BGH Beschluss v. - IXa ZB 180/03

Leitsatz

[1] Zukünftig entstehende oder fällig werdende laufende Geldansprüche gegen einen Träger der gesetzlichen Rentenversicherung sind pfändbar, sofern die Ansprüche in einem bereits bestehenden Sozialversicherungsverhältnis wurzeln. Das gilt auch für eine Rente wegen Erwerbsminderung.

Gesetze: SGB I § 54 Abs. 4; SGB VI § 43

Instanzenzug: LG Augsburg vom AG Augsburg vom

Gründe

I.

Die Gläubigerin betreibt gegen den Schuldner die Zwangsvollstreckung aus insgesamt drei Vollstreckungsbescheiden. Sie beantragte am den Erlaß eines Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses wegen einer Forderung in Höhe von 1.218,74 € betreffend die gegenwärtigen und zukünftigen fortlaufenden Ansprüche des Schuldners gegen die Drittschuldnerin auf Zahlung von Altersrente und Rente wegen Erwerbsminderung in Höhe der nach § 850c ZPO in der jeweils gültigen Fassung pfändbaren Beträge. Das Amtsgericht hat diesem Antrag nur hinsichtlich der Ansprüche auf Altersrente entsprochen. Die gegen die teilweise Zurückweisung des Antrags gerichtete sofortige Beschwerde der Gläubigerin hat das Landgericht durch die Einzelrichterin als unbegründet zurückgewiesen. Auf die zugelassene Rechtsbeschwerde hat der Senat den Beschluß wegen fehlerhafter Besetzung des Beschwerdegerichts aufgehoben und die Sache an das Landgericht zurückverwiesen. Die Einzelrichterin hat das Verfahren der Kammer zur Entscheidung übertragen; die sofortige Beschwerde ist wiederum ohne Erfolg geblieben. Dagegen wendet sich die Gläubigerin mit ihrer erneut zugelassenen Rechtsbeschwerde.

II.

Das gemäß §§ 574 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 3 Satz 2 ZPO statthafte und auch im übrigen zulässige Rechtsmittel ist begründet. Gemäß § 577 Abs. 5 ZPO entscheidet der Senat in der Sache selbst.

1. Das Beschwerdegericht meint, künftige Ansprüche auf Rentenzahlung wegen einer vor Erreichen der Altersgrenze möglicherweise eintretenden Erwerbsunfähigkeit seien reine Erwartungen und als solche nicht pfändbar. Dem hält die Rechtsbeschwerde entgegen, der sozialrechtliche Anspruch auf Rente wegen Erwerbsunfähigkeit sei - gleich ob gegenwärtig oder künftig - mit der Aufnahme des Mitglieds in die gesetzliche Rentenversicherung hinreichend bestimmbar und damit gemäß § 54 Abs. 4 SGB I wie Arbeitseinkommen pfändbar. Vom Eintritt des Versicherungsfalls könne die Pfändbarkeit nicht zusätzlich abhängig gemacht werden. Es bestehe insbesondere kein Anlaß, Ansprüche auf Altersrente und auf Erwerbsunfähigkeitsrente unterschiedlich zu behandeln.

2. Der Auffassung der Rechtsbeschwerde ist beizutreten.

a) Der , WM 2003, 548 unter II 3) entschieden, daß zukünftig entstehende oder fällig werdende laufende Geldansprüche auf Altersrente gegen einen Träger der gesetzlichen Rentenversicherung pfändbar sind, sofern die Ansprüche in einem bereits bestehenden Sozialversicherungsverhältnis wurzeln. Er hat dazu auf die Neufassung des § 54 SGB I durch das Zweite Gesetz zur Änderung des Sozialgesetzbuches verwiesen. Nach Absatz 4 dieser Vorschrift können sozialrechtliche Ansprüche auf laufende - das heißt regelmäßig wiederkehrende - Geldleistungen wie Arbeitseinkommen gepfändet werden. Auf die Pfändung dieser Ansprüche sind dabei nicht nur die §§ 832, 833, 850 Abs. 1, §§ 850c bis 850h ZPO anzuwenden. Es gelten darüber hinaus die allgemeinen Grundsätze der Zivilprozeßordnung über die Pfändbarkeit künftiger Geldansprüche. Danach genügt es, daß deren Rechtsgrund und der Drittschuldner im Zeitpunkt der Pfändung bestimmt sind. Fälligkeit und Auszahlungsreife der sozialen Geldleistung sind ebensowenig Voraussetzung wie die Erfüllung allgemeiner Wartezeiten durch den Versicherten (aaO II 3 a; , WM 1989, 71 unter II 4c bb).

