BGH Beschluss v. - III ZB 43/04

Leitsatz

[1] Im Mahnverfahren ist § 269 Abs. 3 ZPO grundsätzlich entsprechend anwendbar. Macht der Antragsteller allerdings geltend, daß der Anlaß zur Einreichung des Mahnantrags vor Rechtshängigkeit entfallen sei und daß er deswegen den Mahnantrag zurückgenommen habe (§ 269 Abs. 3 Satz 3 ZPO), so hat über die Kosten des Mahnverfahrens nach Abgabe das für das streitige Verfahren zuständige Gericht zu entscheiden.

Gesetze: ZPO § 269 Abs. 3; ZPO § 688

Instanzenzug: AG Stuttgart

Gründe

I.

Die Antragstellerin hat von der Antragsgegnerin im Mahnverfahren Zahlung von 723,44 € nebst Zinsen und Kosten begehrt. Der Antrag auf Erlaß eines Mahnbescheids ging am beim Amtsgericht ein und wurde am wieder zurückgenommen. Da dieser Schriftsatz keine Geschäftsnummer enthielt, wurde er dem Mahnverfahren zunächst nicht zugeordnet. Unter dem erließ das Amtsgericht einen Mahnbescheid auf der Grundlage des ursprünglichen Antrags, der der Antragsgegnerin am zugestellt wurde. Hiergegen legte sie durch ihre Verfahrensbevollmächtigten Widerspruch ein. Nachdem die Antragsgegnerin über die Rücknahme des Mahnantrags unterrichtet worden war, hat sie beantragt, die ihr entstandenen Rechtsanwaltskosten in Höhe von 140,07 € gegen die Antragsstellerin festzusetzen.

Der Rechtspfleger hat das Gesuch - auch - als Antrag nach § 269 Abs. 4 ZPO ausgelegt und der Antragstellerin durch Beschluß in entsprechender Anwendung des § 269 Abs. 3 ZPO die Kosten des Mahnverfahrens auferlegt. Auf deren sofortige Beschwerde, mit der sie sich unter anderem auf eine vergleichsweise Einigung zwischen den Parteien nach Stellung des Mahnantrags und die unverzügliche Rücknahme ihres Antrags berufen hatte, hat das Landgericht die Kostenentscheidung aufgehoben und den Antrag der Antragsgegnerin, der Antragstellerin die Kosten des Mahnverfahrens aufzuerlegen, zurückgewiesen. Hiergegen richtet sich die vom Beschwerdegericht zugelassene Rechtsbeschwerde der Antragsgegnerin.

II.

Die Rechtsbeschwerde ist gemäß § 574 Abs. 1 Nr. 2 ZPO statthaft und auch im übrigen zulässig. In der Sache hat sie nur teilweise Erfolg.

1. Im Ausgangspunkt zu Recht hat das Beschwerdegericht unter den hier vorliegenden Umständen das Mahngericht nicht für befugt gehalten, gemäß § 269 Abs. 3 ZPO über die Kosten des Mahnverfahrens zu entscheiden.

