BFH Beschluss v. - III B 146/05

Verletzung des Rechts auf Gehör; Darlegung von Divergenz

Gesetze: FGO § 115 Abs. 2 Nr. 2, FGO § 115 Abs. 2 Nr. 3, FGO § 96 Abs. 2

Instanzenzug:

Gründe

I. Die Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) ist eine Rechtsnachfolgerin der am verstorbenen K.

Den K betreffenden Einkommensteuerbescheid 1994 vom adressierte der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt —FA—) an den Prozessbevollmächtigten der Klägerin als Vertreter der namentlich nicht benannten Erben.

Im Januar 1996 beantragten die Klägerin und der weitere Rechtsnachfolger der K, den Einkommensteuerbescheid 1994 nach § 173 Abs. 1 Nr. 2 der Abgabenordnung (AO 1977) zu ändern und Aufwendungen für Pflegekräfte der K als außergewöhnliche Belastung zu berücksichtigen.

Das Finanzgericht (FG) wies mit Urteil vom die Klage auf Änderung des Einkommensteuerbescheides 1994 ab. In seiner Entscheidung wies es auch den Klageantrag auf Feststellung der Nichtigkeit des Einkommensteuerbescheides 1994 wegen unwirksamer Bekanntgabe als unzulässig zurück. Insoweit fehle es an einem berechtigten Interesse der Klägerin, weil der Grundsatz von Treu und Glauben im Streitfall der Geltendmachung der Nichtigkeit des Einkommensteuerbescheides 1994 entgegenstehe. Die hiergegen eingelegte Revision und die parallel erhobene Nichtzulassungsbeschwerde blieben ohne Erfolg.

Nachdem die Klägerin am beantragt hatte, für 1994 einen rechtswirksamen Einkommensteuerbescheid zu erlassen, erließ das FA am einen weiteren Einkommensteuerbescheid 1994, der an den Prozessbevollmächtigten der Klägerin adressiert war und die Klägerin auch namentlich als Miterbin bezeichnete, im Übrigen aber inhaltsgleich mit dem zunächst ergangenen Bescheid war.

Den hiergegen erhobenen Einspruch der Klägerin, mit dem diese für 1994 den Abzug von Zahlungen an Pflegekräfte in Höhe von 76 470 DM als außergewöhnliche Belastung begehrte, verwarf das FA mit seiner Einspruchsentscheidung vom als unzulässig. Mit Verfügung vom selben Tag hob das FA den Einkommensteuerbescheid 1994 vom ersatzlos auf.

Die Klage blieb ohne Erfolg.

Mit der Nichtzulassungsbeschwerde macht die Klägerin als Zulassungsgründe das Erfordernis der Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung nach § 115 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) sowie Verfahrensmängel i.S. von § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO geltend.

Das FG habe zur Auslegung des Einkommensteuerbescheides vom „den Rechtssatz des Augenscheins aufgestellt: 'Dies sollte augenscheinlich dazu dienen, einen eventuellen Bekanntgabemangel vor Ablauf der Festsetzungsfrist zu heilen'”. Dieser Rechtssatz widerspreche der ständigen —im Einzelnen zitierten— Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH), wonach es bei der Abgabe von Erklärungen stets darauf ankomme, wie der Betroffene nach den ihm bekannten Umständen den materiellen Gehalt der Erklärungen unter Berücksichtigung von Treu und Glauben habe verstehen können.

„Der Rechtssatz des Augenscheins” entspringe „dem Regelungswerk der Beweisaufnahme”. Das FG habe aber kein Beweisverfahren durchgeführt und keinen Beweis erhoben. Das Ergebnis des „Augenscheins” sei in das Protokoll über die mündliche Verhandlung aufzunehmen. Es liege aber kein Protokoll über die mündliche Verhandlung vor.

Darüber hinaus habe das FG den Grundsatz rechtlichen Gehörs verletzt, da sie, die Klägerin, nicht hinreichend Gelegenheit erhalten habe, sich zu den entscheidungserheblichen Tatsachen oder Beweisergebnissen zu äußern. Das FG habe den „Rechtssatz des Augenscheins” erstmals in seinem Urteil verwendet.

II. Die Beschwerde ist unbegründet und daher zurückzuweisen (§ 132 FGO).

1. Die von der Klägerin gerügte Abweichung liegt nicht vor. Das FG hat keinen abstrakten Rechtssatz aufgestellt, dass Verwaltungsakte einer Behörde „nach dem Augenschein” auszulegen seien. Es hat lediglich seine Vermutung dargelegt, warum das FA einen erneuten Einkommensteuerbescheid erlassen hat, nämlich weil die Klägerin einen Bekanntgabemangel gerügt und um Erlass eines rechtswirksamen Bescheids gebeten hatte. Das FG war der Ansicht, der erneute Bescheid habe „augenscheinlich” (= offensichtlich) einen eventuellen Bekanntgabemangel vor Ablauf der Festsetzungsfrist am heilen sollen.

Aus welchen Motiven das FA den Einkommensteuerbescheid 1994 erneut bekannt gegeben hat, war im Übrigen für die Entscheidung des FG unerheblich. Denn das FG war der Auffassung, der Einkommensteuerbescheid 1994 vom sei eine erneute wirksame Steuerfestsetzung, die das FA nicht habe aufheben dürfen, weil es keine Rechtsgrundlage für eine Korrektur gegeben habe. Da der erneute Einkommensteuerbescheid 1994 vom aber mit dem ursprünglichen, nicht angefochtenen Einkommensteuerbescheid 1994 vom inhaltsgleich gewesen sei, könne der zweite Bescheid gemäß § 351 Abs. 1 AO 1977 schon aus verfahrensrechtlichen Gründen nicht entsprechend dem Antrag der Klägerin geändert werden.

2. Das FG hat auch nicht den Anspruch der Klägerin auf rechtliches Gehör verletzt.

§ 96 Abs. 2 FGO gewährleistet das Recht der Verfahrensbeteiligten, sich vor Erlass einer Entscheidung zu entscheidungserheblichen Tatsachen und Beweisergebnissen zu äußern. Das FG ist aber nicht einmal verpflichtet, alle maßgebenden rechtlichen Gesichtspunkte mit den Beteiligten vorher umfassend zu erörtern (vgl. , BFHE 160, 256, BStBl II 1990, 539); das gilt erst recht für unmaßgebliche Gesichtspunkte wie hier die Motive des FA für den Erlass eines erneuten Einkommensteuerbescheids 1994.

Fundstelle(n):
BFH/NV 2006 S. 2112 Nr. 11
GAAAB-97184