Leitsatz
[1] Hat der Schuldner Forderungen auf Vergütung gegen die kassenärztliche Vereinigung abgetreten oder verpfändet, so ist eine solche Verfügung unwirksam, soweit sie sich auf Ansprüche bezieht, die auf nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens erbrachten ärztlichen Leistungen beruhen.
Gesetze: InsO § 91 Abs. 1; InsO § 114; SGB V § 85
Instanzenzug: LG Düsseldorf 10 O 141/02 vom OLG Düsseldorf I-4 U 110/03 vom
Tatbestand
Der Kläger ist Verwalter im Insolvenzverfahren über das Vermögen des in eigener Praxis tätigen Zahnarztes Dr. M. (fortan: Schuldner). Dieser hatte der beklagten Bank am und am alle gegenwärtigen und zukünftigen Ansprüche gegen die für ihn zuständige kassenzahnärztliche Vereinigung (fortan: KZV) sicherheitshalber abgetreten. Das Insolvenzverfahren wurde am eröffnet. In der Zeit vom bis zum überwies die KZV insgesamt 30.102,26 Euro auf das Konto des Schuldners bei der Beklagten. Der Kläger verlangt Auskehrung dieses Betrages nebst Zinsen; die Beklagte meint, aufgrund der Abtretung in Verbindung mit der Vorschrift des § 114 InsO stehe ihr dieser Betrag zu. Das Landgericht hat die Beklagte antragsgemäß verurteilt. Das Oberlandesgericht hat die Klage abgewiesen. Mit seiner vom Senat zugelassen Revision erstrebt der Kläger die Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils.
Gründe
Die Revision hat Erfolg. Sie führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
I.
Das Berufungsgericht hat ausgeführt (ZVI 2004, 32): Die Ansprüche des Schuldners gegen die KZV seien vor Insolvenzeröffnung wirksam an die Beklagte abgetreten worden. Dies folge aus §§ 50, 51 Nr. 1 InsO. Die Vorschrift des § 114 Abs. 1 InsO, die der Erweiterung der Insolvenzmasse diene, sei weit auszulegen und erfasse auch die hier fraglichen Ansprüche; denn es handele sich um Vergütungen für Dienstleistungen, welche die Existenzgrundlage des Schuldners bildeten.
II.
Diese Ausführungen halten einer rechtlichen Überprüfung nicht stand. Hinsichtlich derjenigen Forderungen des Schuldners gegen die KZV, die nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens entstanden sind, war die Abtretung gemäß § 91 Abs. 1 InsO unwirksam; die Vorschrift des § 114 Abs. 1 InsO ändert daran nichts.
1. Einem Rechtsübergang der Vergütungsansprüche des Schuldners auf die Beklagten nach allgemeinen Regeln steht § 91 Abs. 1 InsO insoweit entgegen, als die zu vergütende ärztliche Leistung bei Eröffnung des Insolvenzverfahrens noch nicht erbracht war.
a) Nach § 91 Abs. 1 InsO können nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens Rechte an den Gegenständen der Insolvenzmasse nicht wirksam erworben werden, auch wenn keine Verfügung des Schuldners und keine Zwangsvollstreckung für einen Insolvenzgläubiger zugrunde liegt. Im Falle der Abtretung einer künftigen Forderung ist die Verfügung selbst bereits mit Abschluss des Abtretungsvertrages beendet. Der Rechtsübergang erfolgt jedoch erst mit dem Entstehen der Forderung (BGHZ 32, 367, 369; 88, 205, 206 f; BGH, Urt. v. Urt. v. - IX ZR 89/96, ZIP 1997, 513, 514). Entsteht die im Voraus abgetretene Forderung nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens, kann der Gläubiger gemäß § 91 Abs. 1 InsO kein Forderungsrecht zu Lasten der Masse mehr erwerben (BGHZ 135, 140, 145 zu § 15 KO; 162, 187, 190; , NJW 1955, 544; v. - IX ZR 166/02, ZIP 2003, 808, 809; MünchKomm-InsO/Ganter, vor §§ 49 bis 52 Rn. 23; Jaeger/Henckel, KO 9. Aufl. § 15 Rn. 44). Nur wenn der Zessionar bereits vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens eine gesicherte Rechtsposition hinsichtlich der abgetretenen Forderung erlangt hat, ist die Abtretung insolvenzfest. Werden Ansprüche aus Dauerschuldverhältnissen abgetreten, kommt es deshalb darauf an, ob sie bereits mit Abschluss des zugrunde liegenden Vertrages "betagt", also nur in ihrer Durchsetzbarkeit vom Beginn oder vom Ablauf einer bestimmten Frist abhängig sind, oder ob sie gemäß §§ 163, 158 Abs. 1 BGB erst mit der Inanspruchnahme der jeweiligen Gegenleistung entstehen. Im letztgenannten Fall hat der Abtretungsempfänger keine gesicherte Rechtsposition ( aaO).