a) Die Anwendbarkeit der unmittelbar für die Klagerücknahme geltenden Bestimmungen des § 269 Abs. 3 Sätze 2 und 3 ZPO auf das Mahnverfahren, falls der Mahnantrag - wie hier - vor Abgabe der Sache an das Streitgericht zurückgenommen wird, ist umstritten. Für die frühere Fassung der Vorschrift, die eine Rücknahme der Klage zwingend mit einer Kostenbelastung des Klägers verband (§ 269 Abs. 3 Satz 2 ZPO a.F.), entsprach die (analoge) Anwendung auf das Mahnverfahren ganz herrschender Meinung; die Entscheidung war vom Rechtspfleger zu treffen (vgl. nur OLG München OLGZ 1988, 492, 493; Stein/Jonas/Schlosser, ZPO, 21. Aufl., § 693 Rn. 12; Wieczorek/Schütze/Olzen, ZPO, 3. Aufl., vor §§ 688 - 703d Rn. 84). Die Zulässigkeit einer solchen Kostenentscheidung im Mahnverfahren wird nunmehr durch die mit dem Zivilprozeßreformgesetz vom (BGBl. I S. 1887) eingeführte Neuregelung der Kostenentscheidung bei einer Klagerücknahme in Frage gestellt. Nach dem jetzt geltenden § 269 Abs. 3 Satz 3 ZPO bestimmt sich die Kostentragungspflicht - neben dem inhaltlich fortgeltenden § 269 Abs. 3 Satz 2 ZPO - wie in § 91a ZPO unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstands nach billigem Ermessen, wenn der Anlaß zur Klage vor Rechtshängigkeit weggefallen und die Klage daraufhin (bis zum Inkrafttreten des 1. Justizmodernisierungsgesetzes vom [BGBl. I S. 2198]: unverzüglich) zurückgenommen worden ist. Das hat im Schrifttum zu der Annahme geführt, im Gegensatz zum bisherigen Rechtszustand sei für Kostenentscheidungen des Rechtspflegers im Mahnverfahren überhaupt kein Raum mehr; insbesondere Kostenentscheidungen gemäß § 269 Abs. 3 Satz 3 ZPO seien wegen der Formalisierung des Mahnverfahrens und des Erfordernisses rechtlichen Gehörs für den Schuldner nur nach Überleitung in das Streitverfahren möglich (Zöller/Vollkommer, ZPO, 24. Aufl., § 91a Rn. 58 Stichwort "Mahnverfahren", § 690 Rn. 24; differenzierend Musielak/Voit, ZPO, 4. Aufl., § 690 Rn. 13; s. auch Wolff, NJW 2003, 553, 554: keine Kostenentscheidung im Mahnverfahren durch Beschluß, jedoch in einem Mahnbescheid oder Vollstreckungsbescheid oder nach Abgabe in das streitige Verfahren). Dem hat sich das Beschwerdegericht im Grundsatz angeschlossen. Es hat zwar weiterhin eine Kostenentscheidung entsprechend § 269 Abs. 3 Satz 2 ZPO im Mahnverfahren für möglich gehalten. Dafür bleibe jedoch nur noch in denjenigen (unstreitigen) Fällen Raum, in denen einem hierauf gestützten Kostenantrag des Antragsgegners vom Antragsteller nicht widersprochen werde, so daß sich eine Prüfung der Voraussetzungen des Satzes 3 erübrige.

b) Das ist entgegen der Meinung der Rechtsbeschwerde insgesamt frei von Rechtsfehlern. Mit Recht hat deswegen das Landgericht den angefochtenen Kostenbeschluß des Amtsgerichts aufgehoben.

aa) Macht der Antragsteller ein erledigendes Ereignis im Sinne des § 269 Abs. 3 Satz 3 ZPO nicht geltend, so besteht auch nach heutigem Recht kein Anlaß, eine Kostenentscheidung zu seinen Lasten nach § 269 Abs. 3 Satz 2 ZPO im Mahnverfahren auszuschließen. Die Vorschrift regelt in ihrem Wortlaut zwar nur die Rücknahme einer Klage. Ihr Regelungsgehalt läßt sich aber nach Sinn und Zweck auf andere gerichtliche Verfahren wie das Mahnverfahren übertragen. Bedenken aus der Struktur des Mahnverfahrens (hierzu sogleich) bestehen insoweit nicht, da der mit der Antragsrücknahme nach § 269 Abs. 3 Satz 2 ZPO verbundene Automatismus in der Kostenfolge eine Prüfung materieller Fragen nicht verlangt.

Der Rechtsbeschwerde verhilft dies indes nicht zum Erfolg. Denn die Antragstellerin hat zulässig (§ 571 Abs. 2 ZPO) noch im Beschwerdeverfahren einen Wegfall des Klagegrundes im Sinne des § 269 Abs. 3 Satz 3 ZPO vorgetragen, so daß die Kostenentscheidung nunmehr auf dieser Grundlage zu treffen ist.

