Leitsatz
[1] 1. Das Gericht darf im Rahmen einer Urteilsabsprache an der Erörterung eines Rechtsmittelverzichts nicht mitwirken und auf einen solchen Verzicht auch nicht hinwirken.
2. Nach jedem Urteil, dem eine Urteilsabsprache zugrunde liegt, ist der Rechtsmittelberechtigte, der nach § 35 a Satz 1 StPO über ein Rechtsmittel zu belehren ist, stets auch darüber zu belehren, daß er ungeachtet der Absprache in seiner Entscheidung frei ist, Rechtsmittel einzulegen (qualifizierte Belehrung). Das gilt auch dann, wenn die Absprache einen Rechtsmittelverzicht nicht zum Gegenstand hatte.
3. Der nach einer Urteilsabsprache erklärte Verzicht auf die Einlegung eines Rechtsmittels ist unwirksam, wenn der ihn erklärende Rechtsmittelberechtigte nicht qualifiziert belehrt worden ist.
Gesetze: GG Art. 20 Abs. 3; StPO vor § 1 (faires Verfahren); StPO § 302 Abs. 1 Satz 1; BGHSt: ja
Instanzenzug: LG Lüneburg LG Duisburg
Gründe
A.
Die Vorlage des 3. Strafsenats des Bundesgerichtshofs an den Großen Senat für Strafsachen betrifft die Frage, inwieweit dem im Zusammenhang mit einer Urteilsabsprache erklärten Rechtsmittelverzicht Wirksamkeit zukommt.
I. Dem 3. Strafsenat liegen zwei Revisionsverfahren vor, in denen vorab jeweils über die Wirksamkeit des Rechtsmittelverzichts zu entscheiden ist. Beide Verfahren hat der 3. Strafsenat zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbunden.
1. In der Strafsache gegen J. (3 StR 415/02) geht es um einen in der Urteilsabsprache "vereinbarten" und nach Urteilsverkündung sodann allseitig erklärten Rechtsmittelverzicht, nach dem der Angeklagte Wiedereinsetzung zur Revisionseinlegung begehrt.
Das Landgericht Duisburg hat den Angeklagten am wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in drei Fällen zu der Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und sechs Monaten verurteilt. Der Angeklagte hat unmittelbar nach der Urteilsverkündung auf die Einlegung eines Rechtsmittels verzichtet. Fünf Monate später hat er mit Schriftsatz vom , eingegangen am , Revision eingelegt und die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach Versäumung der Frist zur Einlegung der Revision beantragt. Dazu hat er vorgetragen: Der Rechtsmittelverzicht sei Bestandteil einer verfahrensbeendenden Absprache gewesen und deshalb unwirksam. Hiervon habe er erst nach dem - dem Tag, an dem sein neuer Verteidiger Akteneinsicht erhalten hatte - Kenntnis erlangt.
Dem Antrag liegt folgender Sachverhalt zugrunde: Nach Erörterung der Sach- und Rechtslage sowie einer einstündigen Unterbrechung der Sitzung wurde im Hauptverhandlungsprotokoll festgehalten: "Nach Erörterung der Sach- und Rechtslage sicherte die Kammer eine Freiheitsstrafe von höchstens vier Jahren neun Monaten bei Rechtsmittelverzicht zu". Daraufhin erklärten sowohl die Sitzungsvertreterin der Staatsanwaltschaft als auch der Angeklagte und sein Verteidiger, sie stimmten einer "solchen Absprache" bzw. einer "solchen Zusage der Kammer" zu. Nach Verlesung des Anklagesatzes und Belehrung des Angeklagten über seine Aussagefreiheit erklärte dieser, aussagen zu wollen. Anschließend gestand "der Angeklagte durch seinen Verteidiger die Anklagevorwürfe als richtig zu". Der Verteidiger erklärte für den Angeklagten weiterhin das Einverständnis zur "außergerichtlichen Einziehung" von sichergestellten Betäubungsmitteln und Geldbeträgen. Daraufhin wurde auf die Vernehmung der erschienenen Zeugen verzichtet. Nach im wesentlichen übereinstimmenden Schlußanträgen von Staatsanwaltschaft und Verteidigung und dem letzten Wort des Angeklagten verkündete die Strafkammer das Urteil und einen Haftfortdauerbeschluß. Unmittelbar danach verzichteten der Angeklagte, sein Verteidiger und die Staatsanwaltschaft auf Rechtsmittel. Diese Erklärungen wurden vorgelesen und genehmigt.
2. In der Strafsache gegen H. (3 StR 368/02) war der Rechtsmittelverzicht selbst zwar nicht Inhalt der Urteilsabsprache. Das Gericht brachte dabei aber zum Ausdruck, daß ein Rechtsmittelverzicht "wünschenswert" sei. Auf Nachfrage des Gerichts nach Urteilsverkündung erklärten die Angeklagte und ihr Verteidiger Rechtsmittelverzicht, ungeachtet dessen die Angeklagte innerhalb der Frist des § 341 StPO Revision einlegte.
Das Landgericht Lüneburg hat die Angeklagte am in einem umfangreichen Betäubungsmittelverfahren, das sich noch gegen weitere Angeklagte richtete, wegen unerlaubter Einfuhr von Betäubungsmitteln in Tateinheit mit Beihilfe zum unerlaubten Handeltreiben mit Betäubungsmitteln, jeweils in nicht geringer Menge, in zehn Fällen zu der Gesamtfreiheitsstrafe von acht Jahren und sechs Monaten verurteilt. Hiergegen richtet sich die am - am Tag nach der Urteilsverkündung - eingelegte Revision der Angeklagten. Die Angeklagte ist der Auffassung, ihr Rechtsmittel sei zulässig, obwohl sie unmittelbar nach Verkündung des Urteils auf Rechtsmittel verzichtet hatte. Ihr Rechtsmittelverzicht sei nämlich unwirksam.
Dem liegt folgender Verfahrensablauf zugrunde: Am ersten Verhandlungstag wurde die Hauptverhandlung unterbrochen, "um den Verfahrensbeteiligten (Staatsanwaltschaft, Verteidigung, Gericht) Gelegenheit zu geben, eine einverständliche Verfahrenserledigung zu erörtern". Nach einer Stunde wurde die Hauptverhandlung fortgesetzt. Zum weiteren Fortgang heißt es im Hauptverhandlungsprotokoll: "Der Vorsitzende gab den Inhalt des in der Verhandlungsunterbrechung geführten Gespräches bekannt: Die Kammer schlage folgende Verfahrenserledigung (Rechtsmittelverzicht wünschenswert) vor: ..." Für den Fall eines "umfassenden und glaubhaften" Geständnisses der Angeklagten wurde eine Gesamtfreiheitsstrafe von acht Jahren und sechs Monaten als Strafobergrenze in Aussicht gestellt. Die Hauptverhandlung wurde sodann erneut unterbrochen, "um den Verfahrensbeteiligten, insbesondere den Angeklagten und ihren Verteidigern Gelegenheit zu geben, die Anregung des Gerichts zu erörtern." 40 Minuten später wurde die Hauptverhandlung fortgesetzt. "Die Verfahrensbeteiligten, insbesondere die Angeklagten und ihre Verteidiger erklärten: Wir sind mit der vorgeschlagenen einverständlichen Verfahrenserledigung einschließlich der in Aussicht gestellten Gesamtfreiheitsstrafe ... einverstanden." Anschließend erklärte der Verteidiger für die Angeklagte, die Anklagevorwürfe träfen zu, und die Angeklagte bestätigte, dies sei so richtig.
