Leitsatz
[1] a) Der Insolvenzverwalter kann sich entlasten, wenn er zum Zeitpunkt der Begründung der Masseverbindlichkeit einen - aus damaliger Sicht - auf zutreffenden Anknüpfungstatsachen beruhenden und sorgfältig erwogenen Liquiditätsplan erstellt hat, der eine Erfüllung der fälligen Masseverbindlichkeit erwarten ließ.
b) Dem Verwalter obliegt nicht die Darlegung und der Beweis für die Ursachen einer von der Liquiditätsprognose abweichenden Entwicklung.
Gesetze: InsO § 61 Satz 2
Instanzenzug: LG Essen
Tatbestand
Die Klägerin nimmt den Beklagten als Verwalter in der Insolvenz über das Vermögen der S. GmbH (fortan Schuldnerin) wegen der Nichterfüllung von Masseverbindlichkeiten persönlich auf Schadensersatz in Anspruch.
Als vorläufiger Insolvenzverwalter erteilte der Beklagte der E. AG den Auftrag, im Rahmen einer Prognoserechnung festzustellen, "ob der vorhandene Auftragsbestand ... wirtschaftlich sinnvoll abgearbeitet werden kann." Die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft kam zu dem Ergebnis, daß eine Fortführung der betrieblichen Aktivitäten der Schuldnerin zu einem deutlichen Überschuß zugunsten der Masse führen werde. Nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens am führte der Beklagte den Betrieb der Schuldnerin fort, zeigte aber bereits vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens in seinem Insolvenzgutachten vom die Masseunzulänglichkeit an. Die wirtschaftliche Entwicklung der Masse verlief ungünstiger als ursprünglich erwartet. Am beschloß daher der Gläubigerausschuß, nur noch die vorhandenen Restaufträge - darunter auch ein Bauvorhaben A. - abzuarbeiten und den Geschäftsbetrieb anschließend zur Jahreswende 2000/2001 einzustellen.
Im Rahmen der Betriebsfortführung bestellte der Beklagte im November und Dezember 2000 bei der Klägerin insgesamt sieben Mal Waren im Gesamtbetrag von 57.578,10 DM netto (= 66.790,59 DM brutto), die die Klägerin lieferte. Die Bestellungen sahen Liefertermine zwischen dem 4. und sowie ein Zahlungsziel von jeweils 30 Tagen netto vor. Der Beklagte fügte den Bestellungen jeweils ein vom datierendes Formschreiben bei, worin er erklärte: "Die beigefügte Bestellung bitte ich auszuführen. Die Zahlung aus Massemitteln ist gewährleistet."
Der Beklagte bezahlte diese Rechnungen zunächst nicht. Die Klägerin erwirkte einen Mahnbescheid über diese Summe, der dem Beklagten als Insolvenzverwalter am zugestellt wurde. Am erhielt die Klägerin eine Zahlung über 29.313,42 DM. Mit Schreiben vom zeigte der Beklagte dem Insolvenzgericht erneut die Masseunzulänglichkeit an.
Der Beklagte beruft sich darauf, daß die Planungen vom und vom hinreichende Liquidität ergeben hätten, um die Forderungen der Klägerin begleichen zu können. Der von diesen Planungen abweichende Liquiditätsengpaß der Masse sei allein dadurch eingetreten, daß die A. sich erstmals im März 2001 und endgültig im Juli 2001 nicht vorhersehbar geweigert habe, die Restforderung der Schuldnerin von über 800.000 DM zu bezahlen.
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Auf die Berufung der Klägerin hat das Berufungsgericht den Beklagten unter Abweisung der weitergehenden Klage dazu verurteilt, an die Klägerin - Zug um Zug gegen Abtretung der Forderungen der Klägerin aus den Bestellungen gegen die Insolvenzmasse - 66.790,59 DM nebst Zinsen seit zu zahlen, abzüglich am gezahlter 29.313,42 DM. Weiterhin hat das Berufungsgericht festgestellt, daß sich der Rechtsstreit im übrigen mit der Zahlung von 29.313,42 DM erledigt hat. Mit der - vom Berufungsgericht zugelassenen - Revision erstrebt der Beklagte die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils.
Gründe
Die Revision des Beklagten führt zur Aufhebung und Zurückverweisung.
I.
Das Berufungsgericht hat gemeint, der Beklagte hafte der Klägerin nach § 61 Satz 1 InsO auf Schadensersatz. Die Ersatzpflicht trete ein, wenn der Insolvenzverwalter nicht in der Lage sei, die Masseschulden bei Fälligkeit zu erfüllen. Dies gelte jedenfalls dann, wenn nicht absehbar sei, daß die Masse in Kürze wieder zur Erfüllung in der Lage sein werde. Im übrigen sei eine Ersatzpflicht auch deshalb gerechtfertigt, weil Altmasseverbindlichkeiten nach der Anzeige der Masseunzulänglichkeit nicht mehr mit der Leistungsklage verfolgt werden könnten.
