Leitsatz
[1] Für Treuhänder, die ab in einem masselosen Verbraucherinsolvenzverfahren bestellt werden, ist die Beschränkung auf eine Mindestvergütung von 250 Euro verfassungswidrig (im Anschluß an ).
Gesetze: InsVV § 13 Abs. 1 Satz 3
Instanzenzug: LG Oldenburg vom AG Nordenham
Gründe
I.
Der Beschwerdeführer wurde mit Beschluß des Amtsgerichts - Insolvenzgerichts - vom zum Treuhänder in dem Verbraucherinsolvenzverfahren über das Vermögen des H. (im folgenden: Schuldner) bestellt. Dem Schuldner wurden die Kosten des Verfahrens bis zur Erteilung der Restschuldbefreiung gemäß § 4a InsO gestundet. In seinem Schlußbericht stellte der Beschwerdeführer fest, daß keine verteilungsfähige Masse vorhanden sei. Er beantragte, die aus der Staatskasse zu erstattende Vergütung auf 3.480 € brutto sowie die Auslagen auf 522 € brutto festzusetzen.
Zur Begründung machte der Beschwerdeführer geltend, die Regelvergütung des Treuhänders von "mindestens 250 Euro" gemäß § 13 Abs. 1 Satz 3 InsVV sei nicht annähernd kostendeckend. Die Auswertung von über 300 Klein- und Verbraucherinsolvenzverfahren in seinem Büro habe ergeben, daß die Bearbeitung eines durchschnittlichen, dem gesetzlichen Leitbild entsprechenden Verfahrens - das durch einen redlichen, mitwirkungswilligen Schuldner, geordnete Unterlagen und bis zu zwanzig Gläubiger gekennzeichnet werde - einen Zeitaufwand von mindestens 30 Stunden erfordere. Als Stundensatz seien 100 € angemessen. Nach der als normal einzustufenden Kostenstruktur seines Büros würden etwa 65 % der Einkünfte durch Kosten aufgezehrt. Nach Abzug seiner durchschnittlichen persönlichen Belastung seien nur noch 17,5 % als Einkommenszufluß anzusetzen.
Anstelle eines Einzelnachweises machte der Beschwerdeführer Pauschalauslagen gemäß § 8 Abs. 3 InsVV in Höhe von 15 % der gesetzlichen Vergütung geltend.
Das Insolvenzgericht hat dem Antrag mit Beschluß vom nur in Höhe von 290 € (Vergütung brutto) und weiteren 43,50 € (Auslagen brutto) stattgegeben. Es hat ausgeführt, die Insolvenzrechtliche Vergütungsverordnung (InsVV) vom lasse nur eine Vergütung von 250 € (netto) zu. Die hiergegen eingelegte sofortige Beschwerde hat das aus den für zutreffend erachteten Gründen des Insolvenzgerichts zurückgewiesen. Mit seiner Rechtsbeschwerde verfolgt der Beschwerdeführer sein Begehren weiter.
II.
Das Rechtsmittel ist statthaft (§ 574 Abs. 1 Nr. 1 ZPO, § 7 InsO) und zulässig (§ 574 Abs. 2 Nr. 1 ZPO); es hat indessen keinen Erfolg.
1. § 13 Abs. 1 Satz 3 Halbs. 1 InsVV, der bei massearmen Verbraucherinsolvenzverfahren eine Regelvergütung des Treuhänders von 250 € vorsieht, ist auf Treuhänder, die nach dem bestellt wurden, nicht mehr anzuwenden, weil die dargestellte Beschränkung der Vergütung ab diesem Zeitpunkt als verfassungswidrig anzusehen ist.
a) Wie der Senat in einem weiteren Beschluß vom heutigen Tage (IX ZB 96/03, z.V.b. in BGHZ) im einzelnen dargelegt hat, ist die in § 2 Abs. 2 InsVV für massearme Regelinsolvenzverfahren vorgesehene Gebühr von 500 € angesichts des durchschnittlichen Bearbeitungsaufwands eines Insolvenzverwalters bei weitem nicht mehr auskömmlich; sie stellt deshalb einen unverhältnismäßigen Eingriff in die Berufsfreiheit dar.