Am nächsten Verhandlungstag wurde das Urteil verkündet. Dann wurde die Rechtsmittelbelehrung erteilt, zusätzlich wurde das Formblatt ausgehändigt. Während die anderen Angeklagten keine Rechtsmittelverzichtserklärungen abgaben, erklärte der Verteidiger der Angeklagten: "Wir verzichten auf Rechtsmittel." Auf Nachfrage des Gerichts bekundete die Angeklagte nach kurzer Unterredung mit ihrem Verteidiger: "Ich verzichte auf Rechtsmittel gegen das soeben verkündete Urteil." Diese Erklärung wurde vorgelesen und genehmigt. Anschließend erklärte die Staatsanwaltschaft gleichfalls Rechtsmittelverzicht bezüglich der Angeklagten H. .
II. Der 3. Strafsenat hält in beiden Fällen den Rechtsmittelverzicht für unwirksam. Er möchte auf die Revisionen der Angeklagten die Urteile einer Rechtsprüfung unterziehen. Er hält die geschilderte Vorgehensweise des Landgerichts für unzulässig. Ein Rechtsmittelverzicht im Rahmen einer Urteilsabsprache dürfe weder vereinbart werden noch dürfe das Gericht auf ihn hinwirken. Wegen des unzulässigen Vorgehens seien die Rechtsmittelverzichtserklärungen der Angeklagten unwirksam.
In der Strafsache J. (Fall 1) würde der 3. Strafsenat auf der Basis der bisherigen Rechtsprechung (vgl. BGHSt 45, 227, 234) Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach Versäumung der Frist zur Einlegung der Revision gewähren.
III. Da sich der 3. Strafsenat im Fall 1 an der beabsichtigten Entscheidung durch die Rechtsprechung des 1., 2. und 5. Strafsenats gehindert sieht, hat er mit Beschluß vom (NJW 2003, 3426) bei den anderen Strafsenaten gemäß § 132 Abs. 3 Satz 1 GVG angefragt, ob an dieser Rechtsprechung festgehalten wird. Im Fall 2 hat der 3. Strafsenat - nachdem hierzu eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs bislang nicht vorliegt - die anderen Senate um Stellungnahme gebeten.
Der 5. Strafsenat (Beschl. vom - 5 ARs 61/03 = NJW 2004, 1335) und der 4. Strafsenat (Beschl. vom - 4 ARs 32/03) haben mitgeteilt, daß sie den im Anfragebeschluß bezeichneten Rechtssätzen zustimmen und eigene Rechtsprechung nicht entgegensteht (4. Strafsenat) bzw. aufgegeben wird (5. Strafsenat).
Der 1. Strafsenat (Beschl. vom - 1 ARs 27/03 = NStZ 2004, 164) und der 2. Strafsenat (Beschl. vom - 2 ARs 330/03 = NJW 2004, 1336) halten hingegen an ihrer entgegenstehenden Rechtsprechung zur Wirksamkeit eines (unzulässigerweise) vereinbarten Rechtsmittelverzichts fest. Der 2. Strafsenat hat zudem die bisherige Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zur Unzulässigkeit der Vereinbarung eines Rechtsmittelverzichts im Rahmen einer Urteilsabsprache in Zweifel gezogen.
Der 1., 2. und 4. Strafsenat haben darüber hinaus angeregt, den Großen Senat für Strafsachen auch wegen der grundsätzlichen Bedeutung der aufgeworfenen Rechtsfragen anzurufen.
IV. Daraufhin hat der 3. Strafsenat - wegen beabsichtigter Abweichung und wegen grundsätzlicher Bedeutung - dem Großen Senat für Strafsachen gemäß §§ 132 Abs. 2 und 4 GVG mit Beschluß vom (NJW 2004, 2536) folgende Rechtsfragen zur Entscheidung vorgelegt:
1. Ist es zulässig, im Rahmen einer Urteilsabsprache zu vereinbaren, daß auf ein Rechtsmittel verzichtet wird?
2. Ist es zulässig, daß das Gericht im Rahmen einer Urteilsabsprache darauf hinwirkt, daß ein Rechtsmittelverzicht erklärt wird, indem es diesen ausdrücklich anspricht oder befürwortet?
3. Ist die Erklärung des Angeklagten, auf Rechtsmittel zu verzichten, wirksam, wenn ihr eine Urteilsabsprache vorausgegangen ist, in der unzulässigerweise ein Rechtsmittelverzicht versprochen worden ist oder bei der das Gericht, ohne sich ihn im Rahmen der Absprache unzulässigerweise versprechen zu lassen, lediglich auf diesen hingewirkt hat?
V. Der Generalbundesanwalt hält die Vorlegungsfragen für zu weit gefaßt, soweit sie den Rechtsmittelverzicht auch des unverteidigten Angeklagten zum Gegenstand haben. Im übrigen sieht er die Vorlegung als zulässig an.
Nach seiner Ansicht ist die Vereinbarung eines Rechtsmittelverzichts nur dann prozeßordnungswidrig, wenn das Gericht - was allerdings nur selten vorkomme - das Versprechen des Rechtsmittelverzichts als Gegenleistung für eine Strafmilderung verlange. Fehle ein solches Gegenseitigkeitsverhältnis, bestünden gegen die Verabredung des Rechtsmittelverzichts im Rahmen der Verständigungsgespräche keine Bedenken. Entgegen der Auffassung des vorlegenden Senats sei es dem Gericht auch nicht untersagt, bei der Verständigung auf die spätere Erklärung des Rechtsmittelverzichts hinzuwirken. Wenn das Gericht sich einen Rechtsmittelverzicht versprechen lasse oder auf ihn hinwirke, habe dies nicht zur Folge, daß der nach der Urteilsverkündung erklärte Rechtsmittelverzicht unwirksam sei.
Der Generalbundesanwalt hat beantragt zu beschließen:
1. Es ist grundsätzlich zulässig, im Rahmen einer Urteilsabsprache mit einem verteidigten Angeklagten zu vereinbaren, daß auf Rechtsmittel verzichtet wird.
2. Das Gericht darf im Rahmen einer Urteilsabsprache auf einen Rechtsmittelverzicht des verteidigten Angeklagten hinwirken.
3. Die Erklärung des verteidigten Angeklagten, auf Rechtsmittel zu verzichten, ist nicht schon deshalb unwirksam, weil ihr eine Urteilsabsprache vorausgegangen ist, in der ein Rechtsmittelverzicht versprochen worden ist oder bei der das Gericht lediglich auf diesen hingewirkt hat.
B.
Die Vorlegungsvoraussetzungen sind gegeben.
Der Große Senat für Strafsachen beantwortet die vorgelegten Fragen wie aus der Entscheidungsformel ersichtlich.
I.
Die Beantwortung der Vorlegungsfragen macht vorab eine Entscheidung über die Zulässigkeit von Urteilsabsprachen erforderlich. Gegenstand der Vorlegung sind zwar unmittelbar lediglich Fragen des Rechtsmittelverzichts im Rahmen einer solchen Absprache. Diese Fragen lassen sich indes sinnvoll nur beantworten, wenn Urteilsabsprachen nicht von vornherein unzulässig sind.
1. Die Strafprozeßordnung kennt die Verständigung über das Ergebnis einer Hauptverhandlung als Erledigungsart und verbindliche Zusagen über das Verfahrensergebnis nicht. Trotz Fehlens gesetzlicher Regelungen hat sich in der Strafrechtspflege eine Praxis dahin entwickelt, daß sich die Verfahrensbeteiligten nicht nur über den Stand und die Aussichten des Verfahrens verständigen - wogegen keine Bedenken bestehen (vgl. hierzu BVerfG - Kammer - NJW 1987, 2662) -, sondern zunehmend auch dessen Ergebnis vereinbaren oder zu vereinbaren versuchen. In nicht wenigen Fällen ist dabei auch die Inaussichtstellung des Rechtsmittelverzichts Gegenstand einer solchen Absprache.