b) Der Kassenarzt erbringt ärztliche Leistungen aufgrund eines Behandlungsvertrages dienstvertraglichen Charakters mit dem jeweiligen Patienten (BGHZ 76, 259, 261; 97, 273, 276; Bamberger/Roth/Fuchs, BGB Vor § 611 Rn. 13; Uhlenbruck, ZVI 2002, 49, 51; Ries, ZInsO 2003, 1079, 1081). Sein Vergütungsanspruch richtet sich zunächst gegen die Krankenkasse, welche gemäß § 85 Abs. 1 SGB V nach Maßgabe des Gesamtvertrages für die gesamte vertragsärztliche Versorgung mit befreiender Wirkung eine Gesamtvergütung an die kassenärztliche Vereinigung entrichtet (vgl. BSGE 66, 284, 285 f). Der einzelne Kassenarzt hat keinen betragsmäßig im Voraus definierten Vergütungsanspruch für seine Leistungen, sondern lediglich Anspruch auf Teilnahme an der Honorarverteilung durch die kassenärztliche Vereinigung (§ 85 Abs. 4 Satz 1 SGB IV; vgl. Quaas/Zuck, Medizinrecht § 20 Rn. 39; Hess, in Schnapp/Wigge, Handbuch des Vertragsarztrechts § 15 Rn. 63). Entgegen Uhlenbruck (ZVI 2002, 49, 52) handelt es sich insoweit nicht um einen "Arztlohn", der allein aus dem Rechtsverhältnis zwischen dem Kassenarzt und der kassenärztlichen Vereinigung stammt. Die Zulassung zur Teilnahme an der vertragsärztlichen Versorgung (§ 95 Abs. 1 SGB V) begründet für sich genommen keinen Anspruch auf angemessene Entlohnung. Voraussetzung jeglicher Vergütungsansprüche ist vielmehr, dass der Kassenarzt vergütungsfähige ärztliche Leistungen erbringt. Diese sind Grundlage des endgültigen Honorarbescheides der kassenärztlichen Vereinigung. Abschlagszahlungen, die der Kassenarzt aufgrund satzungsmäßiger Bestimmungen erhalten mag, ändern daran nichts. Der allgemeine Grundsatz, dass der Anspruch auf Vergütung für geleistete Dienste nicht vor der Dienstleistung entsteht (RGZ 142, 291, 295; aaO unter II.1.a aa; BAG NJW 1993, 2699, 2700; aA HambK-InsO/Ahrendt, § 114 Rn. 6; Flöther/Bräuer, NZI 2006, 136, 142), gilt damit auch für den Vergütungsanspruch des Kassenarztes gegen die kassenärztliche Vereinigung. Das vertragsärztliche Vergütungssystem der §§ 82 ff SGB V betrifft die Abrechnung, damit die Fälligkeit des Vergütungsanspruchs, hat auf dessen Entstehen jedoch keinen Einfluss.
