BGH Urteil v. - II ZR 316/01

Leitsatz

[1] Zu den Anforderungen an die Darlegungs- und Beweislast hinsichtlich der Aktivlegitimation des geschäftsführenden Alleingesellschafters einer Einmann-GmbH im Hinblick auf eine durch Selbstkontrahieren an sich abgetretene Forderung der Gesellschaft.

Gesetze: GmbHG § 35 Abs. 4; BGB § 181

Instanzenzug: LG Wuppertal

Tatbestand

Der Kläger ist seit 1978 Mitgesellschafter der beklagten GmbH, die sich bundesweit mit der Akquisition und dem "Abschluß von Industrieaufträgen für Verkaufsförderung und Schauwerbung für die Unternehmen der Gesellschafter" (§ 2 Nr. 1 der Satzung) befaßt. Die Gesellschafter der Beklagten - sämtlich natürliche Personen - betreiben ihre Unternehmen überwiegend als Einmann-Gesellschaften mbH und ansonsten als Einzelfirmen. Jedem Gesellschafter ist nach § 11 Nr. 1 der Satzung eine bestimmte Region mit Ausschließlichkeitsrecht zugewiesen. Das Arbeitsgebiet des Klägers, der als alleiniger Gesellschafter und Geschäftsführer die H. B. GmbH betreibt, trägt in der Anlage zur Satzung (Landkarte) die Bezeichnung Nr. 8 (Nordbayern). Seit 1990 kam es zwischen dem Kläger und dem damaligen Geschäftsführer der Beklagten (nachfolgend: Streithelfer), der ebenfalls Mitgesellschafter der Beklagten ist, zu Auseinandersetzungen. In der Zeit von 1992 bis 1995 vergab der Streithelfer namens der Beklagten Aufträge aus dem Arbeitsgebiet des Klägers an den Einzelkaufmann H. He. in W., der nicht Gesellschafter der Beklagten ist. Nach den Geschäftsunterlagen der Beklagten wurden an He. in diesem Zeitraum Bruttovergütungen in einer Gesamthöhe von 278.290,37 DM ausgezahlt. Der Kläger hat durch - rechtskräftiges - Urteil des Landgerichts Wu. vom der Beklagten die vertragswidrige Vergabe von Aufträgen aus seinem "Arbeitsgebiet" an Drittfirmen untersagen lassen.

Mit der vorliegenden Klage hat er die Beklagte auf Schadensersatz in Form entgangenen Gewinns von 80.185,87 DM wegen der mit der satzungswidrigen Vergabe an He. verbundenen Auftragsverluste in Anspruch genommen. Das Landgericht hat nach Einholung eines Sachverständigengutachtens zur Höhe des der GmbH des Klägers entstandenen Schadens der Klage in Höhe von 72.204,28 DM stattgegeben und sie im übrigen abgewiesen. Auf die vom Streithelfer zugunsten der Beklagten eingelegte Berufung hat das Oberlandesgericht die Klage in vollem Umfang abgewiesen. Hiergegen richtet sich der Kläger mit der Revision, mit der er die Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils erstrebt.

Gründe

I. Da die Beklagte im Verhandlungstermin trotz dessen rechtzeitiger Bekanntgabe nicht vertreten war, ist über die Revision des Klägers durch Versäumnisurteil zu entscheiden (§§ 557, 331 ZPO a.F.). Das Urteil beruht jedoch inhaltlich nicht auf der Säumnis, sondern auf einer Sachprüfung (vgl. BGHZ 37, 79, 82).

Die Revision des Klägers ist begründet und führt zur Aufhebung und Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.

II. Das Berufungsgericht ist der Ansicht, der Kläger sei zur Geltendmachung des durch die Vertragsverletzung der Beklagten nicht ihm persönlich, sondern seiner GmbH entstandenen Schadens nicht aktivlegitimiert. § 2 der Satzung enthalte eine vertragliche Schutzregelung zugunsten der Unternehmen der einzelnen Gesellschafter, so daß diese Unternehmen selbst, sofern sie eigene Rechtspersönlichkeit hätten, über eigene Schadensersatzansprüche bei Vertragsverletzung verfügten. Da der Kläger erstmals - und damit verspätet - in der Berufungsverhandlung die Abtretung der Ersatzansprüche seiner GmbH an sich behauptet, jedoch nicht nachgewiesen habe, sei er insoweit beweisfällig geblieben. Das Gericht sei weder zu einem Hinweis vor dem Termin noch zur Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung auf das nicht nachgelassene schriftsätzliche Vorbringen des Klägers verpflichtet gewesen.

Diese Beurteilung hält revisionsrechtlicher Nachprüfung nicht stand.

III. Das Berufungsgericht hat bei seiner auf das Fehlen der Aktivlegitimation des Klägers gestützten Entscheidung wesentlichen Prozeßstoff unberücksichtigt gelassen und zudem im Anschluß an eine offensichtlich unzureichende Ausübung der ihm obliegenden Hinweispflicht (§§ 139, 278 Abs. 3 ZPO a.F.) die beantragte Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung (§ 156 ZPO a.F.) zu Unrecht abgelehnt.

1. Folgt man dem Verständnis des Berufungsgerichts, daß der B.

GmbH ein eigener Schadensersatzanspruch nach den Grundsätzen eines Vertrages mit Schutzwirkung zugunsten Dritter zustehe, bedurfte es zwar zur Geltendmachung ihres Schadens durch den Kläger im eigenen Namen und auf Leistung an sich einer wirksamen Abtretung dieser Rechte "seiner" GmbH an ihn oder zumindest - vom Berufungsgericht außer Betracht gelassen - seiner Ermächtigung im Sinne einer gewillkürten Prozeßstandschaft, die je nach Inhalt der Ermächtigung auch zur Forderung der Leistung an sich selbst berechtigen kann (vgl. zur letztgenannten Konstellation im Verhältnis zwischen GmbH und beherrschendem Gesellschafter: , NJW 1965, 1962). Das Berufungsgericht hat jedoch an die danach dem Kläger obliegende Darlegungs- bzw. Beweislast in Anbetracht der besonderen tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse offensichtlich überzogene Anforderungen gestellt. Als Alleingesellschafter und Alleingeschäftsführer der B. GmbH konnte der Kläger - von hier nicht vorliegenden Rechtsmißbrauchsfällen, etwa einer verbotenen Einlagenrückgewähr gemäß §§ 30, 31 GmbHG, abgesehen - die Schadensersatzforderung seiner Einmann-GmbH jederzeit an sich abtreten bzw. sich auch nur die Ermächtigung im Sinne gewillkürter Prozeßstandschaft verschaffen; soweit wegen des in solchen Fällen vorliegenden Insichgeschäfts (§§ 35 Abs. 4 GmbHG, 181 BGB) eine Befreiung vom Verbot des Selbstkontrahierens erforderlich ist, spricht bei der üblichen notariellen Satzungsgestaltung eine tatsächliche Vermutung für deren Vorliegen. Dementsprechend ergab sich nach dem zu unterstellenden Willen des Klägers ein - ausreichender - konkludenter Vortrag dieser Umstände bereits aus der Tatsache der vorgerichtlichen Geltendmachung des Schadens sowie der anschließenden Klageerhebung selbst. In diesem Sinne ist die Aktivlegitimation bzw. Ermächtigung des Klägers zur Geltendmachung des Schadens seiner Einmann-GmbH im eigenen Namen erstinstanzlich zwischen den Parteien unstreitig geblieben. Dies geschah ersichtlich auch vor dem Hintergrund, daß die Beklagte angesichts ihrer personalistischen Gesamtstruktur offensichtlich von den persönlichen und rechtlichen Verhältnissen ihrer Mitglieder und der von diesen betriebenen "Unternehmen" von Anfang an informiert war, schon weil es für den Bestand der Beklagten wesentlich auf die Inhaberverhältnisse an den Unternehmen ihrer Gesellschafter ankam (vgl. § 11 Nr. 7 der Satzung). Dementsprechend hat auch das Landgerichtsurteil die Aktivlegitimation bzw. Prozeßstandschaft des Klägers zu Recht als unstreitig behandelt und sich nur mit "der Sache selbst" befaßt. Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts enthält auch die Berufungsbegründung keine ausdrückliche Rüge des nunmehr den Prozeß führenden Streithelfers der Beklagten im Hinblick auf eine angeblich fehlende Aktivlegitimation des Klägers; vielmehr hat der Streithelfer dort sogar selbst vorgebracht, es komme - abgesehen von der Frage der schuldhaften Pflichtverletzung der Beklagten - darauf an, "ob dadurch gegebenenfalls welcher Schaden der Höhe nach beim Kläger oder gegebenenfalls bei einem im Gesellschaftsvertrag geschützten Dritten im Sinne der Schadensdrittliquidation entstanden ist".

Die auf den erstmaligen Hinweis des Gerichts in der Berufungsverhandlung vom Prozeßbevollmächtigten des Klägers abgegebene Erklärung, der Kläger habe ihm - offensichtlich auf vorsorgliche Nachfrage - fernmündlich kurz vor dem Termin erklärt, daß die B. GmbH ihre Schadensersatzansprüche gegen die Beklagte an ihn abgetreten habe, stellt daher - zumal in Anbetracht des bisherigen Prozeßablaufs - einen ausreichend substantiierten Vortrag in bezug auf seine Aktivlegitimation aus abgetretenem Recht bzw. auf eine Prozeßstandschaft dar. Da zudem weder die Beklagte noch deren Streithelfer als ihr ehemaliger Geschäftsführer die Befreiung des Klägers vom Selbstkontrahierungsverbot irgendwie in Abrede gestellt und das Berufungsgericht offensichtlich diese Frage auch nicht problematisiert hatte, bedurfte es hierzu angesichts der weiterhin bestehenden tatsächlichen Vermutung zugunsten des Klägers - eine solche Befreiung lag im übrigen ausweislich des später eingereichten Handelsregisterauszugs seit Gründung der B. GmbH vor - jedenfalls bis zu einem ausdrücklichen Bestreiten der Beklagten keines weiteren Klägervortrags.

Das modifizierte Bestreiten der vom Kläger schlüssig behaupteten Abtretung durch den Streithelfer der Beklagten in der Berufungsverhandlung ist - entgegen der Ansicht des Oberlandesgerichts - prozessual unbeachtlich (§ 138 ZPO). Der Streithelfer hat - nach anfänglichem Bestreiten "in Bausch und Bogen" - sein Bestreiten dahin modifiziert, er bestreite nicht, daß der Kläger die Erklärung über die Abtretung seinem Prozeßbevollmächtigten gegenüber abgegeben habe, er bestreite jedoch deren Wahrheitsgehalt.

Dieses modifizierte Bestreiten geht in zweifacher Hinsicht ins Leere:

Es ist schon als bloße "Behauptung ins Blaue hinein" zu beanstanden, weil für eine "Lüge" des Klägers hinsichtlich der von ihm behaupteten Abtretungserklärung - zumal vor dem Hintergrund der allen Beteiligten geläufigen rechtlichen Verhältnisse der B. GmbH als Einmann-Gesellschaft - überhaupt kein Anhaltspunkt bestand.

Von entscheidender Bedeutung ist jedoch, daß der Kläger als Einmann-Gesellschafter und Geschäftsführer "seiner" GmbH jederzeit durch "Insichgeschäft" die betreffenden Erklärungen wirksam abgeben konnte. Ein Abtretungsvertrag wäre hier sogar im Zweifel konkludent aus der unstreitigen Tatsache des Telefonats des Klägers mit seinem Prozeßbevollmächtigten und dessen Inhalt abzuleiten.

Schon angesichts dessen ist die sofortige Schließung der mündlichen Verhandlung und die daran anschließende Beweislastentscheidung zum Nachteil des Klägers hinsichtlich seiner "Aktivlegitimation" rechtsfehlerhaft.

2. Zumindest hätte das Berufungsgericht - das offensichtlich die besonderen Verhältnisse der B. GmbH als Einmann-GmbH nicht hinreichend bedacht hat - auf die nicht nachgelassenen Schriftsätze des Klägers dessen Antrag auf Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung (§ 156 ZPO a.F.) stattgeben müssen, da spätestens jetzt die Unzulänglichkeit der bisherigen Ausübung der gerichtlichen Hinweispflicht offen zutage lag (vgl. Sen.Urt. v. - II ZR 261/97, NJW 1999, 2123, 2124).

3. Entsprechendes gilt sinngemäß auch für die - vom Berufungsgericht nicht in Betracht gezogene - Möglichkeit einer gewillkürten Prozeßstandschaft des Klägers.

IV. Wegen der aufgezeigten Rechtsfehler unterliegt das angefochtene Urteil der Aufhebung und Zurückverweisung (§§ 564 Abs. 1, 565 Abs. 1 ZPO a.F.). Die Aktivlegitimation oder Prozeßstandschaft des Klägers kann in der neuen Berufungsverhandlung von dem Gericht und dem Streithelfer nicht mehr in Zweifel gezogen werden, nachdem der Kläger bereits im zweiten - nicht nachgelassenen - Schriftsatz sowohl eine schriftliche Bestätigung über die Abtretung als auch einen Handelsregisterauszug hinsichtlich seiner Befreiung von den Beschränkungen des Selbstkontrahierens vorgelegt hat. Das Oberlandesgericht wird sich daher nunmehr "in der Sache selbst" mit den Einwendungen des Streithelfers der Beklagten gegen das erstinstanzliche Urteil zu befassen haben.

Fundstelle(n):
BB 2004 S. 1359 Nr. 25
DB 2004 S. 1418 Nr. 26
DStR 2004 S. 1305 Nr. 31
CAAAB-97985

1Nachschlagewerk: ja; BGHZ: nein; BGHR: ja