Leitsatz
[1] § 545 Abs. 2 ZPO erweitert die Prüfungsbefugnis des Revisionsgerichts hinsichtlich der (örtlichen und sachlichen) Zuständigkeit trotz seines insoweit mißverständlichen Wortlauts gegenüber der früheren Rechtslage (§ 549 Abs. 2 ZPO a.F.) nicht.
Gesetze: ZPO § 545 Abs. 2
Instanzenzug: OLG Düsseldorf LG Düsseldorf
Gründe
I.
Die Klägerin, Trägerin einer Kieferklinik in Düsseldorf, macht vor dem Landgericht Düsseldorf Honoraransprüche wegen ambulanter zahnprothetischer Behandlung gegen den in Duisburg wohnhaften Beklagten geltend. Das Landgericht hat seine örtliche Zuständigkeit verneint und die Klage als unzulässig abgewiesen. Auf die Berufung der Klägerin hat das Berufungsgericht das angefochtene Urteil aufgehoben und die Sache an das Landgericht Düsseldorf zurückverwiesen, weil es dessen örtliche Zuständigkeit für gegeben hält. Da die Rechtsprechung zur Frage uneinheitlich ist, ob bei einem Arzt- oder Krankenhausvertrag der Schwerpunkt des Vertrags am Sitz des Behandlers liegt mit der Folge, daß dort die beiderseitigen Leistungspflichten zu erfüllen sind (§ 29 ZPO), hat das Berufungsgericht die Revision zugelassen. Der Beklagte begehrt Prozeßkostenhilfe für die von ihm eingelegte Revision.
II.
Die beabsichtigte Rechtsverfolgung hat in aller Regel bereits dann hinreichende Aussicht auf Erfolg (§ 114 ZPO), wenn die Entscheidung von der Beantwortung schwieriger Rechts- oder Tatfragen abhängt. Denn die Prüfung der Erfolgsaussicht darf nicht dazu dienen, die Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung in das Nebenverfahren der Prozeßkostenhilfe vorzuverlagern und dieses an die Stelle des Hauptsacheverfahrens treten zu lassen (vgl. Senatsbeschluß vom - III ZB 33/02 - NJW 2003, 1192). Der Senat bewilligt dem Beklagten Prozeßkostenhilfe, weil gemessen an diesen Grundsätzen im Hauptsacheverfahren zu entscheiden ist, ob dem Revisionsgericht nach § 545 Abs. 2 ZPO die Überprüfung der örtlichen Zuständigkeit überhaupt offensteht.
Ungeachtet dessen nimmt der Senat im Hinblick auf die vom Beklagten mit Schriftsatz vom geäußerte Bitte um Erteilung eines Hinweises zu dieser Rechtsfrage wie folgt Stellung:
Wäre für die rechtliche Beurteilung § 549 Abs. 2 ZPO a.F. heranzuziehen, ginge die Zulassung des Berufungsgerichts ins Leere. Denn nach dieser Vorschrift prüfte das Revisionsgericht nicht, ob das Gericht des ersten Rechtszuges sachlich oder örtlich zuständig war. Die Vorschrift sprach also - anders als § 545 Abs. 2 n.F. - nicht davon, worauf sich ein Revisionskläger stützen konnte, sondern sie regelte die Prüfungsbefugnis des Revisionsgerichts. Darüber hinaus knüpfte sie nicht daran an, wie die erste Instanz entschieden hatte, sondern hatte nur die Zuständigkeit selbst im Auge. Dies hatte zur Folge, daß eine angefochtene Entscheidung des Berufungsgerichts in dieser Frage einer Überprüfung nicht zugänglich war, unabhängig davon, ob sie die erstinstanzliche Entscheidung bestätigte oder sie abänderte (vgl. Stein/Jonas/Grunsky, ZPO, 21. Aufl., §§ 549, 550 Rn. 53; wohl auch MünchKomm/Wenzel, ZPO, 2. Aufl. 2000, § 549 Rn. 15). Der Bundesgerichtshof hat zu diesem Rechtszustand entschieden, daß eine zugelassene Revision in einem Rechtsstreit mit einem Wert der Beschwer unter 40.000 DM, bei dem es nur um die Frage der örtlichen Zuständigkeit geht, zwar statthaft, aber unbegründet sei (Urteile vom - I ZR 6/79 - MDR 1980, 203; vom - I ZR 27/87 - NJW 1988, 3267, 3268; bestätigt durch Urteil vom - I ZR 189/98 - GRUR 2001, 368) bzw. daß ein auf diese Frage beschränktes Rechtsmittel unzulässig sei (vgl. Senatsurteil vom - III ZR 300/99 - NJW 2000, 2822 f; Urteil vom - II ZR 336/96 - NJW 1998, 1230).