Der Beklagte könne sich nicht nach § 61 Satz 2 InsO entlasten. Es komme dabei nicht in erster Linie auf die Ergebnisplanungen an, sondern maßgeblich auf die Liquiditätsplanungen. Die vom Beklagten hierzu vorgelegten Unterlagen genügten jedoch nicht zu seiner Entlastung, weil die Richtigkeit und Zuverlässigkeit der Planzahlen aus den vorgelegten Unterlagen heraus nicht beurteilt werden könnten. Der Beklagte hätte darlegen müssen, inwieweit die tatsächliche Entwicklung von den Planzahlen abgewichen sei, diese Abweichung ursächlich für die Unmöglichkeit der Zahlung der Forderungen der Klägerin bei Fälligkeit und sie nicht vorhersehbar gewesen sei. Selbst wenn man unterstelle, daß die Weigerung der A. im November und Dezember 2000 nicht vorsehbar gewesen sei, sei nicht verständlich, warum die längst vor der Weigerung fälligen Forderungen der Klägerin zum Zeitpunkt der Fälligkeit nicht bezahlt werden konnten.
Die Klägerin habe Anspruch auf Ersatz des positiven Interesses. Der Insolvenzverwalter habe gemäß § 61 InsO nach Begründung einer Masseverbindlichkeit alles dafür zu tun, um die Bezahlung dieser Verbindlichkeit zu sichern.
II.
Das Berufungsgericht hat hinsichtlich der nach der Zahlung vom noch offenen Ansprüche gegen die Masse einen Anspruch aus § 61 InsO mit unzutreffender Begründung bejaht.
1. Allerdings geht das Berufungsgericht zu Recht ohne weiteres davon aus, daß § 61 InsO auch auf die Begründung von Neumasseverbindlichkeiten nach Anzeige der Masseunzulänglichkeit anzuwenden ist (Laws, MDR 2003, 787, 791). Insoweit gelten im vorliegenden Fall keine Besonderheiten gegenüber normalen Masseverbindlichkeiten.
2. Das Berufungsgericht hat ebenfalls zutreffend angenommen, daß - soweit die Forderungen nicht durch die Zahlung vom beglichen worden sind - eine Schadensersatzpflicht nach § 61 Satz 1 InsO nicht deshalb ausgeschlossen ist, weil noch Masseansprüche in einer die Klageforderung übersteigenden Höhe offenstehen. Die dagegen erhobenen Rügen der Revision greifen nicht durch. Ein Ausfallschaden im Sinne des § 61 InsO liegt jedenfalls dann vor, wenn der Insolvenzverwalter die Masseunzulänglichkeit angezeigt hat und keine ohne weiteres durchsetzbaren Ansprüche vorhanden sind, aus denen die Massegläubiger befriedigt werden könnten (, ZIP 2004, 1107, 1108, z.V.b. in BGHZ). Dies ist hier der Fall. Der Beklagte räumt selbst ein, daß eine freiwillige Erfüllung insbesondere der Ansprüche gegen die A. ausgeschlossen ist. Die Massegläubiger müssen sich nicht auf den Ausgang eines möglicherweise langwierigen Rechtsstreits über ungewisse Ansprüche vertrösten lassen ( aaO).
Auf die Überlegungen der Revision, wonach bei nur temporärer Masseunzulänglichkeit keine Einstandspflicht nach § 61 InsO bestehen soll, kommt es im vorliegenden Fall nicht an. Zeigt der Insolvenzverwalter die Masseunzulänglichkeit an, führt dies - worauf das Berufungsgericht zutreffend hingewiesen hat - zu mehr als einer bloßen zeitlichen Verzögerung der Zahlung. Der Massegläubiger kann seine Ansprüche dann nicht mehr selbst durchsetzen (vgl. BGHZ 154, 358, 360 und § 210 InsO). Er ist vielmehr darauf angewiesen, den weiteren Verlauf des Insolvenzverfahrens abzuwarten. Selbst wenn - wie die Revision zu bedenken gibt - der Insolvenzverwalter nicht für eine unrichtige Prognose über den Zeitpunkt des Zahlungseingangs haftet, ändert dies nichts daran, daß der Gläubiger mit Anzeige der Masseunzulänglichkeit regelmäßig einen Ausfallschaden erlitten hat.