2. Der Bundesgerichtshof hat sich in den letzten Jahren mehrfach mit Rechtsfragen befaßt, die sich aus dieser Rechtspraxis ergaben.
a) Er hatte zunächst einzelne, dafür typische Verfahrensvorgänge unter verschiedenen rechtlichen Gesichtspunkten zu überprüfen. So waren Gegenstand der Entscheidungen des Bundesgerichtshofs die Besorgnis richterlicher Befangenheit, die nach § 136 a StPO unzulässige Willensbeeinflussung, die Verletzung des fairen Verfahrens, die Nichtgewährung rechtlichen Gehörs und die Verletzung des Beweisantragsrechts (vgl. die Nachweise im Vorlagebeschluß des 3. Strafsenats, NJW 2004, 2536).
b) Mit der Entscheidung BGHSt 43, 195 hat der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs schließlich die Verständigung im Strafverfahren insgesamt unter den Aspekten der Rechtsstaatlichkeit, der Idee der Gerechtigkeit sowie der Notwendigkeit einer funktionstüchtigen Strafrechtspflege beurteilt. Er hat daraus Regeln abgeleitet, bei deren Einhaltung durch den Tatrichter die so "institutionalisierte" Verständigung mit der geltenden Rechtsordnung (noch) in Einklang zu bringen sei.
Danach bestehen folgende Mindestbedingungen für die Zulässigkeit einer Verständigung: Es darf keine Absprache über den Schuldspruch geben; das Geständnis ist auf seine Glaubhaftigkeit zu überprüfen; alle Verfahrensbeteiligten sind einzubeziehen; das Ergebnis der Absprache ist offenzulegen und zu protokollieren; es darf nur eine Strafobergrenze zugesagt werden; von dieser darf nur abgewichen werden, wenn sich neue schwerwiegende Umstände zu Lasten des Angeklagten ergeben haben; die beabsichtigte Abweichung ist in der Hauptverhandlung mitzuteilen; schließlich muß die Strafe schuldangemessen sein. Nicht zulässig ist es, den Angeklagten durch die Androhung einer überhöhten Strafe oder durch Versprechen eines gesetzlich nicht vorgesehenen Vorteils zu einem Geständnis zu drängen, ihm eine mildere Strafe für das Versprechen des Rechtsmittelverzichts zuzusagen und (insofern in BGHSt 43, 195 nicht tragend ausgeführt) einen Rechtsmittelverzicht überhaupt zu vereinbaren.
c) Alle Strafsenate des Bundesgerichtshofs haben in der Folgezeit in einer Reihe von Entscheidungen die Zulässigkeit von Urteilsabsprachen anhand der Mindestbedingungen von BGHSt 43, 195 beurteilt (vgl. nur BGHSt 48, 161; 49, 84; BGH StV 2004, 417, 470, 639; vgl. auch BVerfG - Kammer - StV 2000, 3).
3. Der Große Senat für Strafsachen hält Urteilsabsprachen grundsätzlich für zulässig und für vereinbar mit der geltenden Strafprozeßordnung. Er sieht aber Anlaß, die der Absprachepraxis durch Verfassung und Strafprozeßordnung gesetzten, bereits in der Entscheidung BGHSt 43, 195 zusammengestellten Grenzen hervorzuheben und zu präzisieren.
a) Verfassungsrechtliche Grenzen ergeben sich für die Urteilsabsprache insbesondere aus dem Grundsatz des fairen Verfahrens und dem Schuldprinzip.
Der Angeklagte hat einen Anspruch auf ein faires, rechtsstaatliches Verfahren (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG). Die Handhabung der richterlichen Aufklärungspflicht, die rechtliche Subsumtion und die Grundsätze der Strafzumessung dürfen nicht im Belieben oder zur freien Disposition der Verfahrensbeteiligten und des Gerichts stehen. Deshalb ist es dem Gericht und der Staatsanwaltschaft untersagt, sich auf einen "Vergleich" im Gewande des Urteils, auf einen "Handel mit der Gerechtigkeit" einzulassen. Der Strafprozeß darf darüber hinaus nicht auf eine Weise geführt werden, daß der Beschuldigte zum bloßen Objekt des Verfahrens wird. Der Beschuldigte muß im Rahmen der von der Strafprozeßordnung aufgestellten Regeln nicht nur theoretisch, sondern auch praktisch die Möglichkeit erhalten, zur Wahrung seiner Rechte aktiv auf den Gang und das Ergebnis des Verfahrens Einfluß zu nehmen (BVerfG - Kammer - NJW 1987, 2662; vgl. auch BVerfGE 57, 250, 275 f.).
Ein zentrales Ziel des rechtsstaatlich geordneten Strafverfahrens ist die Ermittlung des wahren Sachverhalts als der notwendigen Grundlage eines gerechten Urteils. Die Ermittlung des Sachverhalts durch den Tatrichter untersteht dem aus § 244 Abs. 2 StPO abzuleitenden und den verfassungsrechtlichen Anforderungen entsprechenden "Gebot bestmöglicher Sachaufklärung" (vgl. BVerfGE 57, 250, 275; 63, 45, 61; BVerfG - Kammer - NJW 2003, 2444 und Beschluß vom - 2 BvR 2122/03). Dabei ist die Feststellung des Ergebnisses der Beweisaufnahme grundsätzlich der Urteilsberatung vorbehalten, denn die für das Urteil maßgeblichen Feststellungen muß der Tatrichter nach § 261 StPO aus dem Inbegriff der Hauptverhandlung gewinnen (BGHSt 43, 360).
Die Strafe muß schuldangemessen sein. Der Grundsatz der Schuldangemessenheit des Strafens hat Verfassungsrang. Er folgt aus Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 1 GG sowie aus dem Rechtsstaatsprinzip. § 46 Abs. 1 Satz 1 StGB ist Ausdruck dieses Prinzips (BVerfGE 86, 288, 313; 95, 96, 140). Die Strafe darf sich nicht - auch nicht nach unten - von ihrer Bestimmung als gerechter Schuldausgleich lösen. Sie muß in einem angemessenen Verhältnis zum Maß der persönlichen Schuld, zum Unrechtsgehalt und zur Gefährlichkeit der Tat stehen und muß sich auch im Rahmen des für vergleichbare Fälle Üblichen halten (BGHR StGB § 46 Abs. 1 Strafhöhe 9; BtMG § 30 Strafzumessung 1).
b) Mit Blick auf diese verfassungsrechtlichen Vorgaben und ihre Ausgestaltung durch die Regelungen der geltenden Strafprozeßordnung ergeben sich - jenseits der durch die Vorlegung aufgeworfenen Fragen des Rechtsmittelverzichts (dazu unter II.) - für eine zulässige Urteilsabsprache insbesondere folgende, im wesentlichen schon in der Entscheidung BGHSt 43, 195 zusammengestellte Mindestbedingungen:
Das Gericht darf nicht vorschnell auf eine Urteilsabsprache ausweichen, ohne zuvor pflichtgemäß die Anklage tatsächlich anhand der Akten und insbesondere auch rechtlich überprüft zu haben (vgl. BGHR StPO § 302 Abs. 1 Satz 1 Rechtsmittelverzicht 25; BGH NStZ 2004, 577, 578).
Das bei einer Urteilsabsprache in der Regel abgelegte Geständnis muß auf seine Zuverlässigkeit überprüft werden. Das Gericht muß von seiner Richtigkeit überzeugt sein. Dazu muß das selbstbelastende, keinen besonderen Zweifeln im Einzelfall unterliegende Geständnis wenigstens so konkret sein, daß geprüft werden kann, ob es derart im Einklang mit der Aktenlage steht, daß sich hiernach keine weitergehende Sachaufklärung aufdrängt. Ein bloßes inhaltsleeres Formalgeständnis reicht hingegen nicht aus (vgl. BGHR StPO § 302 Abs. 1 Satz 1 Rechtsmittelverzicht 25). Zum Geständnis "zu Lasten Dritter" verweist der Große Senat für Strafsachen auf BGHSt 48, 161.