2. Der vom Berufungsgericht als Begründung für seine gegenteilige Annahme herangezogene § 114 Abs. 1 InsO gilt nicht für die Vergütungsansprüche eines Kassenarztes gegen die für ihn zuständige kassenärztliche Vereinigung.
a) Im Rahmen ihres Anwendungsbereichs verdrängt die Vorschrift des § 114 Abs. 1 InsO diejenige des § 91 Abs. 1 InsO.
aa) Nach der Begründung des Regierungsentwurfs zu § 132 InsO-E, dem jetzigen § 114 InsO, sollten Vorausabtretungen, Verpfändungen und Pfändungen (fortan nur: Abtretungen) eingeschränkt werden, um zu gewährleisten, dass die pfändbaren laufenden Bezüge eines Arbeitnehmers während eines längeren Zeitraums nach der Beendigung des Verfahrens für die Verteilung an die Insolvenzgläubiger zur Verfügung stehen. Blieben Abtretungen wirksam, könnte der Schuldner außerdem im Verhältnis zum derart gesicherten Gläubiger keine Restschuldbefreiung erreichen, sondern müsste sich auch nach Ende der Wohlverhaltensperiode und Erteilung der Restschuldbefreiung mit dem pfändungsfreien Betrag seines Einkommens begnügen (BT-Drucks. 12/2443, S. 150 f). Beide Argumente setzen die Wirksamkeit der Abtretungen voraus. Dass diese schon nach § 91 Abs. 1 InsO unwirksam sein könnten, soweit der abgetretene Anspruch erst nach der Eröffnung des Verfahrens entsteht, wird in der amtlichen Begründung nicht angesprochen. Im Anschluss daran wird die Vorschrift des § 114 InsO überwiegend als Wirksamkeitsbeschränkung aufgefasst (Dobmeier, NZI 2006, 144, 148; Flöther/Bräuer, NZI 2006, 136, 142; Branz, ZInsO 2004, 1185, 1187; Fliegner, EWiR 2004, 121, 122; ebenso - ohne Erörterung des § 91 Abs. 1 InsO - die einhellige Kommentarliteratur, vgl. z.B. HK-InsO/Irschlinger, 4. Aufl. § 114 Rn. 1; MünchKomm-InsO/Löwisch/Caspers, § 114 Rn. 1 ff; Uhlenbruck/Berscheid, InsO 12. Aufl. § 114 Rn. 3), zumal auch der Wortlaut der Vorschrift in diese Richtung deutet (".. so ist diese Verfügung nur wirksam, soweit ...").
bb) Diese auf Wortlaut und Entstehungsgeschichte der Vorschrift gestützte Auslegung des § 114 Abs. 1 InsO ist jedoch weder zwingend noch im Ergebnis befriedigend. Der amtlichen Begründung nach wollte der Gesetzgeber keine praktisch nicht anwendbare Vorschrift schaffen. Die Vorschrift des § 91 Abs. 1 InsO dürfte in diesem Zusammenhang vielmehr nicht bedacht worden sein. Für die Richtigkeit dieser Annahme spricht die Begründung des Gesetzes zur Änderung der Insolvenzordnung und anderer Gesetze vom (BGBl. I S. 2710), durch das die "Wohlverhaltensperiode" auf sechs Jahre ab Eröffnung des Insolvenzverfahrens und die Frist des § 114 Abs. 1 InsO von drei auf zwei Jahre verkürzt worden ist (BT-Drucks. 14/5680, S. 17):
"Eng mit der Dauer der Wohlverhaltensperiode hängt die Frage zusammen, ob und gegebenenfalls für welchen Zeitraum Lohnvorausabtretungen eine Sonderbehandlung erfahren sollen. Nach § 114 Abs. 1 InsO sind derzeit Lohnvorausabtretungen für einen Zeitraum von 3 Jahren ab Verfahrenseröffnung wirksam. Begründet wird diese Privilegierung mit dem Hinweis, zahlreiche Verbraucher könnten außer einer Lohnzession keine weiteren Sicherheiten anbieten und müssten bei einer Einschränkung dieses Kreditsicherungsmittels Nachteile bei der Kreditversorgung in Kauf nehmen. Die Dauer der Wohlverhaltensperiode und die Privilegierung von Gehaltsabtretungen werden als weitgehend interdependent angesehen. Würde man etwa die Wohlverhaltensperiode auf 5 Jahre verkürzen, ohne den Zeitraum der Wirksamkeit von Gehaltsabtretungen zu reduzieren, so würde der pfändbare Teil des Einkommens des Schuldners den ungesicherten Gläubigern nur 2 Jahre zur Verfügung stehen ...".
