg. § 67 d Rdn. 5; Roos in von Wulffen, SGB X 4. Aufl. § 67 d Rdn. 3).
4. Nach alledem kann die Zurückweisung der Beschwerde keinen Bestand haben. Die Sache ist an das Amtsgericht zurückzuverweisen (§ 577 Abs. 5, § 572 Abs. 3 ZPO), damit dieses Gelegenheit zur Prüfung der allgemeinen Vollstreckungsvoraussetzungen erhält.
Fundstelle(n):
BB 2003 S. 760 Nr. 15
MAAAC-01241
1Nachschlagewerk: ja; BGHZ: nein; BGHR: ja