Leitsatz
[1] Der Rechtsanwalt hat im Rahmen seiner Büroorganisation dafür Vorsorge zu treffen, daß seine Angestellten die Faxnummer eines Gerichts einem zuverlässigen Verzeichnis entnehmen und nicht aus dem Gedächtnis abrufen. Dies gilt auch, wenn ein "Rechtsanwaltsprogramm" mit automatischer Einfügung der Faxnummer verwendet wird, diese aber von den Mitarbeitern "von Hand" gelöscht werden kann.
Gesetze: ZPO § 233 Fd
Instanzenzug: OLG Frankfurt/Main vom LG Frankfurt/Main vom ,
Gründe
I. Die Widerklage der Beklagten ist durch Schlußurteil des Landgerichts Frankfurt am Main vom abgewiesen worden. Gegen das ihr am zugestellte Urteil hat die Beklagte mit Schriftsatz vom Berufung eingelegt. Der am um 13.52 Uhr per Telefax an das Landgericht Frankfurt am Main übermittelte Schriftsatz ist von dort an das - als Empfänger bezeichnete - Oberlandesgericht Frankfurt am Main weitergeleitet worden, wo er am eingegangen ist. Die vom Senatsvorsitzenden am über Zulässigkeitsbedenken unterrichtete Beklagte hat am einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Einlegung der Berufung gestellt.
Zur Begründung ihres Gesuchs hat die Beklagte ausgeführt: Ihr Bevollmächtigter verwende ein "Rechtsanwaltsprogramm", das bei Eingabe eines bestimmten Gerichts automatisch dessen Anschrift nebst Telefaxanschluß zwecks Einfügung im Adreßfeld eines Schriftsatzes aufrufe. Im Falle einer Übermittlung durch Post oder Boten werde von dem Büropersonal ihres Bevollmächtigten vor Ausdruck eines Schriftsatzes die Telefaxnummer manuell gelöscht. Offenbar habe die seit drei Jahren stets fehlerfrei arbeitende Rechtsanwalts- und Notargehilfin T. die Telefaxnummer des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main in der Annahme entfernt, der Schriftsatz werde von einer Mitarbeiterin zu Gericht gebracht. Da sich die Mitarbeiterin bereits vor Fertigstellung der Berufungsschrift zu Gericht begeben habe und daher nachträglich eine Faxübermittlung notwendig geworden sei, habe die Angestellte T. offenbar den Schriftsatz vor dessen Ausdruck mit der ihr wohl bekannten Telefaxnummer des Landgerichts Frankfurt am Main als dem - wie sie geglaubt habe - Zentralfax der örtlichen Justizbehörden vervollständigt.
Das Oberlandesgericht hat den Wiedereinsetzungsantrag der Beklagten zurückgewiesen und die Berufung als unzulässig verworfen. Dagegen richtet sich die Rechtsbeschwerde der Beklagten, mit der sie die Aufhebung des angefochtenen Beschlusses begehrt und den Wiedereinsetzungsantrag weiterverfolgt.
II. Die Rechtsbeschwerde ist statthaft (§ 574 Abs. 1 Nr. 1 ZPO i.V.m. § 522 Abs. 1 Satz 4, § 238 Abs. 2 ZPO). Sie ist aber unzulässig, weil die Voraussetzungen des § 574 Abs. 2 ZPO nicht gegeben sind. Die Versagung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wirft entgegen der Auffassung der Beklagten keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung (§ 574 Abs. 2 Nr. 1 ZPO) auf, sondern steht in Einklang mit der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs.
1. Nach höchstrichterlicher Rechtsprechung ist ein Rechtsanwalt, der fristgebundene Schriftsätze per Telefax einreicht, verpflichtet, durch organisatorische Vorkehrungen sicherzustellen, daß die das angeschriebene Gericht betreffende Telefaxnummer verwendet wird (, BRAK-Mitt. 2002, 171; , BGHReport 2004, 978; z.V.b.). Diesen Anforderungen hat der Bevollmächtigte der Beklagten nicht genügt.
a) Zur Vermeidung von Verwechslungen ist dem Büropersonal die Anweisung zu erteilen, bei der Versendung von Schriftsätzen mittels Telefax die Auswahl der richtigen Empfängernummer zu überprüfen ( aaO; , NJW 1999, 583 f.; , NJW 1997, 948; ebenso BAG 79, 379, 382; , NJW 2001, 1594 f.). In Einklang hiermit hat der Senat wiederholt eine gezielte Kontrolle und gegebenenfalls Korrektur der Telefaxnummer durch das Büropersonal gefordert (Beschl. v. - II ZB 16/00, BGHReport 2001, 809 f.; Beschl. v. - II ZB 7/99, NJW 2000, 1043; Beschl. v. - II ZB 14/99, NJW 2000, 1043 f.).
b) In der Kanzlei des Beklagtenvertreters fehlte es an einer konkreten Anweisung, die Faxnummer eines Gerichts in Fällen, in denen nicht mit dem "Rechtsanwaltsprogramm" gearbeitet oder dessen Vorgabe von Hand geändert wurde, einem zuverlässigen Verzeichnis zu entnehmen und nach Ausführung des Übermittlungsvorgangs einen Abgleich der gewählten mit der in dem Verzeichnis enthaltenen Nummer vorzunehmen. Sofern die Faxnummer eines Gerichts nicht zusammen mit der Adresse aus dem "Rechtsanwaltsprogramm" abgerufen worden war, bestand, wie der vorliegende Fall belegt, keine Gewißheit, daß sich das Büropersonal bei der Suche der Faxnummer - statt sie aus dem Gedächtnis aufzurufen - einer geeigneten Aufstellung bediente. Dieses Organisationsverschulden ihres Prozeßbevollmächtigten hat die Beklagte nach § 85 Abs. 2 ZPO zu vertreten.
2. Grundsätzliche Bedeutung kommt der Sache nicht im Blick auf die von der Rechtsbeschwerde aufgeworfene Rechtsfrage zu, ob die Gerichte ihre Organisation so einzurichten haben, daß bei einem unzuständigen Gericht eingegangene Schriftsätze unverzüglich als solche erkannt und auch unverzüglich an das zuständige Gericht weitergeleitet werden.
a) Geht ein fristgebundener Schriftsatz nicht bei dem Berufungsgericht, sondern dem zuvor zuständigen erstinstanzlichen Gericht ein, so ist dieses Gericht verpflichtet, den Schriftsatz im Rahmen des ordentlichen Geschäftsgangs an das Rechtsmittelgericht weiterzuleiten. Erreicht der Schriftsatz das früher mit der Sache befaßte Gericht so frühzeitig, daß die fristgerechte Weiterleitung an das Berufungsgericht im ordentlichen Geschäftsgang ohne weiteres erwartet werden kann, so ist der Partei Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, wenn der Schriftsatz nicht rechtzeitig bei dem Rechtsmittelgericht eintrifft (BVerfG, 2. Kammer des Ersten Senats, Beschl. v. - 1 BvR 2147/00, NJW 2001, 1343; , BGHReport 2004, 1515; , NJW 2004, 516; , NJW 1987, 440 f.). Der Wiedereinsetzung begehrende Antragsteller hat darzulegen und glaubhaft zu machen, daß sein Schriftsatz im normalen ordnungsgemäßen Geschäftsgang fristgemäß an das zuständige Berufungsgericht weitergeleitet werden konnte ( aaO).
b) Dieser Darlegungslast hat die Beklagte nicht genügt. Sie kann sich nicht mit der Behauptung begnügen, wegen des um 13.52 Uhr erfolgten Eingangs des Schriftstücks bei dem Landgericht hätte ein Zeitraum von zwei bis drei Stunden bestanden, um die Berufungsschrift an das im gleichen Gebäude gelegene Oberlandesgericht weiterzuleiten. Vielmehr bedurfte es der Darlegung, daß eine solche Weiterleitung im gewöhnlichen Geschäftsgang, dessen Ablauf die Beklagte nicht ansatzweise konkretisiert hat, zu erwarten war. Da sich die Justizbediensteten mit Rücksicht auf ihre sonstige Belastung nicht vorrangig der Aufdeckung und Heilung von Anwaltsversäumnissen widmen können, gebietet die Bearbeitung im ordentlichen Geschäftsgang keine außerordentlichen Maßnahmen, die - wie eine telefonische Benachrichtigung des Bevollmächtigten oder die Weiterleitung seines Schriftsatzes per Sonderboten bzw. Fax - den rechtzeitigen Eingang bei dem Rechtsmittelgericht sicherstellen (BVerfG aaO; Zöller/Greger, ZPO 25. Aufl. § 233 Rdn. 22 b; Hartmann in: Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO 63. Aufl. § 233 Rdn. 24 "Unzuständigkeit").
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
INF 2005 S. 612 Nr. 16
NJW-RR 2005 S. 1373 Nr. 19
SJ 2005 S. 42 Nr. 24
StuB-Bilanzreport Nr. 24/2005 S. 1070
JAAAB-97679
1Nachschlagewerk: ja; BGHZ: nein; BGHR: ja