BGH Beschluss v. - AnwSt (R) 11/04

Leitsatz

[1] Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.

Gesetze: StPO § 55 Abs. 2; StPO § 136 Abs. 1; StPO § 349 Abs. 2; StPO § 349 Abs. 4; BRAO § 43; BRAO § 56; BRAO § 56 Abs. 1; BRAO § 56 Abs. 1 Satz 1; BRAO § 56 Abs. 1 Satz 2; BRAO § 56 Abs. 1 Satz 3; BRAO § 146 Abs. 3

Instanzenzug:

Gründe

I.

Das Anwaltsgericht hat die Rechtsanwältin mit Urteil vom der Verletzung anwaltlicher Berufspflichten in mehreren Fällen für schuldig befunden und gegen sie die anwaltsgerichtliche Maßnahme des Verweises sowie eine Geldbuße in Höhe von 3.500 € verhängt. Auf die Berufung der Rechtsanwältin hat der Anwaltsgerichtshof das Urteil des Anwaltsgerichts aufgehoben und ausgesprochen, dass die Beschwerdeführerin in der Zeit von 1999 bis 2002 schuldhaft ihre Pflichten als Rechtsanwältin verletzt hat, "indem sie in sechs Fällen Mandanten nicht unverzüglich über alle für den Fortgang der Sache wesentlichen Vorgänge und Maßnahmen unterrichtete und Mandantenanfragen nicht beantwortete und außerdem in einem Fall nicht unverzüglich Honorarvorschüsse abrechnete sowie in sechs Fällen Anfragen der Rechtsanwaltskammer nicht beantwortete und es in fünf Fällen dazu kommen ließ, dass die daraufhin festgesetzten Zwangsgelder im Vollstreckungswege beigetrieben werden mussten". Als Rechtsfolge hat der Anwaltgerichtshof gegen die Rechtsanwältin die anwaltsgerichtliche Maßnahme des Verweises sowie eine Geldbuße in Höhe von 1.500 € verhängt. Hiergegen wendet sich die zugelassene Revision der Rechtsanwältin, mit der sie die Verletzung formellen und materiellen Rechts rügt.

II.

1. Die erhobenen Formalrügen dringen, wie der Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift im Einzelnen zutreffend ausgeführt hat, nicht durch.

2. Das Rechtsmittel hat jedoch mit der Sachrüge den aus der Beschlussformel ersichtlichen Erfolg; im Übrigen erweist es sich als unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.

a) Nach den Feststellungen ließ die Rechtsanwältin im Zeitraum 1999 bis 2002 in sechs Beschwerdesachen, die jeweils unterschiedliche Mandatsverhältnisse betrafen, Auskunftsverlangen des Vorstands der Rechtsanwaltskammer nach § 56 Abs. 1 Satz 1 BRAO unbeantwortet. Aus dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe ergibt sich, dass die einzelnen Auskunftsersuchen keinen ausdrücklichen Hinweis auf das Auskunftsverweigerungsrecht des Rechtsanwalts nach § 56 Abs. 1 Satz 2 BRAO, sondern lediglich einen nicht näher ausgeführten Hinweis auf die Vorschrift des § 56 Abs. 1 BRAO insgesamt enthielten. Der Anwaltsgerichtshof hat die Untätigkeit der Beschwerdeführerin gleichwohl jeweils als Verstöße gegen § 56 Abs. 1 BRAO gewertet. Zur Begründung hat er ausgeführt, dass er an seiner bisherigen Rechtsprechung festhalte, wonach es für die Wirksamkeit des Auskunftsverlangens genüge, wenn der Vorstand der Rechtsanwaltskammer auf die Bestimmung des § 56 Abs. 1 BRAO hinweist, ohne den Wortlaut des Satzes 2 dieser Bestimmung ausdrücklich und wörtlich zu wiederholen. Von einem Rechtsanwalt könne erwartet werden, dass er das für ihn maßgebliche Berufsrecht kennt oder jedenfalls in der Lage ist, aufgrund des ihm gegebenen Hinweises auf eine Vorschrift den Gesetzestext zu lesen. Eine wörtliche oder sinnentsprechende Wiedergabe des Inhalts des § 56 Abs. 1 Satz 2 BRAO wäre eine "unnötige Förmelei".

b) Dem kann jedenfalls nicht gefolgt werden, soweit das Hinweisgebot nach § 56 Abs. 1 Satz 3 bereits durch eine pauschale Bezugnahme auf die Regelung des § 56 Abs. 1 BRAO erfüllbar sein soll.

