Leitsatz
[1] Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Gesetze: ZPO § 522 Abs. 1 Satz 2; ZPO § 522 Abs. 1 Satz 4; ZPO § 238 Abs. 2 Satz 1
Instanzenzug:
Gründe
I. Die Klägerin hat gegen das ihren Prozeßbevollmächtigten am zugestellte Urteil des Landgerichts München I am Berufung eingelegt und diese mit einem am Dienstag, dem , beim Oberlandesgericht eingegangenen Schriftsatz begründet. Mit Verfügung vom , die den Prozeßbevollmächtigten der Klägerin am zugegangen ist, wies das Oberlandesgericht darauf hin, daß beabsichtigt sei, die Berufung gemäß § 522 Abs. 1 Satz 2 ZPO als unzulässig zu verwerfen.
Die Klägerin hat daraufhin mit am beim Oberlandesgericht eingegangenem Schriftsatz Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt. Zur Begründung hat sie vorgetragen, ihr Prozeßbevollmächtigter habe die Berufungsbegründung bereits am Freitag, dem , fertiggestellt und unterzeichnet. Die geschulte und zuverlässige Bürokraft G. sei anschließend unter Hinweis auf die am Montag, dem , ablaufende Berufungsbegründungsfrist beauftragt worden, für den Auslauf der Berufungsbegründung an das Gericht zu sorgen. Sie habe den unterschriebenen Schriftsatz am frühen Nachmittag des wie üblich ohne Kuvert in den für die Gerichtspost bestimmten Postkorb der Kanzlei gelegt.
Der seit vielen Jahren in der Kanzlei ihrer Prozeßbevollmächtigten beschäftigte und zuverlässige Bote D., der für die Kontrolle des Postkorbs und den Ausgang der darin befindlichen Schriftstücke zuständig sei, habe die generelle Anweisung erhalten, jeden (Arbeits-)Tag mindestens einmal, und zwar vormittags nach 10 Uhr die im Postkorb befindliche Gerichtspost zur allgemeinen Einlaufstelle der Justizbehörden zu bringen. Herr D. habe dem Postkorb auch am sämtliche Schriftstücke entnommen und zur allgemeinen Einlaufstelle gebracht. Er könne bestätigen, daß nach der Entnahme der für die Justizbehörden bestimmten Post kein Schriftstück mehr im Postkorb verblieben sei. Ihr Prozeßbevollmächtigter Rechtsanwalt H. habe sich am Montag, dem , bei Frau G. erkundigt, ob die Berufungsbegründungsschrift tatsächlich hinausgegangen sei. Frau G. habe ihrem Prozeßbevollmächtigten den aus ihrer Sicht ordnungsgemäßen Ausgang des Schriftsatzes bestätigt.
Die Klägerin hat ihr Vorbringen u.a durch eidesstattliche Versicherungen ihres Prozeßbevollmächtigten sowie der Kanzleiangestellten, Frau G. und Herrn D., glaubhaft gemacht.
Das Berufungsgericht hat die Erteilung von Wiedereinsetzung gegen die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist versagt und die Berufung als unzulässig verworfen. Hiergegen richtet sich die Rechtsbeschwerde der Klägerin.
II. Die Rechtsbeschwerde ist gemäß § 574 Abs. 1 Nr. 1 i.V. mit § 522 Abs. 1 Satz 4, § 238 Abs. 2 Satz 1 ZPO statthaft. Sie ist auch im übrigen zulässig, weil die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordert (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 ZPO). Die Rechtsbeschwerde hat in der Sache Erfolg.
1. Das Berufungsgericht hat den Wiedereinsetzungsantrag für unbegründet erachtet, weil die Klägerin nicht ohne ihr (zurechenbares) Verschulden verhindert gewesen sei, die Berufungsbegründungsfrist einzuhalten. Die in der Kanzlei des Prozeßbevollmächtigten der Klägerin getroffenen Maßnahmen gewährleisteten nicht, daß ein zum Versand fertiger fristwahrender Schriftsatz tatsächlich noch am Tag des Fristablaufs bei Gericht eingehe. In den für Gerichtspost bestimmten Postkorb würden unterschiedslos fristgebundene und nicht fristgebundene Schriftsätze aufgenommen. Vorausgesetzt, Frau G. habe den Schriftsatz am in den Postkorb gelegt, und vorausgesetzt, Herr D. habe ihn am ordnungsgemäß geleert, bedeute dies, daß der Schriftsatz bis zum unbemerkt aus dem Postkorb gekommen und ebenso unbemerkt am nach dem letzten Gerichtsgang von Herrn D. oder am wieder dorthin zurückgelangt sei. Lasse sich aber nicht einmal klären, warum der Schriftsatz verspätet eingereicht worden und wer dafür verantwortlich sei, dann sei die Ausgangskontrolle nicht hinreichend organisiert.