3. Das Berufungsgericht hat jedoch unzutreffende Anforderungen an den nach § 61 Satz 2 InsO vom Beklagten zu erbringenden Entlastungsbeweis gestellt.
a) § 61 Satz 2 InsO schließt eine Haftung aus, wenn der Insolvenzverwalter bei der Begründung der Verbindlichkeit nicht erkennen konnte, daß die Masse voraussichtlich zur Erfüllung nicht ausreichen würde. Mithin kann sich der Verwalter auf zweierlei Art entlasten. Er hat zu beweisen, daß entweder objektiv von einer zur Erfüllung der Verbindlichkeit ausreichenden Masse auszugehen war oder er die Unzulänglichkeit nicht erkennen konnte (MünchKomm-InsO/Brandes, §§ 60, 61 Rn. 35; vgl. bereits Weber, Festschrift für Lent, S. 301, 318).
Der Verwalter kann den Beweis im allgemeinen nur führen, wenn er eine plausible Liquiditätsrechnung erstellt und diese bis zum Zeitpunkt der Begründung der Verbindlichkeit ständig überprüft und aktualisiert ( aaO S. 1111; Laws, aaO; Lüke, in: 50 Jahre Bundesgerichtshof, Festgabe aus der Wissenschaft Bd. III, S. 701, 711; MünchKomm-InsO/Brandes, §§ 60, 61 Rn. 37). § 61 InsO erhebt dies zur insolvenzspezifischen Pflicht des Verwalters. Grundlage ist eine Prognose aufgrund der aktuellen Liquiditätslage der Masse, der realistischen Einschätzung noch ausstehender offener Forderungen und der künftigen Geschäftsentwicklung für die Dauer der Fortführung (Kübler/Prütting/Lüke, InsO § 61 Rn. 7). Forderungen, bei denen ernsthafte, durch konkrete Umstände belegte Zweifel bestehen, daß sie in angemessener Zeit realisiert werden können, scheiden aus (MünchKomm-InsO/Brandes, aaO). Stellt der Verwalter keine präzisen Berechnungen an, über welche Einnahmen er verfügt und welche Ausgaben er zu tätigen hat, kann er sich nicht entlasten (Pape, Festschrift für Hans-Peter Kirchhof, S. 391, 398 f; Braun/Kind, InsO 2. Aufl. § 60 Rn. 15).
Der Verwalter muß mithin - wie das Berufungsgericht im Ausgangspunkt zutreffend annimmt - plausibel darlegen, auf welcher Basis er bei Begründung der jeweiligen Verbindlichkeit von einer positiven Prognose ausgegangen ist. In der Regel wird der Insolvenzverwalter dabei erläutern müssen, daß er sämtliche gegenwärtigen Verbindlichkeiten und Ansprüche der Masse in den Plan eingestellt hat, mit welchen zukünftigen Verbindlichkeiten und Ansprüchen der Masse er gerechnet hat und warum er von einem Zahlungseingang zu einem bestimmten Zeitpunkt ausgegangen ist. Der Insolvenzverwalter hat somit im Rahmen des ihm obliegenden Entlastungsbeweises die Liquiditätspläne im einzelnen zu erläutern.
b) Jedoch bezieht sich der von § 61 Satz 2 InsO verlangte Beweis lediglich auf die Erkenntnismöglichkeiten des Insolvenzverwalters im Zeitpunkt der Begründung der Ansprüche. Maßgebend ist grundsätzlich, wann der Rechtsgrund gelegt ist; der anspruchsbegründende Tatbestand muß materiell-rechtlich abgeschlossen sein. In der Regel - so auch hier - wird dies der Zeitpunkt des Vertragsschlusses sein ( aaO). Folglich kann sich der Verwalter entlasten, wenn er zum Zeitpunkt der Begründung der Masseverbindlichkeit einen - aus damaliger Sicht - auf zutreffenden Anknüpfungstatsachen beruhenden und sorgfaltsgemäß erstellten Liquiditätsplan vorweisen kann, der eine Erfüllung der fälligen Masseverbindlichkeit erwarten ließ. Wie zeitnah die Prognose erstellt oder aktualisiert werden muß, ist dabei eine Frage des Einzelfalls.