Der Gesetzgeber des Insolvenzrechtsänderungsgesetzes hat damit klargestellt, dass nach seiner Auffassung Vorausabtretungen der Bezüge aus einem Dienstverhältnis für die Zeit nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens gemäß § 91 Abs. 1 InsO generell unwirksam wären, wenn es die Vorschrift des § 114 Abs. 1 InsO nicht gäbe. Die dort getroffene Regelung soll es auch dem Personenkreis ermöglichen, sich einen Kredit zu beschaffen, der in der Regel als Sicherheit nur die Abtretung von Bezügen aus abhängiger Tätigkeit anbieten kann. § 114 Abs. 1 InsO enthält danach eine Ausnahmevorschrift zu § 91 Abs. 1 InsO, die jeweils gesondert zu prüfen ist (vgl. Sander, ZInsO 2003, 1129, 1131 f; Wegener/Köke, ZVI 2003, 382, 385 f; für § 110 InsO ebenso HK-InsO/Marotzke, 4. Aufl. § 110 Rn. 4).
b) Die Vergütungsansprüche eines Kassenarztes gegen die für ihn zuständige kassenärztliche Vereinigung stellen keine Forderungen auf "Bezüge aus einem Dienstverhältnis oder an deren Stelle tretende laufende Bezüge" im Sinne des § 114 Abs. 1 InsO dar.
aa) Ob Vergütungsansprüche aus selbstständiger Tätigkeit von § 114 Abs. 1 InsO erfasst werden, ist umstritten (bejahend MünchKomm-InsO/Löwisch/Caspers, § 114 Rn. 4; HambK-InsO/Ahrendt, § 114 Rn. 3; verneinend Uhlenbruck/Berscheid, aaO § 114 Rn. 6; Nerlich/Römermann/Kießner, InsO § 114 Rn. 54; Braun/Kroth, InsO 2. Aufl. § 114 Rn. 2; Tetzlaff, ZInsO 2005, 393, 400 f; Sander, ZInsO 2003, 1129, 1132; Ries, ZinsO 2003, 1079, 1083; LG Köln ZInsO 2004, 756). Der Bundesgerichtshof sieht Ansprüche aus privatärztlichen Behandlungsverträgen nicht als "fortlaufende Bezüge aus einem Dienstverhältnis" im Sinne von § 114 Abs. 1 InsO an (BGHZ 162, 187, 190). Er hat allerdings die Ansprüche eines Kassenarztes gegen die für ihn zuständige kassenärztliche Vereinigung als "Arbeitseinkommen" im Sinne von § 850 Abs. 2 ZPO eingeordnet (BGHZ 96, 324, 326; , n.v.; ebenso z.B. OLG Nürnberg InVo 2003, 78 f). Nach nahezu einhelliger Ansicht sollen die Anwendungsbereiche der Vorschriften des § 114 Abs. 1 InsO einerseits, des § 850 Abs. 2 ZPO andererseits übereinstimmen (FK-InsO/Eisenbeis, 4. Aufl. § 114 Rn. 5; Uhlenbruck/Berscheid, aaO Rn. 9; Nerlich/Römermann/Kießner, aaO Rn. 17; MünchKomm-InsO/Löwisch/Casper, aaO Rn. 5 f; HK-InsO/Irschlinger, aaO Rn. 1; HambK-InsO/Ahrendt, aaO Rn. 3; Uhlenbruck, ZVI 2002, 49, 51).
