BGH Urteil v. - II ZR 380/00

Leitsatz

[1] Verlegt eine ausländische Gesellschaft, die entsprechend ihrem Statut nach dem Recht des Gründungsstaates als rechtsfähige Gesellschaft ähnlich einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung deutschen Rechts zu behandeln wäre, ihren Verwaltungssitz nach Deutschland, so ist sie nach deutschem Recht jedenfalls eine rechtsfähige Personengesellschaft und damit vor den deutschen Gerichten aktiv und passiv parteifähig.

Gesetze: BGB § 14 Abs. 2 n.F.

Instanzenzug: LG München I vom

Tatbestand

Die Klägerin nimmt den Beklagten aus einer Bürgschaftserklärung vom in Anspruch. Sie hat vorgetragen, sie sei eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung ("Limited Company") nach dem Recht der Kanalinsel J., auf der sie am ordnungsgemäß gegründet worden sei und ihren satzungsmäßigen und tatsächlichen Verwaltungssitz habe. Sie sei daher auch in Deutschland rechts- und parteifähig. Der Beklagte ist der Ansicht, der Klägerin fehle die Rechts- und Parteifähigkeit, weil sie ihren tatsächlichen Verwaltungssitz in Portugal oder Deutschland habe, ohne daß sie sich nach dem Recht dieser Staaten neu gegründet und die Eintragung ins Handelsregister veranlaßt habe.

Das Landgericht hat die Klage als unzulässig abgewiesen, weil der Klägerin der Nachweis ihrer Parteifähigkeit nicht gelungen sei. Die gegen das Urteil eingelegte Berufung hat das Berufungsgericht zurückgewiesen und die Klägerin zugleich auf die Anschlußberufung hin in Abänderung und Ergänzung des landgerichtlichen Urteils zur Leistung von Prozeßkostensicherheit in Höhe von 20.000,00 DM für den Beklagten verurteilt. Hiergegen und gegen die Klageabweisung richtet sich die Revision.

Gründe

Die Revision ist begründet und führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils. Die Anschlußberufung wird zurückgewiesen. Im übrigen wird die Sache an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

I. Das Berufungsgericht begründet seine Entscheidung in Übereinstimmung mit dem Landgericht damit, der Klägerin obliege angesichts des Bestreitens des Beklagten der Beweis dafür, daß sich ihr tatsächlicher Verwaltungssitz auf J. befinde. Denn die Parteifähigkeit richte sich nach der Sitztheorie und damit nach dem Personalstatut der Gesellschaft. Den entsprechenden Beweis habe die Klägerin nicht zu führen vermocht. Dem Beklagten stehe nach § 110 ZPO ein Anspruch auf Prozeßkostensicherheit auch für die erste Instanz zu. Beides hält revisionsrechtlicher Überprüfung nicht stand.

II. Zu Unrecht verneint das Berufungsgericht im Hinblick auf einen möglichen Verwaltungssitz der Klägerin in Deutschland oder Portugal deren Parteifähigkeit.

1. Der Klägerin könnte das Recht, ihre Ansprüche vor deutschen Gerichten geltend zu machen, auch dann nicht versagt werden, wenn sie ihren tatsächlichen Verwaltungssitz in Deutschland hätte und nach der hier überwiegend vertretenen Sitztheorie (BGHZ 53, 181, 183; 78, 318, 334; 97, 269, 271; , ZIP 1991, 1582; Beschl. v. - VII ZR 370/98, DB 2000, 1114; BFH, BStBl. II 1992, 263, 720; BayObLG, NJW-RR 1993, 43; Staudinger/Großfeld, Internationales Gesellschaftsrecht, 13. Aufl. Rdn. 24) nicht entsprechend ihrem Gründungsstatut als Gesellschaft mit beschränkter Haftung ("Limited Company") nach dem auf der Kanalinsel J. geltenden Recht zu behandeln wäre. Denn dann wäre sie in Deutschland jedenfalls eine rechtsfähige Personengesellschaft (§ 14 Abs. 2 BGB) und damit vor deutschen Gerichten aktiv und passiv parteifähig. Dies gilt nach der neueren Rechtsprechung des Senats, die das Berufungsgericht noch nicht berücksichtigen konnte, auch für die Gesellschaft bürgerlichen Rechts (Urt. v. - II ZR 331/00, ZIP 2001, 330; Beschl. v. - II ZR 331/00, ZIP 2002, 614).

a) Eine Behandlung der ausländischen Gesellschaft als Gesellschaft bürgerlichen Rechts wird in der Literatur schon seit längerem als mögliche Alternative zur Anwendung der Sitz- oder Gründungstheorie diskutiert (vgl. Rehbinder, IPrax 1985, 32; Zimmer, BB 2000, 1361, 1363 m.w.N.). Ihr wurde bisher entgegengehalten, daß sie zu erheblichen Problemen im Prozeß- und Zwangsvollstreckungsrecht führen würde, etwa weil zur Aufrechnung gestellte Gegenansprüche sich nicht gegen die Gesellschafter in gesamthänderischer Verbundenheit richten würden, sondern in aller Regel gegen die ausländische Gesellschaft als - nach Gründungsrecht - juristische Person (Rehbinder aaO). Würden nach teilweiser oder gänzlicher Klageabweisung Zwangsvollstreckungsmaßnahmen gegen die klagende ausländische Gesellschaft notwendig, entstünde das Problem, daß ein Titel gegen die Gesellschafter als Gesellschaft bürgerlichen Rechts existieren würde, im Zweifel aber in Vermögensgegenstände vollstreckt werden müsse, die nominell im Eigentum der ausländischen Gesellschaft als juristischer Person stehen oder in Konten, die auf deren Namen errichtet sind. Eine Titelumschreibung auf die ausländische Gesellschaft nach § 727 ZPO würde mangels Rechtsnachfolge schon begrifflich ausscheiden, aber auch deshalb, weil die Rechtsnachfolge nach Rechtshängigkeit eingetreten sein muß (Zöller-Stöber, ZPO 21. Aufl. 1999 § 727 Rdn. 19).

b) Diese Einwände sind mit der neuen Rechtsprechung des Senats zur Rechts- und Parteifähigkeit der Gesellschaft bürgerlichen Rechts entfallen. Die ausländische Gesellschaft kann, ohne nach deutschem Recht juristische Person zu sein, als Gesellschaft bürgerlichen Rechts klagen, so daß auch Gegenansprüche und Einreden oder Einwendungen unproblematisch geltend gemacht werden können und aus einem Titel gegen sie vollstreckt werden kann, ohne daß sich die Frage einer Umschreibung stellt. Ferner kann sie wirksam Verträge abschließen und Eigentum erwerben.

Damit entfallen zugleich die Bedenken, daß nach ausländischem Recht wirksam gegründete Gesellschaften, die ihren Verwaltungssitz nach Deutschland verlegt haben, durch die Weigerung, ihre Rechts- und Parteifähigkeit anzuerkennen, in einem durch zwingende Gründe des Allgemeinwohls nicht geforderten und damit unverhältnismäßigen Umfang ihres rechtlichen Besitzstandes und ihrer Klagemöglichkeiten beraubt werden könnten, was angesichts der Vielzahl der von solchen Gesellschaften tatsächlich getätigten Geschäfte, des von ihnen vollzogenen Erwerbs von Immobilien- und Mobiliareigentums und der auch für sie bestehenden Notwendigkeit, im Rahmen ihrer Tätigkeit zur Wahrung ihrer Rechte um gerichtlichen Rechtsschutz nachzusuchen, weder durch die Notwendigkeit eines wirksamen Gläubigerschutzes noch durch das Gebot der Rechtssicherheit zur rechtfertigen wäre. Dementsprechend hat sich die Rechtsprechung auch schon vor den Grundsatzentscheidungen des Senats vom und genötigt gesehen, die passive Parteifähigkeit der ausländischen Gesellschaft anzuerkennen (OLG Nürnberg, IPrax 1985, 342; dazu Rehbinder, IPrax 1985, 324; BGHZ 97, 269, 271). Zu Recht weist die Revision aber auch auf weitere Widersprüche der Rechtspraxis hin: So werden etwa die Bankbürgschaften, die die Klägerin zur Abwehr der Vollstreckung und zur Stellung der Prozeßkostensicherheit beigebracht hat, von den Instanzgerichten wie dem Beklagten akzeptiert, obwohl die in Deutschland abgeschlossenen Bürgschaftsverträge bei fehlender Rechtsfähigkeit der Klägerin nach der Rechtsauffassung des Berufungsgerichts eigentlich nichtig wären.

2. Das Berufungsgericht ist dem unter Beweis gestellten Vortrag des Beklagten, die Klägerin habe ihren Verwaltungssitz in Portugal oder in Deutschland nicht nachgegangen, sondern hat die Frage offengelassen. Diese Frage könnte jedoch nur dann offenbleiben, wenn die im Falle ihres Sitzes in Deutschland rechts- und parteifähige Klägerin dies auch im Falle ihres Sitzes in Portugal wäre. Insoweit hat das Berufungsgericht indes keinerlei Feststellungen getroffen. Seiner Entscheidung ist nicht zu entnehmen, um welche Art von Gesellschaft es sich nach portugiesischem Recht handeln könnte und welche Konsequenzen hieraus für den vorliegenden Fall gezogen werden müßten.

III. Mit Erfolg greift die Revision schließlich die Verurteilung zur Zahlung von Prozeßkostensicherheit nach § 110 ZPO an.

Hat die Gesellschaft ihren Verwaltungssitz in Portugal oder Deutschland, scheidet die Anwendbarkeit des § 110 ZPO ohnehin aus.

Aber auch dann, wenn sie als Gesellschaft nach dem Recht der Insel J. zu behandeln wäre, kann von ihr Prozeßkostensicherheit nach § 110 ZPO nicht verlangt werden. Richtig ist zwar, daß die frühere Fassung des § 110 ZPO nur dann gegen das Diskriminierungsverbot des Art. 6 (jetzt: Art. 12) EGV verstieß, wenn eine inländische Prozeßpartei von der Verpflichtung zur Leistung von Prozeßkostensicherheit frei war und die Klage eine der Grundfreiheiten berührte (EuGH NJW 1996, 3407; 1998, 2127), so daß angesichts der eingeschränkten Geltung der Grundfreiheiten für J. nach Art. 299 Abs. 6 lit. c EGV i.V.m. dem Protokoll Nr. 3 zu der BeitrA 1972 (BGBl. II S. 1338) der Gesetzgeber bei der Neufassung des § 110 ZPO möglicherweise J. von der Befreiung für Mitgliedstaaten der Europäischen Union hätte ausnehmen können. Gerade dies ist jedoch nicht erfolgt, so daß die Begründung des Berufungsgerichts, Art. 6 (jetzt Art. 12) EGV gelte im Verhältnis zu J. nicht, zwar in Einklang mit der Rechtsprechung des EuGH stehen mag, nicht aber mit dem klaren Wortlaut des § 110 ZPO, der ohne Einschränkung für den Bereich der Europäischen Union eine Prozeßkostensicherheit nicht vorsieht und damit weiter reicht als die Vorgaben, die der EuGH gemacht hat. Da J. als Bestandteil des Vereinigten Königreiches, wenn auch unter Beachtung seines verfassungsrechtlichen Sonderstatus zur Europäischen Union gehört, sieht auch die Kommentarliteratur eine nur teilweise Geltung der Befreiungsvorschrift des § 110 ZPO für Großbritannien nicht vor, sondern geht von einer uneingeschränkten Geltung aus (MünchKomm./Belz, ZPO 2. Aufl. § 110 Rdn. 8; Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO 60. Aufl. Anh. zu § 110 Rdn. 11; Schütze, RiW 1999, S. 10).

Die Verurteilung der Klägerin zur Leistung von Prozeßkostensicherheit erfolgte daher unabhängig davon, wo sie ihren Verwaltungssitz hat, zu Unrecht.

IV. Soweit die Klägerin auf die Anschlußberufung hin zur Leistung von Prozeßkostensicherheit verurteilt wurde, konnte der Senat in der Sache selbst entscheiden (§ 565 Abs. 3 Nr. 1 ZPO a.F.). Im übrigen war der Rechtsstreit an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, damit es Gelegenheit hat, die oben unter II. 2. erörterten, bisher fehlenden Feststellungen nachzuholen und sich bei Bejahung der Zulässigkeit der Klage mit deren Begründetheit - erforderlichenfalls nach weiterem Sachvortrag der Parteien - auseinanderzusetzen.

Fundstelle(n):
BB 2002 S. 2031 Nr. 40
DB 2002 S. 2039 Nr. 39
DStR 2002 S. 1678 Nr. 39
UAAAB-98079

1Nachschlagewerk: ja; BGHZ: ja; BGHR: ja