Leitsatz
[1] Dem Berufungskläger ist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, wenn während eines Zeitraums von fünf Arbeitstagen versäumt wird, den versehentlich bei dem Landgericht eingereichten Antrag auf Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist an das zuständige Oberlandesgericht weiterzuleiten.
Gesetze: ZPO § 233 D
Instanzenzug: LG Wiesbaden 5 O 222/03 vom OLG Frankfurt/Main 10 U 100/05 vom
Gründe
I. Der Beklagte hat gegen das ihm am zugestellte Urteil des Landgerichts Wiesbaden durch am beim Oberlandesgericht Frankfurt am Main eingegangenen Schriftsatz Berufung eingelegt. Mit einem an das Landgericht Wiesbaden adressierten, dort am eingegangenen Schriftsatz hat der Beklagte gebeten, die Berufungsbegründungsfrist wegen Arbeitsüberlastung um einen Monat zu verlängern. Aufgrund einer Verfügung der Kammervorsitzenden vom ist dieser Schriftsatz am bei dem Oberlandesgericht Frankfurt am Main eingegangen.
Der von dem Senatsvorsitzenden am über den Ablauf der Berufungsbegründungsfrist unterrichtete Beklagte hat mit am bei dem Oberlandesgericht Frankfurt am Main eingegangenen Schriftsatz Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist beantragt. Zur Begründung hat er ausgeführt, der Antrag auf Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist sei versehentlich an das Landgericht Wiesbaden gerichtet worden, weil seine Kanzleiangestellte offenbar im Zuge eines in gleicher Sache gefertigten, ein Tatbestandsberichtigungsverfahren betreffenden Schriftsatzes auch das Verlängerungsgesuch an das Landgericht Wiesbaden adressiert habe. Da der Schriftsatz eine Woche vor Ablauf der Berufungsbegründungsfrist beim Landgericht Wiesbaden eingegangen sei, wäre es ohne weiteres möglich gewesen, den Schriftsatz im normalen Geschäftsgang an das Oberlandesgericht Frankfurt am Main weiterzuleiten.
Das Oberlandesgericht hat den Wiedereinsetzungsantrag des Beklagten zurückgewiesen und die Berufung als unzulässig verworfen. Dagegen richtet sich die Rechtsbeschwerde des Beklagten, mit der er die Aufhebung des angefochtenen Beschlusses begehrt und den Wiedereinsetzungsantrag weiterverfolgt.
II. Die Rechtsbeschwerde ist zulässig und begründet, weil eine Weiterleitung des Schriftsatzes vom bis zum Fristablauf am im ordentlichen Geschäftsgang ohne weiteres möglich war.
1. Ein Gericht, das im vorangegangenen Rechtszug mit der Sache befasst war, ist regelmäßig verpflichtet, fristgebundene Schriftsätze für das Rechtsmittelverfahren, die bei ihm eingereicht werden, im Rahmen des ordentlichen Geschäftsgangs an das Rechtsmittelgericht weiterzuleiten. Geht der Schriftsatz so rechtzeitig ein, dass eine fristgerechte Weiterleitung im ordentlichen Geschäftsgang ohne weiteres erwartet werden kann, wirkt sich ein Verschulden der Partei oder ihres Prozessbevollmächtigten nicht mehr aus, wenn der Schriftsatz nicht rechtzeitig an das Rechtsmittelgericht weitergeleitet wird (Sen.Beschl. v. - II ZB 9/04, NJW-RR 2005, 1373 f. m.w.Nachw.; Sen.Urt. v. - II ZR 85/97, NJW 1998, 908).
2. Die Auffassung des Oberlandesgerichts, dass eine fristgemäße Weiterleitung des Schriftsatzes im ordentlichen Geschäftsgang nicht zu erwarten war, ist rechtsfehlerhaft.
Zu Unrecht meint das Berufungsgericht, das Landgericht habe die zu beobachtende Fürsorgepflicht nicht verletzt. Es kann - auch bei der bekanntermaßen stark belasteten und personell nicht immer hinreichend ausgestatteten Justiz - nicht hingenommen werden, daß eine auch binnen fünf Arbeitstagen nicht bewirkte Weiterleitung eines Schriftsatzes von einem Landgericht zu einem Oberlandesgericht als eine Verfahrensweise qualifiziert wird, die "einem ordentlichen Geschäftsgang" entspricht. Dass das Landgericht Wiesbaden den ihm von dem Oberlandesgericht Frankfurt am Main zugebilligten langen Zeitraum für eine solche Maßnahme nicht benötigt, wird aus dem späteren Ablauf deutlich. Nachdem der Prozessbevollmächtigte des Beklagten die Kammer auf seinen Fehler aufmerksam gemacht und die Vorsitzende die Weiterleitung am verfügt hatte, hat der Schriftsatz bereits am übernächsten Tag () dem Berufungsgericht vorgelegen.
Rechtsfehlerhaft glaubt das Berufungsgericht obendrein, deswegen geringere Anforderungen an die Erfüllung der Fürsorgepflicht des Landgerichts stellen zu können, weil für eine erstinstanzliche Zivilkammer Anträge auf Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist nicht zum "alltäglichen Geschäftsanfall" gehören; gerade dieser Umstand musste die Kammer, die von der Anhängigkeit der Berufung Kenntnis hatte, zu besonderer Sorgfalt veranlassen. Da danach der Fehler des Prozessbevollmächtigten des Beklagten nicht ursächlich geworden ist, ist das Wiedereinsetzungsgesuch begründet.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
HFR 2007 S. 169 Nr. 2
NJW 2006 S. 3499 Nr. 48
SJ 2007 S. 46 Nr. 6
YAAAB-97622
1Nachschlagewerk: ja; BGHZ: nein; BGHR: ja