Durch das Gesetz zur Reform des Zivilprozesses (ZPO-RG) vom (BGBl. I S. 1887) ist § 545 Abs. 2 ZPO an die Stelle von § 549 Abs. 2 ZPO a.F.getreten. In der amtlichen Begründung zu dieser Vorschrift heißt es (BT-Drucks. 14/4722 S. 106):
"Absatz 2 übernimmt die Regelungen in den bisherigen §§ 10, 549 Abs. 2 und bestimmt - entsprechend dem neu gefaßten § 513 Abs. 2 E (bisher: § 512a) - darüber hinaus, daß die Revision nicht darauf gestützt werden kann, das erstinstanzliche Gericht habe seine Zuständigkeit zu Unrecht angenommen oder verneint. Damit werden künftig Rechtsmittelstreitigkeiten, die allein auf die Frage der Zuständigkeit des Gerichts gestützt werden, vermieden. Dies dient der Verfahrensbeschleunigung und der Entlastung des Revisionsgerichts. Die Neuregelung vermeidet zugleich, daß die von den Vorinstanzen geleistete Sacharbeit wegen fehlender Zuständigkeit hinfällig wird."
Vor diesem Hintergrund geht die Neufassung insofern weiter, als sie ohne jede Differenzierung von "Zuständigkeit" spricht, also auch die funktionelle Zuständigkeit einschließt, die von der Regelung des § 549 Abs. 2 ZPO a.F. nicht erfaßt war. Da die Gesetzesbegründung darüber hinaus eine Verfahrensbeschleunigung und eine Entlastung des Revisionsgerichts im Auge hat, hält es der Senat nicht für denkbar, daß der Gesetzgeber die Überprüfungsmöglichkeiten des Revisionsgerichts gegenüber dem Rechtszustand in § 549 Abs. 2 ZPO a.F. erweitern wollte. Wenn daher auch zuzugeben ist, daß dem Gesetzgeber die Umsetzung dieser Regelungsabsicht sprachlich nicht überzeugend geglückt ist - nach dem Wortlaut der Vorschrift könnte man annehmen, das Revisionsgericht sei zu einer Überprüfung befugt, weil die Revision nicht darauf gestützt werde, daß das Gericht des ersten Rechtszuges seine Zuständigkeit zu Unrecht (angenommen oder) verneint habe (in diesem Sinn etwa MünchKomm/Wenzel, ZPO-Reform, § 545 Rn. 15; Musielak/Ball, 3. Aufl. 2002, § 545 Rn. 12; a.A. wohl Zöller/Gummer, ZPO, 23. Aufl. 2002, § 545 Rn. 16); tatsächlich greift der Beklagte nämlich die gegenteilige Entscheidung des Berufungsgerichts an -, sind die Hinweise auf eine Entlastung des Revisionsgerichts und die geleistete Sacharbeit der Vorinstanzen, die durch Zuständigkeitsrügen nicht in Frage gestellt werden soll, so eindeutig, daß der Senat eine revisionsrechtliche Überprüfung nicht für möglich hält. Dies wird für den Fall, daß das Berufungsgericht die fehlerhafte Entscheidung der Vorinstanz bestätigt, ganz allgemein angenommen, obwohl auch in diesem Fall der Revisionskläger seine Revision nicht darauf stützen muß, die erste Instanz habe ihre Zuständigkeit zu Unrecht verneint (vgl. MünchKomm/Wenzel, ZPO-Reform, § 545 Rn. 15; Musielak/Ball, 3. Aufl. 2002, § 545 Rn. 12). Der Senat sieht keine von der Sache her gebotenen Gründe, die hier vorliegende Konstellation anders zu beurteilen. Das alleinige Abstellen auf den Wortlaut der Vorschrift würde außer acht lassen, daß es im Revisionsverfahren in aller Regel um die Überprüfung einer Berufungsentscheidung geht und daß § 545 Abs. 2 ZPO keine Spezialregelung ist, die nur für die Sprungrevision Bedeutung hätte.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
NAAAB-98868
1Nachschlagewerk: ja; BGHZ: nein; BGHR: ja