BGH Beschluss v. - III ZB 56/05

Leitsatz

[1] Zur Frage, wann das Handeln eines nicht postulationsfähigen Rechtsanwalts als amtlich bestellter Vertreter für einen postulationsfähigen Rechtsanwalt hinreichend deutlich erkennbar ist (Abgrenzung zu = NJW 1999, 365 = BGHR ZPO § 78 Abs. 1 Vertreter, amtlicher 4).

Gesetze: ZPO § 78 Abs. 1 Satz 2; BRAO § 53

Instanzenzug: OLG Frankfurt am Main vom LG Frankfurt am Main

Gründe

I.

Die in M. wohnhafte Klägerin erhob, vertreten durch die dortige Rechtsanwaltssozietät Dr. H. , E. und Kollegen, die aus den Rechtsanwälten Dr. H. , E. , F. , D. , S. und Dr. S. bestand, vor dem Landgericht F. gegen die Beklagte, ein Telekommunikationsdienstleistungsunternehmen, Klage auf Schadensersatz wegen Ausfalls einer Telefonleitung. Sachbearbeitender Anwalt war Rechtsanwalt S. , der auch die Klageschrift verfaßt und unterzeichnet hatte. Die Klage wurde durch Urteil des Landgerichts F. vom , der Klägerin zugestellt am , abgewiesen. Mit Schriftsatz der Anwaltssozietät Dr. H. , E. und Kollegen vom , beim Berufungsgericht eingegangen am , legte die Klägerin Berufung ein. Die Berufungsschrift war wiederum von Rechtsanwalt S. unterzeichnet, der nicht bei einem Oberlandesgericht zugelassen ist. Zumindest ein weiteres Mitglied der Sozietät, Rechtsanwalt F. , besaß jedoch die Zulassung bei einem Oberlandesgericht; Rechtsanwalt S. war, wie die Klägerin vorträgt, zum allgemeinen Vertreter von Rechtsanwalt F. bestellt worden. Nachdem die Berufungsbegründungsfrist bis zum verlängert worden war, begründete Rechtsanwalt S. die Berufung mit einem am eingegangenen Schriftsatz, der drucktechnisch ebenso gestaltet war wie die Berufungsschrift selbst.

Durch den angefochtenen Beschluß hat das Berufungsgericht die Berufung als unzulässig verworfen, da innerhalb der Berufungsfrist und der Berufungsbegründungsfrist weder eine der gesetzlichen Form entsprechende Berufungsschrift noch eine dieser Form entsprechende Berufungsbegründungsschrift bei Gericht eingegangen sei. Sowohl die Berufungsschrift (§ 519 ZPO) als auch die Berufungsbegründungsschrift (§ 520 ZPO) müsse von einem beim Oberlandesgericht zugelassenen Rechtsanwalt unterzeichnet sein (§ 78 Abs. 1 Satz 2 ZPO). Im vorliegenden Fall seien die Berufungsschrift und die Berufungsbegründungsschrift von dem bei keinem Oberlandesgericht zugelassenen Rechtsanwalt S. unterzeichnet, und zwar jeweils ohne einen Zusatz dahingehend, daß dieser in Vertretung einer anderen Person (hier: des postulationsfähigen Rechtsanwalts F. ) gehandelt habe.

Hiergegen richtet sich die vom Berufungsgericht zugelassene Rechtsbeschwerde der Klägerin.

II.

1. Die Rechtsbeschwerde ist von Gesetzes wegen statthaft (§ 522 Abs. 1 Satz 4 i.V.m. § 574 Abs. 1 Nr. 1 ZPO). Sie ist auch im übrigen zulässig. Zwar bindet die Zulassung einer kraft Gesetzes statthaften Rechtsbeschwerde durch das Berufungsgericht das Rechtsbeschwerdegericht nicht ( = BGHR ZPO § 574 Abs. 1 Rechtsbeschwerde, statthafte 1). Der Senat bejaht jedoch aufgrund eigener Sachprüfung den Zulassungsgrund der Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 ZPO).