b) Für die in § 13 Abs. 1 Satz 3 Halbs. 1 InsVV vorgesehene, bei massearmen Verbraucherinsolvenzverfahren zum Tragen kommende Regelgebühr des Treuhänders von 250 € gilt Entsprechendes.
aa) Eine Vergütung von 250 € ist absolut gesehen bei weitem zu niedrig. Eine Umfrage im Bezirk des Amtsgerichts Hamburg hat ergeben, daß der durchschnittliche Kostenaufwand eines Treuhänders im Jahr 2002 dort 1.023,75 € betrug (AG Hamburg NZI 2003, 331; Frind ZInsO 2003, 639, 642 f). Aufschlußreich sind auch Zahlen, die im Bezirk des Amtsgerichts Braunschweig für das Jahr 2002 erhoben wurden. In diesem Zeitraum hat das dortige Amtsgericht auf etwa zwanzig Treuhänder hundert Verfahren mit einem nicht gedeckten Aufwand von insgesamt 150.000 € übertragen (Heyrath ZInsO 2003, 214, 215).
Was die Verteilung der Tätigkeiten, die der Treuhänder persönlich erledigen muß, und denjenigen, die er einem qualifizierten Mitarbeiter überlassen kann, und die Höhe der Stundensätze angeht, besteht kein wesentlicher Unterschied zwischen Regelinsolvenzverfahren und Verbraucherinsolvenzverfahren. In beiden Verfahrensarten dürften etwa ein Drittel des zeitlichen Aufwands auf den Verwalter/Treuhänder und zwei Drittel auf qualifizierte Mitarbeiter entfallen. Für den Verwalter hält der Senat einen Stundensatz von 95 € und für die qualifizierten Mitarbeiter ein solchen von 35 € für angemessen (vgl. den Beschluß vom heutigen Tage in der Sache IX ZB 96/03). Diese Sätze sind auf den Treuhänder und seine qualifizierten Mitarbeiter zu übertragen. Danach reicht eine Vergütung von 250 € gerade aus, um einen Zeitaufwand von 4,5 Stunden abzugelten. Mit einem solchen Zeitaufwand kann ein durchschnittliches Verbraucherinsolvenzverfahren nicht abgewickelt werden (vgl. Senatsbeschluß vom heutigen Tage IX ZB 96/03).
bb) Die Vergütung ist auch relativ - verglichen mit der Vergütung des Insolvenzverwalters im massearmen Regelverfahren - zu niedrig. In massearmen Verfahren gesteht der Verordnungsgeber dem Treuhänder mit 250 € nur die Hälfte der Vergütung zu, die er dem Insolvenzverwalter zubilligt (§ 2 Abs. 2 InsVV: 500 €). Zwar ist der von den Treuhändern in den Verbraucherinsolvenzverfahren zu leistende Aufwand möglicherweise etwas niedriger als derjenige der Insolvenzverwalter in den Regelinsolvenzverfahren, weil manches im Vorfeld durch die Schuldnerberatungsstellen aufbereitet worden ist. Eine Verringerung um die Hälfte findet jedoch nicht statt. Ein vorgeschaltetes gerichtliches Schuldenbereinigungsplanverfahren ist in der Praxis unüblich. Sofern pfändbares Einkommen oder Massegegenstände, die zur Verteilung in einem Schuldenbereinigungsplan geeignet sind, nicht zur Verfügung stehen, kommt nur ein "Nullplan" in Betracht. In solchen Fällen wird auf die Durchführung eines gerichtlichen Schuldenbereinigungsplanverfahrens verzichtet, weil es aussichtslos wäre. Praktisch wird somit jedes Verbraucherinsolvenzverfahren eröffnet, damit der Schuldner in den Genuß der Restschuldbefreiung kommt, die in solchen Fällen das eigentliche Verfahrensziel darstellt. Einige nehmen sogar an, daß der durchschnittliche Aufwand für ein Verbraucherinsolvenzverfahren, wenn es nicht im schriftlichen Verfahren bearbeitet wird, etwa gleich hoch zu veranschlagen sei wie für ein Regelinsolvenzverfahren (Heyrath aaO; Keller ZVI 2002, 393, 398).
