BGH Urteil v. - IX ZR 215/02

Leitsatz

[1] Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.

Gesetze: InsO § 129; InsO § 133; InsO § 27 Abs. 2; InsO § 123 Abs. 1; ZPO § 319; ZPO § 314; EGInsO Art. 106

Instanzenzug: Brandenburgisches

Tatbestand

Der Kläger verlangt als Verwalter in dem Insolvenzverfahren über das Vermögen des M. S. (nachfolgend: Schuldner) im Wege der Insolvenzanfechtung Rückzahlung von Sozialversicherungsbeiträgen, die der Schuldner in der Zeit vom bis zum an die Beklagte abgeführt hat.

Der Schuldner betrieb eine Kunstschlosserei und Schmiede. Einige seiner Arbeitnehmer waren bei der Beklagten sozialversichert. Seit November 1995 blieben Vollstreckungsversuche zahlreicher Gläubiger erfolglos. Erstmals im Mai 1997 und fortan wiederholt hat das Vollstreckungsgericht gegen den Schuldner Haftbefehl zur Erzwingung der Offenbarungsversicherung erlassen. Nachdem es seit März 1998 auch gegenüber der Beklagten zu Zahlungsrückständen gekommen war, erließ diese am eine Vollstreckungsverfügung, mit der sie wegen Beitragsrückständen in das Geschäftskonto des Schuldners bei der L. B. , B. Sp. , pfändete. Im März und November 1999 verfügte die Beklagte erneut Pfändungen dieses Kontos. Zahlungen durch die Drittschuldnerin erlangte die Beklagte nicht.

In der Zeit von Juli 1998 bis einschließlich Juni 2000 leistete der Schuldner an die Beklagte auf Rückstände und laufende Beiträge Zahlungen von insgesamt 31.524,26 DM. Mit Schriftsatz vom , bei Gericht eingegangen am , stellte die Beklagte einen Insolvenzantrag gegen den Schuldner. Daraufhin unterzeichnete der Insolvenzrichter des Amtsgerichts C. in B. am ein Beschlußformular, das den Schuldner nicht namentlich bezeichnet und in seinem Eingangssatz lautet:

"Über das Vermögen des [Vorblatt] wird ... das Insolvenzverfahren eröffnet".

Die Ausfertigungen des Beschlusses enthalten den vollständigen Namen des Schuldners sowie die Anschriften seiner gewerblichen Niederlassung und seiner Wohnung. In dieser Form wurde der Beschluß, durch den zugleich der Kläger zum Insolvenzverwalter bestellt wurde, öffentlich bekannt gemacht. Mit Beschluß vom hat der Insolvenzrichter den Eröffnungsbeschluß in der Weise "klargestellt", daß er die genaue Bezeichnung des Schuldners angegeben hat.

Der Kläger hat behauptet, der Schuldner sei seit Anfang 1998 zahlungsunfähig gewesen und habe Zahlungen mit Benachteiligungsvorsatz vorgenommen; dies sei der Beklagten bekannt gewesen.

Mit seiner Klage hat der Kläger zunächst 29.485,52 DM (15.075,71 €) verlangt. Nachdem die Beklagte den vom Schuldner am geleisteten Betrag von 2.501,15 DM (1.278,89 €) gezahlt hatte, haben die Parteien insoweit den Rechtsstreit für erledigt erklärt. Danach hat der Kläger den Klagantrag auf 26.984,37 DM (13.796,89 €) nebst Zinsen reduziert.

Das Landgericht hat der Klage stattgegeben, das Berufungsgericht hat sie im Umfang der eingelegten Berufung abgewiesen. Mit der zugelassenen Revision begehrt der Kläger, nach den Berufungsanträgen zu erkennen, und verlangt im Wege der Klageerweiterung einen weiteren Betrag in Höhe von 770,38 € nebst Zinsen.

Gründe

Die Revision hat Erfolg.

I.

