Leitsatz
[1] § 661a BGB ist nicht verfassungswidrig.
Gesetze: BGB § 661a; GG Art. 2 Abs. 1; GG Art. 12 Abs. 1; GG Art. 20 Abs. 3; GG Art. 103 Abs. 2; GG Art. 103 Abs. 3
Instanzenzug: OLG Celle vom AG Burgdorf
Tatbestand
Die Beklagte ist eine in den Niederlanden ansässige Versandhandelsgesellschaft. Sie übersandte im September 2001 dem in der Bundesrepublik Deutschland wohnhaften Kläger ein Schreiben, in dem es unter anderem hieß:
"Lieber Herr A. [= Kläger],
über 3 große Ereignisse kann ich Ihnen als Kunde unseres 'Spezialitäten'-Programms berichten:
1. Es hat am eine Ziehung stattgefunden.
2. Es war Ihr Name, sehr geehrter Herr A. , den mir der Justiziar nannte.
3. Es war einer der höchsten Geldbeträge, der Ihnen zugeteilt wurde.
...
Also, beginnen wir mit Punkt Eins. Die Ziehung war wie gesagt am , 10:30 Uhr ... es ging um die Gesamt-Gewinnsumme von 33.000,00 DM ... in bar! ... 5 Hauptgewinne standen zur Vergabe bereit ...
Der Justiziar erhob sich, um die Gewinner namentlich zu nennen ...
Ja, und nun ist es tatsächlich wahr, daß Sie selbst darüber nachdenken können, welchen Herzenswunsch Sie sich erfüllen möchten. Denn Ihr Name ist dabei! ...
Dann kam der Höhepunkt der Ziehung:
Die Geldbeträge wurden den genannten Gewinnern zugeteilt. Und als wiederum Ihr Name genannt wurde, konnte ich die Spannung und die Vorfreude kaum noch aushalten ...
Es sind 9.000 DM! Ja, 9.000,00 DM in bar, die Ihnen und Ihrer Ziehungs-Nummer eindeutig zugeteilt wurden! ...
Meine dringende Bitte:
Schicken Sie jetzt Ihren Einlöse-Scheck und Ihre Spezialitäten-Test-Anforderung ein, damit wir die Gewinn-Auszahlung vollziehen können!"
Dem Schreiben der Beklagten war ein von "Herr S. H. , Justiziar" unterzeichnetes "Gewinn-Ziehungs-Protokoll" beigefügt, das den Kläger als "Gewinn-Empfänger" eines "Gewinn-Betrag(es): 9.000,00 DM" auswies.
Entsprechend der im Schreiben der Beklagten gegebenen Anleitung sandte der Kläger den "Einlöse-Scheck" und die "Spezialitäten-Test-Anforderung" mit einer Warenbestellung über 78,68 DM zurück. Die Beklagte zahlte den angeblichen Gewinn nicht.
Der Kläger macht geltend, die Beklagte schulde ihm aufgrund einer Gewinnzusage (§ 661a BGB) 4.601,63 € (= 9.000 DM) nebst Zinsen. Die Beklagte hat gerügt, die angerufenen deutschen Gerichte seien nicht international zuständig. Im übrigen sei § 661a BGB verfassungswidrig.
Amtsgericht und Berufungsgericht haben der Klage stattgegeben. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte weiterhin ihren Antrag, die Klage abzuweisen.
Gründe
Die Revision ist unbegründet.
I.
Das Berufungsgericht hat die deutschen Gerichte für international zuständig erachtet. Die in den Niederlanden ansässige Beklagte könne vor einem deutschen Gericht verklagt werden, weil in der Bundesrepublik Deutschland sowohl die internationale Zuständigkeit für Verbrauchersachen (Art. 13, 14 des Übereinkommens über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen vom , BGBl. 1972 II S. 774, im folgenden EuGVÜ) als auch der unerlaubten Handlung (Art. 5 Nr. 3 EuGVÜ) begründet sei. § 661a BGB verstoße nicht gegen das Verbot der Doppelbestrafung (Art. 103 Abs. 3 GG), weil es sich bei dieser Vorschrift nicht um ein allgemeines Strafgesetz handele. Die Regelung sei auch nicht wegen aus dem Rechtsstaats-, insbesondere aus dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz herzuleitender Beschränkungen von Doppelsanktionen verfassungswidrig.
II.
Das Berufungsurteil hält der rechtlichen Prüfung stand.
1. Die Klage ist zulässig. Die deutschen Gerichte sind international zuständig. Die Revision bringt insoweit keine Rüge vor; die auch unter der Geltung des § 545 Abs. 2 ZPO n.F. von Amts wegen gebotene Prüfung der internationalen Zuständigkeit ergibt keine Bedenken (vgl. <Rudolf Gabriel> - EuGHE 2002 I 6367 Rn. 53 ff = NJW 2002, 2697, 2698 f; Senatsurteil vom - III ZR 102/02 - NJW 2003, 426 ff, vorgesehen zum Abdruck in BGHZ; weiter zur Amtsprüfung: - WM 2003, 1542, 1543; Urteil vom - V ZR 414/02 - NJW 2003, 2830).
2. Die Klage ist begründet. Der Kläger kann von der Beklagten Zahlung von 4.601,63 € nebst Zinsen verlangen. Anspruchsgrundlage ist § 661a BGB.
a) Der Streitfall ist nach dem deutschen Bürgerlichen Gesetzbuch zu entscheiden. Die Parteien haben jedenfalls im Prozeß deutsches Recht gewählt, indem sie ihrem Vortrag übereinstimmend deutsches Recht zugrunde gelegt haben.
b) Gemäß § 661a BGB hat ein Unternehmer, der Gewinnzusagen oder vergleichbare Mitteilungen an Verbraucher sendet und durch die Gestaltung dieser Zusendungen den Eindruck erweckt, daß der Verbraucher einen Preis gewonnen hat, dem Verbraucher diesen Preis zu leisten. Nach den nicht mit einer Verfahrensrüge angegriffenen Feststellungen des Berufungsgerichts hat die Beklagte dem Kläger eine solche Gewinnzusage über 9.000 DM (= 4.601,63 €) zugesandt.
c) § 661a BGB ist nicht verfassungswidrig; es besteht kein Anlaß, gemäß Art. 100 Abs. 1 Satz 1 GG die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts einzuholen.
Die Revision macht unter Bezugnahme auf Schneider (BB 2002, 1653 ff) geltend, § 661a BGB greife unverhältnismäßig in die Grundrechte des betroffenen Unternehmers aus Art. 2 Abs. 1, 12 GG ein. Die Vorschrift verstoße gegen das Schuldprinzip (Art. 1 Abs. 1, 2 Abs. 1, 20 Abs. 3 GG) sowie gegen das Verbot der Doppelbestrafung (Art. 103 Abs. 3 GG). Sie genüge nicht dem Bestimmtheitsgebot des Art. 103 Abs. 2 GG. Dieser Auffassung ist indes nicht zu folgen.
aa) § 661a BGB verstößt nicht gegen den im Rechtsstaatsprinzip begründeten Grundsatz, daß jede Strafe - nicht nur die Strafe für kriminelles Unrecht, sondern auch die strafähnliche Sanktion für sonstiges Unrecht - Schuld voraussetzt ("nulla poena sine culpa", z.B. BVerfGE 20, 323, 331, st. Rspr.; Jarass/Pieroth, GG 6. Aufl. 2002 Art. 20 Rn. 99 m.w.N.); er verletzt den betroffenen Unternehmer nicht in seinen Grundrechten aus Art. 2 Abs. 1, 12 Abs. 1 GG.
§ 661a BGB ordnet nicht eine Strafe an, d.h. eine Kriminalstrafe oder eine andere staatliche Maßnahme, die eine mißbilligende hoheitliche Reaktion auf ein schuldhaftes Verhalten enthält und ein "Übel" wegen eines rechtswidrigen Verhaltens verhängt (vgl. st. Rspr. des Bundesverfassungsgerichts zum Begriff der "Strafbarkeit" i.S. des Art. 103 Abs. 2 GG, z.B. BVerfGE 42, 261, 262 f; Schmidt-Aßmann in Maunz/Dürig, GG <Stand Februar 2003> Art. 103 Rn. 195; Jarass/Pieroth aaO Art. 103 Rn. 41). Die Vorschrift kann auch nicht zivilprozessualen Maßnahmen mit pönalem Charakter wie der Verhängung von Ordnungsgeld zur Erzwingung von Unterlassungen und Duldungen (§ 890 Abs. 1 ZPO) gleichgesetzt werden (anders wohl Schneider aaO S. 1657). § 661a BGB handelt von Ansprüchen zwischen Privaten (vgl. Schneider aaO S. 1656).
Mit der Einführung des § 661a BGB wollte der Gesetzgeber einer verbreiteten und wettbewerbsrechtlich unzulässigen Praxis entgegenwirken, daß Unternehmer Verbrauchern Mitteilungen über angebliche Gewinne übersenden, um sie zur Bestellung von Waren zu veranlassen, die Gewinne auf Nachfrage aber nicht aushändigen (vgl. Senatsurteil aaO S. 428). Nach Auffassung des Gesetzgebers hatten die Vorschriften des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb die unzulässigen Gewinnspiele nicht zurückgedrängt. Es erschien deshalb erforderlich, diese Vorschriften durch zivilrechtliche Ansprüche zu unterlegen; der Unternehmer sollte beim Wort genommen werden, um den Mißbrauch abzustellen (vgl. Beschlußempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses <6. Ausschuß> BT-Drucks. 14/3195 S. 33 f; Begründung der Bundesregierung zu dem Entwurf eines Gesetzes über Fernabsatzverträge und andere Fragen des Verbraucherrechts sowie zur Umstellung von Vorschriften auf Euro BT-Drucks. 14/2658 S. 48 f, Gegenäußerung der Bundesregierung zu der Stellungnahme des Bundesrates BT-Drucks. 14/2920 S. 15; Schmidt-Räntsch VuR 2000, 427, 434). Der durch § 661a BGB begründete Anspruch des Verbrauchers gegen den Unternehmer auf Leistung des Preises wird dementsprechend allgemein als zivilrechtlicher Anspruch aufgefaßt; streitig ist allein dessen Einordnung innerhalb des Zivilrechts (für vertragliche, rechtsgeschäftliche oder geschäftsähnliche Einordnung der Gewinnzusage: Piekenbrock/Schulze IPRax 2003, 328, 332; Lorenz aaO S. 3308 <Rechtsscheinhaftung>, ders. IPRax 2002, 192, 193; Pfeiffer LMK 2003, 79, 80; Ring, Fernabsatzgesetz 2000 § 661a BGB Rn. 172; wohl auch Feuchtmeyer NJW 2002, 3598, 3599; ähnlich Mankowski EWiR 2002, 873, 874; vgl. auch Kotzian-Marggraf in Bamberger/Roth, BGB 2003 § 661 Rn. 1; Mansel in Jauernig, BGB 10. Aufl. 2003 § 661a Rn. 1 f und 4; MünchKommBGB/Micklitz 4. Aufl. 2001 § 13 Rn. 47 <Fiktion eines einseitigen Rechtsgeschäfts>; für deliktische, deliktsähnliche oder wettbewerbsrechtliche Qualifikation: Fetsch RIW 2002, 936, 938, 942; Leible IPRax 2003, 28, 30 f; ders. NJW 2003, 407, 408; Rauscher/Schülke EuLF 2000/2001, 334, 337; Simons EuLF 2003, 41, 43 f; Schmidt-Räntsch aaO; Staudinger JZ 2003, 852, 856; wohl auch Schneider aaO S. 1656).
§ 661a BGB kann schließlich nicht - wie von Teilen des Schrifttums (Schneider aaO S. 1656; Fetsch aaO S. 938; Leible IPRax 2003, 31; Rauscher/Schülke aaO S. 337; Simons aaO S. 43 f) erwogen - in die Nähe eines zivilrechtlichen Strafschadensersatzes nach Art der "punitive damages" des US-amerikanischen Rechts (vgl. BGHZ 118, 312, 334 ff) gerückt und deshalb als Regelung einer Strafe oder strafähnlichen Sanktion angesehen werden.
Der US-amerikanische Strafschadensersatz wird durch die Momente der Bestrafung und Abschreckung geprägt. Maßgebliche Voraussetzung ist allein der gesteigerte Schuldvorwurf. Das Fehlen eines Rechtsanspruchs des Geschädigten zeigt das untergeordnete Gewicht seiner Interessen. Die "punitive damages" werden - nach dem freien Ermessen des Gerichts - wesentlich nach dem Interesse der Allgemeinheit verhängt (vgl. BGHZ aaO S. 335 f, 343 f). Demgegenüber knüpft § 661a BGB an die - als einseitiges Rechtsgeschäft oder geschäftsähnliche Handlung zu beurteilende (vgl. Senatsurteil aaO S. 427) - Gewinnzusage oder vergleichbare Mitteilung an, nimmt den Unternehmer beim "lauten Wort" (Mankowski aaO S. 874). Die Vorschrift gibt dem Verbraucher nicht einen Schadensersatzanspruch, sondern einen Erfüllungsanspruch auf den Preis. Dieser Anspruch ist der Art und der Höhe nach durch die (vermeintliche) Gewinnzusage des Unternehmers bestimmt.
Handelt es sich bei dem Leistungsanspruch nach § 661a BGB aber nicht um eine Strafe oder eine sonstige strafähnliche hoheitliche Maßnahme, besteht - wie bei anderen zivilrechtlichen Ansprüchen - von Verfassungs wegen kein Grund für die Anwendung des Schuldprinzips.
bb) Die von der Revision gerügte Verletzung des dem Art. 103 Abs. 2 GG zu entnehmenden Bestimmtheitsgrundsatzes ist zu verneinen. Dieser Grundsatz greift nicht ein, wenn wie im Streitfall zivilrechtliche Verpflichtungen in Rede stehen (vgl. BVerfGE 34, 269, 293; 84, 82, 89 [zivilgerichtliches Verfahren]; Jarass/Pieroth aaO Rn. 41; Nolte in v. Mangoldt/Klein/Starck, GG 4. Aufl. 2001 Art. 103 Rn. 109; Schmidt-Aßmann aaO Rn. 195; Rüping in Bonner Kommentar GG <Zweitbearbeitung 1990> Art. 103 Rn. 85).
cc) Ebensowenig verstößt § 661a BGB gegen das Verbot der doppelten Bestrafung aufgrund der "allgemeinen Strafgesetze" (Art. 103 Abs. 3 GG). Der an ein einseitiges Rechtsgeschäft oder eine geschäftsähnliche Handlung knüpfende Erfüllungsanspruch nach § 661a BGB kann zu diesen Gesetzen nicht gezählt werden.
dd) Der von der Revision herangezogene Grundsatz der angemessenen, verhältnismäßigen Bestrafung ist nicht anwendbar, weil wie ausgeführt § 661a BGB nicht eine Strafe, sondern einen zivilrechtlichen Anspruch regelt. Für diesen Anspruch gelten allerdings die Generalklauseln des Bürgerlichen Gesetzbuchs (§§ 242, 826 BGB). Der vorliegende Fall bietet jedoch keinen Anhalt für die Möglichkeit eines Rechtsmißbrauchs (vgl. Fetsch aaO S. 941). Es geht um eine Forderung auf Zahlung von rund 4.600 € gegen ein grenzüberschreitend tätiges Versandhandelsunternehmen. Das Berufungsgericht hat nicht festgestellt, daß die Beklagte auch von anderen Verbrauchern in Anspruch genommen wird; das wird von der Revision nicht bekämpft. Im Hinblick auf die Zielsetzung des § 661a BGB, unlautere Gewinnspiele wirksam zu unterbinden, würde im übrigen die Inanspruchnahme des Unternehmers durch mehrere Verbraucher einen Mißbrauch noch nicht begründen können. Das Berufungsgericht hat zu Recht ausgeführt, daß der Unternehmer das Risiko, aufgrund versandter Gewinnzusagen den Preis leisten zu müssen, selbst steuern kann.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
BB 2003 S. 2532 Nr. 48
DB 2003 S. 2592 Nr. 48
SAAAB-98353
1Nachschlagewerk: ja; BGHZ: nein; BGHR: ja