bb) Beide Auslegungen sind vom Wortlaut der Vorschrift gedeckt. Auch Forderungen aus selbstständiger Tätigkeit könnten danach als "Bezüge aus einem Dienstverhältnis" aufgefasst werden, wenn auch der Gesetzgeber, wie sich aus der Begründung zu § 132 des Regierungsentwurfs ergibt, in erster Linie an Bezüge von Arbeitnehmern, also Ansprüche aus unselbstständiger Tätigkeit gedacht haben mag. Die systematischen Bedenken, die gegen die Einbeziehung von Ansprüchen aus selbstständiger Tätigkeit geäußert worden sind (vgl. Wegener/Köke, ZVI 2003, 382, 384 f), sind ebenfalls nicht zwingend; denn die einander ergänzenden Vorschriften des § 114 Abs. 1, des § 287 Abs. 2 und des § 295 Abs. 2 InsO könnten korrespondierend ausgelegt werden (vgl. etwa MünchKomm-InsO/Stephan, § 287 Rn. 38; FK-InsO/Ahrens, 4. Aufl. § 287 Rn. 50 f; MünchKomm-InsO/Ehricke, § 295 Rn. 103).
cc) Darauf, ob eine Tätigkeit als "selbstständig" oder "unselbstständig" einzuordnen ist, kommt es für die Anwendbarkeit des § 114 Abs. 1 InsO aber letztlich nicht an. Entscheidend ist vielmehr ein anderer Gesichtspunkt. Die Vorschrift des § 114 Abs. 1 InsO privilegiert für die Dauer von zwei Jahren Vorausabtretungen, welche der Masse den Ertrag der Arbeitskraft des Schuldners vorenthalten. Die Arbeitskraft des Schuldners gehört nicht zur Masse (§ 36 Abs. 1 InsO); der Schuldner kann zur Aufnahme einer Erwerbstätigkeit nicht gezwungen werden. § 114 Abs. 1 InsO verzichtet also auf mögliche, jedoch nicht erzwingbare Massemehrungen durch dienstleistende Tätigkeiten. Der in eigener Praxis tätige Kassenarzt erzielt sein Einkommen demgegenüber nicht allein aus der Verwertung seiner Arbeitskraft, sondern aus dem Betrieb der Praxis. Damit sind notwendig Ausgaben verbunden, die vom Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens an von der Masse getragen werden müssen. Nur so können Vergütungsansprüche gegen die kassenärztliche Vereinigung erwirtschaftet werden. Ansprüche, welche die Begründung von Masseverbindlichkeiten voraussetzen, werden von § 114 Abs. 1 InsO jedoch nicht erfasst.
(1) Mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens hat der Verwalter nach Maßgabe der §§ 103 ff InsO über die Erfüllung der noch vom Schuldner geschlossenen, nunmehr die Masse berechtigenden und verpflichtenden Rechtsgeschäfte zu entscheiden. Er kann zum Beispiel Erfüllung eines von beiden Seiten nicht vollständig erfüllten gegenseitigen Vertrages verlangen oder aber dessen Erfüllung ablehnen (§ 103 Abs. 1 InsO), die gemäß § 108 Abs. 1 InsO zunächst fortbestehenden Miet- oder Pachtverhältnisse über einen unbeweglichen Gegenstand oder über Räume, die der Schuldner als Mieter oder Pächter eingegangen war, unter Einhaltung der gesetzlichen Kündigungsfrist (§ 109 Abs. 1 InsO) beenden sowie Dienstverhältnisse, bei denen der Schuldner der Dienstberechtigte ist, binnen einer Frist von längstens drei Monaten kündigen (§ 113 InsO). In der Insolvenz eines Kassenarztes können diese Befugnisse insbesondere hinsichtlich der Praxisräume und des angestellten Personals von Bedeutung sein. Grundsätzlich ist es Aufgabe des Verwalters, über Fortbestand oder Beendigung der in §§ 103 ff InsO genannten Verträge zu entscheiden. Maßstab der zu treffenden Entscheidung ist die bestmögliche Verwertung des Schuldnervermögens zum Zwecke der gemeinschaftlichen Befriedigung aller Gläubiger (§ 1 Satz 1 InsO).
(2) Wäre § 114 Abs. 1 InsO auch auf die Vergütungsansprüche eines Kassenarztes gegen die kassenärztliche Vereinigung anwendbar, hätte der Verwalter bei seiner Entscheidung darüber, ob Verträge fortgesetzt oder beendet werden sollen, die Abtretung der aus der kassenärztlichen Tätigkeit stammenden Vergütungsansprüche für einen Zeitraum von zwei Jahren ab Eröffnung des Insolvenzverfahrens zu berücksichtigen. Um Masseminderungen zu vermeiden, müsste er sämtliche Verträge beenden, was notwendig auch zu einer Beendigung der Praxis führen würde. Mit diesem Ergebnis wäre auch dem Abtretungsgläubiger nicht gedient, dessen Sicherheit nicht durch die Insolvenzeröffnung, aber durch das Ende der ärztlichen Tätigkeit des Schuldners wertlos würde.