Das Berufungsgericht hat sein Urteil wie folgt begründet:

Zwar seien die streitigen Beitragszahlungen des Schuldners an sich gemäß §§ 129, 133 InsO anfechtbar. Sämtliche ab dem vorgenommenen Zahlungen seien auf den Einsatz des Vollstreckungszwangs zurückzuführen und deswegen als inkongruente Deckungshandlungen zu bewerten. Gleichwohl sei die Klage derzeit unbegründet, weil das Insolvenzverfahren über das Vermögen des Schuldners noch nicht wirksam eröffnet worden sei. Einem Eröffnungsbeschluß, der wie hier die Bezeichnung des Schuldners allein durch einen "Klammerzusatz" auf andere Aktenbestandteile ersetze, fehle der nach § 27 Abs. 2 InsO zur Identifikation des Schuldners erforderliche Inhalt.

II.

Dagegen wendet sich die Revision zu Recht. Entgegen der Meinung des Berufungsgerichts ist das Insolvenzverfahren seit dem eröffnet.

Der erkennende Senat hat entschieden, daß ein Eröffnungsbeschluß, der den Schuldner nicht namentlich, sondern durch Bezugnahme auf ein Blatt der Akten bezeichnet, zwar rechtlich fehlerhaft ergangen, jedoch wirksam ist, sofern die Person des Schuldners aus der Verweisung eindeutig zu entnehmen ist (, ZIP 2003, 356 ff; v. - IX ZR 175/02, WM 2003, 400, 401 f).

Danach ist der Eröffnungsbeschluß im Streitfall wirksam. Das Insolvenzgericht hat im Beschluß vom (Insolvenzakte Bl. 86/87) zur Bestimmung des Schuldners auf das "Vorblatt" Bezug genommen. Die Bezeichnung "Vorblatt" ist mit schwarzer Tinte in halb offene Klammern gesetzt und ermöglichte - entgegen der Ansicht der Revisionserwiderung - eindeutig die Feststellung, auf welche Person sich die gerichtliche Entscheidung bezog. Bei verständiger Würdigung war damit das zwei Blätter vor dem mit 1 ff. paginierten Schriftsatz der Beklagten vom eingeheftete "Vorblatt" gemeint, auf dem sich in der gleichen Klammer in schwarzer Tinte Name sowie Wohn- und Geschäftsanschrift des Schuldners befinden. Demgemäß ist der Schuldner sowohl in der öffentlichen Bekanntmachung als auch in den Zustellungen an die Beteiligten eindeutig und zutreffend benannt worden.

Die gebotene Berichtigung analog § 319 ZPO hat das Insolvenzgericht mit Beschluß vom vollzogen.

III.

Das angefochtene Urteil erweist sich nicht aus anderen Gründen als im Ergebnis zutreffend. Denn die Auffassung des Berufungsgerichts, der Klageanspruch sei im Falle wirksamer Eröffnung des Insolvenzverfahrens gemäß §§ 129, 123 Abs. 1 InsO gerechtfertigt, hält der rechtlichen Nachprüfung stand.

1. Entgegen der Ansicht der Revisionserwiderung fehlt es nicht deshalb an einer Rechtshandlung des Schuldners, weil er unter dem Druck der Zwangsvollstreckung gezahlt hat. Zwar unterliegen Zwangsvollstreckungsmaßnahmen von Gläubigern als solche regelmäßig nicht der Anfechtung gemäß § 133 InsO, weil diese Norm eine Rechtshandlung des Schuldners voraussetzt. Nach § 133 InsO anfechtbar ist eine im Rahmen oder aus Anlaß einer Zwangsvollstreckung erfolgte Vermögensverlagerung jedoch dann, wenn dazu zumindest auch Rechtshandlungen des Schuldners beigetragen haben (vgl. MünchKomm-InsO/Kirchhof, § 133 Rn. 8; Paulus, in: Kübler/Prütting, InsO § 133 Rn. 3; vgl. auch BGHZ 143, 332, 333 f).

Die Beklagte hat die Beiträge hier nicht durch Zwangsvollstreckungsmaßnahmen, sondern aufgrund von Zahlungen erhalten, die der Schuldner geleistet hat. Daß der Schuldner nur unter dem Druck der drohenden Zwangsvollstreckung gezahlt hat, rechtfertigt keine Gleichsetzung dieser Leistungen des Schuldners mit Vermögenszugriffen, die durch Vornahme von Zwangsvollstreckungsmaßnahmen erfolgen (vgl. hierzu das Senatsurteil vom - IX ZR 169/02, z.V.b., dort II 1 c der Entscheidungsgründe).