Der Schuldspruch kann - allerdings abgesehen von den in Einzelfällen nicht unnötig restriktiv zu handhabenden Möglichkeiten, welche die verfahrensökonomischen Regelungen aus §§ 154, 154 a StPO gestatten - nicht Gegenstand einer Urteilsabsprache sein.
Die Differenz zwischen der absprachegemäßen und der bei einem "streitigen Verfahren" zu erwartenden Sanktion darf nicht so groß sein ("Sanktionsschere"), daß sie strafzumessungsrechtlich unvertretbar und mit einer angemessenen Strafmilderung wegen eines Geständnisses nicht mehr erklärbar ist. Dies gilt sowohl für den Fall, daß die ohne Absprache in Aussicht gestellte Sanktion das vertretbare Maß überschreitet, so daß der Angeklagte inakzeptablem Druck ausgesetzt wird (vgl. BGH StV 2004, 470), als auch für den Fall, daß das Ergebnis des Strafnachlasses unterhalb der Grenze dessen liegt, was noch als schuldangemessene Sanktion hingenommen werden kann.
Das Gericht darf über BGHSt 43, 195 (Leitsatz 2) hinaus nicht nur wegen neuer Erkenntnisse von seiner Zusage abweichen, sondern - nach entsprechendem Hinweis - auch dann, wenn schon bei der Urteilsabsprache vorhandene relevante tatsächliche oder rechtliche Aspekte übersehen wurden (vgl. BGH NStZ 2004, 493; 2005, 115). Es wäre unvertretbar, das Gericht bei der Urteilsfindung entgegen § 261 StPO an einen maßgeblichen Irrtum allein aufgrund des im Rahmen einer Verständigung gesetzten Vertrauenstatbestandes zu binden, den es freilich auch und gerade in diesen Fällen durch entsprechende Hinweise beseitigen muß.
4. Der Große Senat für Strafsachen verkennt nicht, daß die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zur grundsätzlichen Zulässigkeit von Urteilsabsprachen bei Einhaltung der in der Entscheidung BGHSt 43, 195 zusammengestellten Mindestbedingungen im Schrifttum auf Kritik gestoßen ist. Von Zweifeln abgesehen, ob sie ihr Ziel, der Verständigungspraxis einen Rahmen zu geben, erreicht hat und überhaupt erreichen konnte (vgl. die Nachweise im Vorlagebeschluß des 3. Strafsenats, NJW 2004, 2536), wird ihr vor allem entgegengehalten, daß der Bundesgerichtshof mit der Einführung eines institutionalisierten Abspracheverfahrens die Grenzen zulässiger Rechtsfortbildung überschritten habe. Diese Bedenken teilt der Große Senat für Strafsachen nicht.
a) Allerdings enthält die Strafprozeßordnung keine Regelungen über die Urteilsabsprache. Sie ist sogar im Grundsatz vergleichsfeindlich ausgestaltet. Richtig ist ferner, daß die Anerkennung der Verbindlichkeit von Zusagen zur Strafhöhe, auch wenn diese - entsprechend den Vorgaben der Entscheidung BGHSt 43, 195 - lediglich die Strafobergrenze zum Gegenstand haben dürfen, mit § 261 StPO nur schwer in Einklang zu bringen ist. Sodann ist nicht zu übersehen, daß Abspracheverfahren in der Praxis eher als Verfahren, die streng nach der Strafprozeßordnung geführt werden, Gefahr laufen, dem gesetzlich verankerten Aufklärungsgrundsatz (§ 244 Abs. 2 StPO) nur eingeschränkt Rechnung zu tragen.
Schließlich kommt hinzu, daß ein Verständigungsverfahren, dessen Kern die Abgabe eines Geständnisses als Gegenleistung für eine verbindliche Zusage zur Strafhöhe ist, in vielfältiger Hinsicht näherer Ausgestaltung und weiterer Festlegungen bedarf als durch die Entscheidung BGHSt 43, 195 vorgenommen. Der Regelung bedarf namentlich die Frage, wen die Zusage bindet: nur das Tatgericht, das sie erteilt oder etwa auch das Rechtsmittelgericht, schließlich gar das Gericht, an das die Sache nach einer erfolgreichen Revision zurückverwiesen wird. Unabweislich sind Festlegungen dazu, ob und unter welchen Voraussetzungen die Bindungswirkung entfällt (s. oben zu 3. b). Gerade auch im Hinblick darauf, daß die Bindung nicht nur beim Auftreten neuer Erkenntnisse, sondern auch dann entfällt wenn für die Urteilsfindung maßgebliche Aspekte ursprünglich übersehen wurden, stellt sich die Frage, ob - gegebenenfalls mit welchen Einschränkungen - das "vorgeleistete" Geständnis bei Fortfall der Bindung noch zu Beweiszwecken verwertet werden darf und welche Anforderungen gegebenenfalls bei seiner Würdigung zu beachten sind. Geregelt werden muß ferner, ob die gerichtliche Zusage auch dann verbindlich ist, wenn im Rahmen der Verständigungsgespräche gebotene Beteiligungen oder Anhörungen unterblieben sind, insbesondere wenn die Staatsanwaltschaft an den Verständigungsgesprächen nicht beteiligt war oder dem Ergebnis nicht zustimmen konnte. Die Frage der Verbindlichkeit der Zusage stellt sich auch für den Fall, daß das Ergebnis der in Vorgesprächen erzielten Verständigung - entgegen den Vorgaben von BGHSt 43, 195 - nicht in die Hauptverhandlung eingeführt und protokolliert worden ist. Mit Blick auf das Rechtsmittelverfahren stellen sich nicht nur die von der Vorlage aufgeworfenen Fragen des Rechtsmittelverzichts; zu beantworten ist etwa auch, ob und in welchem Maße im Revisionsverfahren - mit Blick auf die Besonderheiten des Abspracheverfahrens, etwa unter dem Gesichtspunkt widersprüchlichen Verhaltens - bestimmte Verfahrensrügen, namentlich Aufklärungsrügen ausgeschlossen sein können.
b) Die notwendige Beantwortung all dieser Fragen - und weiterer, die sich auch je nach der gegebenen Antwort stellen werden - erweist sich insbesondere deswegen als schwierig, weil die Strafprozeßordnung kein konsensuales Urteilsverfahren kennt und ihr deshalb für die Ausgestaltung eines solchen Verfahrens auch keine Maßstäbe entnommen werden können. Damit gerät die Einführung eines Verständigungsverfahrens in das streng formalisiert ausgestaltete Strafverfahren durch die Rechtsprechung nahe an die Grenzen, die das Grundgesetz mit der Verteilung der Aufgaben auf Gesetzgebung und Rechtsprechung der richterlichen Rechtsfortbildung setzt. Diese Grenzen sind indes nicht überschritten:
aa) Das Grundgesetz lehnt einen engen Gesetzespositivismus ab, wie sich bereits aus der Bindung des Richters an "Gesetz und Recht" nach Art. 20 Abs. 3 GG ergibt (BVerfGE 34, 269, 286 ff., auch zum folgenden). Richterliche Tätigkeit besteht nicht nur im Erkennen und Aussprechen von Entscheidungen des Gesetzgebers. Vielmehr ist dem Richter eine "schöpferische Rechtsfindung", der auch willenhafte Elemente eigen sind, nicht grundsätzlich verwehrt. Insbesondere die obersten Gerichtshöfe haben diese Befugnis von Anfang an - mit Billigung des Bundesverfassungsgerichts - für sich in Anspruch genommen (BVerfG aaO, S. 288). Sie steht, wie das Bundesverfassungsgericht ausdrücklich hervorhebt, besonders dem Großen Senat zu, dem namentlich durch § 132 Abs. 4 GVG die Fortbildung des Rechts zur Aufgabe gemacht ist.