b) Diese Grundsätze lassen sich auf die Pfändbarkeit von Rentenansprüchen wegen verminderter Erwerbsfähigkeit übertragen. Gemäß § 23 Abs. 1 Nr. 1b SGB I in Verbindung mit § 43 SBG VI kann dem Versicherten als Sozialleistung neben einer Rente wegen Alters auch eine solche wegen verminderter Erwerbsfähigkeit zustehen. Sie wird als laufende Geldleistung gewährt und gehört damit wie die Altersrente zu den nach § 54 Abs. 4 SGB I wie Arbeitseinkommen pfändbaren Ansprüchen. Dabei ist es gleich, ob der Versicherte die Rente aufgrund eines gegenwärtigen Anspruchs bereits bezieht oder ob dieser erst zukünftig entstehen oder fällig werden wird. Es ist auch insoweit lediglich erforderlich, daß für ihn eine ausreichend konkretisierte rechtliche Grundlage gegeben ist, die eine Bestimmung nach Art, Inhalt und Person des Drittschuldners ermöglicht. Das ist bei Bestehen eines Sozialversicherungsverhältnisses ohne weiteres zu bejahen. Unerheblich ist, ob die Höhe der aus dem Sozialversicherungsverhältnis abzuleitenden Forderung noch ungewiß, unbestimmt oder unklar ist, ob eine Forderung überhaupt entstehen wird (vgl. BFH NJW 1992, 855 unter 2a und b).

c) Daher geht die Auffassung des Beschwerdegerichts fehl, die Rechtsposition des Schuldners stelle in Bezug auf die künftige Zahlung einer Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit eine reine Erwartung dar. Denn daß die Rechtsposition über eine bloße Aussicht oder Hoffnung auf Sozialleistungen hinausgeht, ist § 43 SGB VI zu entnehmen. Dort sind die rechtlichen Voraussetzungen festgelegt, unter denen der Versicherte vor Erreichen der Altersgrenze Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit beanspruchen kann. Zwar ist in tatsächlicher Hinsicht offen, ob der Versicherte diese Voraussetzungen erfüllen, insbesondere ob bei ihm eine Minderung der Erwerbsfähigkeit im Sinne des § 43 SGB VI eintreten wird. Insoweit besteht jedoch kein prinzipieller Unterschied zur Altersrente. Denn auch dort ist ungewiß, ob der Versicherte das 65. Lebensjahr vollenden wird und mit Erreichen der Altersgrenze einen Anspruch auf Altersrente geltend machen kann. Das allein rechtfertigt es nicht, eine entsprechend gesicherte Rechtsposition des Schuldners zu verneinen und seine möglichen, rechtlich schon verfestigten Ansprüche dem Pfändungszugriff des Gläubigers zu entziehen.

d) Der vom Senat eingenommene Standpunkt wird von der herrschenden Meinung geteilt (v. Maydell in: Gemeinschaftskommentar - SGB I § 54 Rn. 31; Mrozynski SGB I 3. Aufl. § 54 Rn. 89; Thieme in: Wannagat SGB I § 54 Rn. 6; Zöller/Stöber, ZPO 23. Aufl. § 850i Rn. 27; Stöber Forderungspfändung 13. Aufl. Rn. 1369; Musielak/Becker, ZPO 3. Aufl. § 850i Rn. 18; Schuschke/Walker, Vollstreckung und Vorläufiger Rechtsschutz 3. Aufl. Anh. zu § 829 ZPO Rn. 25; Stein/Jonas/Brehm, ZPO 21. Aufl. § 850i Rn. 21, § 829 Rn. 6; Behr JurBüro 2000, 59 und JurBüro 1998, 162; LG Heilbronn JurBüro 2001, 269; LG Wuppertal JurBüro 1998, 100; a.A. hingegen LG Tübingen JurBüro 2000, 42; LG Koblenz JurBüro 1998, 161; LG Berlin Rechtspfleger 1995, 307). Nur diese Sichtweise gewährleistet den Gleichlauf der Vorschrift des § 54 SGB I mit der des § 53 SGB I, die die Übertragung und Verpfändung von Sozialleistungsansprüchen regelt. Für eine wirksame Abtretung und Verpfändung künftiger Ansprüche auf Geldleistungen im Sinne des § 11 SGB I genügt es, daß die Forderung, für die ein Rechtsgrund bereits gelegt ist, spätestens bei ihrer Entstehung nach Gegenstand und Umfang bestimmbar ist; es gelten für Sozialleistungsansprüche damit dieselben Erfordernisse, wie sie die höchstrichterliche Rechtsprechung generell für die Abtretung und Verpfändung von Geldforderungen aufgestellt hat (vgl. BGHZ 108, 98, 104 im Anschluß an BGHZ 53, 60, 63 f und , MDR 1976, 383). Nichts anderes kommt in § 53 SGB I zum Ausdruck. Wollte der Gesetzgeber von diesem allgemeinen Rechtsgrundsatz für die Pfändung künftiger Sozialleistungsansprüche abrücken, bedürfte es dafür (in der Vorschrift des § 54 SGB I) einer ausdrücklichen Regelung (vgl. BFH aaO unter 2b), an der es indes fehlt.

Fundstelle(n):
BB 2003 S. 2632 Nr. 49
EAAAC-01128

1Nachschlagewerk: ja; BGHZ: nein; BGHR: nein