2. Die Feststellung des Berufungsgerichts, daß der Schuldner die angefochtenen Beitragszahlungen mit dem Vorsatz vorgenommen habe, seine Gläubiger zu benachteiligen, ist im Ergebnis aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden.

a) Das Berufungsgericht hat gemeint, die Feststellung des Benachteiligungsvorsatzes sei schon deshalb gerechtfertigt, weil der Schuldner die angefochtenen Beitragszahlungen unter dem Druck der Vollstreckung und damit in inkongruenter Weise vorgenommen habe. Hinsichtlich des Zahlungsvorgangs vom über DM 1.000 (511,29 €), der innerhalb des Zeitraumes von drei Monaten vor dem Eröffnungsantrag lag, läßt dies einen Rechtsfehler nicht erkennen (vgl. , WM 2002, 1193, 1194). Auf die aus dem Einsatz des Vollstreckungszwanges hergeleitete Inkongruenz als Beweisanzeichen für den Benachteiligungsvorsatz des Schuldners hat das Berufungsgericht jedoch bezüglich aller ab dem zugunsten der Beklagten vorgenommenen Zahlungen abgestellt, also auch bezüglich solcher, die früher als drei Monate vor dem Eröffnungsantrag erfolgten. Wie der Senat in seinem Urteil vom in der Sache IX ZR 169/02 im einzelnen ausgeführt hat (dort unter II 3 der Entscheidungsgründe), stellt sich eine Leistung, die der Schuldner dem Gläubiger auf eine fällige Forderung früher als drei Monate vor dem Eröffnungsantrag gewährt, aber nicht bereits deshalb als inkongruente Deckung dar, weil sie zur Vermeidung einer unmittelbar bevorstehenden Zwangsvollstreckung erfolgt.

b) Auf das Beweisanzeichen einer inkongruenten Deckung durfte das Berufungsgericht den Nachweis eines Gläubigerbenachteiligungsvorsatzes hinsichtlich der früher als drei Monate vor dem Eröffnungsantrag erfolgten Beitragszahlungen des Schuldners somit zwar nicht stützen. Seine Feststellungen tragen die Annahme eines Benachteiligungsvorsatzes aber auch, wenn man diese Leistungen als kongruent ansieht. Denn nach den von der Revisionserwiderung nicht angegriffenen Feststellungen des Berufungsgerichts war der Schuldner bereits vor der ersten angefochtenen Zahlung vom zahlungsunfähig. Für die Annahme, daß er geglaubt haben könnte, er werde in der Lage sein, alle seine Gläubiger zu befriedigen, fehle, so das Berufungsgericht weiter, buchstäblich jeder Anhalt. Unter diesen Umständen habe der Schuldner bei natürlicher Betrachtungsweise im Zeitpunkt seiner Zahlungen an die Beklagte daher gewußt, daß die anderen Gläubiger zurückstehen müßten und deshalb benachteiligt würden.

Diese Würdigung des Berufungsgerichts läßt einen Rechtsfehler nicht erkennen. Wenn ein Schuldner zur Vermeidung einer unmittelbar bevorstehenden Zwangsvollstreckung an einen einzelnen Gläubiger leistet, obwohl er weiß, daß er nicht mehr alle seine Gläubiger befriedigen kann und daß infolge der Zahlung an den einzelnen Gläubiger andere Gläubiger benachteiligt werden, so ist in aller Regel die Annahme gerechtfertigt, daß es dem Schuldner nicht in erster Linie auf die Erfüllung seiner vertraglichen oder - wie hier - gesetzlichen Pflichten, sondern auf die Bevorzugung dieses einzelnen Gläubigers ankommt (vgl. Senatsurt. v. - IX ZR 169/02 unter II 3 c der Entscheidungsgründe).