Der Richter ist zu "freierer Handhabung der Rechtsnormen" (BVerfG, aaO, S. 289) berechtigt, wenn das geschriebene Gesetz bei einer am Wortlaut haftenden Auslegung seine Funktion nicht mehr erfüllt. Die Auslegung einer Gesetzesnorm kann nicht immer auf Dauer bei dem ihr zu ihrer Entstehungszeit beigelegten Sinn stehen bleiben. Es ist zu berücksichtigen, welche vernünftige Funktion sie im Zeitpunkt der Anwendung haben kann. "Die Norm steht ständig im Kontext der sozialen Verhältnisse und der gesellschaftlich-politischen Anschauungen, auf die sie wirken soll; ihr Inhalt kann und muß sich unter Umständen mit ihnen wandeln" (BVerfG, aaO, S. 288). Die tatsächliche oder rechtliche Entwicklung kann eine bis dahin eindeutige und vollständige Regelung lückenhaft, ergänzungsbedürftig und zugleich ergänzungsfähig werden lassen, da Gesetze in einem Umfeld sozialer Verhältnisse und gesellschaftspolitischer Anschauungen stehen, mit deren Wandel sich auch der Norminhalt ändern kann (BVerfGE 82, 6, 12). Ändern sich die Bedürfnisse des Rechtsverkehrs, so folgt aus dem Gesagten die Zulässigkeit einer richterrechtlichen Anpassung des Rechts an diese Bedürfnisse.
bb) Bei Anlegung dieser Maßstäbe sind die Voraussetzungen einer richterrechtlichen Fortbildung der Strafprozeßordnung durch Zulassung von Urteilsabsprachen, die die dargestellten Mindestanforderungen erfüllen, insbesondere wegen der unabweislichen Bedürfnisse einer ordnungsgemäßen Strafrechtspflege gegeben.
Das Prinzip der Rechtsstaatlichkeit, die Pflicht des Staates, die Sicherheit seiner Bürger und deren Vertrauen in die Funktionstüchtigkeit der staatlichen Institutionen zu schützen, und nicht zuletzt das Gebot der Gleichbehandlung aller in Strafverfahren Beschuldigten geben es den zuständigen staatlichen Stellen und insbesondere den Organen der Strafrechtspflege auf, dafür Sorge zu tragen, daß der staatliche Strafanspruch insgesamt - mit Blick auf alle einzuleitenden Strafverfahren - so gut wie möglich durchgesetzt werden kann. Auf seine Durchsetzung darf weder nach Belieben noch aus vermeidbaren Gründen generell, partiell oder im Einzelfall verzichtet werden. Der Rechtsstaat kann sich nur verwirklichen, wenn sichergestellt ist, daß Straftäter im Rahmen der geltenden Gesetze verfolgt, abgeurteilt und einer gerechten Bestrafung zugeführt werden (vgl. BVerfG - Kammer - NJW 1987, 2662).
Diesen Anforderungen könnten die Organe der Strafrechtsjustiz unter den gegebenen - rechtlichen wie tatsächlichen - Bedingungen der Strafrechtspflege ohne die Zulassung von Urteilsabsprachen durch richterrechtliche Rechtsfortbildung nicht mehr gerecht werden. Vor allem mit Blick auf die knappen Ressourcen der Justiz (vgl. dazu den Beschluß der Konferenz der Justizministerinnen und Justizminister vom 17./: "Die Justizministerinnen und Justizminister weisen erneut darauf hin, daß die Strafjustiz am Rande ihrer Belastbarkeit arbeitet.") könnte die Funktionstüchtigkeit der Strafjustiz nicht gewährleistet werden, wenn es den Gerichten generell untersagt wäre, sich über den Inhalt des zu verkündenden Urteils mit den Beteiligten abzusprechen. Jedenfalls soweit sie den dargestellten Mindestanforderungen entsprechen, ermöglichen es Urteilsabsprachen, den mitunter gegenläufigen Anforderungen für ein ordnungsgemäßes Funktionieren der Strafjustiz in ihrer Gesamtheit Rechnung zu tragen.
Das gilt zumal unter Berücksichtigung des Beschleunigungsgrundsatzes, der ein Bestandteil des Rechtsstaatsprinzips ist, und des Grundsatzes der Prozeßökonomie. Beide Grundsätze können den Umfang der im Einzelfall gebotenen Aufklärungsbemühungen bestimmen. Das Gewicht der Strafsache sowie die Bedeutung und der Beweiswert weiterer Beweismittel sind gegenüber den Nachteilen der Verfahrensverzögerungen abzuwägen (BGH NJW 2001, 695). Die Rücksichtnahme auf die Belange der Verfahrensökonomie, namentlich bei drohender Verfahrensverzögerung, ist der Strafprozeßordnung - wie jeder anderen Verfahrensordnung - durchaus nicht fremd (vgl. BGH NStZ 2004, 638; BGH wistra 2004, 475). So ist nach ausdrücklicher gesetzlicher Regelung eine Teileinstellung nach § 154 Abs. 1 Nr. 2 StPO möglich, "wenn ein Urteil wegen dieser Tat in angemessener Frist nicht zu erwarten ist". Unter den gleichen Voraussetzungen können einzelne abtrennbare Teile einer Tat oder einzelne von mehreren Gesetzesverletzungen von der Verfolgung ausgenommen werden (§ 154 a Abs. 1 Satz 2 StPO); diese Beschränkung der Strafverfolgung gestattet eine Reduzierung des Schuldspruchs (vgl. nur BGH NJW 2004, 2990, 2991). Von der Einziehung oder dem Verfall kann ferner nach §§ 430, 442 StPO abgesehen werden, wenn das Verfahren "einen unangemessenen Aufwand erfordern" würde. Hinzu kommt, daß Verfahrensverzögerungen, selbst wenn diese auf einer Überlastung des Gerichts beruhen, nicht selten dazu führen, daß die schuldangemessene Strafe unterschritten werden muß (BVerfG - Kammer - NJW 1995, 1277; 2003, 2225; NStZ 2004, 335; BGH NStZ 1999, 181; BGHSt 45, 321, 339; ).
Die mit der richterrechtlichen Zulassung der Urteilsabsprache verbundene Fortbildung des Strafprozeßrechts ist schließlich auch im Hinblick darauf verfassungsrechtlich vertretbar, daß das Recht auf ein faires Verfahren auch den Zeugen, namentlich den Opfer-Zeugen, davor schützt, zum bloßen Objekt eines rechtsstaatlich geordneten Verfahrens gemacht zu werden (BVerfGE 38, 105, 114 f.). Nach der Auffassung des Gesetzgebers ist Aufgabe eines sozialen Rechtsstaates nicht nur, darauf zu achten, daß die Straftat aufgeklärt und Schuld oder Unschuld des Beschuldigten in einem rechtsstaatlichen Verfahren festgestellt, sondern auch, daß die Belange des Opfers gewahrt werden (so die Begründung der Bundesregierung im Entwurf zum Opferrechtsreformgesetz vom , BGBl I 1354, BT-Drucks. 15/2536). Der Zeugen- und Opferschutz kann deshalb Anlaß sein, von einer weitergehenden - den Schuldumfang möglicherweise erhöhenden - Sachaufklärung abzusehen, namentlich unter Anwendung von §§ 154, 154 a StPO. Die Revisionsgerichte knüpfen an dieses Anliegen auch bei der Frage der Notwendigkeit der Aufhebung und Zurückweisung an (vgl. BGHR StPO § 267 Abs. 1 Satz 1 Mindestfeststellungen 7; § 354 Abs. 1 Sachentscheidung 5; zur verfassungskonformen Auslegung unter Opferschutzgesichtspunkten siehe auch BVerfG - Kammer -, Beschluß vom - 2 BvL 4/98).
cc) Der Große Senat für Strafsachen würde sich an der nach allem durch die Änderung der Verhältnisse veranlaßten, zur Sicherstellung der Funktionstüchtigkeit der Strafrechtspflege gebotenen Rechtsfortbildung durch Zulassung der Urteilsabsprache (in den dargestellten engen Grenzen) allerdings gehindert sehen, wenn eine einschlägige Regelung des Gesetzgebers zu erwarten wäre (vgl. BVerfGE 34, 269, 291). Indes ist trotz drängenden Regelungsbedarfs ein Tätigwerden des Gesetzgebers konkret nicht abzusehen.