Erweist sich die Prognose im Nachhinein als falsch, darf dies nicht dazu führen, dem Verwalter die Darlegungs- und Beweislast für die Ursachen einer von der Prognose abweichenden Entwicklung aufzuerlegen. Der Verwalter hat insoweit allerdings darzulegen und gegebenenfalls zu beweisen, daß er eine bestimmte Entwicklung aus der Sicht ex ante nicht bedenken mußte oder anders einschätzen durfte. Ist diese Einschätzung des Verwalters aus der ex ante Perspektive zutreffend oder nicht vorwerfbar unrichtig, haftet er auch dann nicht, wenn sich die Ursachen für die Abweichungen von der Liquiditätsplanung später nicht aufklären lassen. Insbesondere ist unerheblich, warum einzelne Verbindlichkeiten bei Fälligkeit nicht bezahlt worden sind. Daher scheitert der dem Verwalter obliegende Beweis im vorliegenden Fall nicht schon daran, daß die A. sich erst nach Fälligkeit der Forderungen der Klägerin aus nicht näher festgestellten Gründen geweigert hat, die Restforderung zu bezahlen.
4. Anders als das Berufungsgericht meint, kommt bei § 61 InsO nur eine Haftung auf das negative Interesse in Betracht, wie der Senat in seinem zwischenzeitlich ergangenen Urteil vom (IX ZR 48/03, ZIP 2004, 1107, 1111 f) entschieden hat. Hierzu fehlen Feststellungen.
III.
Hinsichtlich der durch die Zahlung vom getilgten Ansprüche gegen die Masse hat das Berufungsgericht zu Unrecht eine Erledigung des Rechtsstreits festgestellt. Wie die Revision zutreffend rügt, hat das Berufungsgericht übersehen, daß die Erledigung durch Zahlung der Masse hier zu einem Zeitpunkt eingetreten ist, als der Insolvenzverwalter persönlich noch nicht Partei des Rechtsstreits war.
Der Mahnbescheid war an den Beklagten "als Insolvenzverwalter für S. GmbH" gerichtet. Als streitgegenständlichen Anspruch hat die Klägerin im Mahnbescheid Ansprüche aus Warenlieferungen gemäß anwaltlichem Schreiben vom geltend gemacht und weiterhin erklärt, der Anspruch hänge von einer Gegenleistung ab, die erbracht sei. Erst in der dem Beklagten am zugestellten Anspruchsbegründung hat sich die Klägerin auf § 61 InsO berufen und im Termin zur mündlichen Verhandlung "klargestellt", daß sich die Klage gegen den Beklagten persönlich richte. Darin liegt ein - zulässiger - Parteiwechsel. Jedoch sind seine Wirkungen frühestens mit Zustellung der Anspruchsbegründung am eingetreten. Zu diesem Zeitpunkt fehlte es im Hinblick auf die durch die Zahlung der Masse bereits erloschenen Forderungen an einem Ausfallschaden der Klägerin. Soweit die Klägerin daher die Feststellung begehrt, ihre Klage gegen den Insolvenzverwalter persönlich sei zum Zeitpunkt des erledigenden Ereignisses zulässig und begründet gewesen, ist die Klage unbegründet.
IV.
Das Berufungsurteil ist daher aufzuheben. Für das weitere Verfahren weist der Senat auf folgendes hin:
1. Das Berufungsgericht wird der Klägerin Gelegenheit geben müssen, ihren Schaden darzulegen. Hinsichtlich der Schadensberechnung ist vorrangig die Teilzahlung der Masse zu berücksichtigen.
a) Das Berufungsgericht wird aufzuklären haben, ob die Zahlung der Masse am mit einer (konkludenten) Tilgungsbestimmung durch den Schuldner verbunden war (§ 366 Abs. 1, § 367 Abs. 2 BGB). Fehlt es an einer Tilgungsbestimmung, so hat das Berufungsgericht die Zahlungen entsprechend der in § 366 Abs. 2, § 367 BGB bestimmten Tilgungsreihenfolge zu berücksichtigen. Soweit danach die Ansprüche aus den Lieferungen erfüllt sind, wird das Berufungsgericht die gegen den Beklagten gerichtete Feststellungsklage abweisen müssen (vgl. oben unter III.).
b) Die Klägerin hat sodann ihren Schaden hinsichtlich der noch offenen Forderungen nach den Grundsätzen des Senatsurteils vom (IX ZR 48/03, aaO) darzulegen. Dabei wird die Klägerin zu beachten haben, daß der Anspruch aus § 61 InsO nicht die Umsatzsteuer umfaßt. Denn die Ersatzzahlung beruht nicht auf einem Leistungsaustausch ( m.N., n.v.).
2. Gegebenenfalls wird das Berufungsgericht der Frage nachzugehen haben, ob die vom Beklagten ohne weitere Erläuterung zu den Akten gereichten Liquiditätspläne vom und für einen Entlastungsbeweis nach § 61 Satz 2 InsO ausreichen.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
BB 2005 S. 463 Nr. 9
GAAAC-00391
1Nachschlagewerk: ja; BGHZ: nein; BGHR: ja