3. Die Kenntnis der Beklagten von dem Benachteiligungsvorsatz des Schuldners hat das Berufungsgericht nicht nur auf die vermeintliche Inkongruenz als Beweisanzeichen gestützt, sondern weiter daraus hergeleitet, daß die Beklagte aufgrund der Pfändung des Geschäftskontos und des Verlaufs des von ihr geführten Beitragskontos des Schuldners Kenntnis von solchen Umständen gehabt habe, welche den Schluß auf die Gläubigerbenachteiligung zwingend erscheinen ließen. Diese Beurteilung hält im Ergebnis gleichfalls der rechtlichen Nachprüfung stand.

a) Nach den rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen des Berufungsgerichts kannte die Beklagte sowohl die Zahlungsunfähigkeit des Schuldners als auch die Gläubigerbenachteiligung. Diese Kenntnis hat das Berufungsgericht aus dem Wissen der Beklagten hergeleitet, daß das von ihr gepfändete Geschäftskonto des Schuldners eine Befriedigung ihrer Forderungen und folglich auch eine Deckung der Forderungen anderer Gläubiger nicht zuließ. Trotz ihrer Vollstreckungsbemühungen habe der Schuldner nur Teilleistungen erbracht, so daß der Rückstand auf seinem Beitragskonto, der seit Mai 1998 in einer Höhe von mehr als den monatlichen Beiträgen bestand, 1998/1999 nahezu konstant geblieben sei.

b) Der Beklagten waren mithin nach der rechtsfehlerfreien Würdigung des Berufungsgerichts die Tatsachen bekannt, aus denen der Gläubigerbenachteiligungsvorsatz des Schuldners folgt. Wer solche Tatsachen kennt, kann daraus auf den entsprechenden Vorsatz des Schuldners schließen. Es begegnet folglich keinen rechtlichen Bedenken, wenn das Berufungsgericht unter diesen Umständen von einer Kenntnis der Beklagten von dem Benachteiligungsvorsatz des Schuldners ausgegangen ist (vgl. MünchKomm-InsO/Kirchhof, § 133 Rn. 38 m.w.N.).

4. Soweit Zahlungen vor dem vorgenommen wurden, sind die Anfechtungsvorschriften der Insolvenzordnung gemäß Art. 106 EGInsO anwendbar, weil diese Rechtshandlungen, wie das Berufungsgericht rechtsfehlerfrei ausgeführt hat, nach dem bis dahin geltenden Recht der Gesamtvollstreckungsordnung (§ 10 Abs. 1 Nr. 1 GesO) nicht der Anfechtung entzogen oder in geringerem Umfange unterworfen waren.

IV.

Da es aus Rechtsgründen keiner weiteren Tatsachenfeststellungen mehr bedarf, hat der Senat in der Sache selbst zu entscheiden und das erstinstanzliche Urteil wiederherzustellen. Darüber hinaus ist die Beklagte zur Zahlung weiterer 770,38 € nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz seit dem zu verurteilen. Die vom Kläger vorgenommene Klageerweiterung in der Revisionsinstanz ist ausnahmsweise zulässig, weil sie sich auf einen Sachverhalt stützt, den der Tatrichter festgestellt hat (vgl. , WM 2002, 1655, 1658).

Das Berufungsgericht hat - ohne daß hiergegen ein Tatbestandsberichtigungsantrag gemäß § 314 ZPO gestellt worden ist - festgestellt, daß sich die vom Kläger angefochtenen und in der Klageschrift mitgeteilten Zahlungen insgesamt auf 30.992,96 DM (15.846,09 €) belaufen. Aufgrund eines augenscheinlichen Rechenfehlers bei der Abfassung der Klageschrift habe der Kläger seine Forderung aber lediglich auf 29.485,51 DM (15.075,71 €) beziffert. Zu Recht kann der Kläger nunmehr den restlichen Betrag verlangen. Soweit die Revisionserwiderung beanstandet, daß kein Rechenfehler vorliege, übersieht sie, daß der außergerichtlich mit Schreiben vom geltend gemachte Betrag von 30.673,06 DM (Anlage K 23) schon diesen Rechenfehler enthielt. Eine Addition der in diesem Schreiben aufgeführten Beträge ergibt nicht den dort errechneten Saldo von 30.673,06 DM, sondern einen Betrag von 32.179,80 DM. Die Differenz zwischen diesen beiden Beträgen in Höhe von 1.506,74 DM (770,38 €) entspricht dem mit der Klageerweiterung geltend gemachten Betrag.

V.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 91, 97 ZPO.

Fundstelle(n):
YAAAC-00479

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