Leitsatz
[1] Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Gesetze: StGB § 176 Abs. 1; StPO § 52 Abs. 1 Nr. 3; StPO § 52 Abs. 3 Satz 1; StPO § 163a Abs. 5
Instanzenzug: LG Chemnitz vom
Gründe
Das Landgericht hat den Angeklagten von dem Vorwurf freigesprochen, die am geborene Tochter S. seiner ehemaligen Ehefrau zwischen Juli 1996 und dem in 43 Fällen als Kind und in 19 Fällen als Jugendliche und Schutzbefohlene sexuell missbraucht zu haben. Nachdem die Staatsanwaltschaft ihr Rechtsmittel hinsichtlich der Freisprechung des Angeklagten in den Fällen 44 bis 62 der Anklage zurückgenommen hat, bleibt auch die weitergehende, allein mit der Sachrüge geführte, die Freisprüche von den Vergehen nach § 176 Abs. 1 StGB betreffende Revision, die vom Generalbundesanwalt vertreten wird, ohne Erfolg.
Dem Angeklagten liegt noch zur Last, S. in 40 Fällen an ihrem Geschlechtsteil und mehreren anderen Stellen ihres Körpers gestreichelt zu haben. In zwei weiteren Fällen soll sich der Angeklagte nach Berühren des Geschlechtsteils des Mädchens - in einem Fall nach Einführung eines Fingers in die Scheide - selbst befriedigt und in einem weiteren Fall das Geschlechtsteil des auf Geheiß des Angeklagten breitbeinig auf einem seiner Beine sitzenden Mädchens unter dem Schlüpfer massiert haben.
1. Das Landgericht hat folgende Feststellungen getroffen:
Der Angeklagte zog im März 1996 zu seiner späteren Ehefrau und deren Töchtern S. (knapp zwölf Jahre alt) und D. (knapp neun Jahre alt). Die Mädchen reagierten aggressiv und ablehnend gegenüber dem Angeklagten. Die Konsultation einer Kinderpsychologin führte Ende 1996 zu einer Art "Waffenstillstand" zwischen den Beteiligten. Nach der Geburt des gemeinsamen Sohnes beschlossen der Angeklagte und seine Lebensgefährtin zu heiraten. Zwei Wochen vor dem Hochzeitstermin () erzählte S. ihrer Schwester, vom Angeklagten "angefasst" worden zu sein. Auf Nachfragen von Familienmitgliedern schwieg S. hierzu. In der 1998 bezogenen neuen Wohnung schliefen die Mädchen in einem gemeinsamen Kinderzimmer. Anfang 2001 bot der Angeklagte der damals 13-jährigen D. 200 DM, falls sie sich nackt breitbeinig vor ihm präsentiere. Das Mädchen unterrichtete sogleich ihre Mutter. Diese nahm den Vorfall zum Anlass, sich vom Angeklagten zu trennen und mit D. auszuziehen. S. wohnte noch bis Anfang April mit ihrem Stiefbruder in der Wohnung des Angeklagten.
Die Mutter der Mädchen erhob in einer wegen des Verdachts des Betruges am durchgeführten Beschuldigtenvernehmung gegenüber dem Angeklagten den Vorwurf, dieser hätte sich an S. vergriffen. Daraufhin wurden D. am 19. und S. am von der Polizei zeugenschaftlich vernommen. Die Sachbearbeiterin zweifelte an der Glaubhaftigkeit der Aussagen von S. und regte eine Nachvernehmung an. Diese erfolgte am durch die Staatsanwaltschaft, allerdings ohne die nach § 52 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 3 Satz 1 StPO, § 163a Abs. 5 StPO gebotene Belehrung.
2. Die zur Freisprechung des Angeklagten führende Beweiswürdigung des Landgerichts hält der revisionsgerichtlichen Prüfung stand.
a) Die Weigerung des Landgerichts, wegen des Belehrungsfehlers den Inhalt der staatsanwaltschaftlichen Vernehmung der Hauptbelastungszeugin beweiswürdigend heranzuziehen, begründet keinen auf die Sachrüge beachtlichen Erörterungsmangel. Eine Verfahrensrüge hat die Staatsanwaltschaft nicht erhoben. Für die sachlichrechtliche Nachprüfung steht dem Revisionsgericht allein die Urteilsurkunde zur Verfügung (BGHSt 35, 238, 241). Daraus ergeben sich aber die von der Revision geltend gemachten Umstände nicht vollständig, so dass eine Umdeutung der im Ansatz im Anschluss an BGHR StPO § 52 Abs. 3 Satz 1 Verletzung 6 schlüssigen Beanstandung der Staatsanwaltschaft in eine zulässige Verfahrensrüge mangels ausreichenden Vortrags (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO) zur Zeugenbelehrung in der Hauptverhandlung und zum Inhalt der Zeugenaussage vor der Staatsanwältin ausscheidet.
b) Die Beweiswürdigung begegnet auch im Übrigen noch keinen durchgreifenden Bedenken.