II.
Ausgehend davon, daß Urteilsabsprachen bei Wahrung der dargestellten Anforderungen zulässig sind, hält der Große Senat für Strafsachen in Beantwortung der Vorlegungsfragen 1 und 2 es mit BGHSt 43, 195 für unzulässig, daß das Gericht mit den Verfahrensbeteiligten vor Urteilsverkündung einen Rechtsmittelverzicht vereinbart. Darüber hinausgehend ist jedwedes Mitwirken des Gerichts an einem Rechtsmittelverzicht unzulässig.
Außer Frage steht der Extremfall einer Verknüpfung von Strafhöhe mit versprochenem Rechtsmittelverzicht, der einen grundlegenden Verstoß gegen das Prinzip schuldangemessenen Strafens darstellt (BGHSt aaO S. 204 f.). Darüber hinaus darf die Urteilsabsprache zudem nicht gleichsam als eigenständiges, informelles Verfahren neben der eigentlichen Hauptverhandlung geführt werden, sie darf nicht unter dem Deckmantel der Unkontrollierbarkeit stattfinden, ihr Inhalt muß auch für das Revisionsgericht überprüfbar sein (BGHSt aaO S. 206). Wie der vorlegende Senat zutreffend dargelegt hat, bestehen an einer Zulassung der Möglichkeit, einen Rechtsmittelverzicht im Rahmen einer Urteilsabsprache zu vereinbaren, keine legitimen Interessen. Zudem könnten hieraus nachhaltige Gefahren nicht nur für die Rechtskultur, sondern darüber hinaus für eine effektive Wahrung unverzichtbarer Anliegen eines rechtsstaatlich geführten Strafverfahrens erwachsen.
Auch für diese Fälle muß eine effektive Möglichkeit der Kontrolle gerichtlicher Entscheidungen durch das Revisionsgericht erhalten werden. Beteiligt sich hingegen das Gericht im Rahmen einer Urteilsabsprache an der Vereinbarung eines Rechtsmittelverzichts oder drängt es gar die Rechtsmittelberechtigten hierzu, so läßt es erkennen, daß sein Urteil keiner revisionsgerichtlichen Kontrolle unterzogen werden soll. Das verletzt nicht nur die Würde des Gerichts und schadet seiner Autorität. Eine solche Verfahrensweise läßt vor allem ernsthaft besorgen, daß das Gericht es in der Erwartung, seine Entscheidung werde nicht mehr überprüft, bei der Urteilsfindung an der auch in diesem Verfahren notwendigen Sorgfalt bei der prozeßordnungsgemäßen Ermittlung des Sachverhalts, bei seiner Subsumtion unter das materielle Strafrecht und bei der Bestimmung der schuldangemessenen Strafe fehlen lassen werde.
Aus diesen Gründen muß es dem Gericht untersagt sein, an jedwedem Zustandekommen einer Urteilsabsprache mitzuwirken, soweit ihr Gegenstand auch der Verzicht auf die Einlegung eines Rechtsmittels ist. Den Rechtsmittelberechtigten selbst bleibt es zwar unbenommen, bei einer Urteilsabsprache auch schon vor Urteilsverkündung ohne Beteiligung des Gerichts Gespräche über die Einlegung des Rechtsmittels zu führen. Das Gericht darf sich aber an Gesprächen nicht aktiv beteiligen, soweit diese - über die Urteilsabsprache hinaus - auch einen etwaigen Rechtsmittelverzicht zum Gegenstand haben, sei es, daß das Gericht hierbei die Frage eines Rechtsmittelverzichts von sich aus anspricht, befürwortet oder gar verlangt. Es hat bei einer Urteilsabsprache - vor der Urteilsverkündung - Äußerungen zu vermeiden, die objektiv dahin verstanden werden können, daß ihm an einem Rechtsmittelverzicht gelegen sein könnte oder daß dieser für den Angeklagten vorteilhaft sei.
Der Große Senat für Strafsachen verkennt dabei nicht, daß ein Bedürfnis der Prozeßbeteiligten nach revisionsgerichtlicher Überprüfung im Anschluß an eine unter fairen Bedingungen zustandegekommene Urteilsabsprache in der Praxis nicht häufig gegeben sein wird. Gleichwohl ist es unerläßlich, die Möglichkeit zu erhalten, das Urteil in dem durch das jeweils zulässige Rechtsmittel gesetzten Rahmen zur Nachprüfung zu stellen und damit auch die Einhaltung der Grenzen einer zulässigen Urteilsabsprache überprüfen zu lassen.
III.
Für die Frage nach der Wirksamkeit des Rechtsmittelverzichts, der nach einem Urteil erklärt wurde, dem eine Absprache zugrunde liegt, gilt folgendes:
1. Das Gesetz geht von der grundsätzlichen Wirksamkeit des Rechtsmittelverzichts aus.
a) Nach § 302 Abs. 1 Satz 1 StPO (vgl. auch § 410 StPO und § 67 OWiG) kann der Verzicht auf die Einlegung eines Rechtsmittels schon vor Ablauf der Frist zu seiner Einlegung - also auch im Anschluß an die Urteilsverkündung (vgl. dazu aber auch Nr. 142 Abs. 2 RiStBV) - wirksam erfolgen. An den allseitig erklärten Rechtsmittelverzicht hat der Gesetzgeber - praktisch besonders bedeutsam für den im Anschluß an die Urteilsverkündung abgegebenen Rechtsmittelverzicht - in mehreren Gesetzesnovellen Entlastungsregelungen geknüpft (§ 267 Abs. 4 Satz 1, § 267 Abs. 5 Satz 2 und § 273 Abs. 2 StPO).
b) Der nach Urteilserlaß erklärte Rechtsmittelverzicht führt - in Verbindung mit dem Rechtsmittelverzicht der anderen rechtsmittelberechtigten Verfahrensbeteiligten - die Rechtskraft unmittelbar herbei. Damit wirkt der Rechtsmittelverzicht rechtsgestaltend (vgl. nur § 56 a Abs. 2 Satz 1 StGB, § 22 Abs. 2 Satz 1, § 28 Abs. 2 Satz 1 JGG: Bewährungszeit; § 68 c Abs. 3 Satz 1 StGB: Führungsaufsicht; § 44 Abs. 2 StGB: Fahrverbot; § 69 Abs. 3 Satz 1, § 69 a Abs. 5 Satz 1 StGB: Fahrerlaubnis; § 45 a Abs. 1, § 70 Abs. 4 Satz 1 StGB: Amtsfähigkeit und Berufsverbot; § 73 e Abs. 1 Satz 1, § 74 e Abs. 1 StGB: Verfall und Einziehung; § 79 Abs. 6 StGB: Vollstreckungsverjährung).
c) Weitere Rechtsfolgen sind mit der Rechtskraft verbunden. Diese führt zum Übergang vom Erkenntnis- in das Vollstreckungsverfahren und damit von Untersuchungshaft in Strafhaft. Sichergestellte Sachen sind dem Verletzten alsbald herauszugeben (§ 111 k StPO). Aus einer Telekommunikationsüberwachung, Telekommunikationsauskunft und dem Einsatz technischer Mittel erlangte Unterlagen sind unverzüglich zu vernichten (§ 100 b Abs. 6 Satz 1, § 100 h Abs. 1 Satz 3, § 100 d Abs. 1 Satz 2 StPO).
d) Als Prozeßhandlung, die die Rechtskraft (mit den genannten Folgen) herbeiführt, kann der wirksam erklärte Rechtsmittelverzicht nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs grundsätzlich weder widerrufen noch angefochten oder sonst zurückgenommen werden.