cc) Auch für die in Verbraucherinsolvenzverfahren zum Einsatz kommenden Treuhänder kann der Gesichtspunkt der Mischfinanzierung - nicht gedeckte Kosten und Gewinnausfälle bei massearmen Verfahren werden durch lukrative massereiche Verfahren kompensiert - nur noch eingeschränkt Berücksichtigung finden, weil sich das Verhältnis massereicher und massearmer Verfahren grundlegend verändert hat. Die Veränderung ist im Bereich der Verbraucherinsolvenzverfahren sogar noch dramatischer als im Bereich der Regelinsolvenzverfahren. Nach Angaben des Statistischen Bundesamtes ist die Zahl der Verbraucherinsolvenzverfahren im Jahr 2002 um etwa 60 % gegenüber dem Vorjahr angestiegen (Statistisches Jahrbuch für die Bundesrepublik Deutschland 2002 S. 136). Im ersten Halbjahr 2003 war nochmals ein Anstieg um 70,4 % zu verzeichnen (Wellensiek NZI aktuell 2004 Heft 2, S. V). Massereiche Verbraucherinsolvenzverfahren sind nach Einführung der Möglichkeit einer Kostenstundung nach § 4a InsO seltene Ausnahmen.
dd) Die Insolvenzgerichte sind deshalb teilweise dazu übergegangen, den Treuhändern - mit unterschiedlichen Begründungen - höhere Vergütungen zuzuerkennen (vgl. AG Hamburg NZI 2003, 331; AG Göttingen NZI 2003, 506, 507; ZVI 2003, 373; ablehnend LG Bremen ZVI 2002, 387; LG Bielefeld ZVI 2003, 488 f). Auch im Schrifttum wird dieses Anliegen für berechtigt gehalten (vgl. Haarmeyer/Wutzke/Förster, InsVV 3. Aufl. § 13 Rn. 12; Keller aaO).
ee) § 13 Abs. 1 Satz 3 Halbs. 1 InsVV ist wegen seines eindeutigen Regelungsgehalts einer verfassungskonformen Anpassung durch Anhebung des vorgesehenen Mindestbetrages nicht zugänglich. Der Weg über Zuschläge nach § 3 InsVV (dafür Keller aaO) ist durch § 13 Abs. 2 InsVV versperrt; auch wäre der regelmäßige Aufwand gerade nicht als ein besonderer, einen Zuschlag rechtfertigender Umstand anzusehen. Der Verordnungsgeber wird nunmehr eine verfassungsgemäße Neuregelung zu finden haben. Wenn er dem bis zum nicht nachkommt, werden die Gerichte eine angemessene Mindestvergütung festzulegen haben.
2. Auf Treuhänder, die - wie der Beschwerdeführer - vor dem bestellt wurden, bleibt die Vorschrift jedoch anwendbar. Ebenso wie § 2 Abs. 2 (vgl. hierzu Senatsbeschluß vom heutigem Tage in der Sache IX ZB 96/03) ist auch § 13 Abs. 1 Satz 3 Halbs. 1 InsVV nicht als von Anfang an verfassungswidrig anzusehen. Dem Verordnungsgeber stand bei der Festlegung eines angemessenen Mindestvergütungssatzes ein Prognosespielraum zu, und es ist nicht ersichtlich, daß ihm eine von Anfang an untragbare Fehleinschätzung vorzuwerfen ist. Der dem Verordnungsgeber für die Überprüfung und Anpassung der Vergütungsvorschrift zuzubilligende Zeitraum ist erst mit Ablauf des Jahres 2003 verstrichen.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
BB 2004 S. 629 Nr. 12
NAAAB-99973
1Nachschlagewerk: ja; BGHZ: nein; BGHR: nein