(3) Entgegen der in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat geäußerten Ansicht der Beklagten enthält § 114 Abs. 1 InsO keine Verpflichtung des Verwalters, für die Dauer von zwei Jahren von der Beendigung der zum Betrieb der Praxis erforderlichen Dauerschuldverhältnisse abzusehen, um die durch die Abtretung der Vergütungsansprüche begründete Sicherheit nicht zu entwerten. Wortlaut, Entstehungsgeschichte und auch Sinn und Zweck der Vorschrift bieten keinerlei Anhalt für diese Annahme. Verschiedene Vorschriften des Zweiten Abschnitts des Dritten Teils der Insolvenzordnung (§§ 103 ff), zu dem auch § 114 InsO gehört, dienen dazu sicherzustellen, dass Wertschöpfungen aus Mitteln der Masse der Gemeinschaft der Gläubiger zugute kommen, nicht nur einzelnen bevorrechtigten Gläubigern (vgl. zu §§ 17 KO, 103 InsO etwa BGHZ 106, 236, 244; 116, 156, 159 f; 129, 336, 339; 150, 353, 359 f; MünchKomm/Kreft, § 103 Rn. 2). So ordnet § 105 InsO für teilbare Leistungen an, dass der Anspruch auf die Gegenleistung für vor Insolvenzeröffnung an den Schuldner erbrachte Teilleistungen nur eine Insolvenzforderung darstellt, wenn der Insolvenzverwalter die Erfüllung noch ausstehender Leistungen verlangt. Gemäß § 108 Abs. 2 InsO kann der Vertragsgegner Ansprüche aus einem fortbestehenden Dauerschuldverhältnis für die Zeit vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens ebenfalls nur als Insolvenzgläubiger geltend machen. § 114 Abs. 1 InsO enthält insoweit eine Ausnahme von diesem Grundsatz, als der Ertrag der Arbeitskraft des Schuldners nach Insolvenzeröffnung in einem Zeitraum von zwei Jahren nur dem Abtretungsgläubiger zugute kommt. Diese Ausnahme findet ihre Rechtfertigung darin, dass die Arbeitskraft des Schuldners als solche nicht zur Insolvenzmasse gehört (§ 36 Abs. 1 InsO). Eine Erweiterung auf Massebestandteile, deren Ertrag der Gesamtheit der Gläubiger gebührt, kommt jedoch nicht in Betracht.
dd) Entgegen der Annahme von Uhlenbruck (ZVI 2002, 49, 53) kann der notwendige Schutz der Masse nicht im Wege der Festsetzung eines die Kosten der Fortführung der Praxis deckenden Freibetrages gemäß § 36 Abs. 4 InsO, § 850f ZPO bewirkt werden (vgl. zur Möglichkeit, Werbungskosten bei der Berechnung des unpfändbaren Betrages bei sonstigen Vergütungen im Sinne von § 850i ZPO zu berücksichtigen, , WM 2003, 980, 983 f). Die Festsetzung des Pfändungsfreibetrages nach den genannten Vorschriften käme allein dem Schuldner zugute, ohne jedoch die Masse zu entlasten. Nach § 36 InsO wird das insolvenzfreie Vermögen des Schuldners bestimmt, das nicht der Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis des Verwalters (§ 80 Abs. 1 InsO) unterliegt. Der Verwalter hat keinen Einfluss auf die Verwendung der pfändungsfreien Beträge. An der grundsätzlichen Haftung der Masse für die noch vom Schuldner begründeten und vom Verwalter nicht beendeten Verträge würde sich durch einen Freibetrag ebenfalls nichts ändern.
ee) Die vom Senat gewählte Lösung steht nicht in Widerspruch zur Entscheidung BGHZ 96, 324 ff., welche die grundsätzliche Anwendbarkeit der §§ 850 ff ZPO auf die Ansprüche eines Kassenarztes gegen die kassenärztliche Vereinigung bejaht hat.