Nur in besonderen Ausnahmefällen versagt der Bundesgerichtshof dem Rechtsmittelverzicht (und der Rechtsmittelrücknahme) die Wirksamkeit, so in Fällen schwerwiegender Willensmängel bei der Erklärung des Rechtsmittelverzichts oder wegen der Art und Weise seines Zustandekommens (vgl. BGHSt 18, 257; 19, 101; 45, 51; 46, 257; 47, 238; BGHR StPO § 302 Abs. 1 Satz 1 Rechtsmittelverzicht 14, 25, 26; BGH StV 2001, 556; NStZ 2004, 636). Ob und unter welchen Voraussetzungen ein Rechtsmittelverzicht auch dann unwirksam ist, wenn er Bestandteil der Urteilsabsprache war, hat der Bundesgerichtshof bislang nicht tragend entschieden (die Entscheidung BGHSt 45, 227 betraf eine besondere Fallgestaltung).
2. Die Unwirksamkeit des Rechtsmittelverzichts folgt nicht zwangsläufig aus seiner unzulässigen Vereinbarung im Rahmen einer Urteilsabsprache.
a) Urteilsabsprache und Rechtsmittelverzicht betreffen nämlich verschiedene Verfahrensabschnitte: die Urteilsabsprache einschließlich des Verfahrens bis zur Urteilsverkündung (erster Abschnitt) und die danach von den Rechtsmittelberechtigten getroffene Entscheidung (zweiter Abschnitt). Den jeweiligen Abschnitten liegen unterschiedliche Prozeßhandlungen zugrunde.
Bestandteil der Absprache sind die gegenseitigen "Versprechen", in einer bestimmten Weise zu verfahren. Das zusätzliche "Versprechen", kein Rechtsmittel einlegen zu werden, kann die Rechtsmittelberechtigten rechtlich nicht binden. "Versprechen" kann deshalb nicht mehr bedeuten als die unverbindliche Ankündigung, nach Urteilserlaß den Rechtsmittelverzicht erklären zu wollen.
Der Rechtsmittelverzicht ist eine selbständige Prozeßhandlung im zweiten Verfahrensabschnitt. Die Urteilsverkündung bildet eine zeitliche Zäsur, nach der der Rechtsmittelberechtigte ohne rechtliche Bindung an seine zuvor geäußerte Ankündigung über den Rechtsmittelverzicht entscheiden kann.
Das Gesetz sieht in diesem Verfahrensabschnitt Korrektive vor, die vor übereilten Entscheidungen schützen sollen. Vor der Erklärung des Rechtsmittelverzichts ist die Rechtsmittelbelehrung vorgeschrieben (§ 35 a StPO). Nach der Erklärung des Rechtsmittelverzichts noch vor Abschluß der Hauptverhandlung erfolgt in Anwendung des § 273 Abs. 3 Satz 3 StPO die protokollierte Genehmigung der Verzichtserklärung nach Verlesung.
b) Diese Korrektive sind jedoch für sich allein nicht ohne weiteres geeignet, dem Rechtsmittelberechtigten seine unvermindert fortbestehende Rechtsmittelbefugnis ungeachtet der Tatsache zu verdeutlichen, daß das Gericht an einer Absprache mitgewirkt hat, die - unzulässigerweise - den vorzeitigen Verzicht auf diese Befugnis zum Gegenstand hatte. Der Große Senat für Strafsachen verkennt auch nicht, daß es dem Rechtsmittelberechtigten - namentlich dem Angeklagten - schwerfallen mag, von einer Ankündigung, bei einem bestimmten Urteilsergebnis kein Rechtsmittel einlegen zu wollen, wieder abzurücken. Für den Angeklagten entsteht ein "Zugzwang" nicht zuletzt dann, wenn er einer solchen Urteilsabsprache aufgrund der Empfehlung seines Verteidigers zugestimmt und unter dieser, rechtlich freilich unverbindlichen Voraussetzung sein Geständnis - insoweit hat er seinerseits eine "Vorleistung" von erheblichem Gewicht erbracht - abgelegt hat. Häufig wird ihm auch sein Verteidiger zum Rechtsmittelverzicht raten, zumal wenn er ohnehin - als derjenige, der das regelmäßig am besten beurteilen kann - zu der Einschätzung gelangt, daß das Ergebnis dem wohlverstandenen Interesse des Angeklagten entspricht. Dabei kann der Verteidiger zudem in ein Dilemma geraten, wenn er dem Angeklagten ein Rechtsmittel selbst dann empfehlen soll, wenn die Beteiligten den Rechtsmittelverzicht vor dem Urteil abgesprochen haben ("Gleichklang der Interessen", vgl. Terhorst GA 2002, 600, 606; Weider StV 1991, 241; Kölbel NStZ 2003, 232; Salditt StraFo 2004, 60).
3. Im Hinblick auf die hier erörterten rechtlichen Gesichtspunkte und praktischen Gegebenheiten gelangt der Große Senat für Strafsachen zu folgendem Ergebnis:
a) Um den Anliegen, die mit der Annahme der Unzulässigkeit einer gerichtlichen Mitwirkung an Absprachen über einen Verzicht auf die Rechtsmitteleinlegung verfolgt werden, zu effektiver Durchsetzung zu verhelfen, hält der Große Senat für Strafsachen es für unerläßlich, daß der Verzicht auf die Einlegung des Rechtsmittels, der nach einer derart unzulässig zustandegekommenen Urteilsabsprache erklärt wurde, unwirksam ist. Das gilt sowohl für den am Ende der Hauptverhandlung - unmittelbar nach Urteilsverkündung - als auch für den nach Abschluß der Hauptverhandlung, am selben Tag oder später, erklärten Verzicht. Der Betroffene kann dann trotz des erklärten Verzichts noch Rechtsmittel einlegen.
b) In Abwägung zwischen dem Anliegen des fairen Verfahrens einerseits, der Rechtssicherheit andererseits erstreckt der Große Senat für Strafsachen die Folge der Unwirksamkeit des Rechtsmittelverzichts auf alle Fälle, in denen überhaupt eine Urteilsabsprache erfolgt ist. Dies ist auch angezeigt, um Beweisschwierigkeiten zu vermeiden, die sich namentlich in Fällen ergeben können, in denen die unzulässige Absprache eines Rechtsmittelverzichts nicht offengelegt wird.
c) Um jedoch die Interessen der Rechtssicherheit nicht zu weitgehend zu berühren, gilt das Verdikt der Unwirksamkeit des Rechtsmittelverzichts nicht absolut. Es entfällt vielmehr, wenn dem Rechtsmittelberechtigten über die Freiheit, unbeschadet der Absprache Rechtsmittel einlegen zu können, eine von der eigentlichen Rechtsmittelbelehrung abgehobene, qualifizierte Belehrung erteilt worden ist. Hierzu gilt folgendes:
Bei jeder Urteilsabsprache - mit Gesprächen über den Rechtsmittelverzicht oder auch ohne diese, mit oder ohne Aufnahme in das Hauptverhandlungsprotokoll - ist dem Betroffenen, der nach § 35 a Satz 1 StPO über ein Rechtsmittel zu belehren ist, über die hier unverzichtbare Rechtsmittelbelehrung hinaus stets auch eine qualifizierte Belehrung über seine fortbestehende Rechtsmittelbefugnis zu erteilen. Diese ist als wesentliche Förmlichkeit zu protokollieren (§ 273 Abs. 1 StPO) und nimmt an der Beweiskraft des Protokolls nach § 274 StPO teil.