bb) Für eine streitige Entscheidung nach § 269 Abs. 3 Satz 3 ZPO ist das Mahnverfahren jedoch weder bestimmt noch geeignet. Eine Kostenentscheidung nach billigem Ermessen unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstands erfordert eine sachliche Prüfung nicht nur der geltend gemachten Forderung, sondern auch des behaupteten erledigenden Ereignisses und gegebenenfalls eines materiellrechtlichen Kostenanspruchs (vgl. Begründung des Regierungsentwurfs, BT-Drucks. 14/4722 S. 81; zu § 91a ZPO: - NJW 2002, 680). Da das Mahnverfahren bereits auf eine Schlüssigkeitsprüfung des Anspruchs verzichtet und es deswegen an einem "bisherigen Sach- und Streitstand" fehlt, müßte der Rechtspfleger jetzt in einem streitig geführten Verfahren derartige Umstände ermitteln und hierüber sodann verbindlich (rechtskraftfähig) entscheiden. Das verbietet die gesetzliche Ausgestaltung des einseitigen, weitgehend formalisierten und auf maschinelle Bearbeitung (§ 689 Abs. 1 Satz 2 ZPO) angelegten Mahnverfahrens (vgl. Wolff, NJW 2003, 553, 554). Daß bei einer Anfechtung der Kostenentscheidung das Beschwerdegericht solchen Einwänden nicht ausgesetzt wäre, ist ohne Belang. Die Beschwerde dient der Kontrolle der vorinstanzlichen Entscheidungen. Die Kompetenzen des Beschwerdegerichts gehen daher grundsätzlich nicht weiter als die des Ausgangsgerichts.

2. Diese rechtliche Beurteilung kann allerdings nicht dazu führen, im Mahnverfahren die aus prozeßökonomischen Gründen neu eingeführte Vorschrift des § 269 Abs. 3 Satz 3 ZPO zu negieren und bei einer Rücknahme des Mahnantrags mangels eines "bisherigen Sach- und Streitstands" dem Antragsteller gemäß § 269 Abs. 3 Satz 2 ZPO stets die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen (vgl. für eine Klagerücknahme im streitigen Verfahren: OLG Frankfurt am Main OLG-Report 2003, 127, 129). Umgekehrt wäre es jedoch ebensowenig sachgerecht, in den Fällen, in denen sich der Antragsteller auf ein erledigendes Ereignis beruft, mit dem Landgericht wegen der Ungeeignetheit des Mahnverfahrens von einer Kostenentscheidung nach § 269 Abs. 3 ZPO ganz abzusehen und die Parteien hierdurch auf die Verfolgung eines materiellrechtlichen Kostenerstattungsanspruchs in einem neuen Klageverfahren zu verweisen. Vielmehr ist dann die Sache - sofern ein Antrag auf Durchführung des streitigen Verfahrens gestellt ist - nach dem Widerspruch des Antragsgegners hinsichtlich der noch zu treffenden Kostenentscheidung gemäß § 696 Abs. 1 ZPO an das für die Durchführung des streitigen Verfahrens insgesamt zuständige Prozeßgericht abzugeben (so wohl auch Musielak/Voit, aaO, § 690 Rn. 13; Zöller/Vollkommer, aaO, § 690 Rn. 24). Die Rücknahme des Mahnantrags durch den Antragsteller hindert ein solches Vorgehen nicht. Das Verfahren bleibt danach in bezug auf die ausstehenden Nebenentscheidungen anhängig und kann darum auch allein wegen der Kosten auf das Streitgericht übergehen, nicht anders als in dem Fall, daß der Antragsgegner beschränkt auf die Kosten Widerspruch einlegt und die Parteien ausschließlich um die Anwendung des § 93 ZPO streiten (vgl. hierzu MünchKomm/Holch, ZPO, 2. Aufl., § 694 Rn. 18; Wieczorek/Schütze/Olzen, aaO, § 694 Rn. 18; Zöller/Vollkommer, aaO, § 694 Rn. 1). Der für eine Abgabe nach § 696 Abs. 1 ZPO erforderliche Antrag ist in dem regelmäßig gestellten allgemeinen Antrag auf Durchführung des streitigen Verfahrens enthalten, jedenfalls aber ist der Kostenantrag der Antragsgegnerin hier so auszulegen.

Die danach erforderliche Abgabe an das von der Antragstellerin bezeichnete Streitgericht kann der Senat selbst vornehmen.

Fundstelle(n):
MAAAB-98274

1Nachschlagewerk: ja; BGHZ: nein; BGHR: ja