Das Landgericht hat die Aussagen der Hauptbelastungszeugin in der Hauptverhandlung mangels konkreter und detaillierter Angaben zu den Tatvorwürfen für eine Überführung des Angeklagten als nicht ausreichend erachtet (UA S. 9). Bei dieser Sachlage wäre der Tatrichter verpflichtet gewesen, die - was sich aus dem Zusammenhang der Darlegungen UA S. 9 ergibt - konkreteren Angaben der Zeugin in ihrer polizeilichen Vernehmung im Einzelnen darzustellen und deren Beweiswert zu erwägen (vgl. BGH NJW 2002, 2188, 2189; insoweit in BGHSt 47, 243 ff. nicht abgedruckt; ). Das Landgericht hat hingegen lediglich in pauschaler Weise auf eine Vielzahl von Widersprüchen im Vergleich zum Inhalt der polizeilichen Zeugenaussage hingewiesen. Dies begründet indes vor dem Hintergrund weiterer den Beweiswert auch der polizeilichen Zeugenaussage in Frage stellender wesentlicher Umstände hier keinen durchgreifenden Rechtsfehler.
Aus dem Zusammenhang der Darlegungen (UA S. 9) ergibt sich nämlich, dass die Zeugin in ihrer polizeilichen Vernehmung weitergehende Vorwürfe des Vaginal- und Analverkehrs gegen den Angeklagten erhoben hat, die nicht Eingang in die Anklageschrift gefunden haben. Zudem hat die Zeugin die Durchführung des Geschlechtsverkehrs mit dem Angeklagten gegenüber dessen Mutter glaubhaft in Abrede genommen (UA S. 12). Die Zeugin war in der Hauptverhandlung nicht in der Lage, auch hinsichtlich dieser Vorwürfe detaillierte Angaben zum Geschehensablauf zu machen und die Vorfälle zeitlich einzuordnen (UA S. 9). Danach hätte es außerhalb der Aussage der Belastungszeugin liegender gewichtiger Gründe bedurft, um den - hier im Einzelnen nicht mitgeteilten - Inhalt der polizeilichen Vernehmung zur Grundlage einer Verurteilung zu erheben (vgl. BGHSt 44, 153, 159). Solche Umstände hat das Landgericht nach vom Revisionsgericht letztlich hinzunehmender wertender Betrachtung nicht gefunden.
Die Mutter der Mädchen konnte als Zeugin von keiner konkreten Missbrauchshandlung berichten, weil sich S. ihr offensichtlich nicht offenbart hatte. Auf die von der Revision an sich zu Recht kritisierten Erwägungen des Landgerichts über den Zeitpunkt der Anzeigenerstattung und des unterlassenen Vortrags des Missbrauchs im Ehescheidungsverfahren (UA S. 10) kommt es danach nicht an. Zwar hat die Zeugin D. in der Hauptverhandlung erstmalig und im Widerspruch zu ihrer polizeilichen Vernehmung einen einzigen Übergriff des Angeklagten geschildert, bei dem dieser S. an deren unbedeckten Brüsten "begrapscht" hatte (UA S. 10). Diesen Umstand wertet das Landgericht im Blick auf die in Rede stehende Tatserie und die im Einzelnen belegte Belastungstendenz der Aussage dieser Zeugin in der Hauptverhandlung aber nachvollziehbar als nicht überzeugend. Soweit das Landgericht schließlich in seiner Gesamtabwägung der von der polizeilichen Sachbearbeiterin erhobenen Falschbelastungshypothese beigetreten ist und diese nicht durch das verbliebene gewichtige, aber nicht zum Anklagevorwurf erhobene Belastungsindiz, die Auslobung von 200 DM für eine sexuelle Präsentation der Zeugin D. , als widerlegt angesehen hat, liegen diese - im Kontext weitere Bedenken gegen die Glaubhaftigkeit der Aussage der Zeugin S. begründender Umstände stehenden - Erwägungen des Tatrichters noch innerhalb des vom Revisionsgericht zu respektierenden Beurteilungsspielraums des Tatrichters.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
KAAAB-95862
1Nachschlagewerk: nein