2. Diese Beurteilung hält der rechtlichen Nachprüfung nicht stand. Zwar trägt ein Rechtsanwalt die Verantwortung dafür, daß eine Rechtsmittelschrift rechtzeitig bei dem zuständigen Gericht eingeht (, EBE/BGH 2003, 106). Der Anspruch auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes verbietet es den Gerichten aber, den Parteien den Zugang zu einer in der Verfahrensordnung eingeräumten Instanz in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigender Weise zu erschweren. Die Gerichte dürfen daher bei der Anwendung der die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand regelnden Vorschriften die Anforderungen an das, was der Betroffene veranlaßt haben muß, um Wiedereinsetzung zu erlangen, nicht überspannen (vgl. , Umdr. S. 4 m.w.N.). Das ist im Streitfall geschehen.
a) Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts kann ein Organisationsverschulden der Prozeßbevollmächtigten der Klägerin nicht darauf gestützt werden, daß der ausschließlich für Gerichtspost bestimmte Postkorb sowohl fristgebundene als auch sonstige Schriftsätze aufnimmt. Die Klägerin hat glaubhaft gemacht, daß der in der Kanzlei ihrer Prozeßbevollmächtigten tätige zuverlässige Bote D. angewiesen worden ist, mindestens einmal (arbeits-)täglich, und zwar vormittags nach 10 Uhr, den (gesamten) im Postkorb befindlichen Inhalt zur allgemeinen Einlaufstelle der Justizbehörden München zu bringen. Das Berufungsgericht hat die in der Kanzlei der Prozeßbevollmächtigten der Klägerin geübte Praxis und die dem Boten D. erteilte Anweisung nicht in Zweifel gezogen. Wenn in der dargelegten Weise mit der Gerichtspost verfahren wird, ist nicht ersichtlich, aus welchem Grunde die im Korb befindlichen fristgebundenen und sonstigen Schriftstücke getrennt voneinander aufbewahrt werden müßten.
b) Soweit das Berufungsgericht aus dem vorgetragenen und glaubhaft gemachten Sachverhalt folgert, der in den Postkorb gelegte Berufungsbegründungsschriftsatz müsse vor der Leerung am aus diesem herausgekommen und danach wieder hineingelangt sein, ist diese tatrichterliche Würdigung aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden. Dieser Umstand gereicht der Klägerin indes nicht zum Nachteil. Denn es muß nur gewährleistet sein, daß ein fristwahrender Schriftsatz rechtzeitig hergestellt und postfertig gemacht wird, sofern die weitere Beförderung der ausgehenden Post organisatorisch zuverlässig vorbereitet ist. Das ist im allgemeinen anzunehmen, wenn der fristwahrende Schriftsatz in ein Postausgangsfach des Rechtsanwalts eingelegt wird und die abgehende Post von dort unmittelbar zum Briefkasten oder zur maßgeblichen gerichtlichen Einlaufstelle gebracht wird (vgl. , NJW 2001, 1577, 1578). Diese - ein Organisationsverschulden ausschließenden - Maßnahmen sind in der Kanzlei der Prozeßbevollmächtigten der Klägerin getroffen worden. Wenn jemand im konkreten Fall unbemerkt den in den Postkorb gelegten Schriftsatz - organisationswidrig - dort entnommen und nach der Korbentleerung am wieder hineingelegt hat, beruht das auf einem nicht vorhersehbaren Fehlverhalten, für das der Rechtsanwalt nicht verantwortlich gemacht werden kann.
c) Zu Unrecht hält das Berufungsgericht die Ausgangskontrolle für nicht hinreichend organisiert, weil sich nicht klären lasse, warum der Schriftsatz verspätet eingereicht worden sei. Darauf kommt es im Streitfall nicht an. Da der Postkorb hier - wie bereits dargelegt - gewissermaßen die "letzte Station" auf dem Weg zum Adressaten ist, ist eine zusätzliche Überwachung der abgehenden Post, etwa durch Führung eines Postausgangsbuchs, nicht erforderlich (vgl. BGH NJW 2001, 1577, 1578).
d) Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts genügte es unter diesen Umständen auch, am anhand der Fristenlisten den Auslauf der Berufungsbegründungsschrift zu kontrollieren. Dies entspricht den Anforderungen der Rechtsprechung, nach der die Erledigung fristgebundener Sachen am Abend eines jeden Arbeitstags anhand des Fristenkalenders zu überprüfen ist (vgl. , NJW-RR 1998, 1604 m.w.N.). Ein weiteres Vergewissern darüber, ob der Schriftsatz tatsächlich herausgegangen war, brauchte unter diesen Umständen nicht mehr zu erfolgen.
III. Danach war der angefochtene Beschluß aufzuheben und der Klägerin auf ihren rechtzeitigen Antrag wegen der Versäumung der Berufungsbegründungsfrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Über die Kosten des Wiedereinsetzungsverfahrens - zu denen auch die Kosten des für die Klägerin erfolgreichen Rechtsbeschwerdeverfahrens gehören - ist erst in der Endentscheidung über die Hauptsache zu erkennen (vgl. , NJW 2000, 3284, 3286; Zöller/Greger, ZPO, 23. Aufl., § 238 Rdn. 11).
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
ZAAAB-96602
1Nachschlagewerk: nein; BGHZ: nein; BGHR: nein