Nach § 56 Abs. 1 Satz 2 BRAO besteht eine Auskunftspflicht des Rechtsanwalts nicht, wenn und soweit er dadurch seine Verpflichtung zur Verschwiegenheit verletzen oder sich durch wahrheitsgemäße Beantwortung oder Vorlage seiner Handakten die Gefahr zuziehen würde, wegen einer Straftat, einer Ordnungswidrigkeit oder einer Berufspflichtverletzung verfolgt zu werden und er sich hierauf beruft. Auf das Recht zur Auskunftsverweigerung ist er gemäß § 56 Abs. 1 Satz 3 BRAO hinzuweisen. Durch diese mit Gesetz vom (BGBl. I S. 2278) neu eingefügte Regelung wird dem allgemeinen Rechtsgrundsatz Rechnung getragen, dass niemand verpflichtet ist, sich selbst anzuklagen oder gegen sich selbst auszusagen (sog. nemo-tenetur-Prinzip; vgl. hierzu Meyer-Goßner, StPO, 48. Aufl. Einl. Rdn. 29 a m.w.N.). An die Hinweispflicht sind daher grundsätzlich strenge Anforderungen zu stellen. Nach überwiegender Auffassung muss deshalb auf das Auskunftsverweigerungsrecht beschreibend mit Worten, möglichst mit dem Gesetzeswortlaut hingewiesen werden (vgl. Feuerich/Weyland, BRAO 6. Aufl. § 56 Rdn. 35; Hennsler/Prütting-Hartung, BRAO 2. Aufl. § 56 Rdn. 12; AGH Nordrhein-Westfalen, BRAK-Mitt. 2000, 199; AGH Niedersachsen, BRAK-Mitt. 2002, 94; vgl. auch Meyer-Goßner aaO § 136 Rdn. 8 zur Hinweispflicht nach § 136 Abs. 1 Satz 2 StPO).

Der Senat braucht hier nicht zu entscheiden, ob dieser Auffassung uneingeschränkt zu folgen ist oder ob etwa auch ein Hinweis des Inhalts "Auf ihr Auskunftsverweigerungsrecht gemäß § 56 Abs. 1 Satz 2 BRAO werden Sie hingewiesen" genügen kann. Für Letzteres könnte sprechen, dass der Rechtsanwalt bei einem Auskunftsverlangen nach § 56 Abs. 1 BRAO - anders als in den Fällen der §§ 55 Abs. 2, 136 Abs. 1 Satz 2 StPO - nicht unter der besonderen Drucksituation einer Vernehmung steht, sondern bei Hinweis auf ein ihm gegebenenfalls zustehendes Auskunftsverweigerungsrecht regelmäßig hinreichend Gelegenheit haben wird, sich als Rechtskundiger über dessen Ausgestaltung im einzelnen zu informieren. Jedenfalls genügt die im vorliegenden Fall vorgenommene pauschale Bezugnahme auf die Bestimmung des § 56 Abs.1 BRAO - ohne jeden Hinweis auf das Bestehen eines Auskunftsverweigerungsrechts - dem Hinweisgebot nicht. Dies stellt entgegen der Auffassung des Anwaltsgerichtshofs keine "unnötige Förmelei" dar. Der Gesetzgeber hat gerade durch die Aufnahme der Hinweispflicht in einer für Rechtsanwälte geltenden berufsrechtlichen Bestimmung deutlich gemacht, es reiche nicht aus, dass die Adressaten grundsätzlich in der Lage sind, ihre Rechte selbst zu ermitteln. Vielmehr muss ihnen durch den in § 56 Abs. 1 Satz 3 BRAO vorgeschriebenen Hinweis zumindest die Existenz eines Auskunftsverweigerungsrechts klar vor Augen geführt werden. Dem ist hier nicht entsprochen worden.

c) Bei Verstoß gegen die Hinweispflicht des § 56 Abs. 1 Satz 3 BRAO kann die Untätigkeit des Rechtsanwalts nicht als Berufspflichtverletzung gewertet werden. Dies gilt unabhängig davon, ob der Rechtsanwalt sein Auskunftsverweigerungsrecht kannte (Senatsurteil vom - AnwSt(R) 9/04, zum Abdruck in BGHSt bestimmt). Deshalb kann dem Rechtsanwalt bei unterbliebenem Hinweis auch nicht- wie es der Anwaltsgerichtshof getan hat - angelastet werden, dass infolge seiner Untätigkeit nach § 57 BRAO gegen ihn Zwangsgelder festgesetzt und vollstreckt worden sind. Auf die - vom Anwaltsgerichtshof bejahte - Rechtsfrage, ob die durch sein Verhalten veranlasste Beitreibung von Zwangsgeldern nach § 57 BRAO im Vollstreckungswege als (eigenständiger) Verstoß gegen die "sich unmittelbar aus § 43 BRAO ergebenden Berufspflichten des Rechtsanwalts" gewertet werden kann, kam es daher nicht an.

d) Der Anwaltsgerichtshof ist daher bei der Bewertung der Berufspflichtverletzung der Beschwerdeführerin von einem zu großen Schuldumfang ausgegangen. Dies zieht die Aufhebung des Rechtsfolgenausspruchs nach sich. Der Senat kann nicht ausschließen, dass ohne die rechtsfehlerhaft angenommenen Verstöße nach §§ 56, 57 BRAO auf eine für die Rechtsanwältin günstigere Rechtsfolge erkannt worden wäre.

Fundstelle(n):
QAAAB-95886

1Nachschlagewerk: nein; BGHZ: nein; BGHR: nein