Qualifizierte Belehrung bedeutet, daß der Betroffene vom Gericht ausdrücklich dahin zu belehren ist, daß er ungeachtet der Urteilsabsprache und ungeachtet der Empfehlung der übrigen Verfahrensbeteiligten, auch seines Verteidigers, in seiner Entscheidung frei ist, Rechtsmittel einzulegen. Er ist darauf hinzuweisen, daß ihn eine - etwa im Rahmen einer Urteilsabsprache abgegebene - Ankündigung, kein Rechtsmittel einzulegen, weder rechtlich noch auch sonst bindet, daß er also nach wie vor frei ist, gleichwohl Rechtsmittel einzulegen. Ferner kann es sich empfehlen, dem Angeklagten Gelegenheit zu einem ausführlichen Beratungsgespräch mit seinem Verteidiger zu geben und auch diesen Vorgang zu protokollieren (vgl. , insoweit in NStZ-RR 2004, 214 nicht abgedruckt).
Es wird in der Verantwortung der Tatrichter stehen, daß dieses Korrektiv der qualifizierten Belehrung nicht etwa als nur formelhafte, tatsächlich nicht ernstgemeinte Prozeßhandlung ausgestaltet wird.
Der Große Senat für Strafsachen hält danach eine solche qualifizierte Belehrung für eine notwendige, aber auch ausreichende Sicherung gegen mögliche Willensbeeinträchtigungen bei der nach einer Urteilsabsprache abgegebenen Erklärung über den Verzicht auf die Rechtsmitteleinlegung. Die Erklärung des qualifiziert belehrten Betroffenen, auf ein Rechtsmittel zu verzichten, ist wirksam und unwiderruflich, weil sie in voller Kenntnis von Bedeutung und Tragweite des Verzichts abgegeben worden ist.
d) Ist die gebotene qualifizierte Belehrung unterblieben und ist deshalb der Rechtsmittelverzicht des Betroffenen nicht wirksam erfolgt, kann der Betroffene noch Rechtsmittel einlegen, allerdings nur innerhalb der Rechtsmitteleinlegungsfrist. Einer unbefristeten Möglichkeit zur Rechtsmitteleinlegung steht entgegen, daß die Frage der Rechtskraft wegen der mit ihr verbundenen weitreichenden Folgen durch eine klare Fristenregelung eindeutig geklärt sein muß und durch die Rechtsmitteleinlegungsfrist geklärt ist. Der Rechtsmittelberechtigte, der auf Rechtsmittel verzichtet hat, nachdem ihm die Rechtsmittelbelehrung ohne qualifizierte Belehrung erteilt worden ist, darf zudem insoweit nicht besser stehen als derjenige, der keinen Rechtsmittelverzicht erklärt hat.
e) Bei erfolgter Rechtsmittelbelehrung, aber ohne qualifizierte Belehrung gilt für die Wiedereinsetzung gegen die Versäumung der Frist zur Rechtsmitteleinlegung: Die gesetzliche Vermutung des § 44 Satz 2 StPO kommt für die unterbliebene qualifizierte Belehrung nicht zur Anwendung. Die Vermutung gilt nur für die unterbliebene Rechtsmittelbelehrung nach § 35 a Satz 1 StPO, welcher die notwendige Kenntnis des Rechtsmittelberechtigten von der zu wahrenden Rechtsmittelfrist effektiv absichern soll. Sie etwa auf die durch Richterrecht geschaffene weitere qualifizierte Belehrung zu erstrecken, ist nach Abwägung der widerstreitenden Interessen nicht geboten. Denn der Rechtsmittelverzicht eines Betroffenen nach einer Urteilsabsprache wird - und zwar selbst wenn diese unzulässigerweise die Frage eines Rechtsmittelverzichts einbezogen hatte - häufig darauf beruhen, daß der Betroffene das Ergebnis der gefundenen Verständigung als dauerhaft akzeptiert und eine Rechtsmittelüberprüfung gar nicht wünscht. Eine abweichende Lösung würde die im Interesse der Rechtssicherheit nicht hinnehmbare Gefahr bergen, Rechtsmittelmöglichkeiten ohne gebotene Fristgrenzen allzu leicht auch nach bloßem späterem Motivwechsel hinsichtlich der Rechtsmitteldurchführung zu eröffnen.
Nur demjenigen, der ohne gesetzliche Vermutung glaubhaft machen kann (§ 45 Abs. 2 StPO), aufgrund unstatthafter Einwirkungen - etwa weil er entgegen bestehender Informationspflichten, gar wider besseres Wissen, zumal vom Gericht, vom Beschreiten eines vorhandenen, von ihm gewünschten Rechtsweges abgebracht worden ist (vgl. dazu BGHSt 45, 227; 47, 238) - auf Rechtsmittel verzichtet und das Rechtsmittel folglich nicht fristgerecht eingereicht zu haben, weil er sich unverschuldet zu Unrecht daran gebunden hielt, kann nach § 44 Satz 1 StPO Wiedereinsetzung zu gewähren sein. Die Glaubhaftmachung wird in Fällen dieser Art aus den genannten Gründen nicht selbstverständlich gelingen. Insbesondere liegt in der Unkenntnis des Angeklagten oder seines Verteidigers von bisheriger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs oder von der vorliegenden Entscheidung keine Verhinderung im Sinne des § 44 Satz 1 StPO (vgl. BGH bei Becker NStZ-RR 2002, 66; BGH NStZ 2004, 162).
C.
An den dem Bundesgerichtshof zur Entscheidung unterbreiteten Fällen wird deutlich, daß sich die Verständigung zwischen den Prozeßbeteiligten zunehmend von einem mit der Strafprozeßordnung problemlos zu vereinbarenden "offenen Verhandeln" des Gerichts in Form der Bekanntgabe einer dem jeweiligen Verfahrensstand entsprechenden Prognose entfernt. Die Urteilsabsprache bewegt sich hingegen in die Richtung einer quasivertraglichen Vereinbarung zwischen dem Gericht und den übrigen Verfahrensbeteiligten. Die Strafprozeßordnung in ihrer geltenden Form ist jedoch am Leitbild der materiellen Wahrheit orientiert, die vom Gericht in der Hauptverhandlung von Amts wegen zu ermitteln und der Disposition der Verfahrensbeteiligten weitgehend entzogen ist, Versuche der obergerichtlichen Rechtsprechung, Urteilsabsprachen, wie sie in der Praxis inzwischen in großem Umfang üblich sind, im Wege systemimmanenter Korrektur von Fehlentwicklungen zu strukturieren oder - wie die vorstehende Lösung zeigt - unter Schaffung neuer, nicht kodifizierter Instrumentarien ohne Bruch in das gegenwärtige System einzupassen, können daher nur unvollkommen gelingen und führen stets von neuem an die Grenzen zulässiger Rechtsfortbildung.
Der Große Senat für Strafsachen appelliert an den Gesetzgeber, die Zulässigkeit und, bejahendenfalls, die wesentlichen rechtlichen Voraussetzungen und Begrenzungen von Urteilsabsprachen gesetzlich zu regeln. Es ist primär Aufgabe des Gesetzgebers, die grundsätzlichen Fragen der Gestaltung des Strafverfahrens und damit auch die Rechtsregeln, denen die Urteilsabsprache unterworfen sein soll, festzulegen. Dabei kommt ihm - auch von Verfassungs wegen - ein beachtlicher Spielraum zu (BVerfGE 57, 250, 275 f.).
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
INF 2005 S. 370 Nr. 10
SAAAB-96477
1BGHR: ja