(1) Die Vorschrift des § 850 ZPO verfolgt andere Ziele als diejenige des § 114 Abs. 1 InsO. § 850 ZPO sichert dem Schuldner einen der Pfändung entzogenen Anteil an Vergütungen für Dienstleistungen, die seine Existenzgrundlage bilden, weil sie seine Erwerbstätigkeit ganz oder zu einem wesentlichen Teil in Anspruch nehmen (BGHZ 96, 324, 327). § 114 Abs. 1 InsO betrifft demgegenüber nur pfändbares Vermögen des Schuldners. Es geht hier um die Frage, ob und in welchem Umfang Vergütungsansprüche des Schuldners dem Abtretungsempfänger oder aber der Gesamtheit der Gläubiger zugute kommen. Schon deshalb müssen die beiden auch ihrem Wortlaut nach verschiedenen Vorschriften nicht notwendig gleich ausgelegt werden.
(2) In der praktischen Handhabung beider Vorschriften sind widersprüchliche Ergebnisse nicht zu befürchten. Der Schuldner könnte zwar gemäß § 36 Abs. 4 InsO eine Entscheidung des Insolvenzgerichts dahingehend beantragen, dass der unpfändbare Teil der kassenärztlichen Vergütung an ihn auszukehren sei. Die Möglichkeit eines Antrags auf Unterhalt aus der Insolvenzmasse hat der Schuldner in jedem Fall (§ 100 InsO); etwa vorab an ihn auszukehrende Anteile an dem Vergütungsanspruch würden dann auf seinen Unterhaltsanspruch angerechnet werden. Werbungskosten könnten bei der Berechnung des Freibetrages schon deshalb nicht zugunsten des Schuldners berücksichtigt werden, weil während der Dauer des Insolvenzverfahrens die Masse für den Betrieb der Praxis aufzukommen hat.
III.
Die Sache ist nicht zur Endentscheidung reif (§ 563 ZPO). Das Berufungsgericht hat keine Feststellungen dazu getroffen, wann die Forderungen des Schuldners gegen die Kassenzahnärztliche Vereinigung entstanden sind, die Grundlage der Überweisungen waren. Die Sache muss deshalb zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen werden (§ 563 Abs. 1 ZPO). Dazu weist der Senat auf folgenden rechtlichen Gesichtspunkt hin:
Trotz § 91 Abs. 1 InsO ist eine Abtretung wirksam, wenn der Zessionar bereits vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens eine gesicherte Rechtsposition erworben hatte, die der Zedent durch einseitiges Verhalten nicht mehr zu zerstören vermag ( aaO; v. , aaO; v. - IX ZR 162/04, WM 2006, 144, 145; MünchKomm-InsO/Ganter, vor §§ 49 bis 52 Rn. 23; vgl. auch BGHZ 155, 87, 93 f). Der Vergütungsanspruch des Kassenarztes entsteht dem Grunde nach, sobald der Arzt vergütungsfähige Leistungen erbracht hat. Fällig werden mag der Anspruch erst mit dem endgültigen Honorarbescheid der kassenärztlichen Vereinigung, der aufgrund der in den Gesamtverträgen (§ 83 SGB V) ausgehandelten Gesamtvergütung (§ 85 Abs. 1 SGB V) und des von der KV festgesetzten Verteilungsmaßstabes (§ 85 Abs. 4 Satz 1 und 2 SGB V) ergeht (vgl. BSGE 66, 284, 285).
Auf die Fälligkeit des abgetretenen Anspruchs kommt es im Rahmen des § 91 Abs. 1 InsO jedoch nicht an.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
DB 2006 S. 2121 Nr. 39
NJW 2006 S. 2485 Nr. 34
WM 2006 S. 1343 Nr. 28
ZIP 2006 S. 1254 Nr. 27
MAAAC-00577
1Nachschlagewerk: ja; BGHZ: ja; BGHR: ja