2. Die Rechtsbeschwerde ist auch begründet.

a) Zutreffend ist der rechtliche Ausgangspunkt des Berufungsgerichts, daß die Parteien sich vor den Oberlandesgerichten durch einen bei einem Oberlandesgericht zugelassenen Rechtsanwalt vertreten lassen müssen (§ 78 Abs. 1 Satz 2 ZPO). Die Berufung ist im vorliegenden Fall daher nur dann frist- und formgerecht eingelegt und begründet worden, wenn Rechtsanwalt S. den Einlegungs- und den Begründungsschriftsatz nicht im eigenen Namen, sondern als amtlich bestellter Vertreter für Rechtsanwalt F. unterschrieben hat. Um darüber keinerlei Mißverständnisse aufkommen zu lassen, wäre es zwar zweckmäßig gewesen, wenn Rechtsanwalt S. sich in jenen Schriftsätzen ausdrücklich als "allgemeiner Vertreter" oder "amtlich bestellter Vertreter" bezeichnet hätte; notwendig für die Wirksamkeit der Prozeßhandlung ist ein solcher Zusatz aber nicht ( = BGHR ZPO § 78 Abs. 1 Vertreter, amtlicher 2 m.zahlr.w.N.). Es reicht aus, wenn das Handeln als Vertreter sich aus den Umständen ergibt (BGH aaO).

b) Diese Grundsätze verkennt vom rechtlichen Ansatz her auch das Berufungsgericht nicht. Entgegen der von dem Berufungsgericht weiter vertretenen Auffassung ist jedoch hier nach den Umständen davon auszugehen, daß Rechtsanwalt S. nicht im eigenen Namen, sondern in seiner Eigenschaft als amtlich bestellter Vertreter für Rechtsanwalt F. gehandelt hat.

aa) Sowohl die Berufungsschrift als auch die Berufungsbegründungsschrift trugen die Briefköpfe der gesamten Anwaltssozietät. Die Verwendung des Plurals ("legen wir namens und in Vollmacht unserer Mandantin Berufung ein"; "begründen wir namens der Klägerin und Berufungsklägerin die ... Berufung") läßt zwanglos die Deutung zu, daß nach außen hin diejenigen Mitglieder der Sozietät handeln wollten, die beim Berufungsgericht postulationsfähig waren. Daraus ergab sich weiter der Rückschluß, daß Rechtsanwalt S. insoweit kraft der ihm zustehenden Vertretungsmacht für dasjenige Mitglied der Sozietät handeln wollte, das rechtlich in der Lage war, aufgrund der ihm zustehenden Postulationsfähigkeit die betreffenden Prozeßhandlungen vor dem Oberlandesgericht wirksam vorzunehmen. Eine andere Deutung würde Rechtsanwalt S. den Willen zu einer eindeutig unzulässigen Prozeßhandlung unterstellen und damit gegen den Auslegungsgrundsatz verstoßen, daß im Zweifel dasjenige gewollt ist, was nach den Maßstäben der Rechtsordnung vernünftig ist und der recht verstandenen Interessenlage entspricht (BGH aaO; ebenso = BGHR ZPO § 78 Abs. 1 Vertreter, amtlicher 3).

bb) Etwas anderes läßt sich auch nicht aus dem Beschluß des VII. Zivilsenats des = BGHR ZPO § 78 Abs. 1 Vertreter, amtlicher 4 = NJW 1999, 365) entnehmen, auf den sich das Berufungsgericht vornehmlich stützt. Der dort in Rede stehende Beschwerdeschriftsatz hatte den Briefkopf des (nicht postulationsfähigen) Rechtsanwalts enthalten, hatte diesen als Prozeßbevollmächtigten der dortigen Beklagten bezeichnet und war auch von ihm unterschrieben worden. Im Gegensatz zu dem vorliegenden Fall war der tatsächlich postulationsfähige Anwalt dort weder in dem Schriftsatz selbst noch in sonstiger Weise in Erscheinung getreten. Jene Fallkonstellation, bei der der VII. Zivilsenat ein rechtswirksames Handeln des nicht postulationsfähigen Rechtsanwalts als amtlich bestellter Vertreter für einen postulationsfähigen Rechtsanwalt nicht für hinreichend deutlich erkennbar erachtet hat, ist mithin mit der hier zu beurteilenden nicht vergleichbar.

c) Der angefochtene Beschluß kann daher nicht bestehenbleiben. Die Sache war an das Berufungsgericht zurückzuverweisen. Anzumerken ist noch, daß die in der Verfügung des Berufungsgerichts vom geäußerten Bedenken gegen die Wirksamkeit der Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist nicht durchgreifen. Die Fristverlängerung wäre auch dann wirksam, wenn der um sie nachsuchende Rechtsanwalt beim Berufungsgericht nicht postulationsfähig gewesen sein sollte ( = NJW 1998, 1155).

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:



Fundstelle(n):
BB 2005 S. 2099 Nr. 39
NJW 2005 S. 3415 Nr. 47
AAAAB-98291

1Nachschlagewerk: ja; BGHZ: nein; BGHR: ja