Leitsatz
[1] Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Gesetze: ZPO § 238 Abs. 2; ZPO § 522 Abs. 1 Satz 4; ZPO § 577 Abs. 5
Instanzenzug: OLG Celle vom
Gründe
I. Der Kläger macht gegen die Beklagte einen Zahlungsanspruch aus einem Gesellschaftsvertrag über eine ärztliche Gemeinschaftspraxis geltend. Mit Urteil vom hat das Landgericht die Klage abgewiesen. Das Urteil ist dem erstinstanzlichen Prozeßbevollmächtigten des Klägers, Rechtsanwalt K., am zugestellt worden. Aus nicht mehr nachvollziehbaren Gründen ist der Prozeßbevollmächtigte später von der Geschäftsstelle des Landgerichts erneut aufgefordert worden, den Empfang des Urteils auf einem beigefügten Empfangsbekenntnisformular zu bestätigen. Daraufhin hat er am das weitere Empfangsbekenntnis unterzeichnet. Nur dieses Empfangsbekenntnis und nicht auch dasjenige vom ist zunächst zur Gerichtsakte genommen worden.
Ohne Vermittlung seines erstinstanzlichen Prozeßbevollmächtigten hat sich der Kläger persönlich an den bei dem Berufungsgericht zugelassenen Rechtsanwalt S. gewandt und ihn beauftragt, Berufung einzulegen. Dieser hat die Gerichtsakte angefordert und Berufung eingelegt. Nach Einsicht in die Gerichtsakte hat er aufgrund des dort abgehefteten Empfangsbekenntnisses vom den (Montag) als Ende der Berufungsbegründungsfrist notiert. Mit Schriftsatz vom , eingegangen am selben Tage, hat er die Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist beantragt.
Mittlerweile war das Empfangsbekenntnis vom zur Akte genommen worden. Nachdem der Senatsvorsitzende den zweitinstanzlichen Prozeßbevollmächtigten des Klägers über dieses Empfangsbekenntnis unterrichtet hatte, hat der Kläger Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt.
Das Oberlandesgericht hat den Antrag zurückgewiesen und die Berufung wegen Versäumung der Berufungsbegründungsfrist als unzulässig verworfen. Dagegen richtet sich die Rechtsbeschwerde des Klägers.
II. Die Rechtsbeschwerde ist gemäß §§ 238 Abs. 2, 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO statthaft. Sie ist auch zulässig (§ 574 Abs. 2 ZPO) und begründet. Der Kläger ist durch die Ablehnung seines Wiedereinsetzungsgesuchs und die daran anknüpfende Verwerfung der Berufung als unzulässig in seinem Verfahrensgrundrecht auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes (Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip) verletzt.
1. Das Berufungsgericht hat ausgeführt: Den erstinstanzlichen Prozeßbevollmächtigten des Klägers treffe an der Versäumung der Berufungsbegründungsfrist ein Verschulden. Er habe zwar dem Kläger mit Schreiben vom die richtige Berufungsfrist mitgeteilt. Er habe jedoch nicht sichergestellt, daß dieses Schreiben den Kläger auch erreichen würde, obwohl er gewußt habe, daß bei dem Kläger schon öfters Post abhanden gekommen sei. Deshalb sei er gehalten gewesen, bei der anschließend zusätzlich veranlaßten "Niederlegung" einer Urteilsabschrift in dem Briefkasten des Klägers ein Begleitschreiben beizufügen, in dem nochmals auf die Frist hinzuweisen war. Jedenfalls hätte er sich bei dem Telefonat mit dem Kläger am vergewissern müssen, ob dem Kläger die Frist bekannt gewesen sei. Das sei insbesondere deshalb geboten gewesen, weil er durch die zweimalige Unterzeichnung eines Empfangsbekenntnisses eine unklare Lage geschaffen habe, bei der es leicht zu einer Verwirrung über den tatsächlichen Fristbeginn habe kommen können. Als ihm das zweite Empfangsbekenntnis zugesandt worden sei, habe er erkennen müssen, daß er bereits ein Empfangsbekenntnis unterzeichnet gehabt habe und daher kein Anlaß für eine nochmalige Bestätigung bestanden habe.
2. Diese Ausführungen tragen die Ablehnung des Wiedereinsetzungsgesuchs nicht. Zwar mag dem erstinstanzlichen Prozeßbevollmächtigten des Klägers jedenfalls insofern ein Vorwurf zu machen sein, als er das ihm zugesandte zweite Empfangsbekenntnis unterschrieben hat, anstatt dem Gericht mitzuteilen, daß er den Empfang des Urteils bereits bestätigt habe. Dieses Verschulden hat sich jedoch bei wertender Betrachtung auf die Fristversäumung nicht mehr ausgewirkt. Entscheidend war dafür vielmehr - was das Berufungsgericht nicht beachtet hat - die fehlerhafte Führung der Gerichtsakte durch das Landgericht. Dieses hätte das erste Empfangsbekenntnis des Prozeßbevollmächtigten des Klägers umgehend zur Akte nehmen müssen. Hätte es das getan, dann hätte der zweitinstanzliche Prozeßbevollmächtigte des Klägers bei seiner Akteneinsicht dieses Empfangsbekenntnis vorgefunden und die zutreffende Berufungsbegründungsfrist eingetragen. Nur weil lediglich das zweite - unrichtige - Empfangsbekenntnis in die Akte eingeheftet war, ist die falsche Frist notiert worden. Ein weiterer Fehler ist dem Landgericht unterlaufen, als es festgestellt hat, daß das (erste) Empfangsbekenntnis nicht zur Akte gelangt war. Es hätte dem Prozeßbevollmächtigten des Klägers dann nicht ein neues Empfangsbekenntnisformular zuschicken dürfen, sondern hätte ihn an die Rücksendung des (ersten) Empfangsbekenntnisses erinnern müssen. Hätte es das getan, hätte der Prozeßbevollmächtigte im Zweifel mitgeteilt, daß er das Empfangsbekenntnis schon mit Datum vom zurückgeschickt habe. Auch dann wäre es nicht zu der Fristversäumung gekommen.
Allerdings scheidet eine Wiedereinsetzung grundsätzlich auch dann aus, wenn zu der Fristversäumung neben dem Verschulden der Partei oder ihres Prozeßbevollmächtigten auch ein Mitverschulden des Gerichts beigetragen hat (, BGHR ZPO § 233 - Verschulden 5; Beschl. v. - X ZB 18/91, NJW 1992, 1700; Beschl. v. - V ZB 12/94, NJW 1994, 2299; Beschl. v. - I ZB 7/94, NJW-RR 1995, 574, 575; Urt. v. - VII ZR 396/98, VersR 2000, 515, 516). Das ist aber dann anders, wenn sich das Verschulden der Partei oder ihres Anwalts aufgrund des Fehlers des Gerichts nicht mehr entscheidend auswirkt, sondern die Fristversäumung bei einer wertenden Betrachtung allein auf den gerichtlichen Fehler zurückzuführen ist. Das hat der Senat im Anschluß an die Rechtsprechung des BVerfGE 93, 99, 112 ff. = NJW 1995, 3171, 3175) für den Fall angenommen, daß eine Rechtsmittelschrift irrtümlich an das erstinstanzliche Gericht adressiert war und von dort - trotz ausreichender Zeit - nicht an das Rechtsmittelgericht weitergeleitet worden ist (Sen.Urt. v. - II ZR 85/97, NJW 1998, 908; ebenso Beschl. v. - XII ZR 144/96, NJW-RR 1998, 354). Gleichermaßen hat der Senat in einem Fall entschieden, in dem von dem Geschäftsstellenbeamten des Gerichts der - unzutreffende - Eindruck vermittelt worden war, eine telefonische Ergänzung der Parteibezeichnungen sei ausreichend (Sen.Beschl. v. - II ZB 12/96, NJW-RR 1997, 1020). Auch bei einer falschen Rechtsmittelbelehrung hat der Bundesgerichtshof Wiedereinsetzung gewährt, obwohl die Partei durch einen Rechtsanwalt vertreten war (Beschl. v. - LwZR 10/92, NJW 1993, 3206), ebenso bei einem offensichtlichen Schreibversehen des Anwalts, das dem Gericht hätte auffallen müssen (Beschl. v. - VIII ZB 50/97, NJW 1998, 2291, 2292).
So liegt der Fall auch hier. Es geht um mehr als ein mitwirkendes Fehlverhalten des Gerichts. Das Gericht hat den entscheidenden Grund für die Fristversäumung gelegt, den Kläger und seinen zweitinstanzlichen Prozeßbevollmächtigten trifft daran keinerlei Verschulden, und der Fehler des erstinstanzlichen Prozeßbevollmächtigten tritt bei einer Gesamtwürdigung völlig in den Hintergrund.
3. Der Senat kann gemäß § 577 Abs. 5 ZPO in der Sache entscheiden und dem Kläger Wiedereinsetzung gegen die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist gewähren, da weitere tatsächliche Feststellungen nicht zu erwarten sind. Die Verwerfung der Berufung als unzulässig ist damit gegenstandslos.
Der Gegenstandswert des Beschwerdeverfahrens wird auf 51.305,48 € festgesetzt.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
WAAAB-97666
1Nachschlagewerk: nein; BGHZ